Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Berlin

Zur Spaltung der Montagsdemonstrationen

Infomail 180, 8. September 2004

In Berlin ist eine besondere Situation entstanden - es gibt zwei Bündnisse zur Montagsdemonstration. Beide agieren mit der gleichen Hauptlosung "Weg mit Hartz IV!".

In allen anderen Städten werden die fortschrittlichen Montagsdemos von einem Bündnis organisiert. (Die von faschistischen Gruppen oder Frontstrukturen geschaffenen Bündnisse sind ein ganz anderer Fall und spielen für diese Erörterung keine Rolle. Sie müssen mit allen dazu notwendigen Mitteln bekämpft werden.) Die in beiden Bündnissen vertretenen Kräfte - allein das zeigt schon die Absurdität der Berliner "Besonderheiten" - sind in anderen Städten für die praktischen Aufgaben der Mobilisierung vereinigt. Das ist auch gut so, weil es sich in der Regel um Organisationen oder Gruppierungen handelt, die wir in die gemeinsame Aktion ziehen wollen.

Diese Spaltung in zwei Bündnisse - "Weg mit Hartz IV" und "Berliner Bündnis Montagsdemo" - ist auf bundesweiter Ebene weiter verfolgt worden: durch die Treffen der "Leipziger" und "Berliner". Beide haben auch ähnliche Beschlüsse gefasst: Kämpfen, bis Hartz IV fällt, die ArbeiterInnen und die Betriebe stärker hineinziehen, eine bundesweite Großdemo am 2. oder 3. Oktober. Beide haben die "offenen Mikrofone" für besonders wichtige Bestandteile der Montagsdemos erklärt.

Was ist der Spaltung vorausgegangen? Und warum blieb sie (bislang) auf Berlin beschränkt?

Die Spaltung ging von Berlin aus, weil sich nur dort beide Seiten in der Lage sahen, ein ausreichend großes "eigenes" Bündnis zu betreiben samt "eigener" Demonstration. In den meisten anderen Städten sind die Bündnisse und die einzelnen Gruppen einfach zu schwach, ihre eigene Demo zu veranstalten.

Eine Gruppierung, die das versuchen würde, würde sich wahrscheinlich sehr rasch isolieren und hätte wohl auch nicht genug AktivistInnen, um eine solche Mobilisierung durchzustehen. Wenn überhaupt, würden Spaltungslinien also entlang anderer Linien verlaufen müssen.

In Berlin hat es die MLPD geschafft, ein eigenes "Personenbündnis" "Berliner Bündnis Montagsdemo" mit ca. 500 Leuten in den "Mitmachlisten", Stadtteilkomitees und rund 100 regelmäßigen Aktiven zu etablieren. Es hat auch eine gewisse Unterstützung über die MLPD hinaus - eine Menge unorganisierter Individuen, verschiedene stalinistische Gruppierungen, aber auch Individuen aus der PDS, den Grauen Pantern sowie auch Unterstützung aus der autonomen Szene. Aber es wird ganz eindeutig von der MLPD kontrolliert.

Das andere Bündnis - "Weg mit Hartz IV" - ist breiter. Sein Kern besteht aus Teilen des Gewerkschaftsapparates, PDS, DKP, attac, Linkruck, isl, verschiedenen Erwerbslosen-Inis, StudentInnen ...

Die dominierenden Kräfte sind reformistisch oder rechts-zentristisch. Außerdem wird es von der FAU, von ALB/Fels, Sozialforum, Sozialbündnis und Anti-Hartz IV-Bündnis unterstützt.

Insgesamt zieht das MLPD-geführte Bündnis auf den Demos "radikalere" Elemente an (nicht unbedingt linkere). Wo es getrennte Demos gab, lässt sich jedoch auch feststellen, dass die soziale Zusammensetzung der beiden Demos ähnlich ist. Es wäre auch falsch, der einen Demo einen fortschrittlicheren Charakter gegenüber der anderen zuzuweisen.

In Berlin wäre es, wie gesagt möglich, dass beide Demos, wenn auch zum Schaden der Bewegung und um den Preis der Demobilisierung Vieler, existieren könnten. Es gab und gibt jedoch einen bundesweiten Druck zur Vereinigung, wie auch in Berlin, der sich über die Demonstrierenden, aber auch in beiden Bündnisse massiv äußert.

Das hat zu einer bundesweiten Vermittlung und einem Treffen geführt, die Chancen einer gemeinsamen Demonstration am 2. oder 3. Oktober auszuloten. Das führte zu einer gemeinsamen Demonstration in Berlin am 6. September.

Man muss aber konstatieren, dass beide Bündnis-Führungen einem Zusammengehen mit großen Vorbehalten entgegenstehen, weil sie davon eine Schwächung ihrer jeweiligen Position befürchten. Gerade nach der Versammlung des Bündnisses "Weg mit Hartz IV" am 7. September hat sich gezeigt, dass Teile dieses Bündnisses - v.a. die Vertreter von attac - keine gemeinsame Demonstration haben und auch die Spaltung nicht überwinden wollen.

Andererseits lässt auch die MLPD keine Gelegenheit aus, die Bedeutung ihres Bündnisse künstlich zu erhöhen, sei es, indem "Delegierte" der Montagsdemos wählen oder "Beschlüsse" der DemonstrantInnen "einstimmig" gefasst werden, obwohl die meisten schon aufgrund der Lautsprecherstärke davon nichts mitbekomm ...

Natürlich schieben beide Seiten einander die Schuld für die Spaltung zu.

Die MLPD argumentiert dabei folgendermaßen: Ihr Bündnis existiere länger und hätte die Demos immer schon angemeldet. Es hätte ein "Erstgeburtsrecht". Die anderen könnte sich schließlich ihrem Bündnis anschließen. So würde es sich verbreitern.

Das Problem der MLPD ist dabei, dass ihr eine Einheitsfront/ein Bündnis im Grunde nur von unten vorschwebt. So können jedoch schon existierende Gruppen oder gar Massenorganisationen nicht "eingebunden" werden. Ihr Vorschlag läuft im Grunde darauf hinaus, dass sich die anderen der MLPD unterordnen müssen (auf "basisdemokratischer Grundlage"). Das "Personenbündnis", in dem scheinbar alle gleich und die MLPD vorgeblich nur akzeptierter, "gleichwertiger, anerkannter Partner" sei, ist in Wirklichkeit eine MLPD-Staffage aus Vorfeld- und Umfeldorganisationen der MLPD (Rebell, Courage …), die in dieser Form auch nur in Berlin existiert - jedenfalls als Struktur, die tausende auf eine Demo bringt.

Das zweite Bündnis agiert zwar anders, aber in der Substanz gar nicht unähnlich. Hier sind zwar Organisationen und Individuen vertreten. Im Grunde ist auch das ein "Personenbündnis" - allerdings aus Leuten mit unterschiedlicher Herkunft.

Beide Bündnis haben einen scheinbar betont "offenen" Charakter. Jede/r Anwesende kann auch dort frisch-fröhlich mitstimmen und mitbeschließen. Nie wird jemand gefragt, ob er/sie eigentlich Teil des Bündnisses ist.

Das hat aber nichts mit "Offenheit" oder "Basisdemokratie" zu tun. Bei beiden Bündnissen hat nämlich die Koordinierung das Heft in der Hand, die natürlich auch "offen" ist, d.h. jeden zufällig inkorporierten Oppositionellen einfach überstimmt. Das eigentliche Bündnis ist also in beiden Fällen die Koordinierung und nicht das "Plenum". Dass beide ständig betonen, nur im Rahmen von dessen Beschlüssen rein "technische" und "organisatorische" Funktionen auszuüben, dient nur der Verschleierung der eigentlichen politischen Verantwortlichkeiten.

Warum die Spaltung?

In Berlin ging das Motiv für die "Spaltung" von beiden Seiten aus, die eigentliche Initiative in diese Richtung zeigte und zeigt hier aber v.a. das "Dienstagsbündnis" "Weg mit Hartz IV". Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens sieht es sich in der stärkeren Position und will so das Kräfteverhältnis zu seinen Gunsten zurechtbiegen und die MLPD auf ihre Größe oder ihre Bedeutung reduzieren - und zwar auch mit überaus prinzipienlosen Mitteln. Zweitens gibt es einen starken Druck von Seiten der PDS und der Gewerkschaftsspitzen (v.a. ver.di), in dessen Chor die "Linksradikalen" von Fels und FAU einstimmen, die MLDP (und andere "Traditionalisten") auszugrenzen. Eigentlich richtet sich die Ausgrenzung gegen Links, begründet wird sie jedoch v.a. mit der Volkstümelei der MLPD und ihrer populistischen Ausrichtung.

In der Tat muss die von der MLPD vertretene Losung "Wir sind das Volk" abgelehnt werden. Anders, als von der MLPD behauptet, bringt sie nicht die Kluft zwischen "oben" und "unten" zum Ausdruck, sondern verwischt diese in Wirklichkeit. Zum "Volk" gehört der Unternehmer ebenso wie der "Arbeiter". Nicht die internationale Einheit der Ausgebeuteten über alle nationalen Grenzen hinaus, sondern die Einheit des "Volkes", der Arbeiter und "nicht-monopolistischen" Unternehmer (also oft der Eigentümer der schlimmsten Ausbeutrungs-Schwitzbuden) steht hinter der MLPD-Losung. Die Losung "Wir sind das Volk" trägt daher nicht zur Erhöhung von Klassenbewusstsein bei, sondern vernebelt es.

So berechtigt daher die Ablehnung der Losung "Wir sind das Volk" durch das Bündnis "Weg mit Hartz IV" ist, so wenig scheidet sich dieses Bündnis eigentlich in seiner strategischen Zielsetzung von der MLPD. Einen klassenübergreifenden Charakter streben beide Bündnisse an. Über "Basis"-Bürgerliche, "Basis"-Pfarrer, ... sind beide froh. Während die MLPD altbacken vom Volk redet, so ist im anderen Bündnis vorzugsweise von "Menschen" zu hören. Im Grunde streben beide Seiten Bündnisse mit einem volksfrontlerischen Charakter an - die einen "von unten", die andern auch von "oben". Den Aufbau einer Klassenbewegung gegen Hartz-Gesetze und Agenda 2010 streben beide Seiten nicht an.

Die Spaltung von zwei Demos war aber nur der erste Teil des Polit-Skandals in Berlin, der zeigt, wie weit die Kontrahenten im Notfall zu gehen bereit sind. Am 28. 8. hat das Dienstagbündnis "Weg mit Hartz IV" die Polizei verwandt, um einen Zusammenschluss der beiden Demonstrationen zu verhindern. Die Bullen leisteten dabei auch ganze Arbeit, nahmen Sprecher des Montagsbündnisses fest und hielten den Lautsprecherwagen umringt.

Die Rechtfertigung des Dienstagsbündnisses, dass sie für die Aktionen der Polizei im Rahmen des Versammlungsrechts nicht verantwortlich wären, ist verlogen. Den Anmeldern war sehr wohl klar, welche Konsequenzen es haben würde, wenn sie auf einer Separierung der Demos bestünden. Jeder politisch einigermaßen erfahrene Mensch weiß, dass die Polizei in diesem Fall eingreift - gegen die andere Demo.

Wer so agiert, nimmt in jedem Fall die Repression anderer Linker billigend in Kauf! Dieser Skandal wurde zu allem Überdruss auch von vielen aus dem Dienstagbündnis noch heruntergespielt. Aus gutem Grund. Die Aktion war keine Einzelaktion, sondern entsprach dem Ziel der Koordinierung. Dieser Akt muss politisch verurteilt werden und wird auch nicht durch Gegenanschuldigungen an das MLPD-geführte "Bündnis Berliner Montagsdemo" besser, die, sollten sie sich bewahrheiten, natürlich ebenso verurteilt werden müssen.

Wie weiter?

In jedem Fall gilt, die unsinnige Spaltung in Berlin zu überwinden. Wie absurd diese Spaltung ist, erwies nicht zuletzt die Tatsache, dass bei der Demoauswertung am 7. September Vertreter beider Bündnisse mit der gemeinsamen Demo zufrieden waren und von einer alles in allem funktionierenden Zusammenarbeit sprachen.

Das zeigt, dass beide Bündnisse eigentlich keine getrennte Existenzberechtigung haben - ebenso wenig wie getrennt Demos.

Es wäre freilich naiv, ein rasches Zusammenzugehen zu erwarten. Das wird sicher noch einmal dadurch verstärkt, dass sich zwei getrennte bundesweite Demos gegen Hartz IV am 2. und 3. September abzeichnen und damit eine weitere, hausgemachte Schwächung der Bewegung.

Es ist sicher ganz utopisch, die Spaltung dadurch zu überwinden, dass ein Bündnis sich einfach dem anderen zu dessen Bedingungen anschließt.

Vielmehr kann die Spaltung nur durch ein ebenso pragmatisches wie prinzipielles Vorgehen gelöst werden. Einerseits gemeinsame Demos jeden Montag mit gemeinsamer Anmeldung, Routenplanung, Kundgebung.

Zweitens ist auf der Basis von "Personenbündnissen" und "offenen Plena" keine vernünftige, Berlinweite Bündnisstruktur möglich.

Ein Bündnis müsste sich vielmehr aus VertreterInnen existierender Gruppen und Organisationen sowie von Delegierten von Stadtteilkomitees und betrieblichen Mobilisierungsstrukturen zusammensetzen, die sich um eine Forderung "Weg mit Hartz IV" vereinigen zum Zweck der Organisierung und Mobilisierung der Montagsdemos und ihrer Verknüpfung mit Streiks gegen die Angriffe von Kapital und Kabinett.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::