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Selbstverschuldete Niederlage der IG Metall

Die Schrumpfkopeke

Infomail 177, 26. Juli 2004

In Brechts Stück "Die Mutter" lässt sich der Gewerkschaftsverhandler Karpow nach hartem, vierstündigen "Kampf" die von den ArbeiterInnen geforderte Kopeke Lohnerhöhung gegen das Zugeständnis abringen, mit diesem Geld den Sumpf vor dem Werktor trockenzulegen und die Fabrik zu erweitern. Karpow sieht seinen Erfolge darin, dass Geld schließlich nicht direkt in der Tasche des Kapitalisten landet, sondern im Betrieb, am "Standort" bleibt.

Nach 17 Stunden Kampf am grünen Tisch haben Daimler-Betriebsratschef Klemm und die IG Metallverhandler ungleich "mehr" erreicht als Karpow.

500 Millionen Euro bleiben "im Betrieb". Die "Standorte" und die Arbeitsplätze sind gesichert. Der Tarifvertrag auch - im "Prinzip". Die IG Metall hat bewiesen, was die Unternehmerverbände in ihrer Sturheit nie glauben wollten: die Forderungen des Kapitals lassen sich auch dem Boden geltender Tarifverträge und Regulierungen erfüllen. Der Flächentarifvertrag ist wirklich "modern" und flexibel handhabbar.

Nach 17 Stunden Verhandlungen habe es Klemm und Hofmann allen Unternehmervertretern gezeigt: Arbeitszeiterhöhung, Flexibilisierung, Spaltung der Belegschaft sind machbar - mit Gesamtbetriebsrat und IG Metall-Spitze.

Ab 2007 werden die Entgelte bei Daimler um 2,79 Prozent gesenkt.

Beschäftigte in den Kantinen usw. müssen in Zukunft zu gleichem Lohn 39 Stunden arbeiten.

Die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen haben in Zukunft eine 40-Stunden Woche. Die fünf Stunden Mehrarbeit werden bezahlt.

Junge ArbeiterInnen können nach der Ausbildung für drei Jahre gezwungen werden, in jedem Werk in Deutschland eingesetzt zu werden.

Damit könne die "Krise" bei Daimler beendet, könnten Konkurrenzfähigkeit und Profitabilität im Vergleich zu anderen Konzernen wieder hergestellt werden. Dafür geben auch die 3000 leitenden Angestellten des Konzers 10 Prozent ab - Peanuts nach Einkommenssteigerungen von rund 300% seit 1997.

Kampfwillige Belegschaft

Der Ausverkauf bei Daimler verdeutlicht vor allem eines: Die schäbige Rolle der Betriebsratsfürsten und der Gewerkschaftsspitze angesichts des rollenden Generalangriffs des Kapitals.

Bei Daimler konnten die Bosse einen weiteren Erfolg fast kampflos erringen. Die nächsten Konzerne haben schon angekündigt, mit ähnlichen Maßnahmen wie bei Siemens und Daimler, mit der Drohung von Verlagerungen und Schließungen Löhne und Arbeitszeiten massiv anzugreifen.

Die Niederlage schmerzt vor allem, weil sie überhaupt nicht notwendig war. Während bei den Abschlüssen von Siemens von den Betriebsräten und Gewerkschaftsführern noch auf die schlechte Organisiertheit, geringe Kampferfahrung und relativ geringes Selbstvertrauen verwiesen werden konnte, lag es bei Daimler offensichtlich anders.

Die Belegschaften hatten an bundesweiten und internationalen Aktionstagen ihre Bereitschaft deutlich gemacht, gegen die Angriffe Widerstand leisten zu wollen. Am Aktionstag am 15. Juli legten 10.000e Beschäftigte in der Region Stuttgart (Sindelfingen, Untertürkheim, Mettingen) die Arbeit nieder. Es gab Großdemos mit 10.000en ArbeiterInnen, die wichtige Verkehrsader B 10 wurde in Mettingen blockiert.

Auch in anderen Werken gingen die KollegInnen auf die Straße und legten die Arbeit nieder. Die 20.000köpfige Belegschaft in Bremen beteiligte sich geschlossen an der Solidaritätsaktion mit dem Stuttgartern - obwohl sie von der Produktionsverlagerung profitieren sollte. Auch in den Werken in Südafrika und Brasilien wurde die Arbeit niedergelegt.

Kurzum, 10.000e ArbeiterInnen waren praktisch bereit, sich nicht mehr gegeneinander ausspielen zu lassen und wollten solidarisch gegen die Forderungen der Konzernspitze vorgehen. Die Auseinandersetzung bei Daimler hätte zum Fanal werden können für einen von Kernsektoren der Arbeiterklasse geführten, erfolgreichen Abwehrkampf.

Ein solcher Kampf hätte sich auf einen großen Teil der Belegschaft stützen können. Sicher gab es auch etliche unentschlossene KollegInnen, viele, die aus Angst um ihre Existenz einen Streik scheuten. Diese hätte aber mitgerissen, doch die Solidarität und Entschlossenheit ihrer KollegInnen selbst mutig gemacht werden können.

Vor allem hätte ein Streik erlaubt (und auch erfordert), den Angriff der Großkonzerne in Verbindung zu setzen zum Kampf gegen Sozialraub auf allen anderen Ebenen - zur Arbeitszeitverlängerung, Privatisierung und Auslagerung in Öffentlichen Dienst; zum Kampf gegen die Einführung von Hartz IV usw.

Warum konnte der Kampf ausverkauft werden?

Gerade darum, weil die Beschäftigten bei Daimler, den Willen und auch die Machtposition hatten (und noch immer haben), aus der Defensive in die Offensive zu kommen, ist der Abschluss umso beschämender und markiert eine eindeutige, von der IG Metall und den Betriebsräte wie Klemm verschuldete Niederlage.

Die Beschäftigen in vielen Werken haben den Abschluss ganz zurecht als Ausverkauf in einer Nacht- und Nebelaktion begriffen. Die Wut ist in vielen Bereichen deutlich spürbar, wenn auch medial totgeschwiegen.

Die Frage ist jedoch, warum konnte es dazu kommen? Sicherlich stützen sich Klemm und die IG Metall-Spitzenverhandler auf politische weniger bewusste oder verängstigte Teile der Belegschaft. Hinzu kommt die übliche Schönrederei des üblichen Abschlusses - eine Schönrederei, die schon das nächste Zurückweichen einläutet.

So behaupten die IG-Metall-Chefs Peters, Huber und Hoffmann, dass für den "schmerzlichen" Verzicht die Jobs bis 2012 vor den Unbilden des Kapitalismus sicher wären. Hinter solchen Sprüchen zeigt sich der ganze geistige Horizont der Gewerkschaftsbürokratie.

Im entfesselten "Shareholder-Kapitalismus" müsse man zwar unaufhörlich Zugeständnisse und Abkommen zur Flexibilisierung machen, um wenigsten formell den Tarifvertrag zu erhalten. Gleichzeitig könne man aber nach 17stündiger Verhandlung die Zwangsgesetze der Konkurrenz außer Kraft setzen - jedenfalls bei Daimler für acht Jahre. Die ausgehandelte "Arbeitsplatzgarantie" ist nicht mehr als eine Beruhigungspille für die Belegschaft.

Auch die "Erpressung" durch den Konzern, der man angeblich chancenlos gegenüberstehe, ist in mehrfacher Hinsicht ein Mythos der Bürokratie. Wahr daran ist nur, dass es in der Tat keine Chance gibt, solange die althergebrachte sozialpartnerschaftliche Politik der Gewerkschaftsführungen weiter gefahren wird.

Zweifellos hat der Abschluss Teilen des Kapitals gezeigt, dass man mit Verhandlungen und "Partnerschaft" mit Arbeiterver- und zertretern viel für die Profite erreichen kann. Insofern kamen die lobenden Worte von Regierung, Opposition und Unternehmerbänden an die IG-Metall und an den Betriebsrat ganz zurecht. Vom Standpunkt des Kapitals ist der Verweis auf den Modellcharakter der Vereinbarungen bei Daimler vollauf berechtigt.

Ansonsten wäre die "Erpressung" natürlich abwehrbar gewesen - durch Streik und die politische Verallgemeinerung des Kampfes. Dazu hätten sich die IG Metall-Führung und der Betriebsrat freilich mit der herrschenden Klasse anlegen müssen - und genau das wollten sie nicht! Vielmehr hat die Bürokratie ihre Macht eingesetzt, um als Ordnungsfaktor im Sinne des Kapitals zu agieren.

Die, fast schon übliche, undemokratische Vorgangsweise, den Deal ohne vorherige Diskussion der Gremien, der Tarifkommission und - "natürlich" - der Vertrauensleute, Gewerkschaftsmitglieder oder der Belegschaften zu verkünden, den für den 23. Juli geplanten Aktionstag frühmorgens abzusagen, usw. entspricht nur dem politischen Willen, solche Abkommen ohne sichtbaren Widerstand durchzupeitschen.

Wie weiter?

Der entscheidende Grund dafür, dass die Bürokratie schließlich mit ihrem Deal durchkommen konnte, liegt im Fehlen einer in den einzelnen Produktionsstätten, Büros und Niederlassungen verankerten, klassenkämpferischen Basisbewegung, die in der Lage wäre solche Abschlüsse zu durchkreuzen und, wenn nötig, selbstständig den Kampf fortzuführen.

In den Auseinandersetzungen, in zahlreichen Interviews unzufriedener und kritischer GewerkschafterInnen, Vertrauensleute und aktiver ArbeiterInnen zeigte sich, dass das Potential für eine solche Bewegung vorhanden ist, dass es gilt, eine solche Bewegung jetzt aufzubauen, um für die nächsten Angriffe besser gerüstet zu sein.

Schließlich sind Nachgeben und Ausverkauf keine Naturnotwendigkeit. Und übrigens: In Brechts Mutter haben die ArbeiterInnen die Sumpfkopeke abgelehnt und - gestreikt.

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