Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Hohmann-Skandal

Rechtsaussen in der Mitte

Infomail 143, 19. November 2003

Der Spendenskandal der CDU aus der Kohl-Ära ist fast vergessen, der letzte Skandal um den Obermoralisten Michel Friedmann einigermaßen ausgestanden, da sorgt erneut ein CDUler für Negativschlagzeilen. Der Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann gab seine Art von Geschichtsverständnis kund und sorgte damit für peinliche Szenen und einen Eklat bei den Unionschristen.

Der Bundestagsabgeordnete aus Hessen hatte in einer auch per Internet verbreiteten Rede von "den Juden" als einem "Tätervolk" gesprochen. Er tat das unter dem Beifall von 160 CDU-Mitgliedern in Neuhof, einem Ort in seinem Wahlkreis. Die Veranstaltung fand in der Wernher-von-Braun-Sporthalle (!) statt. Dass in Lohmanns Wahlkreis öffentliche Gebäude nach Nazis benannt werden, die an der Vernichtung von Zwangsarbeitern (mit)schuldig waren, ist bezeichnend genug. Bezeichnend ist auch, dass Hohmanns antisemitische Tiraden in der CDU offiziell wochenlang unwidersprochen blieben und auch das Fraktionsausschlussverfahren erst unter dem Druck der Öffentlichkeit zustande kam.

Was sind Hohmanns Positionen? Er begründete seine These vom jüdischen "Tätervolk" u.a. damit, dass die Bolschewiki nach 1917 schließlich auch Terror angewendet hätten und etliche bolschewistische Führer Juden waren. Insofern wären die Juden nicht nur Opfer, sondern auch Täter.

Diese Positionen Hohmanns lehnen sich sehr eng an die Thesen des konservativen Historikers Ernst Nolte an, der 1986 meinte, dass den Verbrechen der Nazis das "ursprünglichere" Verbrechen des bolschewistischen "Klassenmords" vorausging. Hohmann vertritt seine rassistischen Ansichten schon seit Jahren - auch öffentlich. Von einem verbalen Ausrutscher kann schon deshalb keine Rede sein.

Aber, so fragen sich viele innerhalb und außerhalb der CDU, liegt Hohmann nicht in der Sache richtig? So äußerte sich z.B. General Reinhard Günzel, Chef der Bundeswehr-Elitetruppe KSK. Günzel wurde daraufhin sofort aus dem Dienst entlassen, nachdem seine "Privatansichten" bekannt, also öffentlich geworden waren. Unterstützung erfuhr Hohmann auch aus den eigenen Reihen. Dutzende CDU-Bundestagsabgeordnete stimmten nicht für den Rausschmiss ihres Bruders im Geiste, mehrere CDU-Ortsvereine bekundeten ihre Solidarität mit ihm.

Doch ihre Unterstützung Hohmanns ist keinesfalls nur "kritische Solidarität" mit einem, der Wahrheiten offen ausspricht und nicht vor Tabus zurückscheut. Hohmanns Positionen sind falsch, antisemitisch, rassistisch - und antikommunistisch!
Natürlich stimmt es, dass führende Bolschewiki (z.B. Trotzki) jüdischer Abstammung waren. Doch als revolutionäre Marxisten waren sie überzeugte Atheisten und keine gläubigen Juden. Für Lohmann freilich ist nicht der politische Standpunkt entscheidend, sondern "welches Blut" in den Adern fließt. Dieselbe Logik war aber typisch für den Antisemitismus der Nazis im Besonderen und ihren Rassismus im Allgemeinen. In dem Punkt teilt Hohmann die Denkweise der Nazis - genauso wie seine Unterstützer. Ob sie sich dessen bewusst sind, ist dabei zweitrangig.

Hohmanns Vergleich stimmt aber auch historisch nicht. Zum einen stellt er den notwendigen und aufgezwungenen (!) Terror zur Verteidigung der Revolution auf eine Stufe mit dem Terror des deutschen Faschismus, der nicht der Verteidigung, sondern der Eroberung, Ausplünderung fremder Länder und der Unterdrückung und Vernichtung ganzer Völker im Dienste des deutschen Kapitals diente. Der Terror der Bolschewiki im Bürgerkrieg war notwendig zur Verteidigung der Errungenschaften der ArbeiterInnen und Bauern - er war geschichtlich fortschrittlich. Der Terror der Nazis war die zugespitzte Form des imperialistischen Terrors, der äußersten Form der Reaktion.

Dass Hohmann sich gerade gegen jene "Juden" richtet, die Kommunisten waren, offenbart zugleich, wie groß sein Unverständnis dafür ist, das sie die Führer einer Revolution waren, durch die sich die zutiefst unterdrückten, ausgebeuteten, in Unterentwicklung gehaltenen Millionen endlich befreien und einen im Namen der Nationen, der Rassen und des Profits geführten Weltkriegs beenden wollten. Ja, Hohmann ist ein verstockter Antikommunist, in dessen historischer Rechtfertigung sich letztlich nur die Unterwerfung unter die moralischen, politischen und sachlichen Zwänge des Imperialismus äußern.

Hohmanns Kritiker

So primitiv und lächerlich Hohmanns Beweisführung auch ist - nicht viel besser sind die "Argumente" der "anständigen", "geschichts- und verantwortungsbewussten" Deutschen, die bei solchen Fällen immer sofort im Dutzend auf allen Bildschirmen mit besorgter Mine glotzen. In der Regel verschwindet jede Sachargumentation hinter einem Wust von moralischen Statements.

Auch die "demokratischste" bürgerliche Geschichtsauffassung ignoriert oder verschleiert den Klassencharakter von Geschichte und landet deshalb im schlimmsten Fall auf Positionen, wie sie der Historikerstreit der 1980er salonfähig machte und von Leuten wie Hohmann fast täglich rezipiert werden.

Warum? Beide - Lohmann und seine bürgerlichen Kritiker - vertreten, wenn auch mit unterschiedlich "radikalen" Argumenten, die Ambitionen eines nach der Wiedervereinigung erstarkten deutschen Imperialismus’. Während Hohmann und die übrigen Revisionisten die Nation von "Schuld und Schande" freiwaschen wollen, vertreten die parlamentarischen Parteien von der CDU-Spitze bis zur PDS eine "demokratische" Rechtfertigung für die gestiegenen weltpolitischen Interessen des deutschen Kapitals. Die rot-grüne Agenda 2010 ist das aktuelle Programm zur Durchsetzung dieser Ziele. Lohmanns rechtsradikale "Entgleisung" passt hier nicht ins Konzept. Deshalb musste er in die Schranken gewiesen werden.

Dabei hat Hohmann diese neue Weltmachtambition des deutschen Imperialismus auf seine Art aufgenommen, als er 1995 meinte: "Wir brauchen heute Entschiedenheit, Zähigkeit und Opferbereitschaft. Wir haben hierbei unsere Weltkriegsteilnehmer als große unerreichte Vorbilder." Vor 60 Jahren klang das so: "Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder und schnell wie Windhunde". Marmor, Kruppstahl und Leder bricht, nur die historische Blödheit einiger Leute nicht...

Das neue deutsche "Selbstbewusstsein" macht sich breit. Es äußert sich auch ideell in "vorschnellen" Vorstößen wie dem von Hohmann oder jenen von Möllemann, der schon mal vorfühlte, wie weit der traditionelle Konsens proisraelischer deutscher Außenpolitik durchbrochen werden und damit auch eine schärfere Frontstellung zum US-Imperialismus - der Hauptstütze der rassistischen Staatspolitik Israels - gewagt werden könne.

Wem nützt die Debatte

Die erneut aufgebrochene Debatte um Faschismus, Krieg und seine Folgen ist höchst nützlich, wenn sie die historischen Fakten offen legt und das ideelle Gespinst, die "Gründungslügen" des Adenauerdeutschlands zerreißt. Sie ist begrüßenswert, wenn sie die Ursachen für Faschismus, Rassismus und Krieg aufzeigt und den Widerstand dagegen befördert. Sie ist richtig, wenn sie den Kapitalismus selbst als grundlegendes Verbrechen entlarvt. Die Debatte wird aber dann zu einem Bumerang, sie wird dann zu einer Verstärkung von Rassismus, Faschismus, Antisemitismus führen, wenn Leute wie Hohmann sie bestimmen.

Der schwierige Umgang mit dem Fall Hohmann in der CDU zeigt, dass das scheinheilige Bemühen der CDU-Spitze um "demokratische Sauberkeit" damit zu kämpfen hat, dass ein erheblicher Teil der Partei - und darüber hinaus der Gesellschaft - Hohmanns Positionen bewusst oder unbewusst teilt, wenngleich er allenfalls am Biertisch offen darüber redet.

Die Geschichte der CDU (und ihrer Schwester CSU) ist seit ihrer Entstehung davon geprägt, national-konservative und teils sogar faschistische Milieus zu integrieren. CDUler wie früher Alfred Dregger oder heute Schönbohm sind Personifizierungen einer kruden konservativen Denke. Fast zeitgleich mit Hohmanns Thesen äußerte sich ein sächsischer CDU-Abgeordneter offen rassistisch gegenüber Ausländern. Genau wie Hohmann "bedauerte" er, der CDU geschadet zu haben; die inhaltlichen Positionen - die "Sachverhalte" - freilich werden nicht zurückgenommen.

Dieses Aufschrecken davor, dass jemand aus den eigenen Reihen die saubere demokratische Weste der CDU beschmutzt hat, ist viel wichtiger als der eigentliche Inhalt. Bezeichnenderweise geht es Infratest-Dimap in einer Umfrage nicht etwa darum, wie man dazu steht, was Hohmann gesagt hat, sondern ob man so etwas sagen dürfe! Die Gedanken sind ja bekanntlich frei.

Ab 1950, als die CDU eine bundesweite Partei geworden war, gab es eine ganze Reihe von Wahllisten-Kooperationen und (Teil)Fusionen mit Parteien, die national-konservativ bis faschistisch waren. Bei diesen Projekten trafen sich einerseits die Absichten eines Teils des (halb)faschistischen Milieus, der eher "durch die Hintertür" demokratischer Parteien seine eigenen Aufbauambitionen verfolgte mit dem Ziel der deutschen Bourgeoisie, sich eine einheitliche, starke bürgerliche Partei zu schaffen, die von Rechtsaußen bis in die Arbeiterklasse hinein reicht. Diese "Einheitspartei" hat bis heute bestehen können und war ein wichtiger Pfeiler der westdeutschen Nachkriegsordnung.

Andererseits zeigen Parteien wie die REPs oder die Schill-Partei, die im wesentlichen aus ehemaligen CSU bzw. CDU - Leuten bestehen, dass es ein entsprechendes rechtes Potential in der Union gibt.

So wichtig Vorstöße wie jener Hohmanns sind, um den Trend in der Union nach rechts zu treiben, so gefährlich sind sie andererseits für die CDU, weil sie zu schnell, zu offen, zu massiv mit dem ideellen Nachkriegskonsens brechen und die Gefahr beschwören, die Wirkungsbreite und damit auch das Gewicht der Union zu untergraben.

Insofern geht das Bestreben der Unions-Spitze auch nicht etwa dahin, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Thesen wie denen von Hohmann zu suchen. Wie sollte sie auch, ist sie doch inhaltlich nicht weit weg davon! Merkel und anderen Säuberern geht es vielmehr darum, an den Leichen im Keller nicht zu rühren und die Debatten auf das zu konzentrieren, die Geschlossenheit für das herzustellen, was jetzt ganz oben auf der Tagesordnung steht: die CDU fit zu machen für das Vorantreiben der Angriffe auf die Arbeiterklasse und das Sozialsystem.

Hohmann hat dem Image der CDU ein bisschen geschadet. Doch langfristig ist es doch ein brauchbarer Mann, oder Frau Merkel?

Leserbrief schreiben   zur Startseite

Wöchentliche E-News von
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::