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Die politische Lage nach dem SPD-Sonderparteitag

Thesen der Gruppe Arbeitermacht, Infomail 122, 6. Juni 2003

1 Der SPD-Sonderparteitag markiert einen politischen Erfolg der Regierung Schröder. Die Agenda 2010 wurde von den Delegierten mit großer Mehrheit akzeptiert. Die SPD-Linke ist erwartungsgemäß eingebrochen und hat schon im Vorfeld vor Schröder und der Regierung kapituliert. Die Reden von VertreterInnen des linken Flügels waren im voraus nicht darauf berechnet, eine Mehrheit zu gewinnen oder auch nur die Agenda substantiell zu ändern. Sie beschränkten sich darauf, der Unzufriedenheit von SPD-Mitgliedern, GewerkschafterInnen und WählerInnen Ausdruck zu verleihen und einige rein kosmetische Korrekturen anzubringen.

2 Der Erfolg Schröders reicht weit über die SPD hinaus. Viel wichtiger als die Kapitulation der SPD-Linken, von der auch in der parlamentarischen Abstimmungsmaschinerie wenig zu erwarten ist, war der Rückzug der Gewerkschaftsspitzen, also auch von DGB, ver.di und IG Metall aus der Mobilisierung gegen die Agenda.

3 Das ist für die Regierung deshalb so wichtig, weil erstens den Gewerkschaften eine Schlüsselrolle im Widerstand (oder dessen Unterbindung) zukommt und zweitens die Gewerkschaften die soziale Hauptstütze der Regierung ausmachen.

4 Allerdings darf der Sieg Schröders keinesfalls überschätzt oder gar für "endgültig" genommen werden. Die Zustimmung zur Agenda durch den SPD-Sonderparteitag bedeutet noch lange nicht ihre vollständige Umsetzung. Die Agenda ist zwar der bislang entschiedenste Angriff, sie ist Teil und ein Herzstück eines Generalangriffs, der ebenso mit den Hartz-Reformen, den Vorschlägen der Rürup-Kommission, den Rentenkürzungen, der Aufrüstung der Bundeswehr usw. einhergeht.

5 Das Ziel dahinter ist nicht einfach diese oder jene "Reform", sondern eine grundlegende Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen zu Gunsten der Bourgeoisie. Die Politik der Gewerkschaftsführer bereitet den Boden dafür vor, ermutigt die herrschende Klasse dazu - aber der Generalangriff muss zu einem wahrnehmbaren, qualitativen Bruch führen. Für diese Verschiebung des Kräfteverhältnisses reicht es noch nicht aus. Dazu muss der Arbeiterklasse eine strategische Niederlage zugefügt werden. Dieser Kampf ist noch nicht entschieden. Die Agenda ist der bislang weitest gehende Vorstoß in dieser Richtung.

6 Die Zeit drängt jedoch. Die wirtschaftliche Stagnation wird in jedem Fall weiter anhalten, sie engt den Spielraum der Regierung für Zugeständnisse an die Arbeiterklasse, ja selbst an weite Teile der Arbeiteraristokratie und der lohnabhängigen Mittelschichten weiter ein. D.h. sie wird selbst zur Verschärfung der Angriffe drängen.

7 Die Angriffe finden aber nicht nur wegen der Rezession statt. Sie sind für das deutsche Kapital auch unbedingt erforderlich, um in der inner-imperialistischen Konkurrenz mit den USA als die Führungsmacht in einer erweiterten EU an Boden zu gewinnen. Diese Bestrebungen des deutschen Kapitals erfordern zwingend eine Niederlage der Arbeiterklasse im eigenen Land.

8 Die Regierung Schröder/Fischer ist trotz des Erfolgs am Parteitag weiter instabil. Die SPD befindet sich nach wie vor in einer tiefen Krise. In den letzten sechs Wochen hat sie zehn Prozent ihrer Mitglieder verloren (67.000), in den Umfragen dümpelt sie um die 25%. Kein Wunder: Die Regierung vertritt ganz unverfroren die Ziele der herrschenden Klasse, ist außerdem auf die Stützung durch die CDU/CSU über den Bundesrat angewiesen - braucht aber gleichzeitig auch das Nachgeben der Gewerkschaftsbürokratie, weil die organisierte Arbeiterklasse durchaus kampffähig ist. Daher kommt den Gewerkschaften auch eine Schlüsselrolle sowohl für die Regierung wie für den Widerstand gegen die Angriffe von Kapital und Staat zu. Ohne die Kapitulation von Sommer, Zwickel und Bsirske wäre Schröders Erfolg am SPD-Parteitag viel weniger wert.

9 Während sich ein Teil der Gewerkschafts- und Betriebsratsbürokratie von Beginn an hinter die Regierung stellte und das in öffentlichen Stellungnahmen zum Ausdruck brachten, haben die Vorstände des DGB, von IG Metall und ver.di halbherzig mobilisiert. Im Mai nahmen mehr als 100.000 GewerkschafterInnen an Kundgebungen gegen die Agenda teil. Die oft kämpferische Stimmung ließ man bewusst durch mehrere dezentrale Demowochenenden ins Leere laufen. Gleichzeitig wurde die Demobilisierung ("Sommerpause") vorbereitet und v.a. erklärt, dass die Regierung in keinem Fall zu Schaden kommen, dass Schröder in keinem Fall zum Rücktritt gezwungen werden dürfe. Daher blieben betriebliche Kampfaktionen bislang eine rare Ausnahme.

10 Auch die Gewerkschaftslinke hat bundesweit keine eigenen Akzente setzen können. Sie hat überhaupt keine landesweite Rolle gespielt und stagniert seit fast zwei Jahren (seit der Metaller-Tarifrunde). Wo es zu örtlichen radikaleren Initiativen kam, liefen sie oft an der Gewerkschaftslinken vorbei und stützen sich auf andere bzw. neue Kräfte, die in diesem Milieu bisher nicht aktiv waren (Schweinfurt).

11 Das zeigte sich auch bei den Aktionen gegen die Verabschiedung der Agenda durch den SPD-Sonderparteitag. Sicher hat die Politik der SPD-Linken und der Gewerkschaftsvorstände entscheidend dazu beigetragen, dass nur 2.000 Leute kamen. Diese wurden fast ausschließlich durch die Demonstration des Berliner Sozialforums mobilisiert. Das war zwar für das Sozialforum ein gewisser Erfolg, insgesamt aber ein Zeichen der Schwäche. Die Gewerkschafter, Linke und einige Einzelgewerkschaften, brachten höchstens zwei- bis dreihundert Leute auf die Beine. Eine blamable Vorstellung.

12 Wie sich die Gewerkschaftsvorstände im Endeffekt darauf verlassen, der SPD doch noch ein paar Zugeständnisse ("Erfolge") abluchsen zu können, so hofft die Gewerkschaftslinke im Grunde darauf, dass die Gewerkschaftsführer durch ihren "Druck" zur "Vernunft" kommen. Am Ende kommt dabei immer nur die Anpassung an die jeweils rechteren Kräfte heraus.

13 Kräfte außerhalb der Gewerkschaften, die gegen die Angriffe der Regierung mobilisieren (wollen), sind ebenfalls schwach und zersplittert. Das trifft auf die örtlichen Schüler und Studentenproteste gegen Kürzungen zu oder auf Bündnisse gegen die Hartz-Reformen usw.. Gleichzeitig stoßen die Gewerkschaften die marginalisierten und schwächeren Teile der Klasse weiter von sich ab, weil sie offenkundig keine Perspektive weisen.

14 Neben der verräterischen Politik der Führung und deren zersetzende Auswirkungen auf den Abwehrkampf kommt der Regierung ein weiteres Moment zugute. Die seit Jahrzehnten eingeübte Arbeitsteilung zwischen reformistischer Partei und Gewerkschaftsbürokratie, die Trennung von "Politik" und "Gewerkschaft" führt auch dazu, dass viele reformistisch erzogene ArbeiterInnen den politischen Kampf als etwas empfinden, das außerhalb von Betrieb und Gewerkschaft stattzufinden hätte.

15 Zusammengefasst stehen wir also vor folgender Gefahr: Generalangriff der Regierung, bei gleichzeitiger Paralyse und Zersetzung des Widerstandes durch die Gewerkschaftsbürokratie und ihre "außerparlamentarischen" Verbündeten wie attac, kurzum also der zersetzende Einfluss verschiedener Spielarten des Reformismus (wie er dann eben auch auf allen Ebenen, also auch in der Gewerkschaftslinken oder in den Sozialforen, Bündnissen gegen die Hartz-Reformen usw. auftritt).

16 In der gegenwärtigen Lage haben die SPD-Linke und die PDS wenig Kraft, von der SPD enttäuschte, reformistische ArbeiterInnen an sich zu binden. Die SPD-Linke ist ein Kapitulantenverein, die PDS macht im Osten selbst SPD-Politik. Gefährlicher sind heute Demagogen wie Oskar Lafontaine, die selbst einst den "Sozialismus in einer Klasse" predigten, oder Gewerkschaftsbürokraten, die so tun, als ob sie Widerstand leisteten, ansonsten aber auch nur alte reformistische Konzepte des Klassenkompromisses anzubieten haben.

17 Das Grundproblem, vor dem die Arbeiterklasse und die AntikapitalistInnen stehen, ist nicht, dass kein Widerstand mobilisierbar, keine Massen gegen die Agenda in Bewegung zu bringen wären. Im Gegenteil: die Agenda stößt trotz aller mehr oder weniger manipulativen Meinungsumfragen usw. auf Unmut. Wichtige Teile der Arbeiterbewegung, aber auch anderer Bevölkerungsschichten und der Linken sind durchaus kampfwillig und bereit. Das haben auch der Erste Mai und die von der Gewerkschaftsbürokratie initiierten Demos Mitte Mai gezeigt.

18 Das Grundproblem ist vielmehr ein politisches Problem, eines der Führung.

19 Es wäre daher grundfalsch, die nächsten Monate nur auf die Schaffung besserer Koordination der "Kampfwilligen" zu verwenden. Dass eine solche bislang nicht entstand, dass der über die engen Grenzen der Gewerkschaftsbürokratie oder mehr oder minder bornierter Erwerbsloseninis hinausgehender Protest nicht entwickelt werden konnte, liegt selbst an politischen Schwächen, an der Vorstellung, dass es heute nur darauf ankäme, "breite Bündnisse" zu schaffen - sei es nun in den Gewerkschaften oder sonst wo.

20 Unstrittig richtig an dieser Vorstellung ist die Notwendigkeit einer möglichst umfassenden Einheitsfront zur Abwehr der Angriffe von Regierung und Kapital. Diese haben wir korrekterweise auch selbst immer wieder betont und GenossInnen von uns haben vor Ort auch wichtige Arbeit geleistet, um solche Bündnisse und ihre Aktionen zustande zu bringen.

21 Aber die Frage ist gleichzeitig, um welche Forderungen und v.a. welche Aktionen notwendig sind, um die Agenda zu stoppen. Daher ist die Betonung des politischen Massenstreiks unbedingt notwendig - verknüpft mit konkreten Schritten zu seiner Vorbereitung und Durchführung. Gleichzeitig müssen wir auch Aktionen vorschlagen, die von Nicht-Erwerbstätigen durchgeführt werden können und zum Aufbau einer politischen Massenbewegung gegen die Regierung beitragen.

22 Angesichts des Kräfteverhältnisses in der Arbeiterbewegung wie auch in der anti-kapitalistischen Bewegung muss man sich dabei auf eine Phase des politischen Kampfes in den nächsten Monaten einstellen, die zwar zu einzelnen, vorbildlichen Aktionen (Streiks, Straßenblockaden, Arbeitsamtbesetzungen, ...) führen kann und soll. Trotz aller zu erwartenden Behinderungen durch die Bürokratie muss versucht werden, sie zum Ausgangspunkt für Flächenstreiks zu machen.

23 Daher erlangen organisierende Losungen, welche die kampfwilligen GewerkschafterInnen, Vertrauensleute, Betriebsräte, Funktionäre vereinen und die Masse der ArbeiterInnen einbeziehen können, zentrale Bedeutung: Organisierung von Aktionskonferenzen zur Abwehr der Agenda! Regelmäßige Versammlungen in den Abteilungen, Betrieben, Stadtteilen, um Kampfschritte zu diskutieren, zu beschließen und umzusetzen!

24 Das macht jedoch die Losung des Massenstreiks u.a. Aktionen nicht nebensächlich. Im Gegenteil. Er muss als Perspektive, als notwendige Lösung propagiert und in Bündnissen immer wieder vertreten werden, um dafür UnterstützerInnen zu gewinnen.

25 Die bundesweite Verbindung lokaler Aktionskonferenzen, die Einbeziehung der Arbeitslosen usw. ist von größter Bedeutung. Doch während die Spitzen der Gewerkschaftsbürokratie bei allen Differenzen über einen gemeinsamen Bremserapparat verfügen, sind wir bundesweit nicht oder kaum koordiniert. Der Widerstand gegen die Agenda muss daher mit dem Aufbau einer klassenkämpferischen, antibürokratischen Basisbewegung verbunden werden.

26 Gleichzeitig müssen wir die Notwendigkeit der Schaffung einer revolutionären Partei in den Vordergrund rücken. Der Widerstand gegen die Agenda ist eben auch deshalb von der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführung zu paralysieren, weil es keine politische Alternative zur reformistischen Parteien gibt.

27 Daher ist es unbedingt notwendig, in den Bündnissen gegen die Agenda, in der Gewerkschaftslinken, in der anti-kapitalistischen Bewegung das Eintreten für konkrete gemeinsame Kampfschritte verstärkt mit der Propagierung des revolutionären Programms zu verbinden. Die Schaffung einer revolutionären Arbeiterpartei und einer kommunistischen Fraktion in den Betrieben und Gewerkschaften ist keine "Zusatzaufgabe" zum Kampf gegen die Agenda, sondern selbst für den erfolgreichen Abwehrkampf erforderlich.

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