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Britannien

Nach dem Wahlsieg der Konservativen

Richard Brenner, Infomail 820, 17. Mai 2015

Britannien hat nun eine Regierung, die entschlossen ist, ein neues gewaltiges Kürzungsprogramm durchzuziehen. Allein über 25 Milliarden Euro sollen im Sozialbereich dem Rotstift zum Opfer fallen. Die Regierung will auch die Axt an die Wurzeln des gesamten Nachkriegssozialsystems legen, d. h. staatliches Gesundheitswesen, Bildung und Wohnungsbau sollen gekappt werden.

Die konservativen Wahlgewinner mit absoluter Mehrheit beeilen sich dabei und werden die ersten 100 Tage ihrer Amtszeit zu einer Großoffensive nutzen wollen. 3 Gründe sprechen dafür:

Sie rechnen damit, dass die Opposition desorganisiert sein wird, weil Millionen Menschen desorientiert und entsetzt über den Wahlausgang sind. Eine konservative Mehrheitsregierung entsprach nicht den vorherigen Umfragen und auch nicht ihren eigenen Erwartungen.

Der rechte Flügel der Labour Partei wird nun mit 100%iger Unterstützung der Medien eine sorgfältig vorbereitete Kampagne starten, um die Labour Partei ‚zurückzuholen’ und will damit die zahmen Mitte-Links-Parteigliederungen in die Defensive drängen und eine offene Opposition gegen die Tory-Offensive noch mehr zum Schweigen bringen.

Die neue Regierung hat eine parlamentarische Mehrheit von 15 Sitzen. Sie wird durch Nachwahlen schrumpfen und sich durch die zunehmende Entfremdung von vielen Menschen mit diesem Reformpaket abnutzen. Die Regierung kann sich also nicht darauf verlassen, bis 2020 ohne enge Abstimmungen, ja Niederlagen durchregieren zu können, oder muss gar darauf gefasst sein, die Vertrauensfrage zu stellen. Im Unterhaus verfügt sie nur über 19 mögliche Verbündete, darunter 10 Unionisten aus Nordirland, einen von der nationalistischen UKIP und 8 Liberaldemokraten. Die konservativen Tories wissen also, dass sie rasch handeln müssen.

Deswegen muss die Arbeiterbewegung schnell die Lehren aus der Wahlniederlage verarbeiten und sich auf einen Widerstand gegen die drohende konservative Offensive ausrichten. Erster Punkt sollte sein: mit einem Stimmanteil, der nur von einer Minderheit gewählt worden ist, haben die Tories kein Mandat für ihr Programm der Kürzungen und Privatisierungen. Deshalb muss sie von einer Massenbewegung und außerparlamentarischen Aktionen bekämpft werden.

Der Kampf muss auf gewerkschaftlicher Ebene geführt werden, muss gegen Kürzungen, Schließungen, verzögerte Lohnauszahlungen und Privatisierung vorgehen und gemeinsame Streiks in den Mittelpunkt stellen, die begleitet werden von Demonstrationen und Besetzungen, die wiederum Rückhalt in Wohnvierteln brauchen.

Politisch muss der Kampf gegen den Aufstieg der Rechten in der Labour Partei und den Gewerkschaften geführt werden, indem Anstrengungen unternommen werden, die Gewerkschaften und die Linke dazu zu bewegen, eine neue Massenpartei der ArbeiterInnenklasse zu gründen.

Theoretisch muss der Kampf geführt werden, weil wir die neuen ‚Gesellschaftsanalysen’ entlarven müssen, die dem rechten Labour-Flügel in ihrem Vorstoß dienen und die der ArbeiterInnenklasse die Schuld an der Niederlage zuweisen wollen. Sie lassen eurokommunistische Märchen wieder erstehen, wonach die Arbeiterklasse die britischen Bosse und ihre Tory-Partei ohne strategische Allianz mit dem Liberalismus (neuerdings im Gewand der Grünen) nicht schlagen kann.

Ursache für den durchschlagenden Erfolg der Tories war nicht in erster Linie das undemokratische britische Wahlsystem, das ihnen trotz nur 36,9% Stimmen eine absolute Mehrheit im Unterhaus verschaffte, und auch nicht die Stimmungsmache der Medien - nur 2 große Tageszeitungen schrieben für Labour, während die übrigen die Konservative Partei teilweise aggressiv unterstützten. Nein, ausschlaggebend waren die Widersprüche ihrer politischen Gegner.

In Schottland beförderte die Abstimmung über die Unabhängigkeit die weitverbreitete Unzufriedenheit mit der Sparpolitik in einen nationalistischen Aufschwung, der den vorherigen klaren Stimmenvorteil der Labour Partei in einen noch nicht erlebten Sieg der Schottischen Nationalpartei SNP wandelte. Labours historische Niederlage war hausgemacht, denn sie bauten keine Opposition gegen die konservative Sparpolitik auf. Die Spitzenkandidatur des erzrechten Jim Murphy und v. a. das Versäumnis, nicht zur Einheit der Arbeiterklasse in Britannien aufgerufen zu haben, nicht die Errungenschaften der gemeinsamen britischen Arbeiterbewegung wie das staatliche Gesundheitswesen ausgebaut zu haben, sondern stattdessen im September 2014 Arm in Arm mit den Tories und Liberaldemokraten für die Erhaltung der Einheit der Nation eingetreten zu sein, das ist der Grund für ihre Schlappe. Trotz des Beispiels für fiskalischen Konservatismus der bürgerlichen SNP wirkte die Antiausteritätsrhetorik ihres Führers Sturgeon überzeugender als das Gefasel der Labour-Repräsentanten von „behutsameren Kürzungen“ und „Haushaltsausgleich mit faireren Mitteln“. Doch selbst die beinah erreichte absolute Mehrheit der SNP in den schottischen Wahlkreisen hätte Premierminister Cameron nicht seine absolute Mehrheit in Großbritannien beschert, sondern die Labour Partei hat es nicht verstanden, die Stimmung gegen die Austerität in England zu nutzen.

Die Liberaldemokraten wurden nahezu von der politischen Landkarte getilgt, und das haben sie auch verdient. Die ArbeiterInnenklasse und die unteren Schichten des Kleinbürgertums, die sich unverschuldet kaum eine bessere Schulbildung für ihre Kinder leisten können, haben nicht vergessen, dass Parteiführer Clegg seine Wahlversprechen gebrochen hat, und wie billig sie ihre hochgehaltenen Prinzipien für die Fleischtöpfe der Regierungsbeteiligung verkauft haben. Viele der vormaligen Stimmen für die Liberaldemokraten gingen an die Tories verloren, einige v. a. von StudentInnen und begüterteren Mittelschichten wurden für die Grünen abgegeben und ein beträchtlicher Teil, aber nicht genug, um die Wahl zu gewinnen, fiel an die Labour Partei. Diese bot keine konsequente Alternative zur Austeritätspolitik an, mit der sie die Mittelschichten hätten radikalisieren und nach links ziehen können, wie dies in Schottland geschah.

3,9 Millionen WählerInnen stimmten für die „Unabhängigkeitspartei des Vereinigten Königreichs“ (UKIP), doch es brachte ihnen nur 1 Abgeordnetensitz ein, spiegelt dennoch einen bedeutenden Zuwachs rechts-konservativer und extrem-rechter Ideen wider. Sie konnten zur Hauptsache Stimmen im Tory-Revier an der Ostküste, aber auch bei weniger klassenbewussten Teilen der unorganisierten und verzweifelten ArbeiterInnen in verarmten nördlichen Städten, in Südengland und auch in Wales abgrasen. ArbeiterInnen, die von der einwandererfeindlichen Demagogie angezogen werden, können nur davon abgebracht, neutralisiert oder gewonnen werden durch eine stärkere gegen das Establishment gerichtete Botschaft als sie die UKIP vertrat, durch eine unbeugsame Gegnerschaft gegen die Kürzungspolitik, nicht durch eine milde Form dieser Kürzungen oder nicht ganz so harte Einwände gegen Einwanderung, wie Labour sie lieferte.

In England und Wales hat Labour-Führer Miliband zwar versucht, die traditionelle WählerInnenbasis zu aktivieren, aber er hat nicht gewagt, mit der rechten Ideologie von Ex-Premier von Tony Blair klar zu brechen, indem er die Kürzungen und Austerität den Bankern zugewiesen hätte, die „Rettung“ der Banken und die daraus folgende Auftürmung des Schuldenstandes des Landes. Er vermied dies, weil er sonst mit dem Auskauf unter dem Labour-Premier Brown selbstkritisch und schonungslos hätte abrechnen müssen. Stattdessen entschuldigte sich der führende Labour-Politiker Balls für die Überziehung der Mittel für den öffentlichen Dienst und Sozialausgaben und kaute damit die konservative Lüge von der Krisenursache wieder, wonach sie durch die Investitionen der Labour-Regierung in Gesundheitswesen, Schulen und staatliche Dienste hervorgerufen worden wäre.

Die einzige Alternative wäre eine kompletter Bruch mit der Kürzungsagenda und die Forderung nach Bezahlung durch die Reichen gewesen. Milibands gemäßigt linke Vorschläge wie die Villensteuer, das Einfrieren der Energiegesetze, gegen Steuervergünstigungen für Zweitwohnsitze von reichen Nichtbriten in Britannien sowie die Beschränkung von Nullstundenverträgen, eine besondere Form von prekären Arbeitsverhältnissen, waren außerordentlich beliebt. Aber sie wurden verwirrend und zusammenhanglos in gleichem Atemzug mit Kürzungen für Kinderbetreuung, finanzieller Kontrolle und engem Rahmen für öffentliche Ausgaben genannt. Das wirkte doppelzüngig, und so konnte die Labour-Partei keinen Nutzen aus der Opposition gegen Austerität ziehen und keine Begeisterung als Gegenpol zur Konservativen Partei wecken.

Die Tories und ihre Presse versuchten, die Mittelschichten mit der Bedrohung durch eine Labour/SNP-Regierung, die einen Antiausteritätskurs verfolgt, aufzuschrecken. Diese englischen WählerInnen schluckten dies, weil sie von Labour auch keine wirkliche Auseinandersetzung mit der Austerität gehört hatten.

Nun kann der rechte Parteiflügel seine Freude über Labours Niederlage kaum verhehlen und befindet sich auf dem Vormarsch und lastet dem gestürzten Miliband eine Entfremdung von den englischen Mittelschichten durch Vorschläge zu Villensteuern und Mietbremsen an. Miliband und seine gewerkschaftlichen UnterstützerInnen müssten sich allerdings viel weiter nach links bewegen, um in Schottland wieder beherrschenden Einfluss ausüben zu können und die Konservativen in England zu entthronen. Der rechte Flügel hingegen meint, dass eine linke Labour Partei keine Wahl gewinnen könne, ihr Platz hingegen in der Mitte sein müsse, sie mit den Gewerkschaften brechen und sich den strebsamen, modernen Mittelschichten und ArbeiterInnen in der ‚neuen Ökonomie’ zuwenden müsse.

Die Antwort auf diesen selbstsüchtigen letztlich konservativen Quatsch ist einfach, doch wir werden davon wenig im Fernsehen und in der Labour Partei in den kommenden Wochen und Monaten zu Ohren bekommen. Aber es muss ausgesprochen werden:

Wenn linke Antiausteritätspolitik die Wählerschaft verschreckt, wie kommt es dann, dass sie mit überwältigendem Erfolg in Schottland Anklang gefunden hat?

Wenn Milibands halblinke Haltung nicht rechts und unternehmerfreundlich genug war, um die ‚strebsame, moderne neue Ökonomie’ zu gewinnen, wie kommt es dann, dass Labour am 7.  Mai in London stark abgeschnitten hat?

Wenn etwas daran falsch ist, dass die Gewerkschaften Labour beeinflussen, warum ist es dann nicht falsch, dass die Großunternehmen Einfluss auf die Tories ausüben? Warum sollte unsere Klasse kein eigenes Instrument haben wie die Bosse?

Was bedeuten Wahlsiege, wenn sie doch nur zu mehr neoliberaler Kürzungspolitik führen?

Wahlen drücken letzten Endes das Kräfteverhältnis im Klassenkampf aus, den Grad des politischen Bewusstseins, Vertrauens, von Organisation und Richtung der jeweiligen Gesellschaftsklassen. Die Wahlen 2015 spiegeln den Stand der Arbeiterbewegung wider, die sich noch nicht wieder von ihrer letzten bedeutenden Niederlage erholt hat.

Dies war das Scheitern von Arbeiter-, Gewerkschafts-, studentischen und sozialistischen Organisationen, eine Widerstandsbewegung zu formen und aufrecht zu erhalten, die das Ausmaß, die Langlebigkeit, die Taktik und die Führung gehabt hatte, die Offensive gegen Solidaritätstreiks 2010-2011 niederzuschlagen. Der Höhepunkt der Kämpfe, nachdem die StudentInnen energisch, jedoch alleine kämpfen mussten, waren ein paar eintägige koordinierte Streiks, die von Gewerkschaftsmitgliedern begeistert begrüßt wurden, dann aber wieder aufgelöst und abgewürgt wurden durch die Gewerkschaftsführer. Hierin spielte Len McCluskey als Führungsfigur der Linken und von Unite, Britanniens größter Gewerkschaft und größte finanzielle Stütze der Labour Partei, die unrühmlichste Rolle.

Was muss die Linke in dieser schwierigen Lage tun?

Auf ökonomischer und gewerkschaftlicher Ebene müssen Vorbereitungen begonnen werden für Streikmaßnahmen, begleitet von Demonstrationen und Besetzungen gegen die Kürzungen durch die Konservativen, gegen Schließungen von Betrieben und öffentlichen Einrichtungen, gegen Ausverkäufe und eingefrorene Löhne. Das kann nur geschehen durch den sofortigen Aufbau von einer gewerkschaftsübergreifenden Basisbewegung, die sowohl die Gewerkschaftsführung zum Handeln zwingt, aber auch handlungsfähig ohne Bürokraten ist, wenn es nötig sein sollte.

Örtliche und regionale öffentliche Versammlungen können Anlaufpunkte für die Bewegung sein, wenn sie nicht nur der freien Aussprache dienen, sondern demokratische Organisationen werden, die von gewählten Abordnungen gestaltet werden und Kämpfe koordinieren, Entscheidungen treffen und Maßnahmen ergreifen, die offiziellen Führer herausfordern, wenn nötig, und ihnen die Kontrolle über Streiks und Kampfmaßnahmen entwinden, wo möglich. Das heißt auch, Menschen aus allen Gewerkschaften, örtlichen Organisationen, sozialistischen und antirassistischen Gruppen, ja sogar von der Labour Partei in der Bewegung zu vereinen. In Anbetracht von 9 Millionen WählerInnen, nach Millionen zählender Mitgliedschaft von großen gewerkschaftlichen Angliederungen, starkem Rückhalt in London und als größte Opposition, ist die Vorstellung, dass Labour allmählich verschwindet, wie es uns einige oberflächliche Kommentatoren der Linken weismachen wollen, einfach absurd.

In der politischen Auseinandersetzung müssen wir jeden Linken in der Labour Partei ermuntern, sich fest gegen die Offensive des rechten Flügels zu stemmen, gleich ob sie von Blairs Wunschkandidaten Chuka Umunna oder sonst woher kommt, und müssen von ihnen fordern, sich auf ein klares Programm der Opposition gegen die Kürzungspolitik, gegen Militarismus und Krieg zu stellen. Aber wir sollten auch keine trügerischen Hoffnungen darauf verschwenden, dass die halbherzige Haltung dieser Linken die rechte Restauration in Labour aufhalten könnte. Deshalb müssen wir unsere Anstrengungen vervielfachen und den Aufbau einer neuen Massenpartei der ArbeiterInnen vorantreiben.

Unite-Führer McCluskey hat wiederholt mit diesem Gedanken geliebäugelt ohne jedoch die geringste Absicht, ihn auch in die Tat umzusetzen. Darin erkennt er genau wie bei seiner Gedankenspielerei mit einem Generalstreik gleichzeitig die strategische Notwendigkeit des Widerstands an, stellt sich jedoch allen Bemühungen dafür in den Weg. Darum müssen GewerkschaftlerInnen fordern, dass ihre Beiträge für eine landesweite Arbeiterkonferenz verwendet werden. Auch die verbliebenen Parteien und Gruppen der Linken – Gewerkschaftliche und Sozialistische Koordination (TUSC), Left Unity (Linke Einheit) und ihre Bestandteile sollten dies tun. Ziel muss die Bildung einer neuen Partei sein, mit klarer Ausrichtung, um die sich die ArbeiterInnen scharen können. Die Partei darf sich nicht auf den Wahlprozess alle 5 Jahre einlassen, sondern muss vorrangig Kämpfe unterstützen, vorantreiben, ausweiten und verallgemeinern, wie den Widerstand gegen den Wohnraub zu Gunsten Reicher und die Wohnungskrise, die sich im Londoner Osten und Süden abspielt, oder wie der örtliche Widerstand gegen die Kürzung des Wohngeldes und Zwangsräumungen, der einer organisierten landesweiten Form bedarf.

Da die Konservativen alles daran setzen, ihr Reformprogramm durchzupeitschen, müssen wir unser Bestes geben, massive außerparlamentarische und landesweite Proteste in Marsch zu setzen, wie die StudentInnen dies gegen Studiengebühren im November 2010 getan haben, und wie es die Gewerkschaftsführer hätten tun sollen, als Lansleys konservatives Gesundheitswesenreformprogramm zur Debatte stand. Ziel muss sein, die Durchsetzung der Reformen der Regierung zu verhindern und sie undurchführbar zu machen.

Das heißt, wir brauchen eine neue Partei, deren vordringlichste Aufgabe es ist, den Klassenkampf zu führen, die Attacken der Tories durch Gegenangriffe zunichte zu machen, und dies vor der nächsten Wahl. Deshalb sollte die Partei ein Aktionsprogramm erörtern und annehmen, das den Weg zeichnet, wie die Konservativen zu schlagen sind, und ihn mit dem Einsatz für eine antikapitalistische Arbeiterregierung und die gesellschaftliche Umwälzung verbindet.

Auf theoretischer Ebene müssen wir uns mit den unvermeidlichen ideologischen Konsequenzen der Niederlage auseinandersetzen. Eine Welle des Revisionismus wird die linke Intelligenz erfassen, die Arbeiterklasse zurückstellen und eine strategische Anpassung an das Kleinbürgertum und den Liberalismus empfehlen. 2015 werden sie sagen, dass die ArbeiterInnenklasse und Labourbewegung die Konservativen nicht besiegen können, dass strukturelle Veränderungen im britischen Kapitalismus wie der Niedergang der Industrie bedeuten, dass die ArbeiterInnenklasse nicht gewinnen könne. Woanders möge die ArbeiterInnenklasse zwar noch eine grundsätzlich revolutionäre Klasse sein, aber nicht mehr in Britannien. Demzufolge könne nur ein nicht klassengebundener Populismus eine Mehrheit der Bevölkerung sichern. Deswegen solle sich die Linke den Grünen, der SNP oder der walisischen Plaid Cymru anschließen oder sich ihnen wenigstens strategisch anpassen. Das radikale Gehabe der Grünen mit ihrer Kleinbürgerklientel und der bürgerlichen Nationalisten sind jedoch lediglich Anzeichen dafür, dass ihre Führer die Klasseninteressen der ArbeiterInnenbasis von Labour erkannt haben und sie ihr durch linke Rhetorik abspenstig machen wollen, wie es Populisten im Lauf der modernen Geschichte bereits des öfteren versucht haben.

Es ist aber ein Unterschied, ob ArbeiterInnen unter den Auswirkungen der Krise und Labours lauwarmer Politik ins Schwanken geraten, oder ob selbsternannte MarxistInnen sich davon beeinflussen lassen. Als ob die Reden politischer FührerInnen von größerer Bedeutung wären als die Klassenkräfte, die sie verkörpern, und die gesellschaftlichen Wurzeln ihrer politischen Maschinerie. Darum rufen wir zum einen die UnterstützerInnen der Nationalisten und Grünen in den Reihen der ArbeiterInnenklasse auf, gemeinsam mit uns gegen Austerität, Rassismus und Krieg zu kämpfen. Zugleich müssen wir aber auch allen Aufrufen zur politischen Unterstützung der Populisten entschieden entgegentreten und auf der grundsätzlichen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse beharren. Ein Erfolg in dieser ideologischen Auseinandersetzung mit der unvermeidlichen Verbreitung des Revisionismus in den kommenden Jahren hängt vom Aufstieg einer starken revolutionär marxistischen Organisation ab.

In Bezug auf die Europäische Union wird die konservative Regierung schnell ihre Volksabstimmung über den Verbleib in der EU durchführen wollen. Es wäre verheerend für die Linke, wenn sie den reaktionären Kräften, die für den britischen Austritt sind, auch noch den Rücken stärken würde. Ohne auch nur die geringste Unterstützung für die undemokratischen Institutionen der EU und erst recht nicht für die Festigung einer imperialen europäischen Macht zu geben, würde ein isoliertes Britannien außerhalb der EU für die britische Arbeiterklasse wirtschaftlich und politisch in Bezug auf Internationalismus und länderübergreifende Solidarität doch einen Riesenschritt rückwärts bedeuten.

Ebenso wenig sollten wir uns an einer Kampagne zur Abtrennung von Schottland aus Großbritannien beteiligen. Ungeachtet ihrer umfassenden Sitzgewinne hat die SNP wiederholt betont, dass die Wahl keine Abstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands sei und man nicht behaupten könne, dass es eine Mehrheit für die Abspaltung darstelle. Bis die schottische Bevölkerung als ganze dies wünscht, haben Sozialistinnen nichts von der Bildung eines neuen imperialistischen Kleinstaats Schottland an der Seite eines imperialistischen England und Wales zu gewinnen. Wenn Schottland den Britischen Staatsverband verlassen würde, befände sich die englische und walisische Arbeiterklasse in einer noch schlechteren Position, aber natürlich auch die schottische, die nun selbst der abgeschwächtesten politischen Vertretung beraubt wäre, ideologisch an ihre Bosse gekettet unter dem Dach einer Partei und einer gemeinsamen Illusion und unvorbereitet auf einen Widerstand gegen eine Offensive seitens einer fiskalisch überlegenen, erfahrenen und pragmatisch bürgerlichen Regierung in Edinburgh.

An der Wahl war bemerkenswert, dass jede Diskussion über die großen geopolitischen und wirtschaftlichen Wandlungen unserer Gegenwart fast völlig fehlte. Die Parteien debattierten über den vorhandenen oder nicht vorhandenen Beitrag der ImmigrantInnen für die britische Wirtschaft, ohne auch nur die ertrinkenden Flüchtlinge im Mittelmeer zu erwähnen. Niemand bot einem einzelnen weiteren Flüchtling Aufnahme an. Sie legten gemeinsame Bekenntnisse zum Rüstungshaushalt ab. Die Tories und Generäle ergingen sich noch in Kriegsdrohungen gegen Russland und der Entsendung von Truppen in die Ukraine. Als Miliband so weit ging und Britanniens Mitschuld an der Destabilisierung von Libyen rügte, wurde er mit einer Flut bürgerlicher Propaganda übergossen, so dass er es nicht mehr wagte, die Außenpolitik anzusprechen.

Wenn die Linke angesichts der neuen Lage wiederaufleben will, muss sie von einem entgegen gesetzten Punkt ausgehen – dass die Offensive der Bosse international ist, überall die ArbeiterInnenklasse trifft, dass Solidarität mit dem Widerstand in Griechenland, Spanien und der Ukraine uns stärkt, dass die ArbeiterInnen aller Länder gemeinsam stärker sind, und dass der Widerstand gegen die Konservativen und ihre Strategie der Kürzungen und Privatisierungen Teil einer größeren Auseinandersetzung für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa ist. Das ist die einzige strategische Alternative gegen die Welle des Nationalismus und Provinzialismus, die uns am 7.Mai, dem Wahltag, überschwemmt hat.

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*  Erster Mai: Der deutsche Imperialismus schreitet voran - und die ArbeiterInnenklasse?
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