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Die Linke und der Syrien-Krieg

Gegen manche Kriege

Robert Teller, Infomail 704, 17. September 2013

Die USA diskutieren über einen Angriff auf Syrien, linke Organisationen debattieren über ihre Position dazu. Wir kennen das noch von den Balkankriegen. Linke wollen weder als UnterstützerInnen reaktionärer Despoten dastehen noch in den Verdacht geraten, eine imperialistische Kampagne gegen die Selbstbestimmung eines Landes zu befeuern. Manche schaffen es aber, sogar beiden Seiten gleichzeitig auf den Leim zu gehen.

DIE LINKE: Nein zum Krieg, ja zur Fremdbestimmung

DIE LINKE meint, um den Krieg in Syrien zu beenden, müsse die “Genfer Erklärung” vom Juni 2012 umgesetzt werden, die zwischen den Regierungen der USA, Frankreichs, Russlands, der Türkei u.a. Länder ausgehandelt wurde.

Diese erste „Friedenskonferenz“ hatte am 30. Juni 2012 in Genf stattgefunden und unter anderem die Bildung einer Übergangsregierung in dem Bürgerkriegsland empfohlen. Eine solche Regierung wäre aber nur eine Konstruktion unter Einschluss von Kräften des alten Regimes ohne Assad selbst. Wie etwa in Ägypten oder Tunesien wäre eine solche Regierung  nur ein reaktionäres Instrument zur Beendigung der Revolution und des Bürgerkriegs. Es wäre zudem ein Regime von Gnaden des Imperialismus, der mit ihm nur seinen Einfluss und damit die Abhängigkeit Syriens sichern würde. Wie die Übergangsregierungen anderer arabischer Länder zeigen, sorgen sie weder für inneren Frieden noch für sozialen Fortschritt oder Demokratie. Eine wirklich progressive Lösung ist nur möglich, wenn die Revolution in Syrien mit dem Sieg im Bürgerkrieg, dem Sturz Assads und der Zerschlagung seines Staatsapparates endet und ein Regime schafft, in dem die Massen mittels eines Rätesystems direkt die Macht ausüben und die kapitalistischen und halbfeudalen Verhältnisse überwinden.

Die Umsetzung der „Genfer Erklärung“ bedeutet also nichts anderes, als das Selbstbestimmungsrecht der syrischen Bevölkerung zu negieren und die begonnene Revolution abzuwürgen.

Zuletzt am 2. September forderte die LINKE-Bundestagsfraktion in einem Beschluss, diese gemeinsame Linie der Weltmächte endlich ernsthaft umzusetzen.

Den geplanten US-Militärschlag lehnt DIE LINKE berechtigterweise ab - nicht jedoch, weil sie es falsch findet, die Zukunft Syriens in Verhandlungsrunden mit den entsprechenden “Weltmächten” festzulegen:

“Es ist abstoßend arrogant von Obama, anderen Ländern Blockadehaltung im Sicherheitsrat vorzuwerfen, nur weil sie nicht zu hundert Prozent seiner Linie folgen. Diplomatie kann nicht heißen, dass alle den USA folgen. [...] Es ist Obama, der einseitig auf einem Waffengang besteht – er ist damit derjenige, der eine politische, diplomatische Lösung blockiert.” (http://linksfraktion.de/pressemitteilungen/g20-bringt-keine-loesung-syrien/)

DIE LINKE hat also weniger ein Problem damit, dass die Zukunft Syriens von anderen Ländern entschieden wird. Sondern damit, dass eine Reihe von Ländern dabei nun die “Logik des Krieges” in Betracht ziehen. Wem hilft es eigentlich, nur die “Logik des Krieges” zu kritisieren, wenn diese in Syrien seit zweieinhalb Jahren nicht nur gedacht, sondern auch angewandt wird? Hat nicht das Assad-Regime - gestützt auf den Militär- und Geheimdienstapparat und die massive Unterstützung Russlands und Irans - einen blutigen Krieg gegen die eigene Bevölkerung vom Zaun gebrochen?

Diese Frage darf gar nicht erst aufkommen: „Indem die Bundesregierung die Begründung der US-Administration in ihren Stellungnahmen übernimmt, leistet sie indirekt Beihilfe zum Völkerrechtsverstoß.”

Im Klartext heißt das: Wenn ein imperialistischer Angriff mit dem Vorwand gerechtfertigt wird, Kriegsverbrechen zu stoppen, dann darf es diese Kriegsverbrechen einfach nicht gegeben haben.

Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der LINKEN, sagt das nochmal in Bezug auf den Giftgaseinsatz durch die Syrische Armee am 21. August: Insgesamt ist die Beweislage sehr viel dünner als im Jahre 2003

2003 lieferte die US-Regierung eine durchsichtige Schmutzkampagne und behauptete, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen - was eine reine Erfindung war. Heute gibt es kaum Zweifel daran, dass die Syrische Armee wiederholt Giftgas eingesetzt hat, dessen Besitz Assad auch nie in Abrede gestellt hat. Die US-Intervention mit dem Argument abzulehnen, dass es keine Beweise für Kriegsverbrechen gebe, ist schon deshalb schwach, weil man gewiss davon ausgehen kann, dass die Syrische Armee auch in Zukunft Kriegsverbrechen begehen wird.

Um dann nicht ohne Argumente dazustehen, erklärt DIE LINKE weiter: “Auch die Chemiewaffenkonvention von 1993, die Syrien wie etwa auch Ägypten und Israel leider nicht ratifiziert hat, sieht als Sanktion in besonders schweren Fällen vor, dass die Angelegenheit vor die Generalversammlung und den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gebracht wird, nicht aber eine Bestrafung durch Krieg. Der Weltsicherheitsrat kann sich seinerseits in dieser Angelegenheit an den internationalen Strafgerichtshof wenden.” 

Kurzum, die UNO könne als “Sanktion” den Sicherheitsrat einschalten, der einstimmig beschließen müsste, sich als Sanktion an den ISGH zu wenden, damit dieser das Verbrechen sanktionieren könne - aber auch das geht nicht, weil Syrien die C-Waffen-Konvention nicht ratifiziert hat.

“Alle angeblichen Beweise für eine Täterschaft Assads oder der Rebellen sind schlichte Propaganda; [...] Kein Gericht der Welt würde auf der Basis so dünner Hinweise auch nur ein Verfahren eröffnen.”

In Wirklichkeit hat DIE LINKE besser als andere den bürgerlichen “Gerechtigkeitsgedanken”  verstanden: Ein Motiv, eine Tatwaffe und eine (oder tausend) Leichen reichen nicht, um den Täter zu überführen, solange es kein “unparteiischer” Zeuge gesehen hat. Den unparteiischen Beobachter wird man aber unter den gegebenen Umständen in Syrien nicht finden. Zum Glück sind RevolutionärInnen nicht darauf angewiesen, sich an die Gerichte der Imperialisten zu wenden.

Ein Aufstand gegen den Aufstand

Bei einer Reihe “linksradikaler” Gruppen büßt die Revolution ihre Berechtigung mit einem ziemlich eigenartigen Argument ein: die “Destabilisierung” der Diktatur sei etwas Falsches.

Wer ein Regime stürzen will, muss es aber bekämpfen und Gegenmacht aufbauen.

Die “Syrische Revolutionäre Linke”, eine der wenigen bekannten revolutionär-sozialistischen Gruppen, die sich seit Beginn der Revolution formiert haben, schreibt dazu:

Die Massen können nur durch Entfaltung ihres eigenen Mobilisierungspotentials ihre kollektive Kraft zur Veränderung der Dinge einsetzen. Das ist das Einmaleins revolutionärer Politik. Dieses Einmaleins wird aber heute von verschiedenen linken Milieus im Westen mit tiefer Ablehnung betrachtet. Man erzählt uns, dass wir unsere Träume für Wirklichkeit halten, dass es vielleicht etwas wie eine Revolution vor zweieinhalb Jahren gab, aber sich die Dinge geändert haben. Sie sagen, dass Jihadisten den Kampf übernommen haben und es keine Revolution in Syrien mehr gibt, sondern einen Krieg, und deshalb müsse man sich für ein ‚Lager’ entscheiden, um eine konkrete Lösung zu finden. [...]

Ein gutes Beispiel für Selbstverwaltung der Bevölkerung ist die Stadt Raqqa, bis heute die einzige Provinzhauptstadt, die von der Kontrolle des Regimes befreit wurde. Sie wird noch immer vom Regime bombardiert, ist aber autonom und die lokale Bevölkerung organisiert die öffentlichen Einrichtungen für die Gemeinschaft. Ein anderes Element der Massendynamik der Revolution ist das Entstehen unabhängiger Zeitungen, die von Gruppen produziert werden. Vor der Revolution gab es drei Zeitungen, alle in den Händen des Regimes - heute gibt es mehr als 60, die von lokalen Gruppen geschrieben werden”

Friedensbewegung: “Intervention ohne Sinn, Zweck und Verstand”?

Aus Sicht von Christoph Marischka (“Informationsstelle Militarisierung”) gibt es für die US-Intervention keine rationalen Beweggründe:

... nun hat man diese neue Form der Intervention, bei vertretbarem Risiko für die eigenen Kräfte einfach möglichst viel in einem ohnehin geschundenen Land kaputt zu machen, aus einem einfachen Grund aus der Taufe gehoben: Weil einfach niemandem ein sinnvolles Ziel für diesen Krieg, der trotzdem irgendwie geführt werden muss, einfällt.”

Bei so einem hanebüchenen Statement - selbstverständlich gibt es ein Ziel, wenn jemand Gewalt einsetzt - kann man sich die restliche “Analyse” sparen. Der Text zeigt aber auf, in welchen methodischen Fehler sich die AutorInnen verstrickt haben.

Richtigerweise stellt der Text fest, dass aus Sicht der USA “[...] im Moment niemandem einfällt, wer das Land – so absurd es klingt – in diesem Bürgerkrieg verantwortungsvoller führen könnte” (Ebenda) und die US-Intervention nicht das Ziel verfolgen wird, Assad entscheidend zu schwächen oder gar zu stürzen. Wenn dies die strategische Absicht der USA sein sollte - dann hätte es keine fingierten “Vorwände” gebraucht, nachdem Assad zwei Jahre lang sein Land nach allen Regeln der Kunst mit Terror überzogen, Millionen gefoltert, hunderttausend getötet und Städte zu Schutt gebombt hat.

Die “Rote Linie”

Die “rote Linie” hat Assad nicht durch sein Übermaß an Brutalität überschritten, sondern dadurch, dass er weder den Aufstand besiegen konnte, noch den Weg für einen “geordneten” Übergang - eine “ägyptische Lösung” offengehalten hat. Die “rote Linie” ist gerade deshalb überschritten, weil sein Staatsapparat entweder dem Untergang geweiht ist, oder zumindest große Teile des Staatsgebietes in einem “unregierbaren” Chaos zurücklassen wird.

Das Dilemma der USA besteht darin, dass Assad nur mit weiteren Massakern seinen “Rumpfstaat” von Damaskus über Homs bis nach Latakia verteidigen und festigen kann - und gleichzeitig selbst massive militärische Gewalt gegen die von Rebellen kontrollierten Gebiete diese höchstens niederhalten, die verlorenen Gebiete aber nicht zurückerobern kann. Ein Sieg der Rebellen aber wäre aus Sicht der USA das größere Übel im Vergleich zu Assads Machterhalt.

Hinzu kommt, dass die US-Bourgeoisie über die Kriegsziele und die Strategie tief gespalten ist, was zum unüblichen pseudo-demokratischen Prozedere führte, dass der US-Präsident die Entscheidung über eine mögliche Militärintervention dem Kongress „überlassen“ wollte. Dort drohte jedoch eine Niederlage, nicht aus Mangel an „Beweisen“, sondern weil Obama keine klare Zielsetzung angeben konnte.

Der russische Imperialismus (und seine chinesischen und iranischen Verbündeten) haben hingegen ein klares Kriegsziel: Assad und sein Regime zu halten, um eine weitere Destabilisierung der Region zu verhindern und zugleich ihren eigenen geostrategischen Einfluss zu stärken. Das wollen natürlich auch die USA und ihre Verbündeten. Da jedoch ein „unkontrollierter“ Sturz des Regimes oder gar ein Zusammenbruch weitere unkalkulierbare Folgen hätte, wurde eben kein Kurs auf den Sturz Assads verfolgt.

Statt dessen zeichnet sich nun immer mehr eine konterrevolutionäre „Lösung“ bei den Verhandlungen um die Kontrolle der Chemiewaffen ab. Russland und die USA arbeiten Hand in Hand. Eine gewisse Drohkulisse wird aufrecht erhalten. Aber im Grunde geht Russland gestärkt hervor. Zugleich kommen Kontrolleure ins Land, die die chemischen Waffen erfassen und vernichten sollen.

Unterdessen geht der Krieg des Regimes gegen das Volk weiter, wenn auch nur noch mit „konventionellen“ Mitteln der Vernichtung, mit massiven Bombardements.

Gegen manche Kriege

Die WortführerInnen der Friedensbewegung, der Partei DIE LINKE u.a. Organisationen sind gegen jeden Krieg - aber nur, wenn die USA angreifen. Der Krieg des Assad-Regimes gegen die Revolution ist aus ihrer Sicht “geostrategisch” hinreichend irrelevant. Dabei hätte es diesen Krieg ohne die massive finanzielle und militärische Hilfe Russlands nicht geben können, und ohne das Eingreifen der iranischen Revolutionsgarden und der Hisbollah-Miliz wäre er wohl für Assad bereits verloren.

Das Problem bei dieser Art von “Internationalismus” ist, dass ihr Paradigma nicht die Unterstützung aller internationalen Kämpfe der sozial und politisch Unterdrückten ist - sondern schlicht die Negierung des imperialistischen Standpunktes der “eigenen” Bourgeoisie. Dies ist zwar immer nötig. Wenn man es aber dabei belässt, kommt man in der Regel bloß beim Standpunkt anderer Imperialisten an.

Wer sich bei der Einschätzung internationaler Fragen darauf verlässt, UNO-Untersuchungen und US-Regierungsberichte zu Hilfe zu nehmen, wird kaum verstehen, was die Unterdrückten in Syrien wirklich umtreibt. Dafür braucht es eine internationale Organisation der Unterdrückten - eine revolutionäre Internationale - die der internationalen Heuchelei der Unterdrücker Wahrheiten gegenüberstellen kann.

Selbstverständlich muss jede mögliche imperialistische Intervention mit Luftschlägen oder gar Bodentruppen bekämpft werden. Sie ist mittlerweile jedoch unwahrscheinlich. Vor allem aber darf nicht vergessen werden, dass die syrischen Massen einen gerechten Kampf gegen ein unterdrückerisches Regime führen, das bisher rund 100.000 ganz „konventionell“ massakriert und Millionen zu Flüchtlingen gemacht hat.

Die syrischen ArbeiterInnen und Bauern, alle fortschrittlichen und demokratische Kräfte, die gegen das Assad-Regime kämpfen, verdienen unsere Unterstützung. Sie haben selbstverständlich das Recht, sich zu bewaffnen und sich mit all den Mitteln zu versorgen, die sie brauchen, um sich effektiv zur Wehr setzen zu können. Diese wurden und werden der großen Mehrheit der Aufständischen vorenthalten.

Die fehlende internationale Solidarität der Arbeiterbewegung, von fortschrittlichen Kräften gerade im Westen bedeutet, dass Millionen im Stich gelassen werden und spielt zugleich den reaktionärsten Kräften in der syrischen Opposition in die Hände, den Islamisten, die über mehr Geld, bessere Waffen und mehr Unterstützung verfügen.

Zugleich zeigen die Staaten der europäischen Union - allen voran der deutsche Imperialismus -, dass ihnen das Überleben der Masse der SyrerInnen einen Dreck wert ist. Einige wenige tausend Flüchtlinge werden medienwirksam in der EU „begrüßt“, die große Masse wird von Grenztruppen der EU mit allen Mitteln „abgefangen“.

All das zeigt: Eine massive Solidaritätskampagne mit der syrischen Revolution ist nötig.

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