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11. Mai

Geplanter Naziaufmarsch in Kirchweyhe - ein Flop

Korrespondent Bremen, Infomail 686, 4. Juni 2013

Vorgeschichte

Anfang des Jahres wurde der 25 Jahre alte Daniel S. nach der Rückkehr von einem Discobesuch totgeschlagen. Angeblich hatte er einen Streit zu schlichten versucht. Am darauf folgenden Samstag fand eine spontane Trauerfeier am Tatort, dem Bahnhofsvorplatz von Kirchweyhe, nahe Bremen, statt. Aufgerufen hatten alle Parteien des Gemeinderats sowie zahlreiche andere Organisationen und Vereinigungen.

Auch die Neonazis rochen Lunte, war doch der Täter ein türkischstämmiger Jugendlicher. Im Vorfeld verbreiteten sie ihre rassistische Hetze, stießen aber bei den OrganisatorInnen der Trauerfreier auf Ablehnung. Nichtsdestotrotz gelang es nur unzureichend, sie von der Trauerkundgebung fernzuhalten, wo sie ihren deutschnationalen Dreck verbreiten wollten. Es gibt zudem Gerüchte, dass das Todesopfer selbst der extremen Rechten angehörte.

Im März luden die gleichen VeranstalterInnen am selben Ort erneut zu einer Gedenkkundgebung auf. Das geschah richtigerweise als Antwort auf eine angemeldete Demonstration der Nazis. Nachdem das Gemeinde-Ordnungsamt sie zunächst verboten hatte, fand sie unter diversen Auflagen dennoch statt. Höchstens 100 FaschistInnen marschierten am Rande des Ortes, weit entfernt von der offiziellen antifaschistischen Veranstaltung. Anstrengungen, die Rechte am Aufgalopp zu hindern, gab es so gut wie nicht. Die radikale Linke trat kaum in Erscheinung. Die offen bürgerlichen und reformistischen Kräfte beschränkten sich auf mahnende und warnende Worte.

3. Versuch: Worch ruft auf

Für den 11. Mai hatte der bundesweit bekannte Christian Worch, der z.B. 1992 einer der Rädelsführer in Rostock-Lichtenhagen war, seine Kameraden über Niedersachsen hinaus aufgerufen, in Kirchweyhe Flagge zu zeigen. Am Ende spazierten aber wieder nur ein paar Dutzend von ihnen an der Ortsperipherie entlang. Auf dem Bahnhofsvorplatz feierten die zahmen staatstragenden AntifaschistInnen mit Luftballons, Musik und Bratwurst ein buntes Europafest. Wieder stellten sie sich dem Naziaufzug nicht direkt entgegen.

Da wollten gut einhundert radikale AntifaschistInnen - darunter Avanti, Autonome, Solid und Ums Ganze - nicht einfach zuschauen. Sie fuhren geschlossen mit der Regio-S-Bahn nach Kirchweyhe und belagerten unmittelbar nach dem Ausstieg den einzigen Bahnsteig in der Erwartung, die Faschisten kämen auch mit dem Zug - endlich ein ernst gemeinter Versuch, die Neonazis vor ihrem Versammlungsort aufzuhalten oder wenigstens zu blockieren.

Erfolg und linke Schwächen

Tatsächlich: eine Handvoll Rechtsextreme verließ den Zug. Auf zwei Transparenten forderten sie die Umbenennung des Bahnhofsvorplatzes im Gedenken an „ihr“ Märtyreropfer. Die gut ausgerüstete und in großer Zahl vertretene Bereitschaftspolizei beschützte die Nazis vor den Linken. Ob sie wieder in den Zug gesetzt wurden oder über die Schienen zu ihrem Startpunkt geleitet wurden, ließ sich in dem Tumult nicht ausmachen.

Diesem Erfolg der radikalen Linken steht aber eine Reihe von Schwächen gegenüber. Fehler 1: die starre Konzentration auf die Belagerung des Bahnsteigs barg erhebliche Gefahren. Man stelle sich nur vor, ein großes Kontingent Faschisten wäre aus dem Zug gestiegen. Der Bahnsteig war ohnehin schon dicht besiedelt. Ein Ausweichen wäre - wenn überhaupt - nur über die Gleise möglich gewesen - mit allen damit verbundenen Gefahren. Gleichwohl wäre es dann auch zu einem ernsten Handgemenge auf der Plattform gekommen. Die Linken waren darauf in keiner Weise vorbereitet. Ihre Sitzblockade war so ziemlich die schlechteste Verteidigungsvariante.

Fehler 2: wie in der deutschen Linken üblich, existierte kein organisierter Ordnerdienst bzw. eine verantwortliche Aktionsleitung. Diese hätte flexibel reagieren können. Es stellte sich die Frage, ob nicht eine Blockade auf dem Bahnhofsvorplatz eine räumlich (Ausweichmöglichkeiten) und politisch (Tuchfühlung zu den „NormalbürgerInnen“ auf dem Fest) allemal besser gewesen wäre. Schließlich hätten die Nazis auch nur diesen Weg nehmen können. Der im Umbau befindliche Bahnhof ließ nur einen einzigen Ausgang über eine Behelfsbrücke zu!

Nachdem die Polizei die Bahnsteigbelagerung zweimal zur illegalen Versammlung erklärt hatte, die aufgelöst sei, sperrte sie diese Brücke. Die radikale Antifa hatte keine Chance mehr, diesem Kessel zu entweichen. Schließlich fuhr mehr als die Hälfte der Eingekesselten nach über 2 Stunden zurück nach Bremen. Dafür gab es freies Geleit. Auch am Bremer Hauptbahnhof erwartete sie kein Polizeiaufgebot. Die Zurückbleibenden waren darüber wütend. Worte wie „Verrat“ und „Scheiß Kommis!“ fielen.

Doch erstens war klar, dass keine Rechten mehr kommen würden. Zweitens hatten sie gegen die Polizeiübermacht nichts zu bestellen, hielten aber tapfer an der Vorstellung vom „Durchbruch“ fest.

Fehler 3: und in jeder Hinsicht der gravierendste - es gab keinen einzigen Versuch, die reformistischen AntifaschistInnen einzubinden, ja auch nur anzusprechen. Wie will man denn Leute außerhalb der engen linksradikalen Szene von den Vorteilen eines militanten Antifaschismus über den „offiziellen“ überzeugen, wenn nicht in Wort, Schrift und Bild?! Die „Szene“ mied die Massen wie Aussätzige. Ihre sektiererische Egomanie stellt in dieser Hinsicht nur die andere Seite derselben falschen Medaille wie der zahme, „gewaltlose“ staatstragende Antifaschismus dar. Einem deutlichen Anschwellen rechter Aktivitäten würden beide hilflos ausgeliefert sein.

Unter den zahlreichen Parolen waren auch solche, die den Unterschied zwischen Faschismus und bürgerlicher Demokratie verwischten. Diese ultralinke Einstellung mag erklären, warum man die Masse rechts liegen ließ. Eine Entschuldigung ist das nicht. Sie ist bestenfalls kindisch, schlimmstenfalls bahnt sie der eigenen zukünftigen Niederlage den Weg. Was heute wie eine Farce erscheint, wie eine Miniaturkopie der KPD in ihrer ultralinken „Dritten Periode“, kann morgen als Tragödie enden, wenn die radikale Linke sich nicht auf die antifaschistischen Lehren Trotzkis einlässt.

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