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Das DFL-“Sicherheitskonzept”

Big brother watching you

Tobi Hansen, Infomail 662, 29. Dezember 2012

Am 12.12. war es soweit: mit großer Mehrheit stimmten die VertreterInnen der 36 Erst- und Zweitligaklubs der „Deutschen Fußball Liga“ (DFL) für das „Sicherheitskonzept“, das unter Mithilfe der Polizei und etlicher Innenminister zustande gekommen war. Damit sollen die „bösen“ Fußballfans, die „Ultras“, stärker kontrolliert werden und u.U. gar nicht mehr ins Stadion dürfen.

In den Wochen und Monaten zuvor war häufig von „gewaltbereiten“ Fußballfans zu hören, welche angeblich immer mehr Straftaten verursachen würden. Die Bundesländer und die Polizei wollten die Clubs daher zur Mit-Finanzierung der Einsätze zwingen.

Dies reichte den Funktionären des DFB und der DFL aus, um die meisten Anforderungen der Polizei und de Innenminister zu übernehmen und als „ihren“ Plan hinzustellen. Bei der tatsächlichen Kriminalitätsstatistik fällt allerdings auf, dass Fußballspiele sehr viel weniger Verletzte verursachen, als es die „Sicherheits-Konzerte“ suggerieren. Pro Bundesligaspieltag mit mehreren 100tausend TeilnehmerInnen gab es laut ZDF in dieser Saison im Durchschnitt nur 1,6 Verletzte - sehr viel weniger als bei vergleichbaren Großereignissen wie z.B. Konzerten.

Trotzdem werden jetzt Kontrollen eingeführt, die man sonst nur von Flughäfen kennt. Nicht nur mehr Videoüberwachung, auch Leibesvisitationen sind nun möglich. Zudem haben die Heimvereine  nun das Recht, bestimmte Begegnungen als „Problemspiele“ einzustufen, womit eine Beschränkung des Ticketverkaufs für die Fans der Gastmannschaft verbunden wäre. Bislang waren 10 Prozent der Karten für Auswärtsfans reserviert.

Nicht durchgesetzt wurde allerdings der personalisierte Ticketverkauf. Hier gab es den größten Widerspruch von Seiten der Fans und tw. der Vereine. Polizei und Staat wollten so gleich alle Besucher erfassen, schon bevor diese das Stadion betreten.

Auch die Ordnerdienste sollen nun stärker in den polizeilichen Apparat integriert werden. Sie hätten dann quasi nichts mehr mit dem Verein zu tun, sondern nur mit dem Einsatzleiter der Politzei.

Nur zwei Vereine, der FC St. Pauli und Union Berlin, haben diesem Konzept nicht zugestimmt - beide aber mit der eher oberflächlichen Begründung, sie wollten keine Einmischung der Politik im Stadion. Andererseits sind dies die beiden Vereine mit den meisten Stehplätzen in ihren Stadien und dementsprechenden Fangruppen die auf Haupttribüne oder Logen keinen Wert legen.

Fan-Initiativen wie „Pro Fans“ organisierten gegen das Sicherheitskonzept in den letzten Wochen einen schweigenden Protest in den Stadien: die ersten 12,12 Minuten blieben die Kurven stumm; plötzlich herrschte eine fast gespenstische Atmosphäre in den Fußball-Unterhaltungstempeln. Diese Fangruppen haben in den letzten Jahren immer wieder Proteste gegen die Kriminalisierung der Fans und die Kommerzialisierung des Sports gestartet - zuletzt gegen die terminliche Neuordnung der Spielpläne, die es Auswärtsfans schwerer macht, zu den Spielen zu fahren.

Ultras, Pyrotechnik und „Gewalt“

Ein öffentliches Thema des Konflikts zwischen den „Ultras“ und den Vereinen war das Abfackeln von „Bengalos“ und der Verwendung von Pyrotechnik. Bei den Relegationsspielen zur Bundesliga zwischen Hertha BSC und Fortuna Düsseldorf kam es zur massiven Verwendung von Bengalos, sogar Fortuna-Kapitän Lambertz zog mit einem Bengalo durchs Stadion. Damals wurde zwischen den Ultras und den Vereinen diskutiert, unter welchen Umständen dies im Block gestattet werden könnte. Danach wurde trotz des laufenden Dialogs eine massive öffentliche Verleumdung gegen „diese“ Fußballfans gestartet und über die Medien der Eindruck erweckt, Fußballspiele wären heutzutage so etwas wie ein Bürgerkrieg im Kleinen.

Während in fast ganz Europa (außer in England und Spanien) die Verwendung von Pyrotechnik zum Stadionbesuch dazu gehört, ordnet die deutsche Polizei dies unter illegaler Zündung von Sprengmitteln ein. Diese besondere „Sorge“ um die Sicherheit kennen wir ja auch schon von Demonstrationen, wo oft genug eine Fahnenstange als potentielles Mordinstrument oder ein Transparent als Provokation der Staatsmacht konfisziert wird.

Es geht hier nicht darum, pauschal Bengalos zu verteidigen. Was wir aber verteidigen müssen, ist das Versammlungsrecht und die Bewegungsfreiheit. Beides soll nun für die „Ultragruppen“ eingeschränkt werden. Das liegt auch daran, dass der Ultra im allgemeinen eher eine ablehnende Haltung zur Polizei hat und sich meistens auch recht renitent gegen deren Übergriffe verteidigt.

Mit dem „Sicherheitskonzept“ wollen Staat und Polizei kontrollieren und festlegen, wie die Fans in der Bundesliga feiern dürfen, in welchen Gruppen sie auftreten und wer überhaupt ins Stadion darf.

In anderen Ländern ist die Lage etwas anders. Die englische Premier League z.B. hat die Preise so massiv erhöht, dass es sich Fans mit „normalen“ oder niedrigen Einkommen einen Stadionbesuch kaum noch leisten können, dort prügeln sich die Ultras meist außerhalb des Stadions. Auch in Italien sind die Preise oft so hoch, dass die Stadien halb leer sind. Beim derzeitigen Besucherboom der deutschen Bundesliga ist es so für die Vereine auch verschmerzbar, einige Fan-Gruppen aus den Stadien zu verbannen und die billigeren Stehplätze zu Gunsten teurerer Sitzplätze oder Promi-Logen zu minimieren.

Von den Medien wird der „Ultra“ oft als prügelnder und permanent betrunkener Fan dargestellt. Sicher gib es den, genauso wie in vielen anderen sozialen Zusammenhängen auch. Seltener gezeigt wird, dass diese Fans die „Choreos“ in den Kurven oder im ganzen Stadion machen, z.B. größere Schaubilder. Es sind gerade die Fans in den Stehplatzkurven, welche die Stimmung machen, nicht die Familien auf die Tribünen und schon gar nicht die Inhaber der Logen. Derzeit werden die Fans  aber öffentlich gespalten in „gute“ und „böse“ Fans: Bist du für die Funktionäre und die Innenminister, bist du ein guter Fan, ansonsten bist du ein gewaltbereiter Ultra, Hool oder was es sonst noch an Bezeichnungen gibt.

Der schlimmste Fall im Zusammenhang Gewalt und Fußball geschah neulich in den Niederlanden. Dort wurde ein Linienrichter nach einem Spiel getötet, doch es waren Jugendspieler von Ajax Amsterdam und keine Fans. Wer weiß, ob die niederländische Polizei jetzt plant, alle Jugendspieler mit Kameras zu überwachen, Leibesvisitationen vor dem Spiel vorzunehmen oder den Kicker vor Ausführung eines Elfmeters zu verprügeln?!

Wir wollen nicht leugnen, dass bei den Fans Frustration - ob sie soziale oder individuelle Ursachen hat - oft auch zu Gewalt führt. Sicher spielt dabei auch die spezifische soziale Dynamik von Gruppen junger Männer eine Rolle. Natürlich ist es auch das Interesse jedes vernünftigen Menschen, solche unsinnige Gewalt zu verhindern. Doch es ist völlig kontraproduktiv, das dadurch erreichen zu wollen, dass monströse Sicherheitskontrollen und eine flächendeckende Überwachung installiert werden. So wird die Frustration der Fans eher noch gesteigert und die „Gewalt“ verlagert sich dorthin, wo die Kontrollen nicht greifen.

Allerdings stellt sich dabei immer eine Grundfrage: Wer darf für „die Sicherheit“ sorgen, was schon damit beginnt, diese zu definieren. Können und sollen das „ganz normale Leute“ oder darf das nur die Polizei?! Da geht es nicht mehr nur um Bengalos oder kaputte Zugabteile, da geht es um die Frage des Gewaltmonopols. In einer Gesellschaft, wo Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung Merkmale, ja Grundlage des sozialen Lebens sind, ist der staatliche Repressionsapparat unverzichtbar. Oft genug richtet er sich gegen Asylsuchende, Streikende, politischen Protest - manchmal gegen Fußballfans.

Eigentlich weiß aber jede/r, der/die mit Fußball zu tun hat, dass nur mit und durch die Fans etwas bewirkt werden kann - nicht gegen sie mit den Scannern und Knüppeln der Polizei. Doch wie überall geht es der Ordnungs-Kamarilla aus Innenministern, Polizei und Fußball-Bossen darum, die Selbstbestimmung, die Selbstorganisation von Menschen zu verhindern, weil diese tendenziell nicht mit den Machtstrukturen des Kapitalismus kompatibel sind.

Für die Fanszene hier muss es auch darum gehen, zu begreifen, dass Fußball eben nicht unpolitisch ist und derzeit auch ihre Versammlungen der Einschränkung demokratischer Rechte unterliegen, wie sie auch bei Demos oder Streiks zu beobachten sind und in den letzten Jahren im Gefolge der „Terrorbekämpfung“ auch zugenommen haben. Die Debatte um die „Gewalt in den Stadien“ und die Rolle des Staates als „Ordnungshüter“ dient natürlich auch der Ablenkung des totalen Versagens eben dieses Staates im Kampf gegen die Nazi-Terroristen des NSU.

Wenn sich im Dortmunder Fan-Block Nazis tummeln und das jetzt sogar die Presse interessiert, dann muss klar sein, warum darüber jetzt berichtet wird und es muss klar werden, dass auch die Ultras politisch Flagge zeigen müssen. Tun sie dies nicht, stehen die BVB-Nazis stellvertretend für die ganze Kurve und geben Staat und Polizei neue Vorlagen zur Kriminalisierung. Gehen sie aber selbst entschlossen gegen die Nazis in ihren Reihen vor, was etliche Ultragruppen auch schon bewiesen haben, dann haben sie sich politisch verhalten - eine Grundvoraussetzung, um gegen die Interessen von Staat und Bullerei wirksam kämpfen zu können!

Gegen das „Sicherheitskonzept“ der DFL reichen dann eben keine Schweigeminuten oder protestierendes Fernbleiben: es müssen alle Fans erreicht werden, die Kurve muss den Kampf für ihre Interessen auch als Kampf um demokratische Rechte begreifen, als Kampf aller Fans gegen den Kontrollwahn des Staates.

Gemeinsamer Kampf aller Fans gegen die staatliche Repression!

Weg mit dem DFL-Sicherheitskonzept!

Keine Beschränkungen für Auswärtsfans!

Gegen Nazis in der Kurve!

Für den Aufbau demokratischer, anti-faschistischer und anti-rassistischer „Ordnergruppen“ der Fans!

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