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Blockupy Frankfurt/Main

Eine kurze politische Bilanz

Martin Suchanek, Infomail 624, 23. Mai 2012

Gut 25.000 demonstrierten am 19. Mai gegen die EZB, die Kürzungsdiktate der „Troika“ aus EU, EZB und IWF) sowie die Abwälzung der Lasten der kapitalistischen Krise auf die Masse der Bevölkerung.

Die Demonstration

Die Demonstration bildete den Abschluss der „Blockupy“-Aktionstage vom 16.-19. Mai. Es war eine kämpferische Manifestation, die nicht ein Ende der „Sparpolitik“ forderte, sondern auch die Solidarität mit der Arbeiterklasse Griechenlands u.a. südeuropäischer Staaten zum Ausdruck brachte.

Bei den Blockupy-Aktionstagen hatte der Staat - von der Frankfurter Bürgermeisterin, über Stadtverwaltung und Polizei bis zur Justiz - in trauter Einigkeit Demonstrationen und Sammelpunkte verboten. Rund 500 wurden in Gewahrsam genommen. Jeder Aktionstag brachte mehrere Einkesselungen. Tausende Bullen sorgten für ihre Ordnung.

Trotz dieser Provokationen und trotz der Tatsache, dass die Polizei den anti-kapitalistischen Block im Spalier während der ganzen Demo „begleitete“, war die Manifestation am Samstag nicht nur kämpferisch, sondern auch diszipliniert: die TeilnehmerInnen ließen sich auf keine Provokationen der Krawallmacher in Grün ein.

Nicht nur von der Größe her, auch von den vertretenen Organisationen und politischen Strömungen war die Demonstration den großen Protestdemos der Anti-Krisenbündnisse ähnlich. So war der linke Flügel der Gewerkschaften, war die Linkspartei, war attac stark vertreten. Positiv hervorzuheben ist auch, dass aus v.a. aus Frankreich Delegationen von NPA, Parti de Gauche und der Gewerkschaften sichtbar vertreten waren.

Den wohl größeren Teil der Demonstration stellte das „anti-kapitalistische Spektrum“ der Autonomen, sozialistischen und kommunistischen „radikalen Linken“. Kein Wunder also, dass Parolen und Losungen im Mittelpunkt standen, die sich nicht nur gegen die Auswirkungen der Krise, sondern auch gegen den Kapitalismus als System wandten.

So weit so gut. Auffällig war jedoch auch, dass die Demonstration - verglichen mit den Groß-Demos der Anti-Krisenbündnisse - keine zusätzlichen Kräfte gewinnen konnte. Eher ist das Gegenteil der Fall.

Block Frankfurt?

Verglichen mit den Aktionstagen war die Demonstration aber zweifellos ein Erfolg - und auch ein Mutmacher.

Zugegeben, der Zugang zur EZB und etlichen Großbanken war blockiert - durch die massiven Absperrungen der Polizei. Zweifellos hat das so manchen BürgerInnen die Absurdität und „Verhältnismäßigkeit“ von Demo-Verboten, Platzverweisen für große Teile des Stadtgebietes und Schreckensmeldungen über „Gewaltbereite“ vor Augen geführt.

Selbst die bürgerliche Presse hat das hervorgehoben und den „übertriebenen“ Einsatz der Polizei kritisiert.

Eines darf dabei jedoch nicht übersehen werden. Trotz der Entschlossenheit und Bereitschaft der AktivistInnen, das Verbot von Besetzungen und Demos zu durchbrechen, trotz dessen, dass sie sich nicht einschüchtern ließen, sondern kamen, waren die „Platzbesetzungen“ ein Misserfolg. Blockiert wurde wenig. Darüber kann auch nicht hinwegtrösten, dass die Polizei die Innenstadt ohnedies blockiert habe.

Vielmehr bestand von Beginn an das Problem, dass zu wenige AktivistInnen - 2.000, bei einer sehr wohlwollenden Schätzung vielleicht 3.000 - an den Aktionen teilnahmen. Und das, obwohl die Verbote eher noch mobilisierend gewirkt haben dürften.

Anders, als die Demonstration waren die „Besetzungen“ und Blockaden stark auf das studentische Spektrum konzentriert.

Die Demonstration konnte nicht nur wegen ihrer Masse einen geschlossenen Eindruck vermitteln. Ganze Blöcke, ja die meisten Kontingente von politischen Gruppen hatten ihre eigenen Leitungs- und Ordnerstrukturen  und auch ihre eigenen politischen Parolen, Kurzum, sie hatten eine im Voraus bestimmte Führung.

Natürlich hatten auch die Blockaden und Besetzungen - wie ganz „Blockupy“ - eine politische Führung: eine mehr oder weniger informelle Koalition aus Attac, Interventionistischer Linker und einem Teil der Linkspartei.

Diese Führung bestand und besteht jedoch bei den Besetzungen und im Fall der Einkesselung durch die Bullen darin, als Verantwortung übernehmende Führung zu „verschwinden“ und diese Treffen von VertreterInnen von „Bezugsgruppen“ zu überantworten. Das klingt zwar recht „basisdemokratisch“, in Wirklichkeit heißt es aber nur, dass schlechter Informierten in kritischen Situationen die Verantwortung zugeschoben wird.

So war Blockupy von einer ständigen Wiederholung geprägt. Ein Platz wurde „besetzt“, also ein paar Zelte aufgeschlagen, AktivistInnen sammelten sich. Dann begannen die Bullen, diese einzukesseln, wobei es immer auch etwas schwierig war, PassantInnen und TouristInnen von den Demonstrierenden zu scheiden.

Unsere Kritik ist nicht etwa, dass etwas ganz anderes, die „super-kreative“ Aktion, alles raus gerissen hätte. Wir waren einfach wenige. Aber es gab praktisch keine Reden, keine Informationen an die PassantInnen über Blockupy, keine Agitation. Und es gab überhaupt keine andere Taktik und Aktionsform, als sich auf irgendeinen Platz zu setzen und - zu warten.

Auf die früher oder später folgende oder drohende Einkesselung wurde meist so reagiert, dass sich die TeilnehmerInnen raustragen ließen. Darin bestand der ganze „Widerstand“. Natürlich weiß jeder, dass die Handlungsmöglichkeiten in einem Kessel oder sich formierenden Kessel gering sind. Aber wäre es beispielsweise nicht vernünftiger gewesen - wie am Freitag auch vereinzelt zu sehen - einen Demonstrationszug von einen „Platz“ weg zu führen und so erstens der Einkesselung zu entgehen und zweitens eine größere Masse zusammenzuhalten?!

Das hätte jedoch eine zentrale, demokratisch legitimierte Koordinierung des Gesamtprotestes, Ordnerstrukturen usw. erfordert. Doch diese wollten die OrganisatorInnen nicht - sei es, weil sie den Protest nur als Mittel sahen und sehen, um ihre eigenen politisch harmlosen Steuermodelle anzupreisen (attac), oder weil sie es doktrinär-libertär ablehnen, dass es einer politischen Koordinierung, Führung solcher Aktionen bedarf - wie das in großen Teilen des autonomen Spektrums und bei der Interventionistischen Linken praktiziert wird.

Kurze Anmerkung zur Repression

Während der Aktionen vom 16.-18. Mai, also der Besetzungen und Blockaden, war immer wieder zu hören, dass die „Bilder“, die die bürgerlichen Medien produzieren würden, selbst schon ein riesiger Erfolg waren. Wenn wir schon nicht die Massen hätten, so wären wir doch „moralisch“ die Sieger. Wenn wir schon nichts verhindern, so würden wir doch „delegitimieren“.

Wir wollen gar nicht bestreiten, dass die „Unverhältnismäßigkeit“ des Polizeieinsatzes, die Ausschaltung des Demonstrationsrechts, die massiven Vorkontrollen, Platzverweise, das Zurückschicken ganzer Busse und rund 500 Gewahrsamnahmen auch in der Öffentlichkeit kritische Fragen über die Rolle von Polizei, Stadtverwaltung, Justiz aufwerfen, zumal sich der Zusammenhang mit dem Schutz des Großkapitals geradezu aufdrängt.

Allerdings bleibt ein Fakt: Stadtverwaltung und Polizei konnten durchsetzen, was sie wollten. Die Verbote blieben. Die Gerichte folgten ihren Anträgen.

Die Tatsache, dass alles „friedlich“ blieb - selbst schon ein Euphemismus angesichts Hunderter, die festgehalten wurden -, und die „guten Bilder“ werden das nächste Verbot nicht verhindern. So wie üblicherweise die „gewalttätigen DemonstrantInnen“ zur Rechtfertigung von Einschränkungen des Versammlungsrechts herhalten sollen - so wird eben jetzt der „friedliche Charakter“ des Protests als Argument für die „harte Linie“ herangezogen, welche die „Krawalle“ verhindert hätte.

In Wirklichkeit muss das Verbot, muss die Repression in einem größeren Kontext betrachtet werden. Sie zeigt nämlich nicht nur, dass der bürgerliche Staatsapparat immer schon ein bürokratischer, repressiver Apparat der Herrschenden ist, der immer - ob nun „verhältnismäßig“ oder „unverhältnismäßig“ - gegen uns gerichtet ist.

Es kommt hinzu, dass wir in eine historischen Krisenperiode des Kapitalismus leben, die von der herrschenden Klasse auch erfordert, die bestehenden, in oder oft schon vor Jahrzehnten errungen demokratischen Rechte für die jede oppositionelle - ganz zu schweigen von jeder klassenkämpferischen oder revolutionären - Bewegung präventiv einzuschränken.

Die extrem harte „unverhältnismäßige“ Unterdrückung des Versammlungsrechts bleibt tatsächlich unverständlich, ginge es nur um Blockupy, „Besetzungen“ und Blockaden durch 2-3.000 Menschen und eine Großdemo. Es geht hier vielmehr darum, dass sich Parlamente, Regierungen, Polizei, Gerichte, also der ganze Staatsapparat auf eine härtere Gangart vorbereitet, die auch hier notwendig werden kann, wenn die Sonderkonjunktur des deutschen Imperialismus ausläuft und damit seine Fähigkeit zu Integration der Arbeiterklasse weiter unterminiert wird.

Um diesen durchaus fundamentalen Angriff auf die demokratischen Rechte abzuwehren, wird auch die „beste Presse“, werden die „besten Bilder“ nichts reichen. Vielmehr ist der entschlossene Widerstand vor Ort, der Schutz der eigenen Aktionen gegen Provokationen und Polizeiübergriffe ein Element, eine zentrale Lehre. Zweitens brauchen wir dazu demokratisch legitimierte und koordinierte Bündnisstrukturen und verbindliche Absprachen. Vor allem aber braucht es eine politische Kampagne gegen die Einschränkung der politischen Rechte der Arbeiterklasse, der Jugend, von MigrantInnen - zur Verteidigung und Erringung des Demonstrationsrechts, gegen Spitzelei und Repression, gegen alle Einschränkungen des Streikrechts und der politischen Betätigung nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch im Betrieb, an Schule oder Uni.

Nur durch eine solche Kampagne, die mit Massenaktionen bis hin zu politischen Streiks geführt wird, können demokratische Rechte letztlich wirksam verteidigt werden.

Lehren

Das wird aber nur möglich sein, wenn es gelingt, dass die Bewegung selbst viel größere Teile der Arbeiterklasse und der Jugend in ihrer Reihen zieht.

Von einem solchen Bemühen war in Frankfurt nur am Rande etwas zu spüren. Die Tarifrunde der IG Metall ging - wie schon zuvor jene von ver.di - praktisch spurlos an der Vorbereitung und den Aktionen von Blockupy vorbei. Kurz vor Beginn der Aktionen war auch bekannt geworden, dass Neckermann in Frankfurt/Main die Entlassung von 1.400 Beschäftigten plant. Gab es dazu auch nur eine Solidaritätserklärung von der Blockupy-Führung? Schon die Frage zu stellen, heißt sie zu beantworten.

Es gilt daher unserer Meinung nach, mehrere Lehren zu ziehen:

a) Die Bewegung - selbst Teil des Kampfes gegen die Krise - muss sich politisch um zentrale Forderungen konzentrieren. Dazu gehört die Solidarität mit der Arbeiterklasse in Griechenland, die Ablehnung der Kürzungsdiktate der EU, die Forderung nach Schuldenstreichung sowie die Verstaatlichung der Banken unter Arbeiterkontrolle.

b) Nach Frankfurt sollen und müssen Bündnisstrukturen zur gemeinsamen Aktion aufgebaut oder wieder aufgebaut werden. Es gibt kaum noch Städte, wo es Anti-Krisenkomitees oder Bündnisse gibt, geschweige denn eine nennenswerte bundesweite Koordinierung, von der europäischen Ebene ganz zu schweigen.

c) Diese Situation muss geändert werden! Wir treten für den Aufbau solcher Bündnis in jeder Stadt ein. Wir brauchen deren bundesweite, europaweite, internationale Koordinierung.

d) Blockupy endete zwar mit einer guten, kämpferischen Demonstration. Doch was nun? Es gibt keinen weiteren Mobilisierungsplan, geschweige denn gemeinsame Forderungen und Orientierungen. Dabei wäre es leicht gewesen, am Sonntag die Frankfurter Aktivitäten mit einer internationalen Aktionskonferenz abzuschließen, um über gemeinsame Forderungen und einen Fahrplan zur Mobilisierung auf europäische Ebene zu diskutieren und zumindest in groben Umrissen zu entscheiden. So aber gibt es - nichts! Wir treten daher für die Einberufung und Organisierung einer bundesweiten Aktionskonferenz ein. Im Zentrum müssten dabei die Organisierung einer Solidaritätsbewegung mit Griechenland und der Aufbau einer europäischen Anti-Krisenbewegung stehen.

Schon in den letzten Jahren ist das Missverhältnis zwischen dem internationalen und europaweiten Charakter der gegenwärtigen Krise - inklusive der Ungleichzeitigkeit der Entwicklung in Ländern wie Deutschland und Südeuropa - einerseits und dem Niedergang gemeinsamer Aktivität andererseits immer dramatischer hervorgetreten. Wird diese strategische Schwäche nicht rasch überwunden, drohen nicht nur Land für Land weitere Niederlagen, sondern auch eine Vertiefung der Spaltung der Arbeiterklasse verschiedener Länder, eine Ausweitung von Nationalismus, Chauvinismus, Rassismus.

Diese drohende Entwicklung, die andere Seite der zunehmenden Klassenpolarisierung in großen Teilen des Kontinents, kann nur verhindert werden, indem wir die politische Initiative ergreifen, indem wir die Schaffung und Koordinierung der europaweiten Bewegung in Angriff nehmen.

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