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Neuwahlen in NRW

Parlamentarischer Selbstmord aus Angst vor dem politischen Tod

Eugen Hardt, Infomail 611, 15. März 2012

Die aktuelle zweite Lesung des Haushalts 2012 nahmen SPD und Grüne zum Anlass, durch eine kompromisslose Konfrontation mit FDP und Linken diese zu einer Ablehnung desselben zu zwingen.

Man wies alle Angebote der Linken ab, die Minderheitsregierung durch Enthaltung bei der Abstimmung über den Haushalt zu stützen, wenn nur einige wenige soziale Forderungen erfüllt würden. Ebenso verfuhr man mit den Versuchen der FDP, durch hohes Pokern die SPD zu maximalen Zugeständnissen zu bewegen.

Beide Parteien stellte man vor die Alternative, angesichts von deutlich unter 5% liegenden Umfragewerten parlamentarischen Selbstmord zu begehen oder aber politisches Harakiri durch Aufgabe der eigenen Inhalte und jedweder Glaubwürdigkeit.

Nach aktuellen Umfragen kämen CDU und SPD beide auf 35%, die Grünen auf 17%, die Linke auf 3% und die Piraten auf 5%. SPD und Grüne hoffen so bei Neuwahlen auf eine klare Mehrheit und eine Art Flurbereinigung durch die Eliminierung von FDP und Linken. Angesichts des Gewichts von NRW käme einem solchen Ergebnis auch eine  bundespolitische Bedeutung zu, würde es doch die kommenden Landtagswahlen im Saarland und Schleswig-Holstein beeinflussen und wäre ein Signal für den möglichen Ausgang der Bundestagswahlen 2013: Ein rot-grüner Sieg in NRW mit einem Knock-out der FDP würde die Merkel-Regierung entscheidend schwächen.

CDU und FDP konnten so keinerlei Interesse an Neuwahlen haben; doch einem rot-grünen Haushalt zustimmen konnten sie auch nicht, ohne sich restlos lächerlich zu machen. Am Ende votierte man für seinen eigenen parlamentarischen Untergang in der Hoffnung, politisch zu überleben.

Anbiederungspolitik der Linken nutzlos

Die Linkspartei hatte die Abwahl von Rüttgers ermöglicht und Hannelore Kraft als Ministerpräsidentin mit gewählt. Man rechtfertigte dies damit, dem Bewusstseinsstand - gerade auch der älteren Bevölkerung - Rechnung tragen zu wollen, der davon ausgeht, dass die SPD mit dem Image einer „Arbeitnehmerpartei“ und die Grünen mit dem Image einer ökologischen Partei doch noch etwas anderes seien als CDU und FDP.

Im Mai 2011 stimmte die linke Landtagsfraktion dann dem rot-grünen Haushalt von 2011 zu. 70% der LandesratsdelegiertInnen empfahlen der Fraktion eine Stimmenthaltung, weil man den Haushalt wegen fortschrittlicher Ansätze nicht ablehnen könne. Man sah im Haushalt 2011 einen „Politikwechsel“, eine „Akzentverschiebung“, auch wenn der Haushalt um 2,3 Milliarden Euro abgespeckt wurde und die Steuermehreinnahmen nicht in soziale Maßnahmen, sondern komplett in den Schuldenabbau gingen.

Der Landesparteitag hat im September 2011 deutliche Vorgaben für die Herangehensweise an den Haushalt 2012 gemacht: Zum einen müssen die „roten Haltelinien“ eingehalten sein; ansonsten wäre eine Ablehnung des Haushalts zwingend. Der Beschluss des Landesparteitags fordert, dass ein „substantieller Teil der Steuermehreinnahmen für zusätzliche Investitionen und Ausgaben“ im Haushalt eingestellt sein muss, insbesondere in den Bereichen Kommunalfinanzen, mehr Personal in Bildung, Sozialticket, sozialer Wohnungsbau/energetische Wohnraumsanierung. Soweit so bedrucktes Papier bzw. Parteitagsbeschluss.

Die „roten Haltelinien“ - „Kein Sozialabbau, kein Personalabbau, keine Privatisierung“ - wurden mit der Begründung ignoriert, Personalabbau müsse man mit zusätzlichen Lehrerstellen „verrechnen“, so dass man als Saldo ein Plus beim Personal habe.

Trefflich schrieb damals die Süddeutsche Zeitung: „Das „rote Gespenst“ kann „niemanden mehr wirklich erschrecken“. DIE LINKE „erweist sich überall dort, wo sie auf die eine oder andere Weise Verantwortung übernimmt, als pragmatisch. Das ist im Osten schon länger bekannt. Nun zeigt es sich auch in Nordrhein-Westfalen, wo die Linken keine Neuwahl riskieren wollen, nach der sie wohl aus dem Parlament flögen.“

Bedeutet die aktuelle Ablehnung des Haushalts 2012 durch die Linke einen Kurswechsel, eine neue ungewohnte Prinzipientreue?

Weit gefehlt! Vielmehr verhält es sich so, dass die SPD der Linken durch einen knallharten neoliberalen Sparhaushalt mit realen und vor allem ungewissen potenziellen Sozialkürzungen die Möglichkeit nahm, ihrer Politik auch nur den Anschein einer sozialen Politik anzudichten.

Der rechte Flügel der Linken hatte nichts unversucht gelassen, eben dies zu erreichen: „Rot-Rot-Grüner NRW-Haushalt 2012 ist möglich!“ war die Parole oder „Sozial-ökologischer Politikwechsel statt neoliberaler FDP-Sparpolitik!“ Man forderte SPD und Grüne immer wieder auf, den Landeshaushalt 2012 gemeinsam zu gestalten und die „vorhandenen Verhandlungs- und Verteilungsspielräume“ zu nutzen. Es bestehe auch noch Spielraum im Rahmen der verfassungsgemäßen Haushaltsgrenze.

Selbst der „pragmatische“ rechte Parteiflügel musste am Ende aber feststellen, dass im Haushalt „kein Politikwechsel mehr erkennbar“ sei. Es habe bis zuletzt Spielraum für Verhandlungen gegeben, aber SPD und Grüne seien nie bereit gewesen, auf die Opposition zuzugehen, sie hätten keine sozialere Politik gewollt. Das von SPD und Grünen für 2013 angekündigte Sparpaket von einer Milliarde Euro werde die soziale Schieflage weiter vergrößern und die Situation vieler Menschen in NRW verschlechtern, so Ex-Grüner Rüdiger Sagel, haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion. Mit Riesenschritten schwenke die Minderheitsregierung „wieder“ auf den neoliberalen Kürzungskurs ein.

Die Duisburger Landtagsabgeordnete Anna Conrads erklärte dazu: „DIE LINKE hat für den Haushalt vier Forderungen gestellt: Die Einführung eines echten landesweiten Sozialtickets, mehr Geld für die Kommunen, mehr Geld für Kitas, mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau. In keiner dieser zentralen Forderungen, die entscheidend sind für eine Verbesserung der Lebensbedingungen vieler Menschen in NRW, haben SPD und Grüne Zugeständnisse gemacht. Damit haben sie mit voller Absicht die Verhandlungen scheitern lassen.“

Globale Minderausgabe (GMA)

Vollends unannehmbar für die Linke war die Einführung einer so genannten „Globalen Minderausgabe“, die im neuen Haushalt vorgesehen ist. Diese stellt eine generelle fiskalische Entmachtung des Parlaments dar. Die Regierung kann demgemäß im beschlossenen Finanzrahmen sparen, wo sie selbst es für richtig hält. Das kann bedeuten, dass sie nach der Verabschiedung des Haushalts Einsparungen durchführt, die das Parlament vielleicht nicht akzeptiert hätte, wenn sie konkret benannt worden wären.

Die GMA in NRW lag 2010 noch bei 199 Mio. Euro. Sie wurde 2011 schon auf 500 Mio. Euro angehoben. Im Haushaltsentwurf 2012 ist sie in Höhe von 730 Mio. Euro angesetzt. Das Finanzministerium NRW selbst spricht klar von Sparauflagen: „Dazu hat sich das Kabinett auf eine strenge Ausgabendisziplin verständigt. 750 Millionen Euro müssen als globale Minderausgabe 2012 in allen Ressorts eingespart werden.“ Die GMA werden so definiert: „Zum Ausgleich des Haushaltsplans veranschlagte negative globale Ausgabeansätze, die beim Vollzug des Haushaltsplans durch Einsparungen bei den einzelnen Ausgabeansätzen auszugleichen sind.“

Die GMA widerspricht der Transparenz der Haushaltslegung und ist ein Freibrief für Kürzungen, auch im Sozial- und Personalbereich. Damit ist ein Reißen der roten Haltelinien im laufenden Hauhaltsvollzug jederzeit möglich.

Perspektiven

Die Linke hat den Haushalt 2012 abgelehnt und damit wahrscheinlich parlamentarischen Selbstmord begangen. Sie könnte dadurch an Glaubwürdigkeit und Ausstrahlung gewinnen - hätte sie nicht durch ihre bisherige Politik des parlamentarischen Kretinismus Substanz und Kraft verloren. Ausgerichtet ganz auf ihre Landtagsfraktion und deren hilflose Anbiederungsversuche an eine neoliberale SPD hat sie den Kontakt zu ihrer sozialen Basis und den außerparlamentarischen Bewegungen weitgehend verloren. Ihr sind die Mitglieder in großer Zahl abhanden gekommen angesichts grottenlangweiliger Mitgliederversammlungen, auf denen es nichts zu entscheiden gibt, die keine Kampagnen organisieren und das Engagement der Sympathisanten dahingehend kanalisieren, bei Wahlen unter bunten Sonnenschirmen Flyer zu verteilen.

Die von der Agenda-Politik enttäuschten linken Teile der SPD, die 2004 zur WASG  gegangen waren, haben sich längst den Grünen zugewandt oder erneut zur Postagenda-SPD verabschiedet, während jugendliche Protestwähler heute lieber auf die Piraten setzen, weil in ihren Augen die Linke schon lange Teil des Systems ist, gegen das sie aufbegehren. Diese Situation macht es nicht sehr wahrscheinlich, dass die Linke erneut in den Landtag einzieht.

Die LINKE mokiert sich nun über SPD und Grüne, die die Auflösung des Landtages „provoziert“ hätten. Richtig daran ist, dass beide Parteien hoffen, zu einer parlamentarischen Mehrheit zu kommen und hoffen, ihre Position zu stärken.

Dass sich die Parlamentsfraktion und auch die Parteispitze der Linken solcherart „getäuscht“ sieht, spricht allerdings Bände über „Politikverständnis“, die Illusionen und die reformistische Strategie der Linkspartei.

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