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Debatte um Wulff

The looser takes it all

Hannes Hohn, Infomail 610, 12. März 2012

Kein Bundespräsident ist so spektakulär und unrühmlich aus dem Amt geschieden wie Christian Wulff. Wer aber dachte, dass die Skandalstory mit seinem Rücktritt nun zu Ende sei, kann sich nur verwundert die Augen reiben.

Obwohl Wulff gerade nicht aus politischen Gründen gehen musste, sondern weil er mehrfach gegen Recht und Gesetz verstoßen hat oder sich zumindest so verhalten hat, wie es für die „höchste moralische Autorität“ des Staates nicht angemessen ist, wurde ihm trotzdem bescheinigt, dass er „aus politischen Gründen“ zurückgetreten sei.

Diese juristische „Auslegung“ des Sachverhalts kann sich nun für Wulff tatsächlich in klingender Münze auszahlen. Seine Scheidemünze hat den beträchtlichen Umfang von 199.000 Euro im Jahr - bis ans Lebensende. Weil davon natürlich gerade eben nur ein Leben am Existenzminimum möglich ist, hat Wulff zudem noch Anspruch auf ein Büro samt Mitarbeitern, einen Bodyguard und einen Dienstwagen. Wozu ein aus dem Amt Geschiedener noch soviel Büro braucht, dass er das nicht selbst bzw. sein Nachfolger im Amt erledigen könnte, verstehe, wer will. Lediglich der Personenschutz ist berechtigt - es muss schließlich verhindert werden, dass dem willensschwachen Christian erneut unmoralische Angebote in Form von kostenlosen Ferienaufenthalten oder Nullouvert-Krediten gemacht werden.

Doch die meisten Menschen werden verständlicherweise wenig Sinn für Ironie oder Sarkasmus haben, wenn sie vom warmen Geldregen für Wulff hören. Dass da jemand quasi noch eine Prämie fürs Scheitern erhält und damit bis ans Lebensende ausgesorgt hat, ohne arbeiten zu müssen, kann jeder  Arbeiter, kann jede Arbeitslose oder Alleinerziehende, kann jeder Jugendliche ohne Ausbildungsplatz und jeder Hartz IV-Bezieher nur mit Empörung registrieren.

Doch Wulffs Fall ist keine Ausnahme - es ist die Regel, dass die „Großen“ in Politik und Wirtschaft selbst nach den größten Skandalen und Fehlern eine kräftige Abfindung erhalten und oft genug in der Hierarchie noch eine Stufe höher steigen. Warum? Weil Seinesgleichen sich nicht hängen lässt! Der Fall Wulff zeigt zudem anschaulich, welche Mechanismen es in der kapitalistischen Gesellschaft immer wieder ermöglichen, dass Skandale und Versagen sich durchaus auszahlen. All das erfolgt ja keineswegs illegal, sondern sehr wohl auf dem „Boden des Rechtsstaates“ - vielleicht wäre hier „Bodensatz“ angebrachter. Im Falle von Verfehlungen gibt es eben keine öffentlichen Untersuchungsgremien, sondern der Fall wird unternehmensintern oder durch politisch-parlamentarische Gremien, die natürlich nie unabhängig sind, behandelt. Im Fall Wulff ist es ein dubioses juristisches Urteil, dass ihm die Kasse füllt.

Bezeichnend am Fall Wulff ist vor allem auch, dass die eigentliche Bereicherung eben nicht illegal erfolgt, sondern ganz legal. Die völlig überzogenen Einkommen von Prominenten, PolitikerInnen oder Wirtschaftsbossen sind allesamt rechtlich kaum anfechtbar. Allein die Tatsache, dass Abgeordnete ihre Diäten selbst festlegen können, ist ein Witz. Welche Verkäuferin könnte das?! Und würde eine Verkäuferin, nachdem sie einen Kasten Wasser hat fallen lassen oder gar - Skandal, Skandal!! - einen fremden Pfandbon von 40 Cent eingelöst hat, nach der Entlassung eine lebenslange Bonuszahlung erhalten?! Die ganz legale Selbstbedienung und Selbstbereicherung der Oberschicht aber ist im Kapitalismus normal.

Der bessere Bundespräsident?

Neben all dem Palaver über Wulff und das Kandidaten-Prozedere ist die Frage, welche Politik von Wulff gemacht wurde oder von seinem Nachfolger Gauck gemacht werden wird, fast verschwunden.

Wulff war nicht gerade ein besonders konservativer oder neoliberaler Einpeitscher. Da war z.B. Roman Herzog („Durch Deutschland muss ein Ruck gehen!“) aus anderem Holz geschnitzt. Auch in der Sarrazin-Debatte sprach sich Wulff eher für Toleranz aus als für die deutsche Leitkultur oder gar für die pseudo-wissenschaftliche rassistische Scharfmacherei Sarrazins. Ohne all das überzubewerten - Wulff spielte ja lediglich seinen Part als „überparteiliche moralische Instanz“ -  sieht die Sache bei seinem Nachfolger Gauck offenbar anders aus.

Gauck hat sich in den letzten Monaten wiederholt klar reaktionär positioniert. Er verunglimpfte die Montagsdemos und die Occupy-Bewegung, er hat sich mehrfach zumindest sehr fragwürdig über den „Sozialstaat“ geäußert und es ist nicht bekannt, dass er in irgendeiner Frage etwas Progressives vertreten würde. Ohne Gauck vorverurteilen zu wollen - kann ja sein, dass er als Bundespräsident  Kreide frisst - deutet sich jedoch an, dass er politisch nicht besser ist als Wulff.

Das spricht allerdings Bände über jene Parteien, die Gauck nun schon zum zweiten Mal als Kandidaten vorschlagen: SPD und Grüne. Es wäre ja auch denkbar gewesen, dass sie einen Kandidaten benennen, der wenigstens in einigen Fragen progressiver auftritt, etwa für Mindestlohn, gegen Atomkraft oder gar gegen die milliardenschwere Rettung des Finanzkapitals auf Kosten der Massen.

So ist es kein Zufall, dass sich die Union und die FDP letztlich auch für Gauck aussprechen konnten - und nicht nur, weil sie keine anderen Kandidaten gefunden haben. Allerdings verweist letzterer Umstand darauf, wie zerstritten die Koalition in sich ist und dass sie es sich nicht leisten konnte oder wollte, sich auch noch über den Bundespräsidenten-Kandidaten zu zoffen.

Eine Alternative?

Immerhin hat wenigstens die Linkspartei eine andere Position. Zum einen kritisiert sie deutlich die unangemessenen Versorgungsleistungen für Wulff und generell für dieses Amt. Sie lehnt, wie schon bei der letzten Bundespräsidentenwahl, Gauck als Kandidaten ab. Dabei ist der Vorwurf an sie, sie würde Gauck nur wegen seiner Stasi-Phobie ablehnen, reine Demagogie. Die LINKE hat immer deutlich gemacht, dass sie Gauck auch und vor allem deshalb ablehnt, weil er politisch konservative, teils offen reaktionäre Positionen vertritt.

Nun stellt die LINKE eine eigene Kandidatin auf: Beate Klarsfeld, die sich als engagierte Antifaschistin und Jägerin untergetauchter Nazi-Verbrecher wie des SS-Mörders Klaus Barbie einen Namen gemacht hat. Klarsfeld kann - im Unterschied zu Wulff oder anderen Kandidaten - tatsächlich auf so etwas wie politische Verdienste für eine fortschrittliche Sache verweisen.

Der „Wahlkampf“ der Linkspartei verdeutlicht aber, wie weit entfernt die LINKE davon ist, eine anti-kapitalistische, systemverändernde Kraft zu sein.

Eigentlich ist von einem „Wahlkampf“ ja auch nur bedingt zu sprechen. Schließlich wird der Bundespräsident nicht vom Volk gewählt, sondern von einem extra dafür erfundenen Gremium: der Bundesversammlung. Sie wird von den Parteien proportional nach eigenem Gusto personell beschickt und ist eine Ansammlung von Prominenten, die mit einer Repräsentanz der Bevölkerung so viel zu tun haben wie ein Kamel mit dem Nordpol.

Einmal gewählt, untersteht der Bundespräsident noch weniger einer politischen Kontrolle als eine bürgerliche Regierung. Er ist u.a. dazu da, den Anschein von Partei- und damit Klassenunabhängigkeit zu verkörpern; er repräsentiert die „Würde“, die „Moral“ bürgerlicher Politik. Mit einem Wort: Dieses Amt dient in besonderem Maß der Verschleierung der realen  Funktion und Klasseninteressen bürgerlicher Politik.

Das ändert sich natürlich auch nicht dadurch, dass Müller statt Meier Bundespräsident wird. Doch auch die LINKE betont immer wieder, dass der Bundespräsident „über den Parteien“ stehen und  neutral sein solle. Damit fördert sie noch die Illusionen in dieses Amt und spielt den bürgerlichen Nebelwerfern in die Hände.

Die Alternative zu Gauck ist nicht eine „bessere“ Präsidentin, sondern die Entlarvung und der politische Kampf gegen dieses Amt, das letztlich eine bonapartistische Hintertür der bürgerlichen Demokratie ist, falls die Zeiten härter werden und die Demokratie erodiert. Die LINKE müsste also die Abschaffung des Bundespräsidentenamtes und der Bundesversammlung fordern! Das tut sie jedoch nicht, was auf spezifische Weise zeigt, welch großen Illusionen sie in „den Staat“ und „die Demokratie“ hat. Sie erweist sich damit blind gegenüber der Tatsache, dass das Amt des Bundespräsidenten eine Beschneidung selbst der bürgerlichen Demokratie darstellt.

Inzwischen ist Wulff mit einem Zapfenstreich offiziell verabschiedet worden. Die gesamte Riege  der Minister inklusive Kanzlerin war sich nicht zu schade, ihrem ungeliebten Christian noch die  letzte Referenz zu erweisen. Wir wissen nicht, welche Musik diesmal vom hohen Blech intoniert wurde, aber der schöne Gassen

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hauer „Der Mann mit dem Koks ist da“ wäre doch ganz passend gewesen, oder?

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