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Die FIDESZ Regierung in Ungarn

Staatsstreich per zwei Drittel-Mehrheit

Tobi Hansen, Infomail 599, 11. Januar 2012

Wenn sich linke Schreibende in den letzten Jahren mit Ungarn beschäftigt haben, dann wurde meist über die rassistische „Jobbik“-Bewegung mit ihrer faschistischen „Maygar-Garde“ und die zahlreichen Wahlerfolge dieser Partei in den letzten Jahren berichtet. Diese faschistische Bewegung ist weiterhin verantwortlich für Hetze, Ausschreitungen und Pogrome gegen die Minderheit der Roma und Sinti.

Weniger im Fokus war die FIDESZ, die Partei, welche seit 2010 über eine Zweidrittel-Mehrheit im ungarischen Parlament verfügt und zur EVP (Europäische Volkspartei) gehört. Ihr Vorsitzender Orban ist zum zweiten Mal Ministerpräsident des Staates. Von 1998-2002 brauchte die FIDESZ noch kleinere bürgerliche Parteien als Koalitionspartner, seit 2010 kann sie ihr Programm allein durchdrücken. 2011 übernahm die ungarische Regierung die EU-Ratspräsidentschaft und verabschiedete gleichzeitig ein repressives Mediengesetz, welches für ein europaweites Echo sorgte.

Aktuell ist Ungarn im Fokus der EU-Schuldenkrise, es müssen Kredite von IWF und EU abgelöst werden. Die Ratingagenturen haben Ungarn als BB+, als „Ramsch“, eingeordnet und kritisieren die „unorthodoxe“ Politik der FIDESZ-Regierung. Diese hat die Notenbank mit der Finanzaufsichtsbehörde zusammen gelegt - praktisch eine direkte Kontrolle der Notenbank durch die Regierung.

In den imperialistischen Kernländern ist es normal, dass die Notenbank die Politik der Regierung umsetzt, siehe auch die massiven „Quantitive easing“-Schuldenverschiebungen zwischen amerikanischer FED und US-Regierung oder die Rettungsschirme/Fonds, die von der EZB aufgelegt werden. In den kapitalistischen Halbkolonien in der EU dient die Notenbank aber vor allem als Institution der Interessen der EU und des vorherrschenden deutschen Imperialismus – deswegen kritisieren jetzt EU und IWF die nationalkonservative FIDESZ.

Dies ist das aktuelle „Problem“ der EU mit Ungarn, als demokratische Forderung werden jetzt noch die Mediengesetze aufs Tableau gebracht, diese sind jedoch schon älter als ein Jahr!

Demokratie, Pressefreiheit und Parlamentarismus

Das Vorgehen der ungarischen Regierung zeigt sehr anschaulich, was bürgerliche Demokratie und Parlamentarismus eigentlich sind. Die Illusion in eine neutrale, partizipative Demokratie zerbricht dann, wenn die herrschende Klasse in der Krise ist – dann wird mit dieser Illusion an die Demokratie aufgeräumt. Unter dem Vorwand der Einsparungen im Öffentlichen Dienst führt die FIDESZ einen Kampf gegen die öffentlichen Medien. Durch Kontrollorgane wie die  Nationale Medienaufsichtsbehörde NMHH kann die Regierung auch direkt in die privaten Medien eingreifen. Im Dezember wurde dem letzten landesweiten oppositionellen Radiosender, dem „Klubradio“ die Lizenz entzogen, die ungarische Regierung begründet diese Gesetze mit dem „Übergang vom Kommunismus zur Demokratie“.

In den öffentlichen Medien gab es eine Entlassungswelle, kritische Redaktionen und auch „ausgewogene Journalisten“ wurden massenhaft entlassen, die noch Beschäftigten haben neue Vorschriften, die helfen sollen, die „nationale Identität“ zu stärken.

Gleichzeitig ist die Regierung im Begriff, die Legislative und die Judikative zu transformieren, dadurch wird die Exekutive gestärkt. Im neuen Wahlrecht gibt es eine weitere Stärkung des Mehrheitswahlrechts gegenüber der Verhältniswahl, gleichzeitig werden die Stimmkreise im Interesse der FIDESZ neu geordnet. Dem Verfassungsgericht werden weit reichende Kompetenzen gestrichen und deren Zusammensetzung für die nächsten 9 Jahre schon mal bestimmt.

Neu ist ein „Haushaltsrat“, welcher eigentlich über dem Parlament und der Regierung steht, den Haushalt ablehnen und Neuwahlen ausrufen kann. Schließlich findet der Übergang zur ungarischen „Demokratie“ dann seinen Höhepunkt, wenn kommunistische Organisationen prinzipiell als kriminelle Organisationen eingeordnet werden – das bedeutet in Ungarn heute Demokratie.

Diese „demokratische“ Gleichschaltung der Gesetze, Institutionen und Medien wird von einer Schwesterpartei der CDU und der britischen Konservativen voran getrieben, dort hatte dies bislang eben so wenig Widerspruch erzeugt, wie in EU-Kommission und im europäischen Parlament.

Sozialkürzungen

Auch im Bereich der Sozialkürzungen zeigte sich die FIDESZ besonders repressiv. Künftig werden Arbeitslose landesweit zur Zwangsarbeit geschickt, als Unterkunft steht dann ein Arbeitslager zur Verfügung. Die FIDESZ zeigt damit nur, wozu eine bürgerliche Partei in der Lage ist, wenn es darum geht, die bürgerliche Herrschaft zu verteidigen.

Zum einen will das ungarische Kapital politische Kontrolle über die Notenbank haben, zum anderen will diese Fraktion der herrschenden Klasse in Ungarn ihre Macht nachhaltig absichern. Mit der Zweidrittel-Mehrheit kann die FIDESZ die Verfassung des Staates ändern. Formal parlamentarisch ist alles korrekt, dies zeigt auch den „Zwillingscharakter“ der bürgerlichen Demokratie – die Möglichkeiten einer autoritären nationalen Regierung werden im Schein der Demokratie vorbereitet. Bis zu seinem Rücktritt war auch das Regime Berlusconi ein Musterbeispiel einer „post-demokratischen“ Entwicklung, Gleichschaltung der Medien und der Justiz fand im großen Rahmen statt und Profite und Posten wurden im gleichen Lager verteilt.

In Griechenland und Italien wurden die Regierungen durch die EU-Bürokratie entfernt und durch Technokratenregime ersetzt. Dort vollzogen sich die Interessen des deutschen Imperialismus in einer direkten Ausschaltung zweier nationaler Parlamente. Auch da zeigte sich, wie hohl die Demokratie ist. Die Situation in Ungarn zeigt auch, welche  Politik die herrschende Klasse weltweit in der Krise braucht. Es geht um Sozialabbau und Kürzungen im öffentlichen Dienst, um weitere Privatisierung, um weitere Angriffe auf Beschäftigte und Arme und darum, jegliche Opposition dagegen bekämpfen zu können.

Es findet auch institutionell ein Ausbau der exekutiven Strukturen statt: von „Spar-Sheriffs“ in US-Kommunen, welche ganze Sektoren zur Privatisierung ausschreiben können, bis zu eingesetzten Experten-Regierungschefs a la Monti in Italien.

Letztlich geht es bei diesen Entwicklungen um eine zentrale Frage: Wer zahlt für diese Krise und welches Kapital kann seine Profitrate halten oder gar auf Kosten von Arbeiterklasse und Konkurrenz ausbauen – dafür sind alle „demokratischen“ Mittel recht, bis zum möglichen Übergang in eine faschistische Diktatur.

In Ungarn würde für diesen Übergang auch schon eine Kraft bereit stehen: Jobbik. Zwar kann sie nicht als Satelliten-Partei der Fidesz angesehen werden, aber sie stünde für jede nationale Regierung zur Verfügung und hätte auch eine faschistische Miliz in der Hinterhand.

Widerstand in Ungarn - was macht die EU-Linke?

Die Oppositionsparteien in Ungarn, die „sozialdemokratische“ MSZP und die liberal-ökologische LMP boykottierten die Abstimmung über das neue Wahlgesetz und demonstrierten stattdessen vor dem Parlament. Dies ist auch das Einzige, was diese Parteien sich auf die Fahne schreiben können.

Zu den Sparmaßnahmen und der Schuldenkrise haben sie keine Alternative, allein bei der Beschränkung ihrer Wahlmöglichkeiten werden sie aktiv. Die MSZP war in der Regierung, als Jobbik zur Massenbewegung wurde und Pogrome gegen Roma und Sinti stattfanden und die „Maygar-Garde“ mehrere tausend Mitglieder umfasste. Doch der neoliberalen MSZP fiel nicht mehr als ein Verbot der Organisation ein, dann kamen die Wahlerfolge der Jobbik. Die MSZP verkörpert die Führungskrise der ungarischen Arbeiterklasse – unfähig, sich gegen nationale und faschistische Massenbewegungen in Stellung zu bringen, ihre Schwäche ermöglichte deren Aufstieg.

Doch die tausenden DemonstrantInnen vom Dezember haben sich eine neue Chance erspielt für einen Kampf für mehr Demokratie. Denn wenn auch die Krise die Hohlheit der kapitalistischen Demokratie verdeutlichte, so zeigen die demokratischen Massenbewegungen Nordafrikas, des Nahen Ostens oder die Occupy-Bewegung, die große revolutionäre Sprengkraft, die ein Kampf um demokratische Rechte entwickeln kann.

Die Frage ist jetzt, wie der Kampf gegen das Orban-Regime im Land verbreitert wird - geographisch und politisch. Dazu gehört der Kampf gegen die Sozialkürzungen und die Massenentlassungen ebenso wie der Kampf gegen die staatsrechtlichen Reformen und Wahlgesetz und die rassistischen Angriffe und Pogrome gegen Roma und Sinti. Dies nur als „demokratischen“ Kampf führen zu wollen, verwischt die realen Kampfbedingungen – wir brauchen gewerkschaftliche und betriebliche Strukturen gegen die sozialen Angriffe, um einen breiten Abwehrkampf zu organisieren. Dabei kann die Basis Druck auf die Oppositionsparteien entfachen, ohne Not würden sich sonst Liberale ja auch nicht an ein Parlamentsgitter ketten wie neulich in Budapest – auch die Oppositionsparteien sehen jetzt die Möglichkeit, gegenüber der Allmacht von FIDESZ Protest zu organisieren, dies kann eine Wiederbelebung der ungarischen Linken und der Arbeiterbewegung bedeuten.

Die Angriffe in Ungarn, Griechenland, Italien, Großbritannien, Portugal und Spanien zeigen die Notwendigkeit einer koordinierten europäischen antikapitalistischen Linken, die den Kampf internationalisiert und ein gemeinsames Programm gegen die Krise aufstellt. Dazu gehören die Kämpfe um die demokratischen Grundrechte ebenso wie der Kampf gegen Sozialangriffe, Kürzungen und Entlassungen!

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