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Filmkritik

Eine wahrhaft dunkle Begierde

Gerald Waidhofer, Infomail 594, 15. Dezember 2011

Mit seinem aktuell in den Kinos laufenden Film „Eine dunkle Begierde“ präsentiert David Cronenberg weder eine weitere Paraphrase auf basic instinct, noch eine simple Liebesgeschichte aus dem Zusammenhang der entstehenden Psychoanalyse. Er weist auf die tragischen Verflechtungen zwischen therapeutischer Auseinandersetzungen, wissenschaftlicher Kontroversen und zwischenmenschlichen Beziehungen hin und versucht dabei offenbar, die Handlungsabläufe und inneren Konflikte der Hauptfiguren anhand ihrer Begabungen und Schwächen nachvollziehbar zu machen. Cronenberg sieht sich in einer existenzialistischen Tradition, in welcher der von Angst getriebene Mensch individuell den Entwurf seiner Existenz erschaffen und selbstverantwortlich die Regeln seines Lebens erfinden muss.

So zeigt er Carl Gustav Jung als etwas versnobten Pionier der Psychotherapie mit prophetischer Gabe im ständigen Konflikt zwischen seiner Begierde und der Konvention, Sigmund Freud als inspirierende, aber auch einschränkende Vaterfigur und Sabina Spielrein als Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit der beiden Männer und letztliche Auslöserin ihrer Trennung.

Trotz anfänglicher Zusammenarbeit entwickeln Freud und Jung letztlich unüberbrückbare Gegensätze. Während Freud die zentrale Rolle der Sexualität in der menschlichen Entwicklung von Beginn an betont, interpretiert Jung diese Entwicklung vorzugsweise als mehr von geistigen und religiösen Qualitäten bestimmt. Der Freud’schen Erforschung der Entwicklung verschiedener Symptome setzt Jung eine Konzentration auf die Weiterentwicklung entgegen. Das von Freud erforschte persönliche Unbewusste fasst Jung in umfassenderer Weise als kollektives Unbewusstes, womit er die Volkszugehörigkeit als schicksalhaft versteht.

Trotz der durchaus kritischen Darstellung Jungs als rücksichtlosen Liebhaber Spielreins, bemüht sich der Film insgesamt auch um Verständnis dieses tragischen Helden, der durch diese Affäre zu reifen scheint und dadurch zum weltberühmten Psychologen wird. Das Thema seiner Rolle als germanisches Feigenblatt für die anfänglich überwiegend jüdische Anhängerschaft der Psychoanalyse gegenüber dem Antisemitismus erscheint hierbei etwas aufgesetzt, um die Geschichte etwas komplexer und skandalträchtiger werden zu lassen.

Alle Hauptfiguren erleiden beträchtliche Verluste, erreichen aber auch Fortschritte. Freud behält Recht, wenn er die Rolle der Sexualität betont, deren theoretische Bedeutung Jung verringern möchte und dabei selbst in grenzüberschreitender Weise auslebt. Jung behält Recht, weil die Jüdin Spielrein letztlich zur jüdischen Vaterfigur Freud findet. Und Spielrein behält Recht, weil ihre Anregungen Jung und Freud wesentliche Impulse für ihre Psychologien vermitteln.

Die Moral von dieser Geschichte könnte lauten: wer den Mut hat, mit Konventionen zu brechen, muss die daraus resultierenden Verletzungen an sich und anderen ertragen können. Es mag als Verdienst des Filmes gelten, auf die psychologiegeschichtlich lange Zeit unterschätzte Rolle Spielreins hingewiesen zu haben, aber keineswegs unbedeutend ist, was dieser Film ausblendet.

Vergessenes Nachspiel

Jung und Spielrein bleiben noch längere Zeit im Kontakt miteinander, trotz zunehmender Entfremdung. Als sie sich beispielsweise betroffen an ihn wendet, nachdem Karl Liebknecht, der Schwager ihres Bruders, mit Rosa Luxemburg ermordet wurde, antwortet ihr dieser, dass Liebknecht wie Lenin und Freud doch nur ein ‚Verbreiter der rationalistischen Finsternis’ sei.

Spielrein übersiedelt 1923 in die Sowjetunion und arbeitet dort am Staatlichen Psychoanalytischen Institut. Sie gilt als am besten ausgebildete Psychoanalytikerin in der Sowjetunion, bildet andere an einem auch von Freud anerkannten Ausbildungsinstitut aus und übernimmt eine leitende Funktion in einer psychoanalytischen Poliklinik und eines speziellen Kinderambulatoriums. Im Zuge der Stalinisierung werden aber die psychoanalytischen Einrichtungen geschlossen, die entsprechenden Publikationen eingestellt, die Russische Psychoanalytische Vereinigung aufgelöst und schließlich die Psychoanalyse verboten. Spielrein arbeitet zunächst an einem prophylaktischen Schulambulatorium und einer psychiatrischen Poliklinik in Südrussland weiter - wobei sie die Arbeitsweise und ihre öffentlichen Erklärungen dazu stark modifizieren muss - und schließlich nur noch stark eingeschränkt als Ärztin an einer Schule.

Ihr Bruder Isaak, der als ‚Vater der Psychotechnik’ gilt, die über 140 staatliche Zentren umfasst und eine eigene Zeitschrift herausgibt, muss erst die zunehmende Einschränkung seiner Bewegung hinnehmen, wird als Trotzkist denunziert, in ein Arbeitslager geschickt und schließlich hingerichtet. Zwei weitere Brüder mit unterschiedlichen Professuren fallen ebenso in Ungnade und werden erschossen. Nachdem sie als Jüdin im Zweiten Weltkrieg hinter die deutsche Front gerät, wird sie mit ihren Kindern 1942 von einem SS-Sonderkommando ermordet.

Jungs Laufbahn findet zunächst ab 1933 einen wesentlichen Höhepunkt. Nachdem im Zuge der allgemeinen nationalsozialistischen Gleichschaltung der Präsident der Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie abhanden kam, wurde als Ersatz eine Konstruktion entwickelt, wonach Jung als Präsident einer Internationalen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie fungiert und Hermann Görings Vetter Mathias Heinrich Göring als Präsident deren deutscher Abteilung. Die Zeitschrift dieser Gesellschaft publizierte dann unter Jung als Chefredakteur eine Erklärung dieses Göring-Vetters, dass alle Mitglieder der Gesellschaft Adolf Hitlers ‚Mein Kampf’ wissenschaftlich durchgearbeitet und als Grundlage akzeptiert haben müssen.

In der Folge verkündet Jung dann die Vordringlichkeit der Unterscheidung zwischen jüdischer und ‚germanischer Psychologie’, dass das ‚arische Unbewusste’ ein höheres Potential als das jüdische habe und es falsch wäre, ‚jüdische Kategorien’ auf den christlichen Germanen anzuwenden. Überhaupt sei das ‚jüdische Problem’ eine ‚schwärende Wunde’. Zu ihrer Entfaltung bräuchten die jüdischen Nomaden stets ein zivilisiertes Wirtsvolk. Juden würden als Schwächere auf die Schwachstellen des Stärkeren abzielen und seien im Unterschied zum anständigen Deutschen überintellektuell. Hitler charakterisiert er als ‚wahrhaft mystischen Medizinmann’, ‚spirituelles Gefäß’ oder ‚Halbgott’ und selbst bei Mussolini lobt er dessen guten Geschmack.

Nach der Niederlage des Faschismus beeilt sich Jung allerdings, Hitler als ‚psychotische Vogelscheuche’ voller ‚kindischer Fantasien’ zu charakterisieren, die unfähig und verantwortungslos agierte. Aber bis 1950 wird in den Jungianischen Psychologischen Clubs Zürich eine ‚Judenquote’ beachtet, wonach nur eine begrenzte Anzahl von Juden als Mitglieder oder Gäste akzeptiert werden.

Diese Episode ist keineswegs eine vorübergehende Verirrung, sondern resultiert folgerichtig aus Jungs Weltanschauung und Menschenbild. Sein rassistisch angelegtes Grundverständnis des menschlichen Seelenlebens zeigt sich auch, wenn er meint, dass die Holländer durch ihren Kontakt mit ‚wilden Rassen’ in Südafrika an Niveau verloren hätten oder die ‚weiße Rasse’ in Amerika durch ihr Zusammenleben mit ‚barbarischen Rassen’ ihr Niveau senkt.

Jung präsentierte sich gern in der Rolle eines Sehers und Heilers. Tatsächlich fungierte er aber unter dazu geeigneten Bedingungen nicht als bemühter Feuerwehrmann bedrängter Menschen, sondern als engagierter Brandstifter.

In Cronenbergs existenzialistischer Dramaturgie bleibt hierfür offenbar kein Platz. Dafür wäre es nötig gewesen, über den Rand der Beziehung hinauszusehen, die gesellschaftlichen Entwicklungen und politischen Auseinandersetzungen zu verstehen und sich damit den Tragödien in ihrer tatsächlichen Dimension zu öffnen, anstatt sich mit einer kosmetischen Kritik Jungs zu begnügen.

Wenn Cronenberg mit dem Film Jung vorwirft, seine Begierde im Dunkeln zu lassen, dann darf er sich selbst fragen, welche Begierde oder Angst ihn selbst bewogen hat, das auch sonst gern unerwähnt gelassene Nachspiel im Dunkeln zu lassen.

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