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Ägypten

Massen gegen Militärjunta

Dave Stockton, Infomail 591, 24. November 2011

Die ägyptische Revolution hat sich zurück gemeldet und kämpft weiter gegen denselben Feind: die Militärdiktatur. Diese verschwand nicht mit Mubarak, sondern hat nur ein neues Haupt bekommen. Auch Zweiflern ist klar geworden, dass eine Revolution selbst die Macht erobern muss, damit die militärische Elite nicht weiter die Bevölkerung unterdrücken kann.

Kämpfe am Tahrir-Platz

Am Wochenende des 19./20. November wurden mehrere hundert DemonstrantInnen von Polizeischlägertrupps brutal attackiert, als sie versucht hatten, auf dem Tahrir-Platz in Kairo ein Lager zu errichten.

Nach dem Freitagsgebet zogen Widerständler zu Tausenden zum Tahrir-Platz und eroberten ihn von der Polizei zurück. Die Sicherheitskräfte gingen daraufhin zur Gegenoffensive über und vertrieben die DemonstrantInnen vom Platz, der sich aber nicht lange danach erneut mit  noch mehr Protestierenden füllte.

Mindestens 15 Menschen wurden dabei getötet, hunderte wurden verletzt. Die Polizei ging mit Reizgas, Gummigeschossen, Schrot- und scharfer Munition vor, die DemonstrantInnen antworteten mit Steinen und Molotow-Cocktails. Viele Jugendliche mussten mit Kopfwunden und schweren Augenverletzungen ins Krankenhaus.

Ähnliche Vorfälle gab es in Suez, Alexandria, den Industriezentren Mansoura und Mahalla al Kubra im Nildelta, aber auch im Süden des Landes. Ägyptische Zeitungen sprechen schon von einer zweiten Revolution. Einer der Widerständler wurde von der französischen Nachrichtenagentur mit der Äußerung „Wir haben eine einzige Forderung: Der Militärchef Hussein Tantawi muss zurücktreten und durch einen zivilen Rat ersetzt werden.“ zitiert.

Der angebliche Reform-Premierminister Essam Scharaf und sein Zivilkabinett haben in den vergangenen Monaten gezeigt, dass sie bloße Marionetten in der Hand der Militärjunta sind.

Die Unterdrückungsaktionen des Militärs während der letzten Wochen und ihre offenen Versuche, ihre Macht auch verfassungsmäßig festzuschreiben, haben die Massen der Februarrevolution wieder zusammengeführt. Die Jugend auf den Straßen besteht aus jungen Islamisten, Liberalen und sozialistischen Linken. In der Nacht zum 21. November verstärkten paramilitärische Einsatzkräfte, unterstützt durch die Armee, noch ihre Bemühungen, den Tahrir-Platz von der Bewegung zu säubern.

Verfassungsentwürfe des Militärs

Anfang November hatte die Regierung Entwürfe für eine neue Verfassung vorgestellt, die die Kontrolle des Militärs sichern würde - unabhängig von Wahlen. Ihr Haushalt wäre jeder zivilen Kontrolle entzogen.

Das fachte die Proteste aufs Neue an, nicht nur von Seiten der Arbeiterbewegung und der Linken, sondern auch der Moslembruderschaft, die von der plötzlichen Aussicht auf eine voll zuschlagende Konterrevolution aufgeschreckt wurde, denn das hätte sie ihres Einflusses und ihrer Machtaussichten bei den Wahlen beraubt.

Die Reaktion darauf kam v.a. von der islamistischen Jugendbewegung, die zahlreich aus der Moslembruderschaft in der Vorwahlperiode ausgeschlossen worden war, da sie mehr junge Kandidaten auf der Liste verlangten. Die Radikalisierung der islamistischen Jugend um demokratische Losungen ist ein bedeutsamer Prozess, den die Linke zu ihrem Vorteil nutzen muss - nicht durch Anpassung an deren reaktionäre religiös-politische Ideen, sondern durch ihre Gewinnung für eine Einheitsfront zur Verteidigung von demokratischen Rechten für alle, besonders Frauen und Christen, und für die Interessen der ArbeiterInnen und Bauernschaft.

Wie sehr aber die islamistische Rechte mit den Militärmachthabern im Boot sitzt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sich die Führung der Moslembruderschaft rasch wieder aus den Massenprotesten zurückgezogen hat, weil sie darauf hofft, durch die Wahlen ein wichtiger Bestandteil einer zukünftigen Regierung zu werden.

Millionenfach wird klar, dass die Februarrevolution die Militärdiktatur nicht gestürzt hat, sondern die Generalität nur dazu gebracht hat, ihre Spitze, Mubarak und seinen Familienclan, zu ersetzen. Der Militärrat unter Tantawi sitzt weiter an den Schalthebeln der Macht.

Die begrenzte Ausbreitung von demokratischen Freiheiten in Ägypten ist nur durch wiederholte Massenmobilisierungen und Arbeiterstreiks, denen von Seiten der Regierung unmissverständlich entgegen getreten wurde, lebendig gewesen. Aber auch diese Freiheit musste teuer erkauft werden. Mehr als 12.000 ZivilistInnen wurden seit dem Sturz Munaraks vor Militärgerichte gestellt - das sind mehr Prozesse als in Mubaraks 30jähriger Amtszeit. Viele sind noch in Gefangenenlagern inhaftiert. Der Ruf nach Beendigung der Prozesse und nach Freilassung der Gefangenen ist seit vielen Monaten Gegenstand einer Kampagne.

Eine schlimme Entwicklung ist das Hochkochen von tätlichen Übergriffen auf die koptischen Gemeinschaften. Es gibt Grund zu der Annahme, dass das Militär diesen Hass schürt, nicht nur die fanatischen Salafisten.

Am 9. Oktober fanden Massendemonstrationen gegen die Brandstiftung einer Kirche in Oberägypten statt. Dabei fuhren Sicherheitskräfte mit bewaffneten Mannschaftstransportern mehrere Menschen über den Haufen und töteten sie. Sie setzten auch scharfe Munition ein. 25 Demonstranten starben, 300 wurden verletzt. Das staatliche Fernsehen organisierte ein Pogrom mit der Behauptung, die Armee sei von Kopten angegriffen worden. Aus einem nahen Bezirk kamen Banden, bewaffnet mit Stöcken und Messern und schlugen auf Protestierende ein und töteten sogar welche.

Die Parlamentswahlen mit einem hochkomplizierten Wahlverfahren sollen am 28. November beginnen. Eine große Zahl von Parteien stellt sich zur Wahl. Die Wahlprozedur zieht sich bis zum Januar hin. Bis dahin will das Militär seine Macht konsolidieren. Ganz im Dunkel bleibt weiter das Datum des versprochenen Rücktritts des Militärrats.

Zugleich hat eine erstaunlich gut finanzierte politische Bewegung Tantawi gebeten, für die Präsidentschaftswahlen zu kandidieren, die ursprünglich erst 2013, nun eventuell im Juni 2012 stattfinden sollen.

Der koordinierte und brutale Versuch der Militärs, die demokratisch-revolutionäre Bewegung zu ersticken und zu einer ‚geführten Demokratie’ unter der Knute des Feldmarschalls Tantawi zurück zu kehren, könnte jedoch auch nach hinten losgehen, wenn die Massen auf die Straßen gehen. Unter diesen Umständen müssen die Linken und die Arbeiterbewegung die abertausenden mutigen Jugendlichen für eine Massenbewegung der Millionen zum Sturz Tantawis und des Militärrats in Marsch setzen.

Die Arbeiterklasse muss handeln

Die Arbeiterklasse muss einen umfassenden Generalstreik durchführen. Die Ägyptische Föderation Unabhängiger Gewerkschaften hat ihre 1,4 Millionen Mitglieder aufgerufen, sich den Protesten auf dem Tahrir-Platz anzuschließen. Aber viele ArbeiterInnen sind noch in den offiziellen Gewerkschaften oder unorganisiert. Deshalb müssen sie und die demokratischen AktivistInnen  jeden Betrieb aufsuchen, die Belegschaft zu Massenversammlungen, zur Abstimmung für Streik, zu Märschen und zur Wahl von Fabrikausschüssen auffordern.

Genau das fürchten natürlich die Generäle. Ein Mitglied des Militärrats, General Mochsen-el-Fangari sagte in einem Interview des viel gesehenen Hayat-Fernsehsenders auf die Frage „Was ist das Entscheidende am Streik, am Marsch der Millionen ?“: „Das Ziel ist, das Rückgrat des Staates zu treffen, und das sind die Streitkräfte.“

Ja, genau diese tragende Säule der Diktatur muss zerschmettert werde, bevor sie der Revolution das Rückgrat brechen kann. Dies kann nur durch die Gewinnung der einfahchen Soldaten der Armee geschehen. An der Seite der ArbeiterInnen und Bauern müssen sie ein neues Ägypten demokratisch mitgestalten und bei der Ausbreitung der Revolution in die verbliebenen Diktaturen helfen.

Die zweite Revolution muss für eine durchgängig demokratische Säuberung sorgen. Nicht nur Tantawi und seine Generäle müssen verschwinden, auch die Wahl der Offiziere durch die Mannschaften, die Wahl von abrufbaren Abgeordneten zu einer souveränen Verfassunggebenden Versammlung, für die drängendsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedürfnisse der Arbeiterschaft muss in Gang gesetzt werden.

Für die Mobilisierung und Aufrecherhaltung eines Generalstreiks, aus dem ein massenhafter Aufstand erwächst, bedarf es des Aufbaus einer Organisationsform, die sich geschichtlich als fähig dazu erwiesen hat: Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte. Es bedarf einer Arbeiter- und Jugendmassenorganisation zur Selbstverteidigung.

All diese Forderungen müssen verbreitet und in einem Aktionsprogramm niedergelegt werden, um das herum eine revolutionäre Partei aus den militanten Kräften der Demokratiebewegung und der Gewerkschaften geformt werden muss.

Die Ereignisse in Kairo zeigen, dass eine demokratische Revolution, wenn sie nicht die Hauptfestung der Diktatur, das Oberkommando des Militärs und den polizeilichen Repressionsapparat schleift, wenn sie nicht die Bevölkerung bewaffnet und nicht auf die Forderungen der ArbeiterInnen, Bauern und Armen eingeht, nicht nur unvollendet bleibt, sondern Gefahr läuft, einer tödlichen Konterrevolution zu erliegen.

Nur wenn die große Masse der einfachen ÄgypterInnen die Revolution als Weg zur Lösung ihrer täglichen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedürfnisse erfährt, wird die Revolution wirklich unaufhaltsam sein. Die Kräfte der revolutionären Vorhut  müssen dies in ein Programm einfließen lassen, um die Revolution permanent zu machen, bis die Macht tatsächlich in die Hände der ArbeiterInnen und Armen übergeht. Nur dann wird diese Revolution sicher sein vor einer militärdiktatorischen Konterrevolution, die ihr Haupt in den letzten Wochen wieder erhoben hat.

International wird es lebenswichtig sein, dass sich Proteste gegen die Unterdrückung der Armee in Solidarität mit den tapferen DemonstrantInnen in Ägypten erheben, deren Kampf im Februar die vielen Besetzungsbewegungen auf der ganzen Welt inspiriert haben. Ein entscheidender Sieg der ägyptischen Revolution würde einer Revolution gegen den globalen Kapitalismus und seinen Drang zur Ausbeutung und Entrechtung der Massen weltweit einen mächtigen Schub verleihen.

Lang lebe die internationale Solidarität!

Sieg der ägyptischen Revolution!

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