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Brasilien

Kampf der Feuerwehrleute in Rio

Rico Rodriguez, Infomail 582, 8. Oktober 2011

In der brasilianischen Provinz Rio de Janeiro protestieren die Beschäftigten der Feuerwehr seit einem halben Jahr gegen schlechte Bezahlung. Sie haben mehrere Demonstrationen und Kundgebungen organisiert und vor einem Monat ein Lager vor dem Provinzparlament in Rio errichtet. Sie wollen die Regierung zwingen, ihnen Gehör zu schenken und möchten die Öffentlichkeit auf ihre Nöte aufmerksam machen.

Worum geht es?

Oft wird gesagt, die ArbeiterInnen sollten doch zufrieden sein, dass sie überhaupt einen Job und gesichertes Einkommen haben. Die so argumentieren, fühlen sich von Streiks und Protestaktionen beunruhigt und sehen dies als unnötige Belästigung an. Aber selbst diejenigen, die nicht um die eigene Existenz fürchten müssen, kommen nicht an der Tatsache vorbei, dass der Protest der Feuerwehrleute gegen ihre Notlage begründet ist. Sie beziehen den niedrigsten Lohn aller brasilianischen Provinzen. Das ist besonders alarmierend, zumal Rio eine der reichsten Provinzen des Landes ist. Ein Feuerwehrmann verdient dort etwa 1000 Real im Monat, das entspricht ungefähr 400 Euro. In Anbetracht der hohen Lebenshaltungskosten ist dies eine lächerliche Summe. Bemerkenswert ist dabei auch das enorme Lohngefälle in den verschiedenen Landesteilen. So werden in Brasilia Gehälter bei bis zu 5000 Real bezahlt. Die Dilma-Regierung hat jedoch vor kurzem ein Gesetz zur Festsetzung von Mindestlöhnen für alle Feuerwehrleute abgelehnt.

Noch empörender allerdings ist die Reaktion der Regierung auf den Protest der Arbeiter. Sie nehmen ihre Forderungen einfach nicht zur Kenntnis und verweigern jegliche Verhandlungen darüber. Der Protest begann am 9. April 2011 und bislang hat sich kein Regierungsvertreter herabgelassen, sich mit ihnen auch nur einmal zu treffen. Der Gouverneur von Rio, Sergio Cabral, der in seiner Wahlkampagne versprach, den öffentlichen Dienst aufzuwerten und zu fördern, hat inzwischen eine 5,8%ige Gehaltserhöhung in Aussicht gestellt, doch bei den niedrigen Einkünften sind solche prozentualen Steigerungen ein Tropfen auf den heißen Stein.

Reaktion der Herrschenden

Die herrschende Klasse hat reagiert, wie sie es immer tut, wenn sich Protest gegen sie erhebt, nämlich mit Repressalien. Im Juni hatten die Beschäftigten der Feuerwehr die Hauptfeuerwehr in Rio besetzt, um ihren Forderungen gegenüber der Regierung mehr Nachdruck zu verleihen. Die Militärpolizei verschaffte sich darauf gewaltsam Zutritt zum Gebäude, setzte Tränengas gegen die Arbeiter ein und nahm 439 Leute fest. Mehrere Personen, darunter selbst Kinder, wurden auf Seiten der Feuerwehr verletzt. Die Festgenommenen wurden in die Nachbarstadt Niterol gebracht, ihnen wurde Nahrung, Trinkwasser und medizinische Versorgung 24 Stunden lang verweigert. Der Gouverneur nannte die ArbeiterInnen Wandalen und bezichtigte sie der Verletzung der öffentlichen Ordnung und der Beschädigung von öffentlichen Gebäuden. Ihnen wurde sogar eine Gefängnisstrafe von 10 Jahren angedroht!

An den darauf folgenden Tagen kam aber eine massive Solidaritätskampagne für die ArbeiterInnen in Gang, als sich in der Stadt Abertausende an Demonstrationen gegen die Unterdrückung und zur Unterstützung der Feuerwehrleute beteiligten. Die Regierung musste darauf hin ihre Anklagen gegen sie fallen lassen und sie wenige Tage später frei lassen.

Das war bei weitem die stärkste Auseinandersetzung gegen den staatlichen Repressionsapparat. Dennoch sind die Feuerwehrleute seither weiter von Unterdrückung und Einschüchterung bedroht. Am 13. September wurden bspw. zwei Führer des Kampfes, Benvenuto Diacolo und Capitao Marquesine verhaftet und zwei Tage lang eingesperrt, als sie einen Protest vor dem Regierungspalast anführten. Sie wurden in grotesker Weise des ‚Ungehorsams’ beschuldigt.

Dies rührt daher, dass in Brasilien offiziell die Feuerwehrleute als Abteilung des Militärs gelten. Sie werden von dem her nicht als ZivilistInnen behandelt, sondern fallen unter Militärrecht. Das bedeutet auch, dass ihnen einige verfassungsmäßige Rechte vorenthalten werden, darunter das Streik- und Gewerkschaftsrecht. Wenn sie also nicht streiken dürfen, müssen sie ihre Maßnahmen auf Kundgebungen, Demonstrationen u. ä. beschränken. Dies wiederum macht es der Regierung leichter, ihre Forderungen nicht zur Kenntnis zu nehmen. Erst als sie, um sich Gehör zu verschaffen, zu druckvolleren Mitteln griffen, nämlich der Besetzung der Hauptfeuerwehr in Rio, reagierte der Staat, dann aber um so brutaler mit Repression und öffentlicher Verleumdung. Doch andererseits braucht der bürgerliche Staat natürlich die Spezialisten der Feuerwehr und steckt also in einem gewissen Dilemma.

Hier tut sich ein strukturelles Problem des kapitalistischen Systems weltweit auf. Die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse kann nur sie selbst erringen und zwar durch Klassenkampf und nicht einfach durch die besseren Argumente. Obwohl das Argument der Erhöhung von Löhnen und Arbeitsbedingungen schlagend ist, verweigert die herrschende Klasse ihnen dies. Sie muss also gezwungen werden, den Forderungen der Arbeiterklasse nachzugeben.

Außer einem Mindestlohn von 2000 Real verlangen die in der Feuerwehr Tätigen auch die Bezahlung ihrer Fahrtwege zur und von der Arbeit sowie ein Ende des Gratifikationssystems, das willkürlich von den Chefetagen z. B. für individuelles Wohlverhalten gehandhabt wird. Darin ist auch der allgemeine Kampf gegen Korruption in Brasilien eingeschlossen, die von vielen als eines der Hauptübel des Landes angesehen wird.

Neue Kämpfe

Dieser Kampf ist der erste, den die Feuerwehrleute in Brasilen seit vielen Jahren geführt haben. Sie haben unter diesen Verhältnissen gelebt und sie lange genug erduldet. Ihre Lage verschlimmert sich durch die sprunghaft gestiegenen Lebenshaltungskosten in Rio, zusätzlich hochgetrieben durch die Kommerzialisierung der kommenden Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016. Die Beschäftigten der Feuerwehr verfügen über keine politische Vertretung und dürfen keine Gewerkschaft gründen. Deshalb haben sie  eine Vereinigung namens SOS Bombeiros ins Leben gerufen, die wie eine Gewerkschaft operiert, aber offiziell nicht als solche geführt wird.

Ihr politisches Bewusstsein hat sich nach diesen Erfahrungen deutlich gehoben. Ein Arbeiter äußerte etwa, der Mangel an Verbindungen der verschiedenen Protestbewegungen sei eines der politischen Hauptprobleme in Brasilien. So laufen die Kampagne zur Hebung des allgemeinen Bildungswesens und die Kampagne gegen die Privatisierung des Gesundheitssystems organisatorisch völlig unkoordiniert nebeneinander.

Das ist natürlich auch ein wohl bekanntes Problem in Europa und anderswo. Auch die Aufspaltung der gewerkschaftlichen Organisierung in CUT, Conlutas, Intersindical schwächt die Arbeiterbewegung, da die Gewerkschaften nicht willens bzw. nicht fähig zu sein scheinen, Kämpfe zu koordinieren. Eine Arbeitereinheitsfront ist dringend notwendig.

Dieser Kampf zeigt aber nicht zuletzt, dass die weit verbreitete Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse mit der brasilianischen Regierungspartei PT (Arbeiterpartei) und deren Unfähigkeit, die elementarsten Forderungen der Bevölkerung zu erfüllen, zu einer Radikalisierung im Klassenbewusstsein und einem zunehmenden Schub hin zu Arbeiterbasisorganisationen führt. Dieser Schub steht in scharfem Gegensatz zur relativen Ruhe während der 8jährigen Amtszeit von Präsident Lula und rückt die Notwendigkeit und Möglichkeit einer revolutionären Alternative links von der PT ins Blickfeld.

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