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Kampf gegen Homophobie

Bericht von der Budapest Pride 2011

Roman Riedl, Infomail 562, 22. Juni 2011

Mehrere tausend Menschen demonstrierten am 18. Juni 2011 in Budapest gegen die Diskriminierung von LGBT (LesbianGayBisexualTransgender = Lesben, Schwule, Bisuxuelle und Transgender) in Ungarn. Entgegen der Ereignisse in Split (Kroatien), Warschau (Polen) oder in Mazedonien, konnte die diesjährige Budapest Pride ohne größere Probleme während der Demo stattfinden.

Provokationen von rechtsextremer Seite blieben dennoch nicht aus, nachdem sich mehrere hundert rechte Gegendemonstranten beim Oktogon, ungefähr bei der Hälfte der Route, versammelt hatten. Letztendlich konnte die Pride nur stattfinden, weil sie permanent in einer abgesperrten Zone marschierte, die von Polizei und Security überwacht wurde.

Dass auf die Polizei jedoch insgesamt kein Verlass sein kann, zeigt nicht nur das vorherige Verbot der Pride, das später wieder aufgehoben wurde. Darüber hinaus kam es auch zur Kriminalisierung von TeilnehmerInnen an der Pride. Ein Bus aus Wien wurde dabei im Anschluss an die Pride mehrere Stunden festgehalten, nachdem die Mitfahrenden auf dem Weg zum Bus von Rechtsextremen attackiert worden waren. Trotz dieser permanenten Eskalationen rund um die Pride, schien es keine klaren politischen Gegenstrategien von den VeranstalterInnen gegeben zu haben.

Kriminalisierung der Pride

In den Wochen vor der Demonstration kam es zu den mittlerweile bekannten Einschüchterungsstrategien der ungarischen Polizei. Die längere Demonstrationsroute (vom Heldenplatz über die Andrassy-Straße und dann über zwei weitere Straßen zum Parlament) wurde Anfang des Jahres polizeilich nicht genehmigt. Begründung der Polizei: Die Parade würde den Verkehr stören. Damit gab man erneut dem politischen Druck von konservativer und rechtsextremer Seite nach, die Parade aus der Öffentlichkeit so weit wie möglich zu verbannen. Bis kurz vor der Demonstration wurden die TeilnehmerInnen im Unklaren gelassen, ob sie nun marschieren dürfen oder nicht.

Nachdem die Polizei die Route doch genehmigte, folgte gleich die nächste Provokation. Einen Tag vor der Pride wurden die TeilnehmerInnen von der Polizei darauf hingewiesen, dass sie jegliches Verhalten, das dazu geeignet wäre, den öffentlichen Anstand zu verletzen, zu unterlassen haben. Auch das ist ein altbekanntes Spiel der ungarischen Behörden. Während die Pride von Anfang an unter Verdacht gerät, Gesetzesübertretungen schuldig zu werden, können Rechtsextreme ohne ähnliche Verwarnungen marschieren und die Parade permanent ungestraft provozieren. Ganz offensichtlich geht es bei dieser präventiven Verurteilung der Pride-TeilnehmerInnen nicht um Gesetzesübertretungen. Es geht um die Aufrechterhaltung eines Ordnungsdiskurses einer konservativ-bürgerlichen Familienmoral, die Abweichungen von ihren „Idealen“ möglichst aus der Öffentlichkeit verdrängen möchte.

Politische Botschaften der Demonstration unzureichend

Trotz dieser Provokationen im Vorfeld konnte die Pride relativ pünktlich um 16.00 Uhr vom Heldenplatz auf die Andrassy-Straße marschieren. Mehrere tausend TeilnehmerInnen setzten sich in Bewegung. Zuvor wurden alle von OrdnerInnen der Pride durchsucht, nachdem es in der Vergangenheit zu Versuchen von Rechtsextremen gekommen war, die Pride von innen heraus anzugreifen. Neben den OrdnerInnen der Pride wurden auch Securities engagiert, bei denen bis zuletzt nicht sicher gesagt werden konnte, ob sie die Parade auch nach Dienstschluss weiter beschützen werden oder nicht gar die Seiten wechseln.

Die deutlich negative Einstellung der Polizei gegenüber der Pride wurde bei der Auftaktkundgebung nicht thematisiert. Vielmehr wurde darauf hingewiesen, dass man den Anweisungen der Polizei und der Securities Folge zu leisten habe. Ein Amnesty International Europa-Vertreter meinte sogar, man müsse sich keine Sorgen, da die Polizei die Pride beschützen würde. Gerade aufgrund der ablehnenden Stellungnahmen der Polizei ist diese Herangehensweise naiv, indem sie sich auf die Repressionsorgane jenes Staates stützt, der zentral für die Ankurbelung der Hetze gegen diverse Minderheiten ist.

In den Forderungen beschränkte man sich bei den Reden auf Appelle an die ungarische Regierung, die Europäische Union und die UNO, anstatt eine klare Strategie des Widerstandes gegen die regelmäßigen Übergriffe auf LGBTs aufzuzeigen.

Stuart Milk, der Neffe des 1978 ermordeten homosexuellen Stadtrates von San Francisco, Harvey Milk, betonte zwar, dass man nicht hier sei, um erneut um Toleranz zu betteln, verließ sich gleichzeitig jedoch auch auf die kürzlich beschlossene UN-Resolution, in der Übergriffe auf Menschen aufgrund deren sexuellen Orientierung abgelehnt wird. Zur Bekräftigung verlas er auch einen Brief des US-Präsidenten Barack Obama, in dem er darauf hinweist, dass LGBT-Menschen „volle Mitglieder unserer diversifizierten Gesellschaft sind“.

Mit diesen Hinweisen und der vollkommen fehlenden Kritik an kapitalistischen Verhältnissen, die durch ihre Familienwerte das Zustandekommen von Diskriminierung nicht nur befördern, sondern täglich reproduzieren, wurde der Kern des Problems nicht berührt. Während natürlich die Gewährung von vollen Rechten auch unter bürgerlichen Verhältnissen eine zentrale Forderung sein muss, muss es um mehr gehen, als um eine Akzeptanz bzw. Duldung innerhalb eines ansonsten bürgerlichen Wertesystems. Die Kritik an kapitalistischen Verhältnissen muss gleichzeitig mit dem Aufbau von Selbstverteidigungskomitees dafür der zentrale Bestandteil sein, um sich auch unabhängig von der Polizei schützen zu können. Denn die ausschließliche Beharrung auf juristisch zugesicherte Rechte übersieht, dass gerade in Ungarn eine Behauptung von progressiven Strömungen gegenüber reaktionären Mobilisierungen auf der Straße wichtiger ist, als die formelle Akzeptanz durch die Gesetzgebung.

Auch die bereits aus dem vorigen Jahr bekannte Anteilnahme am ungarischen Nationalismus durch Singen der Nationalhymne und dem Mittragen von Orbans Deklaration zur nationalen Einheit, wurde durch die Kombination der Regenbogenfahne mit der ungarischen Fahne fortgesetzt. „Ungarisch zu sein kann kein ausschließendes Wertesystem bedeuten“, rechtfertigten die VeranstalterInnen dies. In letzter Instanz ist diese Politik exklusiv, da sie nur innerhalb eines nationalen Verständnisses funktioniert. Gerade der so wichtige Schulterschluss mit nationalen Minderheiten – ob mit ungarischer Staatsbürgerschaft oder nicht – fällt dabei unter den Tisch. Denn gerade die von permanenten Angriffen bedrohten Roma-Siedlungen werden wohl keine positiven Assoziationen mit der ungarischen Nationalflagge verbinden. Versuche, diese Fahne für progressive Zwecke umzudeuten oder zurückzugewinnen, müssen von Anfang an scheitern, da sie die Frage ausklammern, wer in der jeweiligen Nation die herrschende Klasse ist. Bestehende bürgerliche Herrschaftsformen werden damit von der Kritik ausgenommen und durch eine nebulöse Vorstellung einer angeblichen – wenn auch diversifizierten - Einheit der ungarischen Nation ersetzt. Die Versuche der Pride-OrganisatorInnen, Nationalismus positiv zu besetzen, spielt somit letzten Endes nur nationalistischen Kräften in die Hände.

Rechtsextreme Provokationen

Bereits bei der Anreise zur Pride konnten umherziehende Nazis beobachten werden, von denen sich einige bereits beim Oktagon versammelt hatten. Zuvor hatte László Toroczkai, Gründer der rechtsextremen HVIM, die sich für die Reetablierung Großungarns einsetzt und immer wieder durch antisemitische Parolen auffällt, dort eine Kundgebung angemeldet.

Gemeinsam mit anderen Organisationen hat die HVIM im Oktober 2010 eine „Gedenkveranstaltung“ für den Aufstand 1956 organisiert, bei dem Fahnen und Uniformen getragen wurden, die eindeutig an die Pfeilkreuzler erinnern sollen, unter deren Herrschaft laut Schätzungen von Gerlach/Aly (2004) 76.000 JüdInnen deportiert wurden. Bei der „Gedenkveranstaltung“ wurden auch offen antisemitische Reden gehalten: „Wir müssen uns auch in der Zukunft schützen, denn die jüdischen Eroberer werden kommen, und zwar mit moderner Kriegstechnik“, wurde zum Beispiel gehetzt.

Da die Kundgebung der Rechtsextremen und Nazis direkt auf der Route der Pride lag, hat die Polizei die Demoroute über Seitengassen an der rechtsextremen Kundgebung vorbeigeleitet. An mehreren Punkten versammelten sich dennoch Rechtsextreme und Nazis, um die TeilnehmerInnen zu provozieren. Das Zeigen der ausgestreckten Hand zum Hitlergruß war dabei keine Seltenheit und konnte mehrere Male beobachtet und dokumentiert werden.

Vor dem Parlament versammelten sich erneut mehrere Dutzend Rechtsextreme und Nazis, um die TeilnehmerInnen zu beschimpfen und zu provozieren. Securities und Polizei halfen dabei zusammen, um die TeilnehmerInnen der Parade zurückzudrängen, nachdem antifaschistische Sprüche gerufen wurden. Während die Nazis damit unmittelbar am Polizeizaun stehen und provozieren konnten, wurden AntifaschistInnen in die Straße zurückgedrängt.

Angriff auf den Bus aus Wien

Auch wenn während der Pride keine direkten Angriffe beobachtet werden konnten, kam es nach Abschluss der Kundgebung am Parlament zu mehreren Übergriffen, so auch auf einen Bus aus Wien, in dem auch AktivistInnen von ArbeiterInnenstandpunkt (AST) und REVOLUTION zur Pride fuhren. Nach dem Ende der Pride um ca. 19.00 Uhr wurden etwa 50 TeilnehmerInnen, die mit einem Bus aus Wien gekommen waren, von Nazis angegriffen.

Sie wurden mit Pfefferspray und danach von mehreren hinzulaufenden Nazis attackiert und bedroht, bis die Polizei dazwischen ging. Trotz dieses Angriffs durch die Nazis wurden die Wiener TeilnehmerInnen von der Polizei kriminalisiert. Der Bus wurde am Weiterfahren gehindert und die TeilnehmerInnen aufgefordert, ihre Personalien herauszugeben. Durch Zwang wurden die InsassInnen jedoch aus dem Bus gezerrt, während draußen ein Nazi-Fotograf alles ungehindert filmen und fotografieren konnte.

Die Polizei nahm den Wiener TeilnehmerInnen daraufhin ihre Pässe ab und zwang sie zu einer offenen „Gegenüberstellung“ mit den ungarischen Nazis (zwei Männern und einer Frau). Während die Nazis zuvor davon geredet haben, dass sie von einer Person mit Shorts und blonden Haaren angegriffen wurden, pickten sie später zwei Teilnehmer ohne Shorts und ohne blonde Haare hinaus. Einer der männlichen Nazis nickte bei der Gegenüberstellung, der andere Mann und die Frau pflichteten ihm bei, nachdem sie seine Reaktion gesehen hatten. Eine voneinander unabhängige Befragung war somit nicht gewährleistet, die Nazis konnten sich untereinander absprechen. Die zwei Wiener Teilnehmer wurden daraufhin auf die Polizeistation mitgenommen und bis in die frühen Morgenstunden befragt, nun droht ihnen eine Anzeige wegen Landfriedensbruch und Störung der öffentlichen Ordnung.

Trotz der permanenten Hinweise der Polizei, dass man nicht sagen dürfe, dass es sich bei den Angreifern um Nazis handeln würde, musste nicht lange nach einer Bestätigung der Anschuldigungen gesucht werden. Einer der Nazis trug ein T-Shirt der oben beschriebenen rechtsextremen HVIM und verabschiedete sich nach der Gegenüberstellung mit Hiltergruß und einem „Sieg Heil“ Ruf. Dass der Nazifotograf nicht nur die TeilnehmerInnen des Busses fotografierte, ist auf der rechtsextremen ungarischen Seite kuruc zu sehen, auf der bereits am Tag nach der Pride mehrere Bilder der TeilnehmerInnen veröffentlicht worden sind.

Fazit

Äußerlich gesehen konnte auf der Pride ein deutlich offeneres und selbstbewussteres Auftreten gegenüber den letzten Jahren beobachtet werden. Auch mehrere Transgender nahmen offen an der Pride Teil, die Stimmung war insgesamt eher ausgelassen, anstatt sich permanent vor Angriffen fürchten zu müssen. Auch einzelne PassantInnen und BeobachterInnen winkten von umliegenden Cafes oder Fenstern der Pride zu. Den festgehaltenen TeilnehmerInnen des Wiener Busses wurden von einer Anrainerin sogar Kaffee und Getränke spendiert.

Dennoch muss bilanziert werden, dass die Pride keine eigenen Strukturen zur Selbstverteidigung hatte und politisch äußert schwach aufgestellt war. Diese Abhängigkeit der Parade vom guten Willen der Polizei ist alles andere als beruhigend. Die Polizei hat schon im Vorfeld zur Schikane und auch zur teilweisen Kriminalisierung der Parade und zum Aufheizen der öffentlichen Meinung gegen die Pride beigetragen. Wieso sonst sollte sonst die Polizei auf mögliche Sittlichkeitsverstöße hinweisen und somit den Diskurs, es handle sich bei der Pride um lauter „Perverse“ unterstützen? Auch die Tatsache, dass die Jobbik-nahe Polizeigewerkschaft TMRSZ mit über 10% in der Gewerkschaft vertreten ist, zeigt auf, dass man sich nicht auf die Polizei verlassen darf. Der Aufbau von Aktions- und Selbstverteidigungskomitees, die sowohl Clubs, Lokale aber auch JüdInnen und Siedlungen von Roma vor Übergriffen schützen können, muss dabei eine zentrale Aufgabe sein, um die reaktionären Strömungen in Ungarn zurückzudrängen.

Zur Parade haben wir mit einer kleinen Delegation aus Österreich ein Flugblatt in deutsche und englischer Sprache verteilt, in dem wir nicht nur unsere Solidarität mit den Unterdrücken und der Parade zum Ausdruck brachten, sondern auch auf die strategischen Probleme der Bewegung einzugehen.

Flugblatt von ArbeiterInnenstandpunkt, österreichische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale: Gay Pride in Budapest: Nein zu Unterdrückung und Diskriminierung!

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