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Berlin

Streik bei Charité ausgesetzt – ver.di und GKL fallen CFM-Streikenden in den Rücken

Martin Suchanek, Infomail 554, 10. Mai 2011

„Ausgesetzt“ heißt das Unwort des Arbeitskampfs bei der Berliner Charité.

Seit dem 2. Mai hatte die Tarifgemeinschaft aus ver.di und GKL (= Gewerkschaft kommunaler Landesdienst Berlin, Teil des deutschen Beamtenbundes dbb) die rund 15.000 Beschäftigten der drei Berliner Klinikstandorte (Charité Mitte, Benjamin Franklin und Virchow) in den unbefristeten Streik gerufen. Die Hauptforderung war und ist eine Entgelterhöhung um 300 Euro, um so wenigstens das Einkommensniveau der Beschäftigten bei den Krankenhäusern des Vivantes-Konzerns in Berlin zu erreichen.

Die Gewerkschaften hatten außerdem auch die 2.500 Beschäftigen bei CFM (Charité Facility Management) in den Streik gerufen. Die Charité-Tochter, die zu 51 Prozent dem Land Berlin gehört und an der auch so illustre Investoren wie Dussmann beteiligt sind, zahlt Hungerlöhne von 5,50 Euro. Die Gewerkschaften fordern 7,50 Euro, also jene Summe, die das Berliner Abgeordnetenhaus zum Minimum für die Vergabe öffentlicher Aufträge an Unternehmen erklärt hat. Da der Vertrag von CFM und Charité vor diesem  Gesetz abgeschlossen wurde, ist das Management daran rechtlich nicht gebunden – und der rot/rote Senat wäscht seine Hände wieder einmal in Unschuld.

Auf die Frage, warum er seine Anteilsmehrheit an CFM nicht einfach nutzt, um einen Mindestlohn von 7,50 Euro durchzusetzen, entgegen die sozialpolitischen Helden aus SPD und Linkspartei, dass sie wohl eine Anteilsmehrheit, aber keine Stimmenmehrheit bei CFM hätten. Offenkundig sind diese Leute nicht nur feige und unverschämt, sondern auch noch ebenso blöde wie willfährige Helfer privater Aktionäre, denen Freihaus eine Mehrheit eingeräumt wird.

Üble Rolle der IG BAU

In jedem Fall war der Streik bei CFM ein Schritt vorwärts. Ver.di und GKL versprachen den Beschäftigten, den Wind des Streiks bei der Charité zu nutzen, um bei CFM trotz widriger Bedingungen, schlechten Organisationsgrads und einer großen Masse befristet Beschäftigter einen Mindestlohn zu erzwingen.

Eine besonders üble Rolle spielte dabei von Beginn an die IG BAU, die wegen eines „Formalfehlers“ aus der Streikfront ausbrach und sich von Beginn an gegen den Arbeitskampf wandte. Die streiktaktische Bedeutung dieser Schweinerei liegt darin, dass v.a. viele KollegInnen der Reinigung bei der IG BAU organisiert sind, auch wenn etliche in den letzten Tagen den richtigen Schluss gezogen haben, die IG BAU zu verlassen und ver.di beizutreten und so die Streikfront zu stärken.

Ver.dis leere Versprechungen

Doch seit Freitag hat ver.di die KollegInnen bei CFM entscheidend geschwächt. Nach drei Streiktagen hatte die Charité-Leitung den Charité-Beschäftigten neue Gespräche angeboten. Sie bietet eine Erhöhung auf 150 Euro ab Sommer 2011 und dann eine schrittweise Erhöhung bis 2014. Dieses „gute Angebot“ will die ver.di-Tarifkommission  noch nachgebessert wissen. Seit dem 9. Mai wird darüber verhandelt und der Streik ist seit Freitag, dem 6. Mai, „ausgesetzt“.

Schon davor hatte ver.di den Streik an einem Klinikum, dem Benjamin Franklin Klinikum in Berlin Steglitz, beendet, nachdem die Geschäftsführung mit der Schließung des Standortes gedroht hatte. Die Gewerkschaftsmitglieder in Steglitz wollten sich dieser Erpressung nicht beugen, ver.di Berlin und die Streikleitung der Gewerkschaften nahmen das Klinikum aber trotzdem in vorauseilendem Gehorsam aus dem Kampf.

Am 6. Mai wurde nun das Angebot als tolle Sache präsentiert. Außerdem, so Carsten Becker, Vorsitzender der ver.di-Betriebsgruppe und Mitglied der Tarifkommission, müsse auf das Angebot eingegangen werden, weil man sonst die „gute Presse“ und „Unterstützung der Öffentlichkeit“ verliere. Daher seien nicht nur Verhandlungen dringend geboten, sondern auch eine „Aussetzung“ des Streiks nötig.

Einige VertreterInnen von ver.di und GKL begründeten diesen Schritt auch damit, dass nach dem „Entgegenkommen“ des „Arbeitgebers“ nunmehr ein „Entgegenkommen“ der Streikenden – also der Abbruch des Arbeitskampfes – nötig sei.

Solche Äußerungen verdeutlichen, dass die Ideologie der Sozialpartnerschaft den  Beschäftigten nicht nur durch Verzicht und Einkommensverluste teuer zu stehen kommt, sondern auch der Denkfähigkeit mancher Funktionäre schwer zugesetzt hat.

Nachdem in Berlin seit Jahren Löhne gedrückt werden, nachdem sich die Beschäftigten an der Charité in einer günstigen Kampfposition finden, als ihr Streik offenkundig Wirkung zeigte, geben Streikleitung und Tarifkommission als Akt des „Entgegenkommens“ ihre Druckmittel aus der Hand.

Der Wahrheit ist doch: Der Streik stand für einen Kampf in einem Krankenhaus sehr gut. An der Demonstration am 3. Mai, der größten der Beschäftigten bislang, beteiligten sich 2 bis 3.000 ArbeiterInnen und Angestellte.

Der Streik war in der Bevölkerung populär und stieß auch bei den meisten PatientInnen und deren Angehörigen auf Unterstützung oder wenigstens Verständnis. Natürlich war abzusehen, dass die Schmierenblätter des Boulevards, dass BZ und Springer-Blättchen nicht lange positiv über einen unbefristeten Streik berichten würden. Doch ein solches „Kippen der Stimmung“ - also Gegenwind von der Milliardärspresse - ist bei jedem längeren Kampf unvermeidlich. Ihm kann nur durch eigene Öffentlichkeitsarbeit, durch den Aufbau von Solidaritätskomitees und Solidaritätsstreiks in anderen Branchen, v.a. in den anderen Krankenhäusern, begegnet werden.

Das hat ver.di aber erst gar nicht versucht. Und das hat seinen Grund.

Die Berliner ver.di-Führung wollte nie einen langen, unbefristeten Arbeitskampf führen. Sie war heilfroh, dass die Klinikleitung ein Angebot unterbreitete, dass als „gut“ bezeichnet werden konnte.

Sie hoffte immer, dass ihre Verbündeten bei den Senatsparteien - also SPD und LINKE - ihren politischen Einfluss dazu nutzen würden, eine solche Situation herbeizuführen.

Und siehe da: das „tolle Angebot“ kam.

Dabei hätten die Beschäftigten an der Charité den Streik weiter führen können, hätten ihre Gewerkschaften ver.di und GKL, hätten ihre Betriebsgruppe usw. sich dafür ausgesprochen. Nachdem aber auf der Versammlung am 6. Mai alle für den Kurs der Gewerkschaftsbürokratie eintraten - inklusive des ausgewiesenen Gewerkschaftslinken und SAV-Unterstützers Carsten Becker - stimmte eine Mehrheit der Streikenden nicht nur für Verhandlungen, sondern für das „Aussetzen des Streiks“.

Das „Aussetzen des Streiks“ war ein kapitaler politischer Fehler, der auf der sozialpartnerschaftlichen Strategie der ver.di-Führung beruht. Doch er wird noch dadurch verschlimmert, dass die Linken und die gesamte SAV bei diesem Spiel mitmachten und als linke Flankendeckung von ver.di fungierten.

Das grundlegende Problem liegt ja nicht darin, dass Verhandlungen in einem Tarifkampf geführt werden. Es liegt vielmehr darin, freiwillig die eigene Verhandlungsposition zu schwächen und so den konsequenten Kampf für die eigenen Forderungen zu unterminieren.

Eine solche „Taktik“ hilft nur der Gegenseite, die nunmehr ohne den Druck der Straße und des Streiks Geheimverhandlungen führt. Der Großteil der Belegschaft ist, sobald die Arbeit wieder aufgenommen wird, von jeder Information über die laufenden Verhandlungen ausgeschlossen. Die „gläsernen“ Tarifverhandlungen, die die SAV sonst gern fordert, finden nun hinter getönten Scheiben ganz im ver.di-Bürokratenstil statt.

Ein „Aussetzen“ des Streiks bewirkt, dass die Gewerkschaften viel leichter erpressbar, dass die Unternehmensinteressen viel leichter durchsetzbar sind. Gehen die Verhandlungen, die zunächst bis zum 12. Mai anberaumt sind, „schief“, sind die Beschäftigten schon rund eine Woche lang aus dem Kampf. Ein neuerlicher Streik ist dann kaum möglich, zumal die Belegschaft schon davor von allen Seiten auf den kommenden „guten“ Abschluss eingestimmt wurde. Vor allem aber – und das hat der Verlauf hunderter, wenn nicht tausender ähnlicher Fälle gezeigt – lässt sich ein Streik nicht abrechen, pardon „aussetzen“ und dann wieder neu starten wie jemand das Licht ein- und ausschaltet. Ist die Dynamik einmal gebrochen – und das „Aussetzen“ ist genau ein solcher willentlicher und bewusster Bruch der Dynamik – lässt sich selbst bei einer überaus entschlossenen Führung (und die gibt es erst recht nicht) nur schwer erneut entfachen.

Nur Berufskompromissler oder Narren konnten für die Aussetzung eines Streiks während Gesprächen oder Verhandlungen eintreten und dies rechtfertigen. Die Aussetzung verdeutlicht nicht nur den politischen Bankrott der ver.di-Führung, sondern auch der SAV, die ihn bis heute deckt.

CFMler werden in Stich gelassen

Die ganze Politik von ver.di ist schon schlimm genug, ginge es „nur“ um die Beschäftigten bei der Charité. Immerhin haben diese gute Chancen, eine Lohnerhöhung durchzusetzen, auch wenn diese unter den Möglichkeiten eines konsequenten Kampfes bleiben wird.

Verraten und verkauft wurden allerdings die Beschäftigen bei CFM. Vielen wurde gesagt, dass sie weit bessere Chancen hätten, ihren Kampf zu gewinnen, weil auch die Charité streikt. An etlichen Klinika traten KollegInnen den Gewerkschaften bei und in den Streik, weil sie von diesem Argument überzeugt wurden und weil ihnen die VertreterInnen von ver.di und GKL versprachen oder wenigstens suggerierten, dass der Kampf bis zum Ende gemeinsam geführt würde.

Nun sind aber die besser organisierten Charité-Beschäftigen raus. Ver.di verspricht zwar noch „Solidaritätsstreiks“, doch welch ein Hohn ist das, wenn es ohne weiteres möglich gewesen wäre, den ultimativen „Solidaritätsstreik“ an der Charité weiter zu führen und dem Senat und der Charité-Geschäftsleitung klar zu sagen, dass es keinen Abschluss an der Charité geben wird ohne einen Abschluss bei CFM.

Auf den Belegschaftsversammlungen bei CFM haben die GewerkschaftsvertreterInnen die Streikenden auf weiteren Kampf ausgerichtet – und deren Kampfbereitschaft ist da, jedenfalls in Mitte. An den anderen Klinikstandorten ist sie leider deutlich schwächer, was sich auch an der viel geringeren Beteiligung an den Betriebsversammlungen zeigte.

Vor allem aber haben die Gewerkschaftsvertreter alles getan, um eine kritische Diskussion zum Aussetzen des Streiks erst gar nicht aufkommen zu lassen. Zweifellos kam ihnen dabei die politische Unerfahrenheit vieler Beschäftigter zu Hilfe. Aber sie schreckten auch vor glatten Lügen und Fehlinformationen nicht zurück. Für die Verhandlungen, erklärte eine GKL-Sprecher, gelte die „Friedenspflicht“. Das ist einfach falsch. Roland Tremper, ver.di-Sekretär und erprobter Abwickler von Kämpfen von Krankenhausbeschäftigten seit Jahr und Tag, widersprach dem nicht. Warum auch? Schließlich geht es nicht darum, den KollegInnen die Wahrheit zu sagen, sondern die Kontrolle der Gewerkschaftsbürokratie zu sichern.

Im Grunde ist es ein übles und zynisches Spiel, das die GewerkschaftsvertreterInnen mit diesen KollegInnen treiben. Nachdem sie dafür gesorgt haben, dass der Streik bei der Charité ausgesetzt wurde, erklären Tremper und Co., dass es ganz in der Hand der KollegInnen liege, ob sie ihre Forderungen durchsetzen oder nicht, dass es nicht mehr lange dauern würde, und CFM würde auch mit den Beschäftigten verhandeln. Woher Tremper seinen Optimismus nimmt, warum CFM gerade dann weich werden sollte, wenn die Unterstützung durch den Charité-Streik fehlt, bleibt ein gut gehütetes Geheimnis der Gewerkschaftsbürokratie.

Gibt es noch eine Perspektive?

Die CFM-Streikenden stehen im Grunde mit dem Rücken zur Wand. Ihre Druckmittel sind geringer geworden.

Es wird aber sehr schwer, den Streik erfolgreich zu führen und die Forderungen durchzusetzen, weil er eigentlich ausgeweitet werden muss. Dazu ist mehr notwendig, als vollmundige Versprechungen der ver.di-Führung oder des GKL.

Es geht darum, den gesamten politischen Kurs, die gesamte Streiktaktik zu korrigieren.

Dazu ist es nötig, dass – anders als beim Charité-Streik – der Kampf unter Kontrolle der Streikenden geführt wird.

Tägliche Streikversammlungen sind dazu an allen Standorten nötig. Diese müssen die Streikleitung wählen, diese müssen die Kampfstrategie und Taktik diskutieren und beschließen.

Eine gemeinsame Vollversammlung von Charité-Beschäftigten und CFM-Beschäftigten muss einberufen werden. Die Aussetzung des Charité-Streiks muss „ausgesetzt“, der unbefristete Streik wieder aufgenommen werden.

Alle Gespräche, Verhandlungen von ver.di-Tarifkommission und Charité-Leitung müssen offen und öffentlich geführt werden!

Die Streikleitung und die Tarifkommission müssen von den Vollversammlungen gewählt werden, diesen rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar sein.

Ein längerer, wirklich unbefristeter Streik von Charité- und CFM-Beschäftigten wird zweifellos auf die Hetze der Boulevardpresse stoßen. Er braucht die Unterstützung durch die gesamte Gewerkschaftsbewegung und den Aufbau von Solidaritätskomitees, um die Unterstützung der Bevölkerung zu organisieren.

Doch der Streik-Verlauf und der Verrat durch die Gewerkschaftsführungen zeigen auch über den aktuellen Kampf hinaus: Alle GewerkchafterInnen, alle Lohnabhängigen, die einen anderen Kurs wollen, die nicht als linke Personalräte oder GewerkschafterInnen letztlich zum Anhang des Apparates verkommen wollen, müssen den Aufbau einer organisierten, klassenkämpferischen Opposition in Angriff nehmen, um in zukünftigen Kämpfen der Bürokratie effektiv Paroli bieten zu können.

 

Arbeitermacht-Flugblatt zum Streik an der Charité vom 5. Mai: Sieg dem Streik an der Charité!

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