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Anti-Nazi-Mobilisierung in Dresden

Von Mythen und Blockaden

Hannes Hohn, Infomail 536, 18. Februar 2011

Das Bündnisses „No Pasaran“ – ein Zusammenschluss autonomer, anti-kapitalistischer und anti-faschistischer Gruppen aus dem Spektrum der „Interventionistischen Linken“ – spielt eine zentrale Rolle in der Mobilisierung gegen den Nazi-Aufmarsch in Dresden am 19. Februar 2011. Im vergangenen Jahr hatte die breite Mobilisierung dort dafür gesorgt, dass die Rechten gestoppt wurden. Das war ein großer Erfolg, der sich in diesem Jahr wiederholen könnte.

Dieser Erfolg war u.a. dadurch möglich, dass die Antifa-Szene - durchaus entgegen ihrer sonst meist angewandten Methode - bewusst eine Mobilisierung unterstützte, die auf Breite und Öffentlichkeit angelegt war.

Trotz dieses Erfolges zeigt der Aufruf von „No Pasaran“ aber, dass seine politischen Einschätzungen und Orientierungen tw. falsch sind und eine Methode offenbaren, die für einen erfolgreichen Kampf gegen die Rechten auf Dauer wenig und für den Klassenkampf allgemein überhaupt ungeeignet sind.

Unter dem Titel „Nazis Blockieren – Extremismusquatsch und Opfermythen bekämpfen” (http://no-pasaran.hopto.me/wordpress/?page_id=10 ir) wurde der Aufruf von „No Pasaran“ veröffentlicht. Trotz etlicher richtiger Aspekte verdeutlicht der politischen und analytischen Fehler der autonomen Antifa, denen wir uns im Folgenden zuwenden wollen.

Das erscheint uns auch deshalb gerechtfertigt, weil der Aufruf von No-Pasaran kein Aktion ist, der in erster Linie zur Aktion aufruft, sondern vor allem eine politische Deklaration dieses Spektrums der Mobilisierung gegen den Nazi-Aufmarsch darstellt.

Das Geschichtsbild von No Pasaran

Der Aufruf kritisiert korrekt, dass der bürgerliche „Antifaschismus“ für verschiedene reaktionäre Ziele instrumentalisiert wird. So heißt es im Aufruf: „Hinter diesem Opferstatus (Dresdens; Anm. d. Red.) verschwindet die deutsche Schuld an Vernichtungskrieg und Holocaust.“

Vollkommen zurecht wird jeder Relativierung der Schuld an Krieg und Vernichtung entgegengetreten. Freilich erhebt sich die Frage, wer und was genau mit „deutscher Schuld“ gemeint ist. Handelt es sich dabei um die Schuld des deutschen Imperialismus, der herrschenden Klasse und eines faschistischen Regimes – oder geht es um „alle“ Deutschen ganz unabhängig von ihren Weltanschauungen und Klasseninteressen, ob nun KommunistInnen, SozialistIn, GewerkschafterIn, Nazi oder Deutschnationaler, ob Kapitalist, Junker oder ProletarierIn?

Ein Hauptelement der Ideologie aller Siegermächte sowie der heutigen bürgerlichen Geschichtsauffassung ist die These von der Kollektivschuld „der Deutschen“. Diese Auffassung verschleiert jedoch die Verantwortlichkeit des deutschen Imperialismus, der deutschen Bourgeoisie an Krieg und Faschismus. Sie ignoriert, dass eine Nation, dass ein Volk immer in Klassen geteilt ist und jede Politik - und Krieg ist Fortführung der Politik mit anderen Mitteln - Klassencharakter hat.

Faschismus und Krieg wurden keineswegs von „den Deutschen“ verschuldet, sondern vom Kapital und seinen politischen Agenturen.

Es wird auch daran deutlich, dass der Faschismus als reaktionäre kleinbürgerliche Massenbewegung zuerst und vor allem ein Rammbock zur Zerschlagung der Arbeiterbewegung im Angesicht einer drohenden Revolution war.

Die Kollektivschuld-These verschleiert die Klassenfrage und somit auch den Klassencharakter des Faschismus. Anstatt der Erkenntnis, dass nur die Arbeiterklasse den Faschismus verhindern und dessen Wurzeln im System des Kapitalismus ausreißen kann, wird eine klassenübergreifende Schuldgemeinschaft konstruiert.

Eine zentrale Schwäche des „No-Pasaran“-Aufrufes besteht aber genau darin, dass er selbst auf dem Boden dieses bürgerlichen Mythos, genauer gesagt, bürgerlicher Geschichtsfälschung steht.

Dazu ist keineswegs notwendig, so weit zu gehen wie die Anti-Deutschen Hardliner, die mit reaktionären Losungen wie „Bomber Harris do it again“ hausieren und damit deutlich machen, dass nicht etwa das Proletariat, sondern andere, „bessere“ bürgerliche Nationen als antifaschistische Kräfte durchaus akzeptiert sind.

Da ist es auch egal, dass diese „antifaschistischen“ Kräfte in Gestalt der USA oder Britanniens auch kapitalistische und imperialistische Mächte waren, die keineswegs aus antifaschistischen oder humanitären Gründen gegen Nazi-Deutschland kämpften, sondern deshalb, weil sie erstens ihren Platz in der globalen imperialistischen Konkurrenz verteidigen wollten und zweitens recht froh darüber waren, wenn der Arbeiterklasse und dem ersten – wenn auch unter Stalin degenerierten – Arbeiterstaat Sowjetunion Niederlagen zugefügt werden.

Um ihre Position empirisch zu belegen, wird vom Aufruf „No Pasaran“ schlicht ausgeblendet, welcher Verbrechen eben diese Mächte schuldig sind. Der US-Imperialismus ist die „Kriegsnation“ der „Nachkriegsordnung“ schlechthin, kein Krieg, kein Verbrechen ohne ihre direkte oder indirekte Mitwirkung. Nur: der Klassencharakter der USA und ihrer Politik war 1945 derselbe wie heute. Oder sind etwa alle AmerikanerInnen ein „Tätervolk“ und - welches Volk wäre dann kein „Tätervolk“?!

Wer, wie offensichtlich die Autoren dieses Aufrufs, an die fortschrittliche Rolle und Legitimität des „demokratischen“ Imperialismus im Kampf gegen den Faschismus glaubt, der legitimiert eben auch die bewusste und zielgerichtete systematische Vernichtung von Zivilbevölkerung als probates Mittel im Kampf für den Fortschritt.

Natürlich wird ein Krieg v.a. mit militärischen Mitteln gewonnen - aber nicht nur. Für MarxistInnen ist der Einsatz militärischer Mittel im Krieg oder Bürgerkrieg immer verbunden mit dem Versuch, die Arbeiterklasse u.a. Unterdrückte zu mobilisieren - gegen Kapitalismus und für Sozialismus. War das etwa die Intention von Churchill, Roosevelt und Co.? Nein! Auch „Bomber Harris“ war kein „objektiv“ fortschrittlicher Bombergeneral – er war ein Mörder in Diensten des Imperialismus, der auf Befehl auch jede Stadt und jede andere Bevölkerung vernichtet hätte.

Um solche Fragen mogelt sich der No-Pasaran-Aufruf rum, um eine eigene Argumentation zu kontruieren „ (...) Dresden war keine unschuldige Stadt. Dresden war wie alle deutschen Städte eine nationalsozialistische Stadt, eine Garnisonsstadt noch dazu (!) und ein wichtiger logistischer Knotenpunkt in Richtung Osten.“ Welch erstaunliche Logik! Natürlich war jede deutsche Stadt, da sie ja in Deutschland liegt, in gewissem Sinn nationalsozialistisch - was sonst: demokratisch, kommunistisch?! Und – wer hätte es gedacht! – es gab dort eine Garnison und sogar einen Bahnhof. Nach dieser Logik wäre es natürlich das Beste gewesen, Harris und die anderen bombenden Befreier hätten alle deutschen Städte komplett ausradiert – ab wie viel Millionen toten ZivilistInnen (darunter v.a. ArbeiterInnen und deren Familien) ist denn dieser „antifaschistische“ Kampf effektiv?!

Antifaschistische Bomben?

Von historischen Fakten haben die autonomen Autoren offensichtlich soviel Ahnung wie der Hering vom Straßenverkehr. Im Februar 1945 waren die Wehrmachtsgarnisonen leergefegt. Was dort an Personal und Material vorhanden war, ging an die Front. Garnisonen zu bombardieren war also militärisch ineffektiv. Dresden verfügte über fast keine Rüstungsindustrie, dafür hielten sich aber zehntausende Flüchtlinge in der Stadt auf. Die Westalliierten wussten das zwar, trotzdem wurde Dresden eingeäschert. Hätte man den Bahnhof angreifen wollen, wäre ein punktueller Tagesangriff mit Jagdbombern wirkungsvoller und ausreichend gewesen, zudem ein Großteil der (um Dresden ohnehin schwächeren) Luftabwehr zum Erdkampf an die Ostfront verlegt war. Nein, den Bomber-Befehlshabern ging es überhaupt nicht, um militärische oder rüstungsrelevante Ziele – ihnen ging es v.a. darum, ihre Macht zu beweisen, ihre Stärke als künftige Besatzungsmacht und als Abschreckung ihres „Verbündeten“ und künftigen Gegners Sowjetunion, in deren Besatzungszone Dresden liegen würde. Den Westalliierten ging es darum, Deutschland als imperialistischen Konkurrenten auszuschalten oder wenigstens entscheidend zu schwächen.

Seit Jahrzehnten belegt die militärhistorische Forschung (z.B. in der DDR der Luftkriegshistoriker Olaf Groehler), dass sich der westalliierte Bombenkrieg zuallererst und ganz bewusst als Ziel stellte, möglichst viele ZivilistInnen umzubringen und städtische Zentren zu zerstören.

Der alliierte Bombenkrieg als Methode zur Niederringung Hitlers war tatsächlich ein wenig effektives Mittel - so wie die gesamte Strategie der Westalliierten völlig ungeeignet dafür war, Hitler schnell zu besiegen und den Krieg zu verkürzen. Viel eher zielte sie darauf, dass Deutschland und die Sowjetunion sich im Krieg gegenseitig schwächen und der Westen leichtes Spiel bei der reaktionären Neuordnung der Welt in seinem Sinne hat.

Falsche Orientierung

Fatal am Aufruf von „No Pasaran“ ist auch, dass er eine zentrale Frage überhaupt nicht aufwirft: Wie können die Nazis gestoppt werden, wenn sie tatsächlich zu einer Bewegung mit wirklichem Massenanhang werden sollten?

Klar ist natürlich, dass die Kräfte der Antifa und der Linken dafür dann nicht ausreichen werden. Die Geschichte hat diese Frage schon grundsätzlich beantwortet: Nur die Arbeiterklasse ist in der Lage, den Faschismus aufzuhalten. Wenn sie - wie vor 1933 - aufgrund der falschen Politik ihrer Führungen daran gehindert wird, kann daraus nur ein Schluss gezogen werden – den politischen Kampf gegen solche Führungen aufzunehmen. Aktuell sind das die Spitzen der SPD, der LINKEN und des DGB. Sicher unterstützen diese bisweilen auch antifaschistische Mobilisierungen, aber den Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus blenden sie aus oder teilen mehr oder weniger die Sichtweise der Autonomen.

Doch von Kritik an der Politik dieser reformistischen Organisationen und ihrer Apparate keine Spur, geschweige denn von Vorschlägen und Taktiken, wie die Dominanz des Reformismus über die Arbeiterklasse gebrochen werden könnte.

Das ist von einer Strategie, welche politische Konflikte v.a. als Konflikte zwischen Ideen („Opfermythen“, „Extremismusquatsch“) begreift und nicht als Kampf zwischen Klassen, auch kaum zu erwarten.

Sollen mehr Kräfte in den antifaschistischen Kampf gezogen werden, muss v.a. mit der Vorstellung, dass „Antifaschismus“ quasi ein separater Sektor wäre, dass dafür besondere Organisationen (nicht zu verwechseln mit durchaus notwendigen antifaschistischen Einheitsfronten) nötig wären aufgeräumt werden.

Es muss klargemacht werden, dass Faschismus und Rassismus genauso im Kapitalismus wurzeln wie Armut, Ausbeutung, Krisen und Kriege. Nur, wenn die (autonome) Antifa sich - systematisch und nicht nur sporadisch - auch im Kampf um soziale Fragen engagiert, und den Antifaschismus bewusst als Teil des allgemeinen Klassenkampfes begreift, kann es gelingen, größere Teile der Arbeiterklasse auch für den Kampf gegen Faschismus und  Rassismus zu gewinnen (she. dazu auch: „Blockadetaktik und Klassenkampf“, in: Neue Internationale 156).

Die aktuelle Krisenperiode des Kapitalismus führt unvermeidlich zu einer immer stärkeren Deklassierung von Teilen der Mittelschichten, wie v.a. der Arbeiterklasse. Das trifft selbst auf Phasen des konjunkturellen Aufschwungs zu, wo zwar Kernschichten der industriellen Arbeiterschaft ihre Stellung wieder behaupten und bessern können. Die Tendenz zu einer weiteren Verarmung der „unteren“ Schichten der Klasse – von Langzeitarbeitslosen, Millionen Billigjobbern und „prekär“ Beschäftigten“ – besteht fort, die soziale Spaltung innerhalb der Lohnabhängigen wird vertieft. Dabei entsteht eine ganze Schicht, eine Millionenmasse gesellschaftlich Verzweifelter, die angesichts der Passivität und Klassenzusammenarbeit der führenden Kräfte der Arbeiterbewegung – von Gewerkschaften, über SPD bis zur Linkspartei – mehr und mehr verzweifeln und gerade aufgrund ihre Verzweiflung ein gefährliches Massenpotential für Rechtsradikale, Rassisten und Faschisten abgeben.

Auch wenn diese Kräfte für die Begründung ihrer reaktionären Politik und Taten „Opfermythen“ und anderen nationalistischen Quatsch bemühen, so sind diese letztlich nur ideologischer Ausdruck, keineswegs die eigentliche Ursache für eine neue rechte oder faschistische Gefahr.

Das Problem ist jedoch, dass die „radikale“, autonome Antifa diesen Zusammenhang gerade umdreht. Das geht einher mit dem Fehlen einer klaren politischen Kritik am Reformismus der Gewerkschaftsführungen (und damit letztlich an der SPD) wie der Linkspartei – ganz zu Schweigen vom Fehlen prinzipieller Taktiken gegenüber diesen.

Daher steht für die Autonomen nicht die Notwendigkeit des Schaffung eines bestimmten Bündnisses auf Klassenbasis – der Schaffung einer Arbeitereinheitsfront – als Mittel zur Bekämpfung der Nazis im Zentrum ihrer Politik, sondern die Schaffung eines „breiten“ Bündnisses aller „Demokraten“ – also aller Klassen. So wie die Autonomen daher einem bestimmten bürgerlichen Geschichtsmythos – der Kollektivschuldthese letztlich das Wort reden -, so trennen sie trotzt aller „anti-kapitalistischen Formeln“ letztlich einer, wenn auch vergleichsweise militanten Form des bürgerlichen Antifaschismus.

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