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13. November

Der „heiße Herbst“ des DGB und die Alternativen des Herrn Sommer

Martin Suchanek, Neue Internationale 518, 17. November 2010

Mehr als 100.000 DemonstrantInnen beteiligten sich am 13. November an den Aktionen der DGB-Gewerkschaften. In Stuttgart demonstrierten 50 bis 60.000, in Nürnberg 30 bis 50.000, in Dortmund 14.000 und in Erfurt rund 5.000. Die Stimmung vor Ort war zumindest teilweise recht kämpferisch.

Kalter Winter statt heißer Herbst?

Der im Sommer proklamierte „heiße Herbst“ war es freilich nicht geworden - eher ein laues Lüftchen, auf das ein kalter Winter zu folgen droht. Bezeichnend ist schon, dass die Zahl von 100.000 oder mehr nach dem Verlauf der letzten Wochen viele positiv überraschte, etliche linke und kämpferische AktivistInnen hatten eher mit weniger gerechnet.

Dabei ist Stimmung an der Basis und auch bei etlichen Vertrauensleuten durchaus kämpferisch. Das drückte sich z.B. in einem recht lautstarken Block der IG Metall-Jugend in Nürnberg aus. Das zeigte sich auch darin, dass in Stuttgart viele DemonstrantInnen vor der offiziellen DGB-Kundgebung am Schlossplatz an einer  Kundgebung in der Lautenschlagerstraße teilnahmen, die den Kampf gegen Sozialabbau und Krise mit jenem gegen den Bau von Stuttgart 21 verband.

Die Baden-Württembergischen Gewerkschaftsspitzen fürchten nämlich eine klare Positionierung zu dieser Frage oder gar ein Zusammengehen von GewerkschafterInnen und einer Massenbewegung gegen ein Milliarden-Projekt zur Unterstützung der Banken, Immobilienspekulation und des beschäftigten- und kundenfeindlichen „Umbaus“ der Bahn.

So kann es auch nicht wundern, dass die Gewerkschaftsspitzen in Stuttgart zu unterbinden versuchten, dass TeilnehmerInnen aus dem ganzen Bundesland im Anschluss an die offizielle Kundgebung an der Demonstration der GewerkschafterInnen gegen S 21 teilnehmen, die anschließend im Schlosspark stattfand – sie ließen die Busse einfach früher abfahren. Einige KollegInnen wehrten sich dagegen zwar erfolgreich und konnten durchsetzen, dass ihre Busse erst später abfuhren, insgesamt schwächte es aber die Kundgebung gegen S 21.

Angezogene Handbremse

Dass der DGB nur mit angezogener Handbremse mobilisierte, zeigte sich wohl am deutlichsten in Nordrhein-Westfalen. In Dortmund sollte ursprünglich nur eine Veranstaltung in der Westfalenhalle durchgeführt werden. Immerhin konnte durchgesetzt werden, dass es dann doch eine Demonstration gab.

Insgesamt waren die Aktionen jedenfalls größer, als viele nach den letzten Wochen erwartet hatten. Aber sie blieben weit hinter den ursprünglich anvisierten Zahlen von 50.000 oder mehr in fünf Städten zurück. Der „Aktionstag“ war schon im Vorfeld zersplittert worden. Die Demo in Hannover fand schon am 6. November statt. In Kiel wird erst später demonstriert. Berlin war erst gar nicht als Demonstrationsort vorgesehen gewesen.

Hinzu kommt, dass die Mobilisierung in den Betrieben schwach ausfiel. Natürlich gab es große lokale und regionale Unterschiede, insgesamt war sie jedoch schwach. Die ursprünglich in Aussicht gestellten Kundgebungen vor Betrieben während der Arbeitszeit fanden in den „Aktionswochen“ nur selten statt, in vielen Regionen überhaupt nicht.

Außerhalb der Betriebe, in der Öffentlichkeit oder vor den Arbeitsagenturen fand gar nichts statt.

Schließlich gab es auch keine wirklich gemeinsame Mobilisierung aller DGB-Gewerkschaften.

Warum?

In den Industriebetrieben, v.a. im Metallbereich, lag das auch daran, dass die Betriebsräte oder jedenfalls deren Mehrheit gar nicht weiter mobilisieren wollte, nachdem „die Krise vorbei sei“ und „ihr“ Betrieb gerettet worden sei. Hinzu kommt, dass es in den Großbetrieben der Exportindustrie tatsächlich oft die Stimmung gibt, dass die Krise „erfolgreich“ bewältigt worden wäre, auch wenn zugleich ein Nachschlag für „die Opfer, die gemeinsam erbracht worden wären“, gefordert wird. Diese Stimmung wird zusätzlich genährt durch einmalige Zahlungen, die in Großkonzernen den Belegschaften, z.B. als erhöhtes Weihnachtsgeld, zugestanden werden. Es handelt sich dabei um geradezu klassische Brosamen für die relativ besser gestellten Facharbeiterschichten - die klassische Arbeiteraristokratie -, die aus den gigantischen Extraprofiten des deutschen Kapitals bestritten werden, welche auch die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit widerspiegeln.

Zweifellos ist diese Stimmung unter den Belegschaften widersprüchlich. Sie wollen jetzt am allerorts proklamierten „Aufschwung“ teilhaben. Das spiegelt einen gewissen Druck von unten wider. Sie wollen auch andere Verschlechterung zurückgenommen wissen. Das Sparpaket, v.a. aber die Rente mit 67 wurden stark thematisiert. Einige Redner waren auch relativ kämpferisch.

Der Grundtenor war aber - trotz tw. heftiger verbaler Attacken auf die Regierung - ein anderer. Die Gewerkschaftsführung präsentiert sich zwar fordernd, allerdings v.a. in dem Sinn, dass sie jetzt etwas Geld für ihre gute Zusammenarbeit mit den Bossen während der Krise sehen will.

Die „KollegInnen sollen am Aufschwung beteiligt werden“, den Großteil der Gewinne sollen aber selbstredend „unsere“ Unternehmen einstreifen. So erklärt sich auch der auf den ersten Blick bizarr anmutende Disput der Gewerkschaftsspitzen mit der Regierung, wem denn nun für die rasche „Erholung“ und den Anzug der Exportwirtschaft zu verdanken sei. Während sich Merkel den Aufschwung als Verdienst ihrer Regierung ans Revers heften will, werden die DGB-Spitzen nicht müde, ihre sozialpartnerschaftliche Verzichtspolitik als hauptverantwortlich für die rasche Erholung der Profite und die Überlegenheit des Standorts in der globalen Konkurrenz hinzustellen.

Angesichts dieses „Wirtschaftswunders“ wähnt sich so mancher Co-Manager aus den Gewerkschafts-, v.a. aber auch aus den Betriebsratsetagen als der bessere Manager.

Bessere Manager?

Ganz in diesem Sinn dient sich der DGB jetzt auch als der bessere Verwalter und Erhalter des „sozialen Zusammenhalts“ an.

„Gerechtigkeit ist etwas anderes - wir brauchen einen Kurswechsel!” Dem DGB geht es nicht darum, die Profiteure und Krisengewinnler zur Kasse zu bitten. Schon gar nicht geht es ihm darum, die Regierung und ihre Politik zu bekämpfen. Ihm geht es darum, mit Unternehmern und Regierung gemeinsam die “soziale Schieflage” zu korrigieren. Darüber täuscht auch nicht hinweg, dass sich DGB-Chef Sommer auf manchen Kundgebungen radikal gab und auf der DGB-Homepage verkündet: „Die Regierung ist willfähriger Helfershelfer der Interessen von Arbeitgebern und Besitzenden“ (Pressemitteilung vom 6.11.) Abschließend heißt es dort: “Es kann sein, dass Schwarz-Gelb meint, unsere Proteste aussitzen zu können. Es kann sein, dass das Kapital weiter auf dem hohen Ross sitzt und meint, es könnte auch in Zukunft die Puppen tanzen lassen. Beide sollten wissen: Damit werden wir uns niemals abfinden. Wir werden weiter kämpfen gegen diese Kumpanei von Kapital und Politik. Wir werden nicht einknicken, denn wir sind angetreten, die Interessen der arbeitenden Menschen zu verteidigen und sozialen Fortschritt durchzusetzen. Es gibt zu dieser Regierungspolitik vernünftige Alternativen. Man muss sie nur durchsetzen.”

Dass sich die Regierung von den Gewerkschaftskundgebungen nicht beeindrucken ließ und lässt, ist klar. Dass Merkel und Brüderle ihre „Kumpanei von Kapital und Politik“, genauer, den Standpunkt jener Klasse, die sie vertreten, weiter durchzusetzen gedenken, ist auch dem Dümmsten klar.

Doch wo bleibt der Mobilisierungsplan der Gewerkschaften? Wo bleibt ein gemeinsamer Kampfplan für saftige, sofortige Lohnerhöhungen? Wo ein Plan gegen die Kürzungen in den Kommunen? Wo der Kampf für die Einstellung von Arbeitskräften für sinnvolle öffentliche Arbeiten zu tariflichen Bedingungen? Wo ein Kampfplan für Mindestlohn und ein Mindesteinkommen für Arbeitslose, Studierende und RentnerInnen, gegen Leiharbeit, gegen Hartz IV? Wo ein Kampf für Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden? Wo ein Kampfplan gegen das Sparpaket oder die Rente mit 67, die alle Lohnabhängigen massiv treffen?!

Wie kommen wir von Demonstrationen zu politischen Massenstreiks, also zu Aktionsformen, die nicht nur symbolischen Charakter haben, sondern die Kapitalisten dort treffen, wo es weht tut?

Allein diese Frage zu stellen, heißt sie zu beantworten. Der DGB und die Einzelgewerkschaften haben keinen solchen Plan. Auf den „Heißen Herbst“ soll nahtlos der Winterschlaf folgen.

Demoralisierende Politik der Gewerkschaftsführungen

Die Kehrseite dieser Passivität sind die „positiven“ Vorschläge des DGB, die „vernünftigen Alternativen“ zur Regierungspolitik. In den letzten Tagen haben Sommer, Huber und Co. noch einmal verdeutlicht, was sie darunter verstehen.

Statt gegen die Rente mit 67 zu kämpfen und dafür zu einzutreten, dass die Kapitalisten zahlen müssen, schlagen diese Herren vor, dass Beschäftigte und Unternehmer die Kosten für eine Rente mit 65 „fair“ teilen - das also ist die „Alternative“ Sommers zur „einseitigen“ Politik der Regierung: Die Lohnabhängigen sollen ein bißchen weniger zahlen.

Angesichts dieser - keineswegs neuen - Verarschung durch die Gewerkschaftsspitzen müssen Passivität und Frustration vieler ArbeiterInnen und Angestellter nicht wundern.

Die Lohnabhängigen wissen sehr wohl, was die Regierungspolitik bedeutet, dass Sparpaket, Kopfpauschale, Rente mit 67, Bildungsabbau, Billiglohnsektor auf Kosten der Beschäftigten gehen; sie wissen sehr wohl, dass für all jene, die noch einen „normalen“ Arbeitsplatz haben, auf Kurzarbeit der Überstundenhorror folgt.

Sicher haben diese ArbeiterInnen keine klare Vorstellung über die Ursachen der Krise (wie des konjunkturellen Aufschwungs) und noch viel weniger eine politische und strategische Alternative zur Bürokratie. Vor allem aber sorgt die Politik der Gewerkschaftsführungen für Skepsis oder gar Demoralisierung. Sehen auch viele ArbeiterInnen, dass sie für die Krise zahlen und noch mehr zahlen sollen, so zweifeln sie daran, dass erfolgreicher Widerstand möglich ist, ob die Regierungsvorhaben gestoppt werden können.

Aber zugleich sind die DGB-Gewerkschaften die einzige in den Betrieben und Büros verankerte Massenorganisation. Die reformistischen Parteien SPD und Linkspartei sind im Grunde nur der politische Ausdruck verschiedener Flügel dieser Bürokratie. Sie decken daher deren Politik - sofern sie nicht selbst in den Landesregierungen die Politik des Kapitals auch gegen die Lohnabhängigen umsetzen.

Widerstand!

Die zentrale Aufgabe für RevolutionärInnen, für kämpferische, oppositionelle GewerkschafterInnen, wie auch für die Anti-Krisenbündnisse besteht darin, diese politische Blockade der Gewerkschaftsführungen zu durchbrechen. Das wird nur in einem lang anhaltenden, geduldigen und systematisch geführten Kampf möglich sein.

Einerseits muss dabei der bürgerliche, klassenkollaborationistische, am nationalen Standort orientierte Charakter der Politik der Gewerkschaftsführungen offen angegriffen und denunziert werden. Andererseits braucht es Forderungen an die Gewerkschaften - einschließlich ihrer Führungen, mit ihren Versprechungen, die sie durchaus auch machen, ernst zu machen:

Gemeinsame Mobilisierung gegen Sparpaket, Rente mit 67, Kopfpauschale!

Verbindung von gewerkschaftlichen Mobilisierungen für Einkommensverbesserungen mit anderen Kämpfen wie Stuttgart 21!

Konsequenter Kampf für Einkommenserhöhungen für die gesamte Klasse, d.h. Vorziehen der Tarifrunden, Kampf für einen Mindestlohn von 11 Euro netto/Stunde, für ein Mindesteinkommen aller Erwerbslosen, RentnerInnen, Studierenden, Azubis und SchülerInnen ab 16 von 1.600 Euro! Einführung der 30 Stundenwoche! Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher öffentlicher Arbeiten bezahlt nach Tarifen unter Arbeiterkontrolle!

Finanzierung dieser Maßnahmen durch die massive Besteuerung von Gewinnen, Kapital und Privatvermögen!

Aufbau von Aktionskomitees und -bündnissen gegen die Krise!

Gemeinsamer Aktions- und Streiktag aller DGB-Gewerkschaften gegen Sparpaket und Rente mit 67 als erster Schritt zu politischen Massenstreiks!

Es ist klar, dass sich eine solche Politik nicht nur durch Appelle und Forderungen an die Führungen der Gewerkschaften erzwingen lässt. Es braucht dazu auch einer organisierten, politischen Kraft in den Gewerkschaften, einer organisierten, klassenkämpferischen Basisbewegung, die sich in diesen Auseinandersetzungen, im Kamf um solche Forderungen formiert und eine alternative Führung zu den Bürokraten in den Gewerkschafts- und Betriebsratsbüros aufbaut.

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