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Zu den entscheidenden Fragen der Perspektive, die über Erfolg oder Misserfolg der StudentInnenbewegung entscheiden

Erklärung der Liga der Sozialistischen Revolution, 11.11.2009, Infomail 454, 12. November 2009

In den letzten Tagen ist es zu einer intensiven Diskussion über die Perspektiven der Bewegung gekommen. AktivistInnen der Liga der Sozialistischen Revolution (LSR) und der Jugendorganisation REVOLUTION haben von Anfang an aktiv in der Bewegung mitgewirkt und Vorschläge für eine Ausweitung und Vorantreibung der StudentInnenproteste eingebracht.

Doch so beeindruckend auch die Breite der beiden bisherigen Großdemonstration sowie die Solidarität in der Bevölkerung auch war, so offensichtlich ist auch die Tatsache, daß die Bewegung in einer gewissen Sackgasse steckt. Wir befürchten, daß wenn die Bewegung in der allernächsten Zukunft keine entscheidenden Schritte nach vorne unternimmt, wenn sie also bestimmte Schwächen nicht überwindet, daß sie dann zurückfallen wird und die enormen Möglichkeiten der gegenwärtigen Lage vorüber sein werden.

Wie lange dauert die „außergewöhnliche Situation“?

Grundsätzlich ist die Lage so, daß die StudentInnenbewegung ein bestimmtes Momentum erreicht und daß sie eine „außergewöhnliche Situation“ eröffnet hat. Diese Situation besteht darin,

dass die StudentInnenbewegung mit den viele AktivistInnen umfassenden Besetzungen sowie den beiden Demonstrationen mit zehntausenden TeilnehmerInnen ein Massencharakter hat,

dass sie auf eine ungewöhnlich große Unterstützung in der ArbeiterInnenklasse sowie den Mittelschichten zählen kann,

und – das ist am allerwichtigsten – daß sie aufgrund der schwellenden Arbeitskonflikte bei den MetallerInnen, den Kindergärtnerinnen und den DruckerInnen zu einem Auslöser massiver gesellschaftlicher Klassenkämpfe werden kann. Massenstreiks, die gemeinsam von StudentInnen und ArbeiterInnen getragen werden, sind in dieser außergewöhnlichen Situation eine realistische, greifbare Möglichkeit.

Aufgrund dieser Faktoren hat die StudentInnenbewegung in dieser Situation die Möglichkeit, ihre Forderungen oder zumindest einen Gutteil davon durchzusetzen und die Arbeitskämpfe der MetallerInnen, Kindergärtnerinnen und DruckerInnen massiv zu stärken.

Es liegt jedoch in der Natur der Sache – und die Erfahrungen vergangener studentischer Massenbewegungen wie 1987, 1996 oder 2000 beweisen das leider nur allzu deutlich –, daß ein solches Moment nur eine begrenzte Zeit andauern kann.

Entweder gelingt es der Bewegung, rechtzeitig den entscheidenden Schritt nach vorne zu machen und das in ihr steckende Potential zu verwirklichen, also ihren Kampf auf eine höhere, kämpferischere, besser organisierte Stufe zu heben und sich mit ihren Forderungen und ihren Taten auf einen gemeinsamen Kampf mit der ArbeiterInnenklasse zu orientieren.

Oder, falls der Bewegung dies nicht gelingt, ist es letztlich unausweichlich, daß sie zurückfällt, politisch und organisatorisch zersplittert und faktisch keine ihrer Forderungen wird durchsetzen können.

Zwar gelangen gewisse Fortschritte, um das große Chaos der ersten Tage in der Bewegung zu überwinden – sei es eine gewisse Koordination der Arbeitsgruppen, Vernetzungen usw. Aber angesichts der Aufgaben und der Möglichkeiten einer solch großen Bewegung blieben die politischen und organisatorischen Fortschritte weit hinter dem Notwendigen zurück. Dafür verantwortlich zeichnen einerseits libertäre, organisationsfeindliche Kräfte, die z.T. im Audi-Max-Plenum bedeutenden Einfluß besitzen. Andererseits aber auch sozialdemokratische Kräfte, die mit einer Mischung von basisdemokratischen Chaos und der einen oder anderen medienwirksamen Großdemonstration gut leben können. Denn eine kämpferische, gutorganisierte, radikale Streikbewegung ist weder im Interesse der sozialdemokratischen noch der libertären Kräfte.

Aus diesen Gründen wurde es leider verabsäumt, in den vergangenen drei Wochen die entscheidenden Schritte zu unternehmen, um die Bewegung im ausreichenden Maße kraftvoller zu machen und auf eine höhere Stufe zu heben. Stattdessen wurde zu viel Zeit verschwendet mit unproduktiven, konkrete Schlußfolgerungen vermeidenden, langen Debatten über Strukturen und Basisdemokratie sowie der Dezentralisierung in Arbeitsgruppen.

Die vier Pfeiler

Im konkreten sind es – wie wir seit Beginn der Bewegung wiederholt betont haben – vier zentrale Fragen, um die herum sich die Zukunft der Bewegung entscheiden wird.

Vollstreik

1) Die Bewegung muß dringend den Protest von der Besetzung des Audi Max an der Uni Wien bzw. der zentralen Hörsäle an anderen Universitäten hin zu einem landesweiten Vollstreik und der Besetzung der gesamten Universität ausweiten. Die Ausweitung zum Vollstreik ist unabdingbar, um einerseits den Druck auf die Regierung zu erhöhen und andererseits zu verhindern, daß die AktivistInnen sich nicht ausgepowern. Denn solange der universitäre Betrieb außerhalb der besetzten Hörsäle normal weiterläuft, solange versäumen die AktivistInnen wichtige Vorlesungen und Seminare, was unweigerlich zu einer Demoralisierung führt. (In Ansetzen sehen wir diesen Prozeß bereits)

Streikkomitee

2) Die Bewegung muß dringend den Zustand der für eine solche Massenbewegung viel zu geringen Organisiertheit überwinden und sich feste, direkt-demokratische Organisationsstrukturen geben. Mit anderen Worten: es ist allerhöchste Zeit, daß die jeweiligen Versammlungen in den Universitäten auf direkt-demokratische Weise Streikkomitees – also eine Gruppen von mehreren Delegierten – wählen, die die Beschlüsse der Plena umsetzen und die Aktivitäten koordinieren. Diese Streikkomitees sollten jeden Tag auf den Plena Rechenschaft über ihre Tätigkeit ablegen und ihre einzelnen Mitglieder sollten jederzeit abwählbar sein. So verhindern wir, daß eine abgehobene Bürokratie entsteht.

Auf solchen Streikkomitees aufbauend sollte eine bundesweite Konferenz von gewählten VertreterInnen der besetzten Hörsäle bzw. Universitäten stattfinden, um einen gemeinsamen Forderungskatalog der StudentInnenbewegung sowie eine gemeinsame Strategie des Widerstandes auszuarbeiten. Ebenso könnten solche Streikkomitees auch eine Internationalisierung der Proteste einleiten und koordinieren, insbesondere mit Deutschland, wo es ja bereits zahlreiche Proteste an den Unis gibt.

Solche kontrollier- und abwählbaren Streikkomitees könnten auch eventuelle Verhandlungen mit der Regierung führen.

Leider herrscht noch immer bei einer Reihe von AktivistInnen große Skepsis gegenüber jeder Form von Organisiertheit und Delegation von Verantwortung vor. So verständlich auch diese Skepsis angesichts der verbürokratisierten ÖH und der gesamten offiziellen Parteienlandschaft ist, so klar ist auch, daß ohne solche direkt-demokratisch kontrollierbaren, transparenten und handlungsfähigen Strukturen die Bewegung zurückfallen wird. Zwar gibt es bei vielen mittlerweile ein größeres Verständnis gegenüber der Notwendigkeit bestimmter Formen der Delegation von Aufgaben. Doch angesichts der Größe der anstehenden Aufgaben und der zeitlichen Dringlichkeit ist dies alles bisher zu wenig und zu spät.

StudentInnen – ArbeiterInnen: Ein Kampf!

3) Die Bewegung muß dringend weit mehr als bisher sich nicht bloß als studentische Bewegung, sondern als Teil einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung. Sie muß ein aktives, kämpferisches Bündnis von StudentInnen und ArbeiterInnen anstreben. Die Voraussetzungen dafür existieren. Der Unmut in breiten Schichten der Bevölkerung ist groß und auch die Solidarität mit den StudentInnen. Darüberhinaus stehen die KindergärtnerInnen, die MetallerInnen und die DruckerInnen in einem Arbeitskampf. Und die SchülerInnen haben vor wenigen Monaten durch breite Streiks die Regierung zum Rückzug gezwungen und wären sicherlich für eine breite Bewegung gegen Bildungs- und Sozialabbau zu gewinnen.

So wichtig hier die Koordination mit den Führungen der Gewerkschaften hier ist, so wichtig ist es auch, sich nicht darauf zu beschränken. Viel zu oft haben die Funktionärsspitzen schon Arbeitskämpfe ausverkauft. Deswegen brauchen wir Solidaritätsdelegationen, die in die Betriebe und Schulen gehen. Unser Ziel sind gemeinsame Aktionstage und gemeinsame Streiks. Eine erster Schritt könnte ein eintägiger bundesweiter Aktionstag/Streik der StudentInnen, SchülerInnen und KindergärtnerInnen und wenn möglich der MetallerInnen und DruckerInnen sein. Als Termine bieten sich hier der Tag des internationalen Bildungsstreiks am 17.11., der Aktionstag der Kindergärtnerinnen am 21.11. oder der Tag des von Hahn einberufenen Bildungsgipfels, der 25.11., an. Unser Ziel ist ein unbefristeter, gemeinsamer Streik bis hin zum Generalstreik der StudentInnen, der SchülerInnen, der KindergärtnerInnen, der MetallerInnen, der DruckerInnen und eventuell noch weiterer Teile der ArbeiterInnenklasse.

Antikapitalistische Forderungen

4) Die Bewegung muß dringend diese gesellschaftliche Stoßrichtung auch in ihren Forderungen zum Ausdruck bringen. Bislang sind die Forderungen ausschließlich auf die Universitäten beschränkt, wenn man dem richtigen Demo-Leitspruch „Geld für die Bildung statt für die Banken und Konzerne!“ absieht. Das muß sich ändern, ansonsten erscheint unsere Bewegung in den Augen vieler ArbeiterInnen als eine uni-bornierte, als eine Bewegung der StudentInnen, „die es sich nur richten wollen“.

Wir müssen daher in unseren Forderungskatalog eine klare Antwort auf die Frage geben: wie soll eine bessere Ausbildung für mehr StudentInnen finanziert werden? Die Antwort der bürgerlichen Kräfte, die ja durchaus auch für mehr Bildung sind, ist eindeutig: ja, mehr Geld für Bildung, aber auf Kosten von anderen öffentlichen Ausgaben. (für Verwaltung, Sozialleistungen, Arbeitslosengelder etc.)

Leider gibt es auch in den Reihen der StudentInnenbewegung AktivistInnen, die die Beschränkung auf universitäre Themen wollen und die die Frage der Finanzierung bewußt offen lassen. Diese AktivistInnen spielen – sicherlich ungewollt – den bürgerlichen Kräften in die Hände, welche die StudentInnen gegen die Lohnabhängigen ausspielen wollen.

Die LSR schlägt daher vor die Aufnahme folgender Forderung in unseren Forderungskatalog auf: Als erster Schritt zur Finanzierung einer besseren Bildung soll eine massive Vermögensbesteuerung für die Reichen (ab einer Million Euro) bzw. auf Kapital und Besitz eingeführt werden.

Zweitens ist es notwendig, im Forderungskatalog ein klares Bekenntnis unserer Solidarität mit den Forderungen der KindergärtnerInnen, MetallerInnen und DruckerInnen abzulegen. Diese Gruppen von Lohnabhängigen kämpfen genauso wie wir für ihre Interessen gegen die Sparpolitik von Staat und Kapital. Sie sind genauso wie die StudentInnen Opfer der kapitalistischen Krise. Nur wenn wir unseren Widerstand zusammenführen, können wir ausreichend Druck ausüben, um unsere Forderungen durchzusetzen. Denn die StudentInnen können nicht die Wirtschaft lahmlegen.

Deswegen schlagen wir die die Aufnahme folgender Forderung in unseren Forderungskatalog auf: Wir unterstützen die Forderungen der KindergärtnerInnen, Metaller und Drucker nach höheren Löhnen und mehr sozialen Rechten!

Revolutionäre Organisierung

Wir denken, daß diese vier hier skizzierten Schritte über Sieg oder Niederlage, Erfolg oder Mißerfolg der StudentInnenbewegung in der allernächsten Zukunft entscheiden werden.

Die LSR wird weiterhin gemeinsam mit all jenen, die ähnlich denken, für diese Forderungen eintreten und entsprechende praktische Schritte setzen. Diese Forderungen dürfen natürlich nicht isoliert betrachtet werden, sondern sind Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Strategie, eines antikapitalistischen, revolutionären Programms. Um die Kräfte, die eine solche längerfristige Perspektive mit kurzfristigen, praktischen Aufgaben verbinden, auf der Universität zu stärken, ist der Zusammenschluß der revolutionären StudentInnen in einer Organisation dringend notwendig. Denn nur so können die Voraussetzungen geschaffen werden, um mit gestärkter Kraft für eine kämpferische, revolutionäre Orientierung in der StudentInnenbewegung intervenieren zu können.

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