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Bilanz

Erster Mai im Jahr der Krise

Martin Suchanek, Infomail 423, 4. Mai 2009

500.000 hätten am Ersten Mai an den DGB-Demos teilgenommen, eine paar Zehntausend mehr als im letzten Jahr. So jedenfalls lt. DGB-Homepage.

So lasen sich schon die „Erfolgsmeldungen“ von den Gewerkschaftsdemos und Kundgebungen der letzten Jahre. So wird es, geht es nach den Bürokraten in den Vorstandsbüros, wohl auch nächstes Jahr sein.

500.000 waren es wohl auch. Wie im letzten Jahr und wie im Jahr davor. Und genau das verdeutlicht das Problem. Angesichts der aktuellen historischen Krise des Kapitalismus, die täglich mehr und mehr Lohnabhängige, Bauern, Pauperisierte auf der ganzen Welt in den Ruin treibt, die auch in der BRD zu einem Angriff und Einschnitten in die Lebensverhältnisse des Proletariats führt, ja führen muss, ist die Politik der Gewerkschaftsführungen für die Arbeiterklasse ein sicherer Weg in die Katastrophe.

Jede Klasse der Gesellschaft steht vor der Frage, wie sie auf die Krise reagieren soll - der DGB hofft, dass er so weiter machen kann wie bisher. Die Gewerkschaftsführer scheinen allen Ernstes zu glauben, dass die Krise mit ein wenig mehr „Sozialpartnerschaft“, mehr Klassenkollaboration und richtiger Würdigung der DGB-Vorschläge gemeistert werden könne. Daher läuft ihre Kritik an der Regierung darauf hinaus, dass diese die Lasten nicht gerecht genug verteile.

Dass die Gewerkschaftsführer ihren Teil dazu beitragen wollen, dass die Arbeiterklasse für die Kosten der Krise kräftig „mit“bezahlt, bewiesen sie jüngst, als in der Metallbranche fast alle Unternehmen die Lohnerhöhungen für ein halbes Jahr zurückgestellt haben oder demnächst werden. Die Möglichkeit dafür haben die cleveren Unterhändler der IG Metall im letzten Tarifvertrag zugelassen. So viel zur DGB-Parole vom „fairen Lohn“.

Unruhen

Die DGB-Führung verrät und verkauft freilich nicht nur unter Preis. Sie versteht die aktuelle Situation wirklich nicht.

Das eine Stagnation der ausgewiesenen Teilnehmerzahlen auf den Kundgebungen angesichts der Legitimationskrise der Herrschenden, der tiefen Diskreditierung von Regierung, von Neoliberalismus und Kapitalistenklasse ein Zeichen der Schwäche der Gewerkschaftsbewegung ist, liegt auf der Hand. Es zeigt, dass Millionen Lohnabhängige offenbar wenig Hoffnung in den DGB haben, dass dieser ihre Interessen gerade in einer solch dramatischen Situation effektiv vertritt.

Noch viel deutlicher wurde das bei Sommers „Unruhe“-Warnung. Nicht nur, dass er jede Unruhe, d.h. wirklichen Widerstand, gern verhindern will. Sicher wird niemand ernsthaft seinen Willen zur Rettung des herrschenden Systems in Frage stellen. Trotzdem gab es von Seiten der herrschenden Klasse, von der CDU und auch von SPD-Vertretern (ja selbst vom Linkspartei-Bürokraten Klaus Ernst) dafür Schelte.

Warum? Weil die herrschende Klasse weiß, dass sie spätestens nach der Bundestagswahl der gesamten Klasse der Lohnabhängigen sowie Teilen der Mittelschichten und des Kleinbürgertums die Rechnung für die Krise präsentieren muss. Das ist mit Sommers „mehr  Sozialpartnerschaft“ und einem „Geben und Nehmen“ nicht möglich.

Die herrschende Klasse rechnet selbst mit Unruhen, die Sommer für leicht vermeidbar hält, würden nur alle Klassen der Gesellschaft seinem „Ausgleichs-Konzept“ folgen. Die Herrschenden wissen jedoch, dass die aktuelle Krise des Kapitalismus nur dann in ihrem Sinn gemeistert werden kann, wenn die Ausbeutung erhöht, Arbeitskräfte „freigesetzt“ und „überschüssige“ Kapazitäten vernichtet werden.

„Partnerschaftlich“ wird das nicht immer abgehen können, auch wenn sich die Gewerkschaftsbürokraten noch so darum bemühen. Daher ist das Reden von der „Unruhe“ eben ein solcher Missgriff Sommers gewesen. Anders als der DGB-Chef haben die Herrschenden nämlich die Zeichen der Zeit erkannt.

Klassenkämpferischer Block ein Erfolg

Die Politik der Gewerkschaftsspitze bedeutet aber nicht nur Irreführung und Demobilisierung der Klasse. Sie bedeutet auch Abschottung gegen Kritik und das Einfordern einer Kurskorrektur der Gewerkschaften.

So setzten der Berliner DGB samt seiner Ordnertrupps von Beginn an alles daran, dass der klassenkämpferische Block auf der DGB-Demo keinen Lautsprecherwagen haben sollte, dass Kritik möglichst ungehört bleibt.

Es war daher schon allein die Tatsache ein Erfolg, dass die OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen des Blocks, den auch Arbeitermacht und REVOLUTION unterstützten, durchsetzen konnten, dass der Lautsprecherwagen im Block fahren konnte.

Mit 400 bis 500 TeilnehmerInnen stellt der Block außerdem einen signifikanten Teil der gesamten Berliner DGB-Demo, die nur wenige Tausende TeilnehmerInnen umfasste.

Zu welchen Mitteln die Gewerkschaftsspitzen freilich gegen Opposition und Kritik greifen, zeigten sie noch einmal gegen Ende der Demonstration in Berlin, als sie die Polizei zur Personalienfeststellung der Personen im Lautsprecherwagen riefen. Diese schäbige Provokation muss in den Gewerkschaften von allen, die elementaren Formen der Solidarität und Arbeiterdemokratie verpflichtet sind, schärfstens verurteilt werden!

Repression am „anderen“ Ersten Mai

Neben den DGB-Demonstrationen fanden auch in diesem Jahr zahlreiche linke Demos statt, insbesondere die revolutionären Demos, Demos autonomer Gruppen oder die May Day-Paraden.

Hinzu kam eine Reihe anti-faschistischer Mobilisierungen gegen Mai-Veranstaltungen der Faschisten. Während die Demonstration in Mainz sehr erfolgreich war und die Nazis stoppen konnte, zeichneten sich die anderen Mobilisierungen oft durch einen massiven Bulleneinsatz zum Schutz der Nazis aus.

In Berlin wurde die NPD-Zentrale mit Tränengaseinsatz und einem massiven Bullenaufgebot geschützt. In Ulm kam es zu einem fünfstündigen Kessel hunderter DemonstratInnen, Festnahmen und zu dutzenden Platzverweisen.

Doch „natürlich“ wurden nicht nur Antifas, sondern auch andere Demos wie die von rund 500 Autonomen und Linken in Wuppertal brutal angegriffen und 200 (!) TeilnehmerInnen festgenommen.

Der Revolutionäre Erste Mai in Berlin

Die revolutionäre Erste-Mai Demonstration in Berlin war mit rund 15.000 TeilnehmerInnen die größte und bundesweit wohl auch wichtigste unter den linken Manifestationen.

Allein die Tatsache, dass sie ein Vielfaches der DGB-Demo in Berlin umfasste, zeigt, dass es ein großes Potential v.a. Jugendlicher gibt, die ihre Wut und Frustration zum Ausdruck bringen wollen.

Zweifellos keine neue Entwicklung, wohl aber eine, die sich weiter fortsetzt. Arbeitermacht und REVOLUTION haben zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen und aktiv mitgewirkt.

Weit mehr als in den letzten Jahren war in diesem Jahr schon im Vorfeld gegen die Manifestation gehetzt worden. Die Boulevardpresse aus dem Springerhaus u.a. forderten präventiv ein Demonstrationsverbot und überhaupt die Ausschaltung aller möglichen noch bestehenden demokratischen Rechte.

Erst recht nach der Demonstration haben sich die bürgerlichen Medien schlicht überboten mit Halbwahrheiten und Lügen. Verschwiegen wird dabei z.B., dass die Demonstration an mehreren Stellen angegriffen wurde, insbesondere nachdem sie zuvor durch das My-Fest gegangen war, ohne dass es dort zu irgendwelchen Auseinandersetzungen gekommen war.

Der Angriff auf die Demo-Spitze in der Ecke Manteuffel/Muskauerstraße erfolgte rein willkürlich, ohne dass es irgendeinen - und sei es noch so windigen - Vorwand gegeben hätte. Bei diesem Angriff der Bullen wurden zahlreiche DemonstrantInnen aus den ersten Reihen geschlagen und verletzt.

Die Demonstration konnte an dieser Stelle jedoch verteidigt und der Zug fortgesetzt werden. Sie konnte jedoch nicht auf der geplanten Route zu Ende geführt werden – eine vernünftige Entscheidung der Demoleitung, denn es war klar, dass die Polizeiprovokationen in Kreuzberg, im Schutze vieler PassantInnen leichter und sicherer zu Ende geführt werden konnte als in wenig belebten Straßen.

Die Auseinandersetzungen liefen dann bis spät in die Nacht weiter, nachdem die Polizei die Abschlusskundgebung verhindert, eine Festbühne am Kottbusser Tor gestürmt und die dortige Anlage zerstört hatte.

Doch nicht nur jugendliche, vermummte DemostrantInnen wehrten sich. Als die Polizei versuchte, TeilnehmerInnen in das Myfest zurückzudrängen und zu jagen, wurde sie auch von den Festbesuchern mit Flaschen und Steinen attackiert, die sich diese Provokationen nicht gefallen lassen wollten.

Das gesteht selbst die bürgerliche Presse zu - freilich in rassistisch verbrämter Mannier. Es waren dann v.a. „türkische Jugendliche“, die mit der Polizei gekämpft hätten, frei nach dem Motto, wenn es die Autonomen nicht waren, dann waren es die Ausländer.

Dieser Umstand, dass es zu einer Solidarisierung der Festbesucher mit den DemonstrantInnen kam, beunruhigt die Herrschenden und erklärt die nachfolgende Medienhetze.

Sie erklärt auch das angedrohte Ausmaß an Kriminalisierung. Lt. Polizei gab es 289 Festnahmen. Vier sollen gar wegen „Mordversuches“ angeklagt werden. Außerdem soll das Demonstrationsrecht weiter beschnitten, der Revolutionäre Erste Mai gar mit einem „Totalverbot“ belegt werden.

Der Anmelder, ein Mitglied der Linkspartei, wurde im Vorfeld und danach massiv unter Beschuss genommen - nicht nur von bürgerlichen Medien, Staatsgewalt, Bullengewerkschaft und Senat, sondern auch von „seiner“ Partei. Die „linke“ Bundestagsabgeordnete Gesine Lötsch erwartet, dass der Anmelder nicht mehr als solcher fungiere. Berlins Linskpartei-Chef Lederer wähnt die Partei gar in „Mithaftung“ durch solche Mitglieder.

Merke: Wer sein Recht auf Demonstrationsfreiheit ausübt, nimmt die Partei DIE LINKE in „Mithaftung“, während der gute Abgeordnete gerade dabei ist, in Berlin weiter die staatliche Überwachung – unlängst durch Einführung der Schülerdatei – auszubauen.

Die drohende Kriminalisierung darf keinesfalls unterschätzt werden, dann sie richtet sich weit über das „autonome“ Milieu hinaus gewissermaßen präventiv gegen die gesamte Linke und die Arbeiterbewegung. Sie zeigt, zu welchen Mitteln die Herrschenden auch gegen die gesamte Klasse zu greifen bereit sind, wenn sich wirklich französische oder griechische Verhältnisse entwickeln.

Wir fordern daher:

Nein zu jeder Kriminalisierung des Ersten Mai! Freilassung aller Festgenommenen! Niederschlagung aller Verfahren!

Verteidigen wir gemeinsam das Demonstrationsrecht!

Perspektive

Es gilt aber auch, die Frage der Perspektive des Widerstandes und des Klassenkampfes insgesamt aufzuwerfen.

An jedem Ersten Mai demonstrieren Zehntausende bundesweit mit anti-kapitalistischen Parolen. Aber diese Kraft wirkt kaum über diesen Tag hinaus.

Der Grund ist einfach. Es fehlt ihr selbst an einer politisch- programmatischen Alternative zu den Reformisten. Das zeigte sich auch am diesjährigen Aufruf zur Berliner Demonstration. Er forderte zwar die „soziale Revolution“ ein – aber er benannte überhaupt keine Forderungen, um die heute aktuell der Kampf geführt werden müsste; er gab keinerlei vermittelnde Perspektive vom Hier und Jetzt zur „sozialen Revolution“. So steht diese Losung im Grunde nur als moralisches Gebot, als bloße Willens- und Meinungsbekundung im Raum, während z.B. Forderungen oder Aktionslosungen im Kampf gegen die Krise außen vor blieben und damit unwillkürlich den Reformisten auf diesem Gebiet das Feld überlassen wird. Das ist ein Fehler, der in abgeschwächter Form auch im Aufruf zum „klassenkämpferischen Block“ auf der Berliner DGB-Demo enthalten ist.

Das ist auch ein zentraler Grund, warum die „radikale Linke“ in Deutschland, obwohl sie vom eigenen Selbstverständnis her mehrere Zehntausend zählt, politisch impotent bleibt (ja die „Köpfe“ des Linksradikalismus oft genug ein Rekrutierungsreservoir für die reformistische Bürokratie über die unkritische Mitarbeit und Ausfinanzierung durch Linskpartei, Luxemburg-Stiftung oder bei den DGB-Gewerkschaften bilden).

Diese Entwicklung ist natürlich kein Naturgesetz. Ein Bruch mit ihr erfordert aber einen grundsätzlichen Bruch mit der autonomen Ideologie und Doktrin des kleinbürgerlichen (Pseudo)-Radikalismus.

Kommunistische Politik, also eine revolutionäre Arbeiterpolitik, muss eine Antwort auf die Krise als ein Programm von Übergangsforderungen formulieren, das sowohl Tagesforderungen, Übergangslosungen wie jene nach Arbeiterkontrolle und die Errichtung der Herrschaft der Arbeiterklasse, die sozialistische Revolution enthält.

Ein zentraler Bestandteil einer solchen Ausrichtung muss darin bestehen, in den aktuellen und kommenden Auseinandersetzungen und Kämpfen in den Betrieben und Gewerkschaften durch den Aufbau einer oppositionellen, klassenkämpferischen Basisbewegung das Ruder rumzureißen und die sozialdemokratischen Spitzen im Kampf zu ersetzen.

Das wiederum wird nur möglich sein, wenn eine solcher Kampf von Beginn an verbunden ist mit dem für eine revolutionäre Partei der Arbeiterklasse.

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