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Tarifabschluss für die Uni-Klinika in Baden-Württemberg

Weit unter Forderungen

Anne Moll, Infomail 409, 20. Februar 2009

Das Ergebnis wird bis zum Bundesvorstand von ver.di als „bester Abschluss seit der Finanzmarktkrise“ hochgejubelt.

Nach dem dritten Warnstreik an allen vier Standorten Tübingen, Heidelberg, Freiburg und Ulm, der z. T. ganztägig organisiert war und mit einer Teilnahme von über 2.000 KollegInnen deutlich die Kampfbereitschaft zeigte, wurde der Tarifvertrag am 29. Januar bei der dritten Verhandlungsrunde überraschend abgeschlossen.

Das Ergebnis

Gefordert wurden 350 Euro Festgeld für Alle, tabellenwirksam und über 12 Monate Laufzeit.

Abgeschlossen wurde mit 65 Euro Festgeld plus 3% tabellenwirksam zum 01.02.09 und ab 01.01.2010 nochmals 1,4% Erhöhung auf die Lohntabelle, Laufzeit bis August 2010. Zusätzlich gibt es eine Einmalzahlung von 0,6% vom Lohn im Januar mal 8 Monate, ausbezahlt im April 2010! Laufzeit also insgesamt 22 Monate!

Der Festgeldbetrag ist auf ein Minimum reduziert, die Zersplitterung macht es den Beschäftigten schwer, den Überblick zu behalten. Laut Gewerkschaft beträgt die Lohnerhöhung in den unteren Gruppen über 6%. Unter Berücksichtigung der Laufzeit, ist das wenig mehr als nichts!

Außerdem wurden für Auszubildende und PraktikantInnen 160 Euro tabellenwirksam bei 12 Monaten Laufzeit gefordert. Der Abschluß: 80 Euro ab 01.02.09 und gleiche Erhöhung wie alle Anderen zum 01.01.2010, PraktikantInnen ab 01.01.2010 2% Lohnerhöhung.

Der geforderte Tarifvertrag zur Ausbildungsqualität wurde runtergehandelt auf eine tarifliche Niederschriftserklärung. Sie beinhaltet: Einrichtung einer Projektgruppe, an der die Jugendtarifkommission, Personalräte und Jugend- und Auszubildendenvertretung neben den Arbeit“gebern“ beteiligt sind. Für die Ergebnisse ist Zeit bis August 2010, dann sollen diese verbindlich umgesetzt werden.

Lediglich die geforderte Höhergruppierung der Pflegekräfte mit Zusatzausbildung in der Onkologie und Nephrologie, die längst überfällig war, ist wie gefordert umgesetzt worden.

Zusätzlich gibt es 100 Euro Zulage für Pflegekräfte mit Zusatzqualifikation in bestimmten Abteilungen.

Wie kam es zu diesem überstürzten Abschluss?

Günther Busch, Verhandlungsführer von ver.di, hat von Anfang an die Position vertreten, vor der Tarifauseinandersetzung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TDL) abzuschließen. Die Forderung der TDL ist niedriger als die der Klinika-Beschäftigten, was den eigenen Abschluss schwächen würde, lägen der TDL-Abschluss oder die Verhandlungen der TDL vor dem Abschluss der Klinika-Beschäftigten, meinte Busch.

Am 29.01.09 wurde dann verhandelt, die große Tarifkommission war vor Ort, um direkt über das Ergebnis abzustimmen. Erwartet wurde von den Beschäftigen kein Ergebnis, sondern die Entscheidung für Urabstimmung und Streik!

So sah es auch lange aus. Dann kam der Arbeit“geber“ mit einer Überraschung. Er bot eine Zulage von 150 Euro für Pflegekräfte mit Zusatzqualifikation in der Anästhesie, im OP, in der Intensivstation, Psychiatrie, Onkologie und Nephrologie an. Das sah die Verhandlungskommission als mögliche Verhandlungsmasse und ging in Sondierungsgespräche. Es waren zähe und kleinliche Verhandlungen, die außerdem über 10 Stunden die große Tarifkommission nicht mit einbezog und auch nicht informierte.

Aber wenn die Verhandlungsführung der Gewerkschaft einen Abschluss will, dann kommt sie auch zum „Ziel“ - und sei dieses auch noch so schwer vermittelbar.

Die lange im Unklaren gehaltene große Tarifkommission sah sich dann am späten Abend mit dem komplizierten Ergebnis konfrontiert und wurde zum sofortigen Abstimmen (Zustimmen ) genötigt, ungeachtet des großen Diskussionsbedarfs und notwendiger Bedenkzeit - und ohne Legitimation der Basis! Die Tarifkommission stimmte dann mit 37 zu 6 Stimmen für den Abschluss.

Die Beschäftigten erfuhren am 30. Januar aus der Zeitung nur, dass es zum Abschluss gekommen war - kein Wort darüber, wie dieser aussieht. Drauf mussten sie bis zum Montag warten, als dann unter Vorbehalt (den hat sich die Arbeit“geber“seite offen gelassen, um das Einverständnis der Vorstände einzuholen) und mit vielen offenen Fragen die Ergebnisse präsentiert wurden und eine erste Diskussion mit Vertrauensleuten und Betriebsgruppen geführt wurde.

Am 13.02. gab es eine Nachverhandlung über die genaue Aufteilung der Erhöhung für 2010, über die Anspruchsberechtigung der Zulage und die Verfahrensweise der Projektgruppe zur Ausbildungsqualität.

Wie wird das Tarifergebnis von den Beschäftigten angenommen?

Durch den Festgeldbetrag plus 3% haben die unteren Lohngruppen eine vergleichsweise deutliche Erhöhung erreicht. Das wird von den Beschäftigten positiv bewertet. Die Auszubildenden sind mit dem bescheidenen Abschluss einigermaßen zufrieden.

Ansonsten ist die Bewertung sehr unterschiedlich. Von „besser als nichts“ bis zu großer Enttäuschung, „weil mehr dringend nötig gewesen wäre“, reichen die Reaktionen.

Die 100 Euro Zulage für „Pflegekräfte mit Zusatzqualifikation“ wird sehr kritisch gesehen. Eine Zulage, die nicht tabellenwirksam ist und damit auch jederzeit wieder wegfallen kann, gehört nicht in eine Tarifverhandlung. Der Arbeitgeber kann jederzeit zusätzlich zum Tarifvertrag Zulagen zahlen. Diese jetzt als Gegenstand der Verhandlungen zu machen, sorgt für viel Unmut. KollegInnen, die schon lange in den Bereichen ohne Zusatzqualifikation arbeiten, befürchten leer auszugehen, obwohl sie die gleiche Arbeit machen. Das Argument, „wer zwei Jahre die Strapazen einer Zusatzqualifikation auf sich genommen hat, soll auch finanziell davon profitieren“ muss entschieden zurückgewiesen werden!

Erstens gibt es nicht ausreichend Angebote zur Fortbildung. Teilzeitkräfte werden selten zugelassen. Wer zu Hause Familienaufgaben hat, kann kaum noch Zeit und Kraft für eine Weiterbildung aufbringen.

Diese Zulagen spalten die Beschäftigten auch. Während eine Gruppe von Pflegekräften besser gestellt wird, gibt es für andere Berufsgruppen trotz Zusatzqualifikation und belastender Arbeit mit Schwerstkranken oder hochsensiblen Stoffen (z.B. Krankengymnasten, Laborpersonal) gar nichts.

Wie wird der Abschluss von den Vertrauensleuten, der Betriebsgruppe und den aktiven GewerkschafterInnen am Uni-Klinikum Tübingen beurteilt?

Wir hatten uns mit einer Festgeldforderung für die Tarifverhandlungen durchgesetzt: das war ein großer Erfolg. Von vielen KollegInnen wurde das anerkannt und sie waren der Meinung: „Dafür lohnt es sich zu kämpfen!“

Der Abschluss weit darunter zeigt unsere Schwäche, die Schwäche der Tarifkommission und den Unwillen der Gewerkschaftsfunktionäre, die Tarifauseinandersetzung der Einen mit den Arbeitskämpfen Anderer zu verbinden. Den Unwillen, Solidarität herzustellen und gerade in der Wirtschaftskrise Arbeitskämpfe zu politisieren.

Die üblichen Argumente - ein unbefristeter Streik wäre nicht zu realisieren gewesen, es waren nicht genug KollegInnen an den Warnstreiks beteiligt, ein besseres Ergebnis wäre trotz unbefristetem Streik nicht zu erreichen gewesen usw. -, die von Seiten der Gewerkschaft und der Tarifkommission geäußert wurden, sind reine Behauptungen. Anstatt das Bestmögliche an Mobilisierung herauszuholen, wurde lieber klein beigegeben.

Den Vertrauensleuten, der Betriebsgruppe und alle Aktiven, die sich an den Diskussionen und Warnstreiks beteiligt haben, ist klar geworden:

Es gab eine hohe Bereitschaft zum Streik, die Streiktreffen der Betriebsgruppe hatten regen Zulauf, die Beschäftigten erkennen, das sie für Verbesserungen selber aktiv werden müssen.

Ein wesentlicher Punkt zur Verbesserung unserer Durchsetzungskraft liegt sicher in der Vernetzung der Beschäftigten aller vier Standorte. Das ist diesmal nicht geglückt.

Streiks im Krankenhaus können sicher nicht Eins zu Eins mit anderen Betrieben verglichen werden. Würde es sich nicht um Menschen handeln, die auch während der Streiks ein Recht auf Versorgung und Behandlung haben, so hätte die Beteiligung an den Warnstreiks mit Sicherheit über 50% gelegen.

Die Beschäftigten hatten viele Gründe zu streiken und die Zeit war längst überfällig. Die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern, der Personalabbau und die Ausgliederung ganzer Bereiche mit noch schlechteren Tarifverträgen und Arbeitsbedingungen hätte mit der Tarifauseinandersetzung verbunden werden müssen.

Die Wut, die durch den Tarifstreit ein Ventil fand, wurde abgewürgt; manche lassen sich noch eine Zeit lang durch das Trostpflästerchen der paar Euro mehr beruhigen. Doch die Aufgabe, für mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung zu kämpfen, bleibt bestehen.

Basisbewegung

Vor allem aber gilt es, aus diesem und vielen anderen Ergebnissen politische Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Selbstorganisierung und Vernetzung von unten - der Aufbau eine klassenkämpferischen, oppositionellen Basisbewegung - ist dringend nötig, um das Potential der Kämpfe auszuschöpfen und diese angesichts der Krise zu politisieren, sprich dort weiter zu gehen, wo die Bürokratie Halt macht.

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