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Neue antikapitalistische Partei in Frankreich gegründet

Ein wichtiger Schritt vorwärts

Marc Lassalle, Paris, Infomail 408, 10. Februar 2009

Die französische Neue Antikapitalistische Partei (NPA = Nouveau Parti Anticapitaliste) hielt ihren Gründungskongress vom 6.-8.2.09 in Saint Denis, einem Vorort von Paris, ab. Zuvor hatte die Ligue Communiste Revolutionnaire (LCR) ihren Auflösungskongress durchgeführt. Die LCR, 40 Jahre lang offizielle französische Sektion der IV. Internationale (Vereinigtes Sekretariat), wird jedoch in irgendeiner Form weiter bestehen.

Der Kongress fand inmitten der ersten Widerstandswelle gegen die Wirkungen der kapitalistischen Krise und die Attacken des französischen Präsidenten Sarkozy statt, die im Generalstreik vom 29. Januar kulminierte. Er war ein wichtiger Meilenstein für die radikale Linke und kann neue Perspektiven für den Klassenkampf in Frankreich eröffnen.

Aufruf

Der LCR-Führer Olivier Besancenot startete kurz nach den Präsidentschaftswahlen 2007 einen Aufruf zur Formierung einer neuen antikapitalistischen Partei, nachdem Wahlsieger Sarkozy verkündet hatte, er werde der französische Thatcher sein. In den Wahlen erreichte die LCR damals mit ihren 1,5 Millionen Stimmen (4,1%) einen historischen Rekord. Während des Folgejahrs entstanden im ganzen Land mehr als 400 Ausschüsse zur Bildung der neuen Partei. Um den Kern der LCR versammelte sich eine erhebliche Anzahl von GewerkschafterInnen, Jugendlichen, Mitgliedern von Attac und AnhängerInnen des Bauernführers Jose Bové. Die meisten von ihnen waren sogar das erste Mal für eine politische Organisation tätig. Die Zahlen sprechen für sich: von den über 9.000 AktivistInnen der NPA stellt die LCR nur knapp 3.000.

Zweifelsohne ist die Person des Präsidentschaftskandidaten Besancenot ein Attraktionspol, er findet gerade unter der Jugend und in der Arbeiterklasse viel Anklang. Aber er ist weder der einzige noch der herausragende Grund für den Erfolg der NPA. Wie Besancenot schon in seiner Grußadresse an den Kongress verkündete, leben wir in einer neuen Geschichtsperiode, die durch massiven Widerstand gegen die kapitalistischen Angriffe gekennzeichnet ist. Die im November 1995 aufbrandenden Kämpfe und Streiks waren nur das erste Glied in einer Kette weiterer Ereignisse.

Alle entsinnen sich noch des Aufruhrs in den Banlieues 2005 und der machtvollen Kämpfe gegen die CPE-Verordnung (den Niedriglohneinstufungen für junge Berufseinsteiger) 2006. Der jüngste Generalstreik vom 29. Januar zeigt, dass die Kampfeslust der französischen ArbeiterInnen ungebrochen ist, trotz der ersten Teilerfolge von Sarkozys Präsidentschaft. Dass Sarkozy, ein erklärter neoliberaler Politiker, inmitten gesteigerter Klassenkämpfe überhaupt Präsident werden konnte, deutet auf die Hauptwidersprüche der Periode. Während die Basis bereit ist zum Kampf, versucht ihre Führung, die traditionellen Parteien der französischen Linken in Gestalt der Sozialistischen Partei (PS) und der Kommunistischen Partei (PCF) sowie der jeweiligen Gewerkschaften, ständig, den Konflikten aus dem Wege zu gehen. Natürlich tun sie dies letzten Endes, weil sie den Kapitalismus akzeptiert haben und daher bereit sind, selbst die elementarsten Interessen der ArbeiterInnen auf dem Altar der Stabilität der kapitalistischen Ordnung zu opfern.

Neue Periode, neues Programm, neue Partei

„Neue Periode, neues Programm, neue Partei“ - das ist auf eine kurze Formel gebracht die Analyse der LCR-Führung. Es enthält natürlich einen wahren Kern, der auch auf viele andere Länder Europas und der Welt zutrifft. Die verschiedenen Kampfwellen, getragen nicht nur von der Arbeiter- und Jugendbewegung, sondern von den antikapitalistischen Mobilisierungen der ersten Jahrzehnthälfte, haben eine neue Schicht von AktivistInnen hervorgebracht, die den Kapitalismus als den Hauptfeind ausgemacht haben. Die gegenwärtige tiefe Krise hat ihre Haltung bestätigt. In den Kämpfen der ArbeiterInnen, der Jugend, der ImmigrantInnen ohne Papiere (sans papiers) oder in der internationalen antikapitalistischen Bewegung haben sie ihre ersten Lehren über den Charakter des Systems und des Staates hinter sich. Zum anderen hat eine wachsende Zahl dieser AktivistInnen die Beschränktheit von Spontaneität und unkoordinierter libertärer Bewegungen zu spüren bekommen und sind nun überzeugt, dass sie ohne eine organisierte Partei diese Beschränktheit nicht durchbrechen können. Die Organisierung und Vereinigung dieser Militanten aus verschiedenen gesellschaftlichen Zusammenhängen ist die vordringlichste Aufgabe der NPA.

Dem Gründungskongress voraus gegangen waren eine ganze Reihe von örtlichen Konferenzen der Ausschüsse. Dem Kongress selbst wohnten 600 Abgeordnete bei. Er hatte die bedeutsame politische Aufgabe, den organisatorischen Rahmen der neuen Partei abzustecken, einen Namen zu finden, die Statuten und - vor allem - ein Programm zu verabschieden.

Hunderte Namen wurden für die neue Partei vorgeschlagen, viele von ihnen völlig neben der Spur wie ‚Französische Humanische Partei’. In der Endausscheidung gab es dann die Wahl zwischen „Neue Antikapitalistische Partei“ und „Antikapitalische Revolutionäre Partei“. In der Bennennung des Parteiziels fiel die Wahl sehr knapp aus, wobei „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ in bewusstem Bezug auf Hugo Chavez schließlich gegen „Sozialismus“ und „Ökosozialismus“ das Rennen machte.

Dies deutet allerdings an, dass die NPA noch keine revolutionäre Kraft mit klarer bewusster Ausrichtung auf die Aufgaben der kommenden Periode ist. Vielen neuen Mitgliedern mangelt es an revolutionärer Perspektive, sie sind im Großen und Ganzen noch ReformistInnen.

Die Schwächen der NPA aber resultieren v. a. aus den politischen Schwächen der LCR. Während der fast 40 Jahre ihres Bestehens war ihre Politik durch Zögerlichkeit, Schwankungen und manchmal auch Verrrat geprägt; alles Merkmale, die dem Zentrismus eigen sind.

Das ist auch klar daran ablesbar, wie die LCR das NPA-Projekt vorgeschlagen hat. Nach den Aussagen der LCR-Führer beim Start der NPA-Kampagne sollte die neue Partei „guevaristisch“, „feministisch“ und „ökologistisch“ sein, aber keinesfalls trotzkistisch oder leninistisch. In dem Enwurf für den Kongress heißt es: „Wir wollen, dass die NPA die besten Traditionen der Kämpfer gegen das System aus zwei Jahrhunderten weiter trägt, den Klassenkampf des sozialistischen, kommunistischen, libertären, revolutionären Erbes.“

Wir glauben nicht, dass den links-kleinbürgerlichen Ideologien der LCR die „besten Traditionen“ wirklich willkommen sind. Vielmehr haben sie zu großen Irrtümern und Niederlagen geführt. Wir glauben, dass die besten Traditionen diejenigen sind, die die LCR ausgeschlossen hat: Leninismus und Trotzkismus.

Die entscheidende Frage ist allerdings nicht, welchen Namen sich eine Partei gibt, sondern welches Programm sie annimmt und welche Art von Kampforganisationen sie in der Arbeiterklasse aufzubauen gedenkt. Das Programm der NPA ist ein Minimal/Maximalprogramm und spiegelt die ideologische Verwirrung der LCR wider. Ein antikapitalistisches Ziel wird offen verkündet: „Die Demokratie der Produzenten im gesellschaftlichen Verbund, die mit souveräner Entscheidungsfreiheit ausgestattet sind, was, wie und zu welchem Zweck sie produzieren“. Aber über die Mittel hierzu herrscht ein Gewirr von revolutionären, syndikalistischen und reformistischen Vorstellungen:

„ Durch die Entwicklung und Verallgemeinerung der Kämpfe, verallgemeinerte und verlängerte Streiks können wir die Attacken stoppen und unsere Forderungen verwirklichen. Der Kräfteausgleich durch Mobilisierungen erlaubt es uns, eine Regierung an die Macht zu bringen, die radikale Maßnahmen zum Bruch mit dem System durchsetzt und mit einer revolutionären Umwandlung der Gesellschaft beginnt.“

An keiner Stelle wird erwähnt, was jedes System von Übergangsforderungen krönt: die Losung der Arbeiterräte, die die Macht erobern und den bürgerlichen Staat durch einen Arbeiterstaat ersetzen. Ebenso unerwähnt bleiben die Arbeitermilizen, die allein die revolutionären Kräfte in die Lage versetzen können, den bewaffneten bürgerlichen Apparat zu zerschlagen, die einfachen Soldaten zu gewinnen und somit die KapitalistInnen der Nutzung ihres Staatsapparates zu berauben. Welcher Art sind die „radikalen Maßnahmen“ der Regierung, die aus den Kämpfen hervorgehen soll? Was ist der Unterschied zwischen ihr und einer linksreformistischen Regierung? Diese Unklarheit spiegelt die durchgängige Schwammigkeit des LCR-Projekts als Ganzes wider. Die dauerhafte Versammlung von revolutionären und reformistischen Kräften in ein und der selben Partei, die Vereinigung eines Kaderkerns, der zumindest subjektiv revolutionär eingestellt ist, mit breiten Schichten, die stärker an reformistischen Ideen hängen und an die Erringung der „Macht“ durch Wahlen glauben, ist ein im entscheidenden Augenblick, wenn nicht schon vorher, zum Untergang verurteiltes Projekt.

Frage der Europawahlen

Der Höhepunkt des Kongresses war die Debatte über die Strategie für die kommenden Europaparlamentswahlen. Soll die LCR teilnehmen in einer ‚linken Front’ mit KPF und Linkspartei (PG, einem Splitter der PS), die bewusst die Taktik der Linkspartei in Deutschland nachäfft, d. h. eine neue reformistische Partei schaffen will? Das Problem liegt selbstredend darin, dass diese Parteien absolut reformistisch sind, und ihr „Antineoliberalismus“ nur bis zum Ende der Wahlkampagne vorhalten würde, wenn die Chance bestünde, einen Block mit ihren rechtsreformistischen großen Brüdern einzugehen. Die LCR und auch die NPA-Mehrheit (76%) lehnte korrekt diese Perspektive ab, aber sie blieben äußerst mehrdeutig in ihren Zielsetzungen. Sie weigerten sich, einfach einen Wahl“erfolg“ zu landen - nach Umfragen läge eine Linksfront bei 14% der Stimmen - und gaben stattdessen einer längerfristigen Front bei „völliger Unabhängigkeit“ von der PS den Vorzug.

Das ist eine Verfälschung der revolutionären Position, die jegliche Form von Wahlblöcken mit dem Reformismus bzw. einen Regierungseintritt zu solchen reformistischen Kräften ablehnt. Natürlich ist die PS nicht die einzige reformistische Kraft der französischen Linken. Die KPF, käme sie denn allein oder mit der PF bzw. der NPA an die Macht, würde nichts anderes tun, als das System im Interesse der Bourgeoisie zu verwalten. Wirkliche RevolutionärInnen würden grundsätzlich den Eintritt in jegliche Art bürgerlicher Regierungen, auch solche, die ausschließlich aus reformistischen (stalinistischen, Labour- oder sozialdemokratischen) Arbeiterparteien bestehen, verweigern. Solche Regierungen sind bürgerliche, weil sie ungeachtet irgendwelcher Reformen die Geschäfte des kapitalistischen Staates besorgen und diesen Staat niemals aufbrechen und den ArbeiterInnen zur Macht verhelfen würden.

Diese Diskussion zeigt die möglichen Scheide- und Spaltungslinien der Zukunft für die NPA.

Die EU-Wahlen dienen nicht zur Bildung einer Regierung. Hier lässt sich die janusköpfige Einheit noch ziemlich leicht aufrecht erhalten. Sie bilden eher eine Propagandaplattform. Welche Taktik aber wird für die französischen Präsidentschaftswahlen 2012 angewendet, wenn z.B. ein linker Kandidat die Mehrheit erringen könnte, falls ihn die NPA unterstützen würde? Soll die NPA dann eine solche linke Regierung mittragen ? Die einhellige Antwort von MarxistInnen wäre: Nein! Was würden NPA-Führer, was würde Olivier Besancenot dann tun?

Es kann kaum Zweifel geben, dass unter diesen Umständen die Partei unausweichlich von einer tiefe Krise befallen wird, es sei denn, die ganze zentristische Methode, das Umherirren zwischen Reform und Revolution, würde über Bord geworfen. Die ehemaligen LCR-GenossInnen sind keine verlässliche Führung in einer Periode voll von revolutionären Möglichkeiten. Es ist jedoch richtig, dass viele von der NPA angezogenen Kräfte zur Zeit einen linksreformistischen Horizont haben. Dies wird sich bei ArbeiterInnen noch verstärken, wenn sich die NPA künftig zur Wahl stellt. Muss die Antwort dann ein revolutionäres Ultimatum sein? Nein! Die einzig fortschrittliche Lösung dieses Problems besteht in der Präsentation eines Programms, das die ArbeiterInnen und die Jugend um Sofort- und Übergangsforderungen schart und im Kampf gegen die kapitalistische Krise und deren Auswirkungen voran treibt. Ein solches Programm sollte zeigen, wie die mobilisierte Arbeiterklasse alle kapitalistischen Krisenbewältigungsversuche auf Kosten der Arbeiterklasse und der Massen blockieren und sabotieren kann:

Besetzungen, um die Schließung von Betrieben zu verhindern;

Organisierung der Erwerbslosen in einer mächtigen und militanten Bewegung, um den Staat zu zwingen, die Mittel für ein massives Programm von öffentlichen Arbeiten unter Arbeiterkontrolle bereit zu stellen;

Verteidigung des Öffentlichen Dienstes und Anhebung der Löhne im Privatsektor;

Verteidigung des Rechts und dessen Absicherung auf ein menschenwürdiges Dasein für Frauen, MigrantInnen und solche ohne Aufenthaltserlaubnis, für die Jugend in den trostlosen Vorstädten (banlieues), die SchülerInnen und StudentInnen;

Vernetzung aller Kämpfe in Koordinationen mit jederzeit abwählbaren Abordnungen, damit die GewerkschafsbürokratInnen diese Kämpfe nicht verraten und ausverkaufen können, wie sie das schon so oft in der Geschichte getan haben.

Die Verfechtung eines solchen Programms, das die Schaffung von Kampforganen anstrebt, den Charakter des bürgerlichen Staates enthüllt, die Feigheit der reformistischen und bürokratischen FührerInnen entlarvt, kann eine Brücke schlagen, über die Millionen ArbeiterInnen, die gegenwärtig noch in einer reformistischen Weltsicht befangen sind, gehen können und sich der Notwendigkeit der Revolution bewusst werden können. Aber ein unverzichtbare Voraussetzung dafür ist, dass RevolutionärInnen immer ihr Programm und ihr revolutionäres Ziel in aller Klarheit in die Öffentlichkeit bringen.

Die Mitglieder der Liga für die 5.Internationale (LFI) haben die Bildung der NPA als Schritt nach vorn im französischen Klassenkampf unterstützt. Heute kämpft sie, um die NPA mit einem solchem Aktionsprogramm mit Übergangscharakter neu zu bewaffnen, damit die Partei mit einem revolutionären Programm die Führung in der nächsten Runde von Kämpfen übernehmen kann und nicht als schwache Wahlkoalition von Zentristen und Reformisten endet, die schon beim ersten Härtetest auseinander bricht. Ist die Gründung der NPA ein Schritt nach vorn? Ja, gewiss, und sogar ein großer! Aber weitere und entschlossenere Schritte müssen in den kommenden Monaten und Jahren des verschärften Klassenkampfs folgen.

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