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Zum Tod Jörg Haiders

Die Politikerkaste trauert - wir nicht!

Michael Pröbsting, Liga der sozialistischen Revolution, österreichische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 387, 14. Oktober 2008

Der Unfalltod des BZÖ-Führers Jörg Haider hat eine Welle von Lobhudeleien und heuchlerischen Würdigungen ausgelöst. Sowohl die radikalen Rechten wie auch die etablierte Politikerkaste inklusive der sozialdemokratischen BürokratInnen überbieten sich mit ehrfurchtsvollen Stellungnahmen.

Doch für die Arbeiterklasse, für MigrantInnen und Jugendliche ist der Tod des rechtsradikalen Führers alles andere als ein Verlust. Es gibt nicht den geringsten Grund, sich der Trauerstimmung der bürgerlichen Öffentlichkeit anzuschließen. Denn Jörg Haider war einer der aggressivsten Repräsentanten des bürgerlichen Lagers, also des Lagers der herrschenden Kapitalisten-Klasse, der arbeiterfeindliche Politik mit rassistischer Hetze kombiniert hat.

Rammbock der bürgerlichen Offensive

Tatsache ist, dass sich die FPÖ unter Haiders Führung als rechtsradikaler Rammbock zur Verarmung und Unterdrückung großer Teile der Arbeiterklasse fungierte. Es war Haider und seine Partei, die die Rechte der MigrantInnen attackierte und damit viele von ihnen zu billigen, oft rechtlosen Arbeitssklaven degradierte. Es war Haider, der als Kärntner Landeshauptmann noch vor wenigen Wochen tschetschenische AsylwerberInnen in einer Nacht und Nebel-Aktion deportieren ließ. Es war Haider und seine FPÖ/BZÖ, unter deren Regierungskoalition mit der ÖVP das Pensionsrecht verschlechtert wurde, die verstaatlichte Industrie weitgehend an Privatkapitalisten billig verscherbelt wurde und die Sozialversicherung vollständig in die Hände der Kapitalisten und ihres Staates überging. Warum also sollte unsere Klasse, warum sollten die Lohnabhängigen, die MigrantInnen und Jugendlichen auch nur eine einzige Träne über den Tod von Jörg Haider vergießen?!

Gerade weil wir es über viele Jahre hinweg beobachten konnten, wissen wir, dass er als rechtsradikaler, populistischer Rammbock einer der gefährlichsten Feinde der Arbeiterklasse war. Gerade darin lag seine Bedeutung in den späten 1980er und in den 1990er Jahren. Er erkannte früher als die behäbigen Politiker von ÖVP und SPÖ, dass die österreichische Bourgeoisie das System der Sozialpartnerschaft zertrümmern musste, um angesichts einer stagnierenden Dynamik des Kapitalismus und des verschärften Wettbewerbs am Weltmarkt bestehen zu können. Er verstand besser als seine Konkurrenten in den anderen bürgerlichen Parteien, dass diese Zertrümmerung von einer verschärften rechts-populistischen und rassistischen Hetze begleitet sein muss, um eine für den Kapitalismus gefährliche Umwandlung der verschärften Klassengegensätze in offene Klassenkämpfe zu vermeiden. In dieser Hinsicht war Haider ein durchaus weitsichtigerer bürgerlicher Politiker als seine KollegInnen. Mehr noch, er verfügte auch über das rhetorische Talent, um diese Notwendigkeiten umzusetzen.

Die Rolle der Persönlichkeit und ihre Selbsttäuschung

Die Rolle Haiders in der österreichischen Innenpolitik war eine Bestätigung des dialektischen Verständnisses des Marxismus, der im Unterschied zum pseudo-marxistischen Fatalismus im Sinne des Austro-Marxismus und Stalinismus die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte der Geschichte angemessen bewertet. Als materialistische Dialektiker lehnen wir die These ab, nach der jede gesellschaftliche Entwicklung vorherbestimmt und durch den subjektiven Faktor nicht beeinflusst werden könne. Vielmehr können Persönlichkeiten und Parteien sehr wohl das Kräfteverhältnis und den Ausgang der Kämpfe zwischen den Klassen beeinflussen. Aber eine Persönlichkeit kann nur dann eine gesellschaftliche Rolle spielen, wenn sie in einer konkreten Situation den objektiven Erfordernissen wesentlicher Kräfte, also Klassen, entspricht.

Der russische marxistische Theoretiker Georgi Plechanow brachte diesen Gedankengang einst treffend auf den Punkt:

„Es ergibt sich, daß die Persönlichkeiten kraft der gegebenen Besonderheiten ihres Charakters die Geschicke der Gesellschaft beeinflussen können. Mitunter ist dieser Einfluß sogar recht beträchtlich, aber sowohl die Möglichkeit einer solchen Beeinflussung selbst als auch ihr Ausmaß werden durch die Organisation der Gesellschaft, durch das Wechselverhältnis ihrer Kräfte bestimmt. Der Charakter einer Persönlichkeit ist nur dann, nur dort und nur insofern ein ‚Faktor‘ der gesellschaftlichen Entwicklung, wann, wo und inwiefern die gesellschaftlichen Verhältnisse dies erlauben.“ (Georgi Plechanow: Über die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte (1898), Dietz-Verlag 1982, S. 48)

Haider konnte eine solche gesellschaftliche Rolle spielen, als er in den späten 1980er und den 1990er Jahren zum Werkzeug des objektiven Erfordernisses der Großbourgeoisie nach Umwälzung des politischen Überbaus in Österreich wurde.

Genau hierin lagen jedoch auch die Grenzen seines politischen Wirkens. Für den oberflächlichen Beobachter in der damaligen Zeit war der Abstieg Haiders nach 2000 eine höchst erstaunliche und verwunderliche Wendung der Innenpolitik. Jörg Haider trieb seit 1986 die Politikerkaste rhetorisch brillant vor sich her. Mit aggressiver Wortwahl, Selbstbewusstsein und charismatischem Auftreten stellte er sie alle in den Schatten. Doch dann, nach dem Regierungseintritt der FPÖ im Jahre 2000 – also am scheinbaren Höhepunkt seiner Macht – ging es plötzlich abrupt bergab. Die FPÖ schlitterte in eine Krise nach der anderen, verlor bei den Wahlen 2002 zwei Drittel ihrer Stimmen. Schließlich musste Haider die Partei spalten und mit der BZÖ eine Partei gründen, die außerhalb Kärntens eine bloße Bonzai-Kraft darstellte. Wo war die Wirkung seiner Rhetorik, warum bewirkte sein Charisma nichts mehr?!

Friedrich Engels schrieb einmal über das Schicksal von RevolutionärInnen des 18. und 19. Jahrhunderts:

„Die Leute, die sich rühmten, eine Revolution gemacht zu haben, haben noch immer am Tag darauf gesehen, daß sie nicht wußten, was sie taten, daß die gemachte Revolution jener, die sie machten wollten, durchaus nicht ähnlich sah. Hegel nannte das die Ironie der Geschichte“ (Friedrich Engels: Brief an Vera Iwanowa Sassulitsch (1885); in: MEW 36, S. 307)

Nun, diese Selbsttäuschung bürgerlicher und kleinbürgerlicher RevolutionärInnen, von denen Engels sprach, trifft meist auch auf bürgerliche Konterrevolutionäre des 20. und 21. Jahrhunderts zu. Während es bei den bürgerlichen RevolutionärInnen die eigene Schwäche oder bei kleinbürgerlichen Kräften die fehlende Ideologie des wissenschaftlichen Sozialismus war, die revolutionäre Entwicklungen zum Scheitern brachten, so war es Haiders Populismus, der ihn und seine FPÖ zu Fall gebracht hat. Haiders Wert für die Großbourgeoisie war der des bürgerlichen Rammbocks, der die Zertrümmerung sozialer und demokratischen mit seinen populistischen Phrasen übertünchen und schmackhaft machen konnte. Diese Funktion konnte er und seine Partei nicht mehr erfüllen, sobald diese nicht mehr in der Opposition, sondern in der Regierung waren. Ab diesem Zeitpunkt bedurfte es kompetenter Verwalter der bürgerlichen Offensive und keiner polarisierenden Schreihälse. Hinzu kam noch, dass die populistische Scheinwelt des Jörg Haider an der Realität der FPÖ/BZÖ-Regierungspolitik zerschellte.

BZÖ – Wie weiter?

In Kärnten konnte Haider seine Partei als stabile und verankerte Partei der Bourgeoisie etablieren und über längere Zeit an der Macht halten. Dort spielte die FPÖ/BZÖ jene Rolle, die die ÖVP in anderen Bundesländern einnehmen konnte. Doch außerhalb Kärntens gelang dies Haider nicht. Erst in der Opposition nach 2006 konnte Haider wieder an Unterstützung gewinnen. Doch auch wenn das BZÖ bei den jüngsten Nationalratswahlen einen Wahlsieg einfahren konnte, darf dies nicht über die Schwäche des BZÖ außerhalb Kärntens hinwegtäuschen. Im Unterschied zur FPÖ verfügt es kaum über Basisstrukturen und eine etablierte Funktionärsschicht. Die Kuriositäten rund um Westenthaler und das BZÖ Wien kurz vor den Wahlen machten das deutlich.

Ohne schon jetzt einen genauen Zeitpunkt festlegen zu wollen, scheinen weitere Spaltungen in BZÖ und/oder FPÖ durchaus wahrscheinlich. Das BZÖ wird zwischen einer eigenständigen Position und der Aussicht auf Wiedervereinigung hin- und hergerissen. Gleichzeitig wird sich auch recht bald ein interner Machtkampf entwickeln, da der Tod Haiders auch ein Machtvakuum in der Führung des BZÖ hinterlassen hat. Wenngleich Petzner zweifellos sein politischer Ziehsohn ist, wollen Westenthaler, Stadler, Scheuch, Grosz und andere BZÖ-Spitzen sicher auch Einfluss.

Auch die FPÖ ist offensichtlich von Differenzen durchsetzt. Während der rechtsextreme Chefideologe der Partei – Andreas Mölzer – eine Wiedervereinigung fordert, lehnt Strache diese weiterhin ab. Die Grabenkämpfe innerhalb der FPÖ können sich durch kommende Entwicklungen weiterhin verstärken.

Der Tod Haiders hat zwar einen gefährlichen Rechtsextremisten aus der Welt geschafft. Er könnte sogar das Ende des BZÖ einläuten. Aber gleichzeitig macht es den Weg frei für die Vereinigung des Dritten Lagers unter der Führung Straches und seiner FPÖ. Die Arbeiterbewegung hat daher keinen Grund zum entspannten Zurücklehnen, sondern muss auf der Hut sein und ihre Anstrengungen im Kampf gegen die rassistische Rechte verdoppeln.

Die Trauer der SPÖ-SpitzenpolitikerInnen

Dies gilt umso mehr, als sich die Arbeiterbewegung noch immer Würgegriff der sozialdemokratischen Bürokratie befindet. Diese Schicht, die gerade eine Fortsetzung der Großen Koalition mit all ihren Angriffen auf unsere Errungenschaften anstrebt, hat sich in den letzten Tagen nicht entblödet, der Öffentlichkeit ihre „Betroffenheit“ über den Tod Haiders mitzuteilen. SPÖ-Chef Faymann nannte Haider anerkennend eine „Ausnahmepolitiker“. Der Wiener Bürgermeister Häupl, der am 28. September angesichts des Sieges der beiden Rechtsparteien noch von der Gefahr des Neofaschismus schwadronierte – um sich so die Zustimmung der Parteibasis für die Fortsetzung der Koalition mit der ÖVP zu sichern –, sagte sogar: "Ich kenne Jörg Haider seit den 70er Jahren, sozusagen unser gesamtes bisheriges politisches Leben lang - ja, ich bin entsetzt und tief betroffen. (…) Jörg Haider und ich standen auf völlig entgegen gesetzten Seiten des politischen Spektrums - aber das hat meinen Respekt für den Menschen Jörg Haider nie gemindert, für seine Dynamik, seine Kraft und seine Intelligenz.“

Warum zeigen die SPÖ-PolitikerInnen in aller Öffentlichkeit ihren Respekt für den Rechtspopulisten Haider? Weil Haider Teil ihres Establishments war, weil sie alle ein und derselben bürgerlichen Politikerkaste angehören. Faymann und Häupl stehen an der Spitze einer Partei, deren gesellschaftliche Hauptbasis nach wie vor Teile der Arbeiterklasse bilden. Aber sie selbst sind wie die Bürokratie als ganze und eben auch Jörg Haider treue Diener des kapitalistischen Systems.

Wir verlangen von SPÖ und Gewerkschaft eine deutliche Distanzierung statt anerkennender Worte für Jörg Haider. Es geht hier nicht um die Anerkennung von Persönlichkeiten oder das Trauern aufgrund persönlicher Schicksalsschläge. Haider war keine Privatperson, Haider spielte die gesellschaftliche Rolle eines rassistischen Arbeiterfeindes, der politisch in aller Schärfe verurteilt werden muss. Persönliche Anteilnahme lenkt dabei nur von diesem politischen Charakter Haiders ab. Wir verurteilen deshalb auch die Pläne der SPÖ-Spitze am Begräbnis Haiders und der anschließenden Trauerfeier teilzunehmen. Dieses Begräbnis wird kein Trauermarsch, es wird ein Treffen der rechtsextremen Eliten Europas. Jean-Marie Le Pen vom französischen Front National, Umberto Bossi von der italienischen Lega Nord und Mussolini-Enkelin Allesandra haben sich bereits angekündigt. Es wäre auch keine Überraschung, würden sich Jung- und Altnazis unter den Gästen tummeln. Es wäre eine Schande, würden FunktionärInnen der SPÖ an diesem Aufmarsch teilnehmen!

Deswegen erfordert der Kampf gegen den Rassismus, gegen die Rechtsparteien und gegen den Kapitalismus eben auch den Kampf gegen die verrottete sozialdemokratische Bürokratie - für den Aufbau einer neuen, revolutionären Partei der Arbeiterklasse!

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