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Wahlen in Hessen und Niedersachsen

Linksruck mit Tritt für Koch

Infomail 344, 2. Februar 2008

Wahlen ändern nichts an den grundsätzlichen Machtverhältnissen, aber sie geben Stimmungen der Massen wieder und zeigen Verschiebungen im Verhältnis zwischen den Klassen. Diese realen Bewegungen werden allerdings in Wahlen nur verzerrt wiedergegeben.

Der Unmut der arbeitenden Bevölkerung über die Politik der Großen Koalition führte zu dramatischen Verlusten der CDU in Hessen und klaren Einbußen in Niedersachsen. Da dort aber alle Parteien außer der LINKEN verlieren und die Wahlbeteiligung relativ niedrig war, konnte CDU-Ministerpräsident Wulff das Ergebnis noch zu einem Sieg und zur Unterstützung für seine "Reformpolitik" umdeuten. Hier war auch bemerkenswert, dass die SPD trotz der klaren Verluste der CDU selbst noch Stimmen einbüsste.

Das Desaster in Hessen aber kann selbst der notorische Demagoge Koch nicht mehr schönreden. Zugleich zeigte sich hier auch, dass sein Versuch, auf einer rassistischen Kampagne zu reiten, nach hinten losging.

Stimmung

Die CDU konnte die Verluste in Niedersachsen aufgrund der Struktur des Landes, aufgrund des „landesväterlichen“ Wahlkampfes von Wulf, der jede „politische Polarisierung“ - also jede klare Artikulation bürgerlicher Klasseninteressen - in Phrasen über das Allgemeinwohl der BürgerInnen versteckte, noch im Rahmen halten.

Da die SPD auch wenig mehr zu bieten hatte, blieb fast die Hälfte der WählerInnen zu Hause, die Mehrheit wählte das Wulffsche Original anstatt die SPD.

Zweifellos drückt auch diese Wahlenthaltung Frustration und Wut über die vorherrschenden gesellschaftlichen Zustände aus.

Mit der Zerstörung von Illusionen in den Parlamentarismus hat das allerdings nur wenig zu tun. Das zeigt das Ergebnis in Hessen, wo die SPD unter Ypsilanti massiv hinzugewinnen konnte. Das zeigt sich auch bei den Stimmen für die LINKE.

Es zeigen sich darin aber nicht nur Illusionen in den Parlamentarismus. Der Wahlerfolg der Hessischen SPD und deren rhetorischer Linksschwenk zeigen auch, dass die Sozialdemokratie nach wie vor eine bürgerliche Arbeiterpartei ist, also eine bürgerliche Partei, die sich organisch auf die organisierte Arbeiterklasse stützt und deren Interessen stärker „berücksichtigen“ muss als die CDU.

Die LINKE hat sich als Wahlpartei, als zweite reformistische Partei stabilisiert und v.a. unter Arbeitslosen in beiden Bundesländern, aber auch unter den ArbeiterInnen weit überdurchschnittlich abgeschnitten. Damit hat sich auch unsere Taktik, der LINKEN bei den Wahlen in Hessen und Niedersachsen kritische

Unterstützung zu geben, als richtig erwiesen.

Für Hamburg ist eine ähnliche Entwicklung zu erwarten und wir rufen auch dort zur kritischen Unterstützung der LINKEN auf, weil so die Illusionen in diese Partei leichter einem Test in der Praxis unterzogen werden können.

Für die herrschende Klasse waren die Ergebnisse von Niedersachsen und Hessen in mehrfacher Hinsicht bedeutsam - und auch ein Grund zur Unzufriedenheit.

Auswirkungen

Zentral ist, welche Bedeutung das Ergebnis für die verschiedenen Klassen der Gesellschaft hat.

1. Das Wahlergebnis zeigt, dass die vom Großkapital vor den letzten Bundestagswahlen bevorzugte Regierungskonstellation aus CDU/CSU und FDP nur schwer erreichbar ist. In Hessen ist diese Konstellation in der Minderheit, in Niedersachsen ist ihr Vorsprung nur knapp. Daher rühren letztlich auch die offen ausgetragenen Konflikte in der Union nach den Wahlen. Der von Mittelstandsvereinigungen und Unternehmervertretern ausgemachte „Linksschwenk“ der Union war nur weder bei Koch noch bei Wulff auszumachen. Wohl aber fürchten die Kapitalvertreter, dass die Union eine immer schwächere werdende Bastion bei Abwehr einiger, v.a. für die weniger konkurrenzfähigen Kapitale und Teile des Kleinbürgertums unliebsamen Reformen – sprich Mindestlohn – wird.

2. Der Wahlerfolg Ypsilantis macht deutlich, dass die SPD in dieser Konstellation versuchen wird, mit rhetorischen Avancen nach links und sozialen Versprechungen – Mindestlohn, Nachbesserungen bei ALG I und II, „Bildungsoffensive“ u.a. – sich selbst als „soziale“, also sozialdemokratische, „bessere“ Verwalterin des Kapitalismus zu präsentieren. Das kann den Schulterschluss mit der Gewerkschaftsbürokratie und Betriebsräten z.T. wieder festigen.

3. In der LINKEN wird das zu einer Offensive führen, die Partei auf eine mögliche Regierungsbeteiligung auf Bundesebene für 2009 auszurichten.

Die Querelen über eine Duldung in Hessen sind hier nur ein episodisches Vorspiel und tragen allesamt keinen strategischen oder grundsätzlichen Charakter. Die Berliner Regierungspolitik (aber ebenso in anderen ostdeutschen Bundesländern) hat längst bewiesen, dass die LINKE ohne großes Murren alle repressiven Maßnahmen des bürgerlichen Staates in der Exekutive umsetzt.

Einzig in der Frage der Zustimmung zur Kriegs- und Besatzungspolitik des deutschen Imperialismus kann sie noch in innerparteiliche Konflikte geraten. Es war und ist seit Gründung der LINKEN aber schon immer klar gewesen, wozu die LINKE im Ernstfall zur Verfügung steht, dass sie wie die SPD eine bürgerliche Arbeiterpartei ist, dass ihr grundsätzlicher Charakter keineswegs „offen“ ist.

Die Anbiederungspolitik der LINKEN an die SPD durch ihren Spitzenkandidaten van Ooyen, Andrea Ypsilanti ohne jede politische Forderung als Ministerpräsidentin zu wählen, wurde selbst von Lafontaine abgekanzelt. Das zeigt v.a., dass das „Spitzenpersonal“ der LINKEN in Hessen selbst für parlamentarische Manöver nur drittklassig ist und auch ohne größere Probleme mit der SPD koalieren würde.

4. Die Frage für klassenkämpferische ArbeiterInnen, für die radikale, subjektiv revolutionäre Linke besteht darin, den bürgerlichen Charakter der Politik nicht nur der SPD, sondern auch der LINKEN zu entlarven. Es bedeutet, klar zu machen, dass die Arbeiterklasse eine revolutionäre Partei als Alternative zur LINKEN braucht.

Eine solche Politik kann und darf sich jedoch nicht in der Denunziation der LINKEN und der SPD, darf sich nicht in Kritik erschöpfen, sondern muss auch mit der Anwendung der Einheitsfronttaktik gegenüber den reformistischen Parteien – also Forderungen, gemeinsam gegen die Angriffe von Kapital, Staat, Rassisten usw. zu handeln - einhergehen.

Um eine solche Politik praktisch machen zu können, muss sich die radikale Linke, müssen sich oppositionelle ArbeiterInnen, MigrantInnen, Jugendliche auch untereinander koordinieren, um den erforderlichen Druck auf die Reformisten aufzubauen, sie zum Handeln zu zwingen. Hier hat die radikale Linke gerade nach ihrem Erfolg in Heiligendamm mehr als ein halbes Jahr lang Zeit verloren, weil sie selbst den Reformisten keine strategische, programmatische und organisatorische Alternative entgegenzuhalten vermochte.

Wirtschaftliche und politische Entwicklung

Die genauen Konstellationen zu den nächsten Bundestagswahlen sind nur schwer zu prognostizieren, da für 2008/2009 auf mindestens drei Ebenen entscheidende Entwicklung im Klassenkampf eintreten werden, die selbst den Hintergrund für die weitere Ausrichtung der Politik des Kapitals (und auch für die Bundestagswahlen abgeben werden).

1. Die Auswirkungen der beginnenden US-Rezession auf Europa und die BRD werden zu weiteren, teilweise massiven Verschlechterungen der sozialen Lage und neuen Angriffen auf die Arbeiterklasse führen. Die Kapitalisten werden versuchen, diese Entwicklung für ihre Offensive nutzen. Neben Angriffen auf Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen, Entlassungen, Ausdehnung der Leiharbeit und des Niedriglohnsektors wird die Inflation ein zunehmendes Problem für die Lohnabhängigen darstellen.

2. Die imperialistische Kriegs- und Besatzungspolitik in Afghanistan und anderen Ländern (insb. auch in Afrika) wird fortgesetzt, aber auch auf mehr Widerstand stoßen. In Afghanistan droht der imperialistischen Besatzung eine Niederlage. Die Bundeswehr wird mehr und mehr in Kampfhandlungen verstrickt werden. Umgekehrt würde ein Abzug der Truppe eine Niederlage für den deutschen Imperialismus darstellen, da die Okkupation eine strategische Bedeutung für die Formierung des deutschen Imperialismus und seine geo-strategischen Interessen in Zentralasien hat.

3. Der Verfassungsvertrag der EU wird als strategisches Projekt des deutschen Imperialismus verfolgt werden. Hier sollen die nächsten Schritte zur ökonomischen, politischen und militärischen Formierung eines europäischen imperialistischen Blocks unter Führung der BRD durchgezogen werden. Es ist hier auch klar, dass sich der Widerstand nicht erfolgreich durch „alternative Verfassungsprojekte“ und Phrasen über eine „demokratische, soziale“ Europäische Union, sondern nur durch europaweit koordinierte Aktionen gegen die Angriffe der EU, der kapitalistischen Staaten und der Unternehmer führen lässt.

All das wird zweifellos mit einem Mehr an Repression, Einschränkung bürgerlich-demokratischer Rechte gegen die Linke, MigrantInnen und auch gegen die betrieblichen und gewerkschaftlichen Kampfmöglichkeiten der Arbeiterklasse einhergehen.

Damit sind freilich auch schon die zentralen Aufgaben und Anforderungen des Klassenkampfes genannt, um welche revolutionäre Politik und Organisierung sowie die Einheitsfrontpolitik gegenüber den reformistischen Organisationen entwickelt werden muss – auf dass der massive gesellschaftliche Unmut, die Wut der großen Masse der Lohnabhängigen, der Jugend, der MigrantInnen in Widerstand und Kampf gewandelt werden kann.

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