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Frankreich

Sarkozys Sieg heißt Krieg

Marc Lassalle, Paris, Infomail 310, 15. Mai 2007

Die Antwort der Jugend aus den Vorstädten, den Banlieues, auf die Wahl von Nicolas  Sarkozy zum französischen Staatspräsidenten war sehr unverblümt: „Das bedeutet Krieg!“ Recht haben sie. Der Krieg richtet sich nicht nur gegen die Einwanderergemeinschaften in den Vorstadtghettos, sondern gegen die Jugend und die Arbeiterklasse allgemein.

Sarkozy ist zweifellos der rechteste Politiker im Präsidentenamt seit de Gaulle. Sein Vorgänger Chirac hat zwar auch versucht, reaktionäre Politik durchzusetzen, aber drei seiner Ministerpräsidenten - Juppé, Raffarin und de Villepin - mussten demütigende Rückzieher nach ihren Versuchen machen, neoliberale Reformen gegen erheblichen Widerstand in der Arbeiterschaft und Jugend in den Jahren 1995, 2003, 2005 und 2006 durchzudrücken.

Sarkozy hat nun geschworen, nicht wie Chirac zurückzurudern. Politiker wie Bush, Merkel, Blair oder dessen vermutlicher Nachfolger Gordon Brown haben ihm dafür Beifall gezollt. Sie sehen in ihm den Mann, der Frankreich vollständig in den neoliberalen Klub einreihen kann. Sarkozy wird vom ersten Tag seiner Regentschaft im Élysée-Palast an die Peitsche schwingen. Er hat bereits ein Programm von radikalen Reformen ausgearbeitet, mit denen er das „französische Sozialmodell“ kippen will, das mehr als ein Jahrzehnt den Attacken der Reaktion standgehalten hat. Daneben erging er sich in Demagogie über die „Ehrung der Arbeit“ und die Rettung französischer ArbeiterInnen vor der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. Seine grundsätzlichen Erklärungen im Wahlkampf waren eindeutig: die Wiederherstellung traditionell rechter Werte wie „Arbeit, Ordnung, Autorität, Moral und nationale Identität.“

Wie konnte ein solcher Mann trotz der wiederholten Abwehr der Angriffe von Staat und Kapital auf den Straßen 18 Millionen WählerInnen gewinnen?

Sarkozy war in der Lage, eine Allianz aus verschiedenen sozialen Klassen zusammenzutrommeln: von Konzernchefs bis zum Kleinbürgertum. Sein Lockruf verhieß Steuererleichterungen für Kapital und Kleingewerbe und Angriffe auf die Beschäftigten und Gewerkschaftsrechte. Den Groß- und Kleinunternehmern versprach Sarkozy die Steigerung ihrer Profite durch Maßnahmen aus dem Lehrbuch des Neoliberalismus: längere Arbeitszeiten, heftige Einschnitte in die Soziallöhne der Arbeiterklasse, weniger Steuern und Sozialversicherungsbeiträge für die Bosse. Das Ganze würzte er mit einer üppigen Prise Rassismus und Chauvinismus.

Seit Jahren hat er so auch die WählerInnen von Le Pens ultrarechter Front National hofiert. Er tat dies in seiner Zeit als Innenminister im Kabinett Raffarin und de Villepin durch eine Reihe von unterdrückerischen Gesetzen, Lobeshymnen auf polizeiliche Brutalität und durch übelste Beschimpfungen von Jugendlichen mit Einwanderungshintergrund. Seine Botschaft gegen Einwanderung enthielt viel Demagogie vom „Schutz des französischen Arbeitsmarktes“. Kein Wunder, dass Le Pen Sarkozy des Diebstahls seines rassistischen Programms bezichtigte.

Doch die Attraktivität seines Programms für die bürgerlichen Schichten erklärt nicht alles. Die Opposition war als Alternative unheimlich schwach und nicht überzeugend. Ségolène Royal als Gegenspielerin war eine rechte „sozialliberale“ Kandidatin. Sie glaubte, mit einem vom britischen Premier Blair entlehnten Programm mit Sarkozy um den Titel „bester Reformer“ wetteifern zu können. Sie irrte. Ihr Programm von traditionellen sozialdemokratischen Versprechungen genügte nicht, um die Arbeiterklasse zu begeistern, und ihr Neoliberalismus überzeugte die Bosse nicht sonderlich.

Viele ArbeiterInnen stimmten für sie, aber mehr, um Sarkozy zu verhindern, als aus Begeisterung für ihr Programm. Sie konnte Sarkozy in punkto Neoliberalismus nicht wirklich entgegen treten, weil sie viele ähnliche Ideen vertritt und die herrschende Klasse nicht verschrecken wollte. Das zeigte sich u.a. beim dem Fernsehduell der beiden KandidatInnen. Sarkozy legte seinen Plan dar, die Zahl der ArbeiterInnen im öffentlichen Dienst deutlich zu senken. Royal erwiderte darauf, dass sie den Anstieg der Staatsverschuldung bremsen wolle. Statt Sarkozy wegen seiner reaktionären Unterdrückungsgesetze anzugreifen, kritisierte sie ihn, er habe nicht genug für die Eindämmung von „Verbrechen“ getan.

Royal war nicht im Stande, dem Gesellschaftsbild, das Sarkozy will, etwas entgegen zu setzen, denn ihre Vorschläge gehen in eine ähnliche Richtung, obwohl ihre Mittel zur Durchsetzung andere sind. Sie will es nicht nur durch Angriffe, sondern auch durch Klassenkollaboration, also die Einbindung der Gewerkschaftsbürokratie und durch Reformen der Gewerkschaften, so dass diese weniger unter dem Druck ihrer Mitglieder stehen und die Führer die hart erkämpften Errungenschaften besser ausverkaufen können, erreichen.

Sarkozy bedroht die Gewerkschaften, denen er Gespräche angeboten hat, mit einer direkten Konfrontation, in der Hoffnung, sie in Angst versetzen und spalten zu können und dann nacheinander erledigen zu können.

Sarkozys Pläne

Sarkozy will von Anfang an hart durchgreifen. Er hat versprochen, die Steuern für die Reichen stark zu senken. Er will die 35-Stunden-Woche aushöhlen durch Fortfall von Beschränkungen für Überstunden - unter dem zynischen Slogan „mehr arbeiten, mehr verdienen“. Er will das Streikrecht der EisenbahnarbeiterInnen durch die Einführung eines „Mindestdienst“-Gesetzes im öffentlichen Verkehrswesen beschränken. Das würde Streiks am Beginn und Ende eines Arbeitstages für je 2 Stunden illegalisieren. Die EisenbahnerInnen, die schon manche rechte Regierung gedemütigt haben, sind das „Wachregiment“ der französischen Arbeiterbewegung. Sarkozy glaubt, wenn er hier ein Exempel statuiert, werden andere Teile umso schneller nachgeben.

Er hat sich auch der „Reform“ des Sozialwesens verschrieben: durch den Zwang auf Arbeitslose, jede Arbeit anzunehmen, egal wie niedrig der Lohn ist, und durch Streichung der „Pensionsprivilegien“ im öffentlichen Dienst. Er will auch die Jugend mit einem Plan angreifen, der ihnen die Arbeitsschutzbestimmungen nimmt, also eine Rückkehr zum CPE. Er will EinwanderInnen durch Festschreibung von neuen scharfen Einschränkungen mit Quoten bei Fachkräftemangel attackieren. Sarkozy sagt, er wird durch Verhaftungen und Deportationen so scharf gegen Verbrechen und illegale Einwanderung vorgehen wie als Innenminister.

In der Außenpolitik sagte Sarkozy, können die USA „auf die Freundschaft Frankreichs zählen“, er wolle „gute Beziehungen zum Weißen Haus“, d.h. mehr Unterstützung für den imperialistischen „Krieg gegen den Terror“ leisten. Er wurde in Brüssel auch als Mann gefeiert, der das französische NON zur EU-Verfassung überwinden könne durch Abstufung zu einem kleineren Vertragswerk, das keine Volksabstimmung benötigt. Kein Wunder, dass der Präsident der EU-Kommission Barroso sagte:

„Ich habe vollstes Vertrauen zu N. Sarkozy, dessen Überzeugungen ich kenne und dessen starker Glaube allen geläufig ist, dass er eine treibende Rolle bei der Lösung des institutionellen Problems und der Konsolidierung eines politischen Europas spielen wird.“ - mit „politisch“ meint er dabei neoliberal.

Diese neoliberale Ordnung soll durchgesetzt werden durch freie Hand bei Einsätzen bewaffneter Polizei und CRS-Spezialeinheiten gegen die Banlieues und Arbeiterviertel.

Gegenwehr

Wie können wir Sarkozy stoppen? Das ist nur möglich, wenn sich ArbeiterInnen, EinwanderInnen, Jugendliche zusammenschließen; wenn sie in Betrieben und auf der Straße aktiv und militant jeden angegriffenen Teil der Bewegung verteidigen. Die „revolutionäre“ Linke, insbesondere die LCR, deren Kandidat Olivier Besancot bereits zum militanten Widerstand gegen Sarkozy aufgerufen hat, sollte die Tribüne der Parlamentswahlen nutzen, um Massenversammlungen in allen Städten einzuberufen. Erster Tagesordnungspunkt muss sein, wie Sarkozys Pläne verhindert werden können.

Die Reformisten in den Gewerkschaften und in den politischen Parteien der Arbeiterbewegung werden natürlich zur „Vorsicht“ mahnen und die Notwendigkeit der „Vorbereitung“ beschwören, um einen Konsens herzustellen und zu warten, bis Sarkozy sein demokratisches Mandat ausgeschöpft hat. Doch ein Konsens auf dem niedrigsten Niveau, d.h. auf Basis fauler Kompromisse wäre verheerend. Er wäre eine schlecht bemäntelte Kapitulation.

Die Erfahrung der großen Streiks und gesellschaftlichen Bewegungen seit 1995 lehrt, dass  blindes Vertrauen in die Gewerkschaftsspitzen nur schadet. Sie haben immer wieder diese Bewegungen aus- oder unter Wert verkauft. Sarkozys Sieg ist selbst eine Strafe dafür, ihn aus der Verantwortung im letzten Frühjahr entlassen zu haben, als ein Generalstreik  - und der war möglich - die Rechten von der Macht verjagt hätte. Die reformistischen Gewerkschaftsführer müssen von demokratisch gewählten Abordnungen der Basis kontrolliert, politisch bekämpft und letztlich ersetzt werden!

Der Klassenfeinde ist gut organisiert. Er hat einen Plan und die Staatsmacht zur Verfügung. Doch wir sind Millionen, aber die Zahl allein erweist sich als wirkungslos, wenn wir uns nicht  organisieren. Wir müssen ständige Widerstandsausschüsse oder Vernetzungsorgane in jeder Stadt aufbauen! Wenn ein Teil angegriffen wird, müssen wir uns mit unseren stärksten Waffen gemeinsam dagegen zur Wehr setzen: mit Solidaritätsstreiks, Blockaden, Massendemonstrationen.

Um das Streikrecht, die 35-Stunden-Woche, den Anspruch der Jugend auf Arbeitsschutz und Mindestlohn zu verteidigen, müssen die Gewerkschaften aufgefordert werden, einen unbefristeten Generalstreik zu führen. Zur Organisierung eines solchen landesweiten Kampfes brauchen wir lokale und landesweite Koordinationen mit verantwortlichen und abwählbaren Delegierten von Gewerkschaften, von SchülerInnen und StudentInnen, von der Jugend in den Vorstädten, von Arbeitslosen und ImmigrantInnen, v.a. jenen ohne Papiere (sans papiers).

Um militante Aktionen abzusichern, müssen wir Selbstschutzeinheiten bilden und ArbeiterInnen, Jugendliche und ganze Wohngemeinden mobilisieren!

Eng verknüpft damit, eine solche Gegenwehr zu formieren, steht die Notwendigkeit, eine Alternative zu Sarkozys Neoliberalismus, zum „Sozialliberalismus“ von Royal ebenso wie zum flachen Neokeynesianismus der KPF und dem verkümmerten linken Flügel der PS aufzubauen. Ohne positive Alternative können wir keinen Sieg erringen und unsere Gegner endgültig von der Macht vertreiben.

Wir brauchen eine neue Partei, die zugleich antikapitalistisch und revolutionär ist. Aber wir müssen dies mit allen KämpferInnen gegen Sarkozy erörtern, selbst in der Hitze des Gefechts. Eine solche Partei muss eine Massenpartei sein, die zehntausende, ja hunderttausende KämpferInnen aus allen Bereichen der Arbeiterklasse und der Unterdrückten vereint. Die bevorstehenden Klassenkämpfe bieten gute Voraussetzungen, unter denen wir sie überzeugen können, dass wir eine revolutionäre Partei brauchen und wie sie geschmiedet werden kann.

Internationale Dimension

Die Regierungen in Europa und in den USA begrüßen Sarkozys Sieg, doch einige KommentatorInnen sind besorgt. Die Financial Times, das Organ der Finanz-City von London warnte am 8.5. vor dem Ausmaß an Unruhen, das diese Wahl hervorrufen könnte.

„Die Thatcher-Reformen (…) fanden in einem Land mit kaum oder keinem revolutionären Vermächtnis statt. (…) Im Gegensatz dazu muss Herr Sarkozy Reformen in einem Land erzwingen, das gern über „Solidarität“ spricht. Er hat es auch mit einer Bevölkerung zu tun, die Straßenproteste als ehrenvolles Erbe der nationalen Geschichte ansieht (…) Er muss hoffen, dass Frankreichs revolutionäre Tradition nur in den Geschichtsbücher verehrt wird, aber nicht auf der Straße“.

Wir müssen alles tun, damit die schlimmsten Befürchtungen dieser Herrschaften aus der Hochfinanz Wirklichkeit werden. ArbeiterInnen in ganz Europa und der Welt werden auf Frankreich schauen. Viele von ihnen haben ähnliche Kämpfe zu bestehen. Wir können mit Gewissheit auf ihre Solidarität rechnen und müssen sie dazu aufrufen. Wir müssen uns in einem weltweiten Kampf gegen den gemeinsamen globalen Feind - den Kapitalismus - zusammenschließen!

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