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Berlin:

SAV spaltet WASG-Mehrheit

Arbeitermacht-Infomail 304, 15. April 2007

Diesen Samstag, am 14.4., wurde das Schicksal der Berliner WASG-Mehrheit endgültig besiegelt. Was als Treffen zur Diskussion der Grundlagen einer neuen Berliner Regionalorganisation in Nachfolge der WASG geplant war, endete de facto in der Spaltung der bescheidenen, noch übrig gebliebenen Kräfte der Berliner Mehrheit.

Die SAV und ihre Verbündeten (Gruppe um Prütz, „Wasserfraktion“) konnten zwar ihren Programmentwurf mehrheitlich durchsetzen – von den 80 bis 90 Anwesenden ging daraufhin jedoch rund die Hälfte und verabschiedete sich vom „gemeinsamen Projekt.“ Die Berliner WASG-Mehrheit zerfiel in drei Teile – jenen der „Traditionalisten“, die Gruppierung um SAV/Prütz/Wasserfraktion und das Netzwerk Linke Opposition.

Es ist noch nicht allzu lange her, als die Berliner WASG durch den Kampf um ihren eigenständigen Antritt zu den letzten Abgeordnetenhauswahlen Hoffnungen geweckt hatte. Während bundesweit die Fusion von PDS und WASG ohne viel Widerstand wieder einmal einen linken, basisbewegten Aufbruch in eine bürokratisch gegängelte sozialdemokratische Partei verwandelt, schien es in Berlin die Möglichkeit einer Alternative zu geben.

Eine widerständige Basis in Berlin ließ sich durch die Manöver der Fusionisten nicht übertölpeln und etablierte eine verhältnismäßig stabile Mehrheit für eine WASG, die zumindest zur Frage der Regierungsbeteiligung und der damit verbundenen Privatisierungs- und Haushaltskonsolidierungspolitik in Berlin eine eindeutige Gegenposition hatte. Damit war diese Mehrheit auch immun gegen die Formelkompromisse der Bundes-WASG, die im Eckpunktepapier ihr praktisches OK für die Berliner PDS mit unverbindlichen Grundsatzbekenntnissen verschleiern wollte. Diese Standhaftigkeit der Berliner WASG-Mehrheit hätte zu einem Pol für die Sammlung einer bundesweiten Alternative zur einer neuen „Linken“ werden können. Tatsächlich wurde diese Chance verpasst – und am 14.4. endgültig begraben.

Ursachen

Die Wurzeln des Problems reichen tatsächlich bis in den Berliner Wahlkampf und darüber hinaus zurück. Schon damals einte die „Mehrheit“ vor allem die Ablehnung der PDS-Politik und der Kampf gegen die Bundes-WASG um den Eigenantritt. Dem wurde letztlich auch jegliche gründlichere Diskussion der eigenen Programmatik und Politik untergeordnet. Das durch und durch reformistische Wahlprogramm wurde auf undemokratische Weise ohne viel Diskussionsmöglichkeit für die Basis durchgepeitscht – dies fiel in der Heftigkeit der Auseinandersetzungen mit den Fusionisten nicht auf bzw. wurde verdrängt.

Während des Wahlkampfes wurden sämtliche Diskussionen über das Danach und vor allem auch über die Frage einer alternativen Organisierung mit Berlin als Zentrum an den Rand gedrängt. Sie störten angeblich die Konzentration aller Kräfte auf das oberste Ziel: den Einzug ins Abgeordnetenhaus. Dabei war es gerade die unklare Position zur bundesweit anstehenden Fusion und die Unklarheit über die politische Alternative, die die WASG darstellte, die auch an den Wahlständen immer wieder Thema war.

Außerdem war eine Verankerung in Basisproteste und außerparlamentarische Bewegungen nur in Ansätzen vorhanden (CNH, Charité). Schließlich erwies sich die politische Harmlosigkeit des Wahlprogramms – so das Fehlen einer klaren sozialistischen Zielsetzung – als Hindernis dafür, die radikale Linke Berlins sowie enttäuschte PDS-WählerInnen zu gewinnen.

Die erreichten 2,9% waren eigentlich für eine kleine Protestpartei kein schlechtes Ergebnis. Angesichts der großen Ansprüche und vorwiegend parlamentarischen Orientierung fiel die Berliner WASG danach aber in ein „Orientierungsloch“. Insbesondere rächte sich jetzt das mangelnde allgemeine Konzept, das eine neue inhaltliche Orientierung besonders auf außerparlamentarischen Protest erlaubt hätte.

Dazu kam, dass SAV und andere führende Strömungen in der Mehrheit auf den Einzug ins Abgeordnetenhaus gebaut hatten, um im Kampf um die bundesweite WASG-Linie eine gewichtigere Rolle spielen zu können. Nunmehr wurde auch klar, dass SAV, isl, „Wasserfraktion“ und deren Umfeld nicht willens waren, den Kampf gegen die Fusion bis zur Konsequenz der Gründung einer bundesweiten linken Alternative auch außerhalb der neuen „Linken“ zu führen. Es war nur klar, dass sie in Berlin nicht bei der Fusion mitmachen können würden.

Die „Regionalorganisation“

Daher entstand Ende 2006 das Projekt einer eigenständigen Berliner WASG-Nachfolgeorganisation, jetzt BASG genannt (Berliner Alternative für Arbeit, Solidarität und Gegenwehr). Die Idee einer bloßen Regionalorganisation war von Anfang an bei großen Teilen der Berliner Basis nicht besonders beliebt – zu deutlich war, dass dies der bundespolitischen „Doppelpolitik“ der SAV und deren Verbündeten geschuldet war. Gerade die Frage der bundesweiten Opposition brachte dem NLO zunächst viel Zulauf.

Gleichzeitig wurde deutlich, dass einige der Verbündeten der SAV auch in Berlin nicht alle Brücken zur PDS abbrechen wollten. Dies führte dazu, dass die Landesvorstandsmehrheit als Form der Regionalorganisation nicht eine Partei, sondern einen Verein vorschlug. Erst im Vorlauf zur nächsten Wahl sollte entschieden werden, ob es die Basis für eine gemeinsame Kandidatur und damit zur Umwandlung in eine Partei gibt.

Daher wurde die Frage des Zeitpunkts der Parteigründung und die Frage der Doppelmitgliedschaft in Verein und der neuen „Linken“ zu einem Streitpunkt, der besonders an der Basis für große Aufregung sorgte, und mit wachsendem Misstrauen in SAV und LV-Mehrheit verbunden war.

Vor dem letzten Landesparteitag im Februar, als die Diskussionen um Struktur und Programmatik der Regionalorganisation konkreter wurden, und im Leitantrag zumindest angedeutet werden mussten, wurden die zentrifugalen Kräfte in der Berliner WASG immer stärker. Auch wenn noch einmal die Mehrheit in der Ablehnung der Fusion und der Willensbekundung zur Formung einer Regionalorganisation zusammen gehalten werden konnte, so war klar, dass eine Zerreißprobe bevorstand.

Neben dem NLO entwickelte sich eine diffuse, rechte Opposition: Ihr ging es um eine möglichst rasche Parteigründung mit klar parlamentarischer Stoßrichtung und der Ablehnung von Doppelmitgliedern aus der Linken. Dies verband sich auf programmatischer Ebene mit einem Bekenntnis zum alten WASG-Gründungsprogramm, dem Beharren auf einer neo-keynesianischen Politik und einer Ablehnung jeglicher anti-kapitalistischer Orientierung. Diese Kräfte gruppieren sich unter anderem um einige BVV-Abgeordnete.

Statt in dieser Situation die grundlegende Aussprache zwischen den divergierenden Strömungen zu organisieren, oder den Regionalorganisations-Ansatz zu ändern, setzten SAV und LV-Mehrheit die Diskussion um Satzung und Programm fort, als sei so noch eine Rettung der „Einheit“ durch Formelkompromisse möglich.

Entwürfe der Programmkommission

So kam es vor dem 14.4. dazu, dass von der „Programmkommission“ zwei unterschiedliche Entwürfe für das Gründungsmanifest der Regionalorganisation vorgelegt wurden. Der Entwurf der „Traditionisten“ betont vor allem die Tradition der WASG („Gründungskonsens“) und vermeidet explizit den Bezug auf Anti-Kapitalismus (stattdessen geht es nur gegen die „neoliberale Entartung“ des Kapitalismus).

Doch der Bezug auf den Keynesianismus ist angesichts der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse ebenso illusionär wie der Glaube an die Wirkmöglichkeiten im Rahmen des Parlamentarismus. Die gleichzeitige Hoffnung auf eine „Sammlungsbewegung“ einer angeblich anti-neoliberalen Mehrheit der Bevölkerung, verkennt völlig die gesellschaftlichen Grundlagen für die Herausbildung einer echten sozialen Oppositionsbewegung.

Kurz, dieser Programmentwurf ist reformistisch und wird vor allem dadurch zusammen gehalten, dass er klare anti-kapitalistische oder sozialistische Positionen vermeidet. Es fiel den Autoren nicht einmal auf, dass sie mit ihrer Position auch in der neuen „Linken“ Platz finden würden – auch wenn sie, anders als viele PDS-Funktionäre, ihre Forderungen ernst meinen.

Doch auch der vorgeblich linkere Entwurf von SAV und LV-Mehrheit ist schwer als anti-kapitalistisch zu erkennen. Während der Diskussion am 14.4. verteidigten ihn auch Sprecher der SAV ausdrücklich gegen den „Vorwurf“, ein sozialistisches Programm zu sein. Selbst wenn die Macht von Banken und Konzernen angeprangert wird, so fehlt eine klare Analyse der gegenwärtigen Kapitalverhältnisse. Beklagt werden „Abbau sozialer Errungenschaften“, sozial ungerechte Verteilung und die Bestimmung der Politik durch die Konzerne.

Es fehlt jedoch der Zusammenhang mit den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen, den Kapitalverwertungsgesetzen und den Folgen für Verteilung und Politik. Daher wird in Folge die Möglichkeit eines gerechten Kapitalismus ohne Großkonzerne und imperialistische Politik offen gelassen. Daran ändert auch nichts, dass man positiv an die „bolivarische Revolution“ anknüpft oder einzelne Verstaatlichungsforderungen eingefügt wurden. Verstaatlichungen – gerade auch in der Form, wie sie derzeit in Lateinamerika wieder durchgeführt werden – ändern für sich noch nichts an der kapitalistischen Verwertungslogik. Gesellschaftliches Eigentum erfordert eine umfassende und von einer selbstorganisierten Massenbewegung getragene Aneignung der gesellschaftlichen Produktivkräfte unter deren bewusster Kontrolle.

Der „Anti-Kapitalismus“ bleibt daher auch im Mehrheitsentwurf nur angedeutet. Am deutlichsten wird am Schluss darauf Bezug genommen, und zwar in Frageform: „Wie kann eine Alternative zum heutigen kapitalistischen (System) aussehen?“. Dies wird der weiteren Diskussion überantwortet.

Insgesamt ist dieser Entwurf also der vergebliche Versuch eines Kompromisses: Den „Traditionalisten“ sollte zugestanden werden, dass von „Sozialismus“ und „Anti-Kapitalismus“ nicht oder nur andeutungsweise in kleinen Dosen die Rede ist. Andererseits sollte sich dieses Programm links von dem der neuen „Linken“ positionieren.

Von den NLO-Vertretern, darunter GenossInnen der Gruppe Arbeitermacht, wurde noch einmal deutlich gemacht, dass es zwischen den WASG-Traditionalisten und einer klaren anti-kapitalistischen, sozialistischen Programmatik keinen Kompromiss auf ein gemeinsames programmatisches Manifest geben kann. Die nicht vorhandene programmatische Einheit der Berliner WASG-Mehrheit war durch die Entwicklung der letzten Monate verfestigt worden.

Der Versuch, mit Formelkompromissen und Kungelrunden noch irgendwelche sinnvollen programmatischen Erklärungen zusammen zu bekommen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Statt weiterhin auf eine Regionalorganisation mit Parteianspruch zu bestehen (genau dies wird ja mit einem programmatischen Gründungsmanifest bezweckt), schlugen wir vor, uns auch in Berlin auf eine Bündnis- oder Netzwerkstruktur zu beschränken: Bei allen politischen Unterschieden ist gemeinsame Aktion ja noch möglich gewesen; ebenso gemeinsame Aktivität vor Ort, in den Stadtbezirken. Auch eine weitere Diskussion der offensichtlich gewordenen politischen Differenzen wäre in einer Netzwerkstruktur noch möglich gewesen.

In diesem Sinne schlugen wir vor, die Regionalorganisation als Bündnis zu gründen, das sich in der Grundsatzerklärung beschränkt auf die Darstellung von Entstehungsgeschichte bzw. Abgrenzung zur neuen „Linken“; das sich weiterhin auf bestimmte gemeinsame Aktionen und Forderungen verständigt (z.B. aktuell zur Sparkassen-Privatisierung bzw. Mobilisierung gegen den G8-Gipfel); und das weitere programmatische Diskussionen vereinbart, um die Möglichkeit eines längerfristigen organisatorischen Aufbaus zu erkunden – insbesondere auch unter Einbeziehung weiterer Kräfte und AktivistInnen der Berliner Linken, wie es das NLO schon vorgemacht hat.

Dieser Vorschlag zur Rettung eines losen organisatorischen Zusammenhangs wurde von SAV und LV-Mehrheit ebenso abgelehnt, wie die Verschiebung der Entscheidung. Die Mehrheit wollte unter allen Umständen eine „Richtungsentscheidung“ nach der ersten öffentlichen Diskussion.

Damit wurde der Mehrheitsentwurf der Programmkommission als Grundlage der weiteren Diskussion durchgedrückt.

Selbst nach dieser Entscheidung war der SAV offenbar nicht bewusst, dass sie damit die Berliner WASG-Mehrheit gespalten hatten. Doch auch alle Rufe ins Mikro, man würde den anderen Strömungen nunmehr auf der beschlossenen Grundlage  „entgegenkommen“, halfen nichts mehr: für die nachfolgenden Tagesordnungspunkte blieben SAV und ihre wenigen Verbündeten um Michael Prütz sowie die „Wasserfraktion“ unter sich (ca. 40 Stimmen).

Auch die NLO-VertreterInnen sahen keinen Sinn mehr darin, in einem „SAVplus-Verein“ weiter mitzuarbeiten. Durch die Verkennung der Tatsache, dass es keine politische Grundlage für ihre Formelkompromisse mehr gab, hat insbesondere die federführende SAV mit ihrem Beharren auf einer von ihr bestimmten Proto-Partei letztlich das Auseinanderbrechen der Berliner WASG betrieben – und war sich dessen wahrscheinlich nicht einmal bewusst.

Der Rest-BASG-Verein wird kaum politische Ausstrahlungskraft besitzen, viele der in den Kämpfen der Berliner WASG aktiv Gewordene werden sich (bzw. haben sich schon längst) frustriert aus der politischen Aktivität zurück gezogen. Eine große Chance wurde speziell durch eine in ihrem eigenen Saft schmorende Clique von Reserve-BürokratInnen und Möchtegern-Berufsrevolutionären dilettantisch verspielt.

Für diejenigen, die auch in Berlin den in der WASG begonnenen Kampf um eine kämpferische, anti-kapitalistische Partei fortsetzen wollen, bieten wir an, am Aufbau des NLO mitzuwirken. Gleichzeitig wollen wir auch mit den vielen GenossInnen, die wir in dieser Zeit in praktischer Aktion kennen gelernt haben, weiter in Kontakt bleiben – für gemeinsame Kämpfe wird es weiter genug Gelegenheiten geben; ebenso zur Aufarbeitung der WASG-Entwicklung und der Diskussion eines politischen Programms für eine neue Arbeiterpartei. Es gibt ein politisches Leben nach dem Tod der WASG – auch in Berlin!

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