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Politische Aktionen und Arbeitsniederlegungen beim süddeutschen Maschinenbau-Unternehmen index

Generalprobe

Ein Erfahrungsbericht von Wolf Bodenhöfer, Esslingen, Infomail 291, 20. Dezember

Sozialabbau, Angriffe auf Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen, Erpressungsversuche der Geschäftsleitung mit Standortverlagerungen trotz Konjunkturboom - viele Beschäftigte hatten genug davon. Das war die Ausgangslage in einem größeren Maschinenbauunternehmen.

Grund genug also, um in Aktion zu treten, Widerstand leisten und das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Aber wie dieses Ziel verwirklichen? Diese Aufgabe stellte sich die neu zusammengestellte Vertrauenskörperleitung (VKL) im Betrieb.

Nachdem die Beteiligung von Beschäftigten aus dem Unternehmen an der DGB-Aktion am 21.Oktober recht mäßig war, nahm sich die VKL vor, eine möglichst weit gehende Aktion durchzuführen, an der sich so viel Beschäftigte wie möglich beteiligen könnten.

Auf der ersten Vertrauenskörper-Sitzung nach dem 21. Oktober wurde das Thema „Sozialabbau“ aufgegriffen und zunächst die DGB-Kundgebung bilanziert. Dabei reichte die Kritik an der mangelnden Beteiligung der KollegInnen, denen „es eben noch viel zu gut geht“ bis zur Kritik an der DGB-Führung, die nach Meinung vieler KollegInnen nicht entschlossen genug mobilisiert hatte.

Die Vorschläge, was zu tun sei, waren auf dieser Sitzung noch recht unausgegoren. So meinten einige KollegInnen, „man müsste zwar dies und jenes machen, aber die Kollegen machen ja nicht mit…“ Außerdem sei politische Betätigung im Betrieb ja nicht erlaubt.

Auf dieser VK-Sitzung intervenierten die VKL und der hauptamtliche IG-Metall-Sekretär gemeinsam. Es wurde der Beschluss gefasst, zum Zeitpunkt der Lesung des Bundestags zur Rente mit 67 eine Aktion durchzuführen. Die genauere Ausarbeitung der Aktion wurde an die VKL delegiert.

Entscheidend war schon zu diesem Zeitpunkt, dass alle Vertrauensleute, Betriebsräte und der hauptamtliche IG-Metall-Sekretär mit eingebunden waren. Jeder hatte die Möglichkeit, seine Bedenken zu äußern, sich zu beteiligen, Vorschläge zu machen und mitzuarbeiten.

Auf der nächsten VK-Sitzung wurde dann die Aktion präzisiert. Obwohl die VKL ein grobes Konzept für die Aktion angedacht hatte, wurde noch einmal breit diskutiert. Viele KollegInnen meldeten sich zu Wort und äußerten sich. Die VKL fragte aber bei jeder Wortmeldung nach, was der Kollege selbst als Aktion vorschlägt. Sämtliche Ideen wurden aufgeschrieben und an eine PIN-Wand geheftet. Bald lag eine Vielzahl von Vorschlägen vor, von „erst mal informieren“ über Demonstrationen vor Ort oder Arbeitsniederlegungen bis hin zum Generalstreik oder einem bundesweiten Marsch nach Berlin mit Blockade der Regierungsgebäude.

Kollektiv wurde schließlich eine Aktion ausgearbeitet, die sehr viele Vorschläge der Vertrauensleute enthielt und in der sich die meisten der Kollegen wieder finden konnten: Man beschloss, morgens vor den Werktoren Flugblätter zur „Rente mit 67“ zu verteilen und zu einer „Informationsveranstaltung des Betriebsrats“ während der Arbeitszeit, und zwar im Betriebsratsbüro, aufzurufen. Sollte dann das Betriebsratsbüro zu klein werden (was natürlich erhofft wurde), würde man aus Platzmangel für alle sichtbar in den Hof marschieren.

Diese Art von Veranstaltung war durch das Betriebsverfassungsgesetz abgedeckt, hatte in Wirklichkeit jedoch den Charakter einer kurzen politischen Arbeitsniederlegung. Sehr deutlich wurde dabei aber festgestellt, dass Mobilisierung und Organisation einer solchen Aktion eigentlich Aufgabe der Gewerkschaftsführung oder zumindest der Bezirksleitung wäre; man war sehr enttäuscht davon, dass von dieser Seite fast keine Unterstützung kam.

Fragen

Umso bemerkenswerter war es, dass sich die lokale IG Metall an der Organisation der Aktion beteiligte.

Jetzt galt es, die Aktion durchzuführen. Würden alle drei Werke mitmachen? Würden sich genügend Vertrauensleute für die Flugblattverteilung finden?

Was macht man in dem Werk, in dem die KollegInnen zwar sehr kampfstark sind, aber kein Betriebsrat und kein IG Metall-Vertreter vor Ort ist? Wie werden die Aktionen koordiniert? Machen genügend KollegInnen mit? Wie reagiert die Geschäftsleitung, wenn sie von der Aktion Wind bekommt? Fragen über Fragen.

Organisation und Durchführung der Aktion bedeuteten dann  trotz des „spontanen“ Charakters viel Aufwand für die VKL. Der Flugblattentwurf des IG Metall-Sekretärs wurde mehrfach überarbeitet, es galt, für alle drei Standorte einen Aktionsplan zu erstellen, es mussten Vertrauensleute gefunden werden, die morgens bei Frost die Flugblätter verteilen würden.

Wichtig war auch hier, dass die Aktion breit angelegt und unterstützt wurde und sowohl der Betriebsrat als auch die IG Metall-Hauptamtlichen in allen Phasen beteiligt waren. Als Schwäche stellte sich heraus, dass aufgrund der recht verstreuten Arbeitsplätze im größten der drei Werke nicht immer alle Vertrauensleute erreichbar waren. Da gibt es zukünftig noch Verbesserungsmöglichkeiten.

Es geht los

Am Aktionstag selbst klappte alles nahezu reibungslos. Flugblatt-Verteilung, Öffnung der Betriebsratsbüros und die Teilnahme der Beschäftigten - alles griff ineinander wie bei einem Uhrwerk. Bald stellte sich heraus, dass die Betriebsrats-Büros dem Andrang nicht gewachsen waren. Das war das Signal für den Betriebsratsvorsitzenden, die Anwesenden aufzufordern, in die Montagehalle zu gehen.

Als auch die Montagehalle gefüllt war, hielt er eine kurze Ansprache und erklärte, weshalb sich die MitarbeiterInnen versammelt hatten. Danach ergriff der IG Metall-Bevollmächtigte das Wort und geißelte die Politik der Großen Koalition. Unter Beifall wurde eine Resolution verabschiedet und einstimmig beschlossen, diese an den Bundestagspräsidenten und die Regierungsfraktionen zu senden.

Die Aktion dauerte eine gute halbe Stunde, mit Diskussionen und Wegezeiten davor und danach wohl eine volle Stunde. Alle Beteiligten waren sehr zufrieden mit der Aktion und waren von der guten Beteiligung und Durchführung positiv überrascht.

Nur der Personalchef, der aufgrund der Abwesenheit der Geschäftsleitung diese vertrat, tat im Laufe des Tages an mehreren Stellen mehrfach seinen Unmut über die Aktion kund. Für die Beteiligten war dies noch eine zusätzliche Bestätigung.

Bilanz der Aktion

eine große Anzahl Mitarbeiter wurde über die Pläne der Großen Koalition zur Rente mit 67 und zur Altersteilzeit informiert;

in allen drei Standorten ruhte die Arbeit vor, während und nach der Aktion;

die Mehrheit der Beschäftigten nahm an der Aktion teil, die Beteiligung war damit fast 100mal so groß wie am 21.Oktober;

da die Aktion während der Arbeitszeit stattfand, tat sie dem Unternehmer weh;

die Beteiligten waren zufrieden mit der Aktion, sie hatten das Gefühl, etwas bewegen zu können;

die Aktion hatte einen großen Lerneffekt für die Organisatoren selbst.

Welche Faktoren waren für das Gelingen der Aktion entscheidend?

Die Aktion wurde im Vorfeld und auf zwei Vertrauenskörper-Sitzungen breit diskutiert. Es wurde kollektiv entschieden, welche Aktionsform gewählt wird. Dabei wurde fast das gesamte Spektrum der Vorschläge von Information bis Generalstreik abgedeckt. Den KollegInnen, die gerne weiter gegangen wären, konnte gezeigt werden, dass diese Aktion quasi eine Probe für weitergehende Aktionen war.

Allen Beteiligten war bewusst, worum es ging. Der Inhalt der Aktion musste niemandem erklärt werden. Ab einem bestimmten Zeitpunkt ging es weitgehend „nur“ noch um den organisatorischen Ablauf. Führung und Organisation lagen uneingeschränkt bei einer motivierten und entschlossenen VKL. Die lokale IG-Metall und der Betriebsrat waren von Anfang an organisatorisch und konstruktiv eingebunden.

Es existierten über weite Betriebsbereiche funktionierende Vertrauensleute-Strukturen. Die Vertrauensleute in diesen Bereichen genießen unter ihren KollegInnen ein so großes Ansehen, dass diese ohne viele Erklärungen bei Aktionen mitmachen. Allerdings ist in einigen Bereichen noch Verbesserungspotenzial vorhanden.

Eine Schwäche der Aktion war sicher noch das Fehlen der inhaltlichen Verbindung mit anderen Themen, sowohl betrieblich (Erpressungsversuche, Angriffe auf Arbeitszeit, Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen) als auch gesellschaftlich (Sozialabbau, Gesundheitsreform).

Auch in Bezug auf das weitere Vorgehen kann bei der Resolution an den Bundestag nicht Schluss sein. Letztendlich muss noch mehr die Rolle der Gewerkschaftsführung herausgearbeitet werden, die sich sehr unentschlossen verhielt. Es ist sicher notwendig, noch viel mehr Druck zu erzeugen, damit solche Aktionen vervielfacht, vereinheitlicht und zusammengeführt werden, um letztendlich auch politisch erfolgreich zu sein. Dann kann auch die Regierung in die Knie gezwungen werden.

Doch alles in allem war es eine gelungene Aktion, auf der zukünftig aufgebaut werden kann.

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