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WASG-Parteitag:

Point of No Return

Infomail 288, 23. November 2006

Mit dem Parteitag vom 18./19.11. in Geseke-Eringerfelde hat die WASG-Führung alle Weichen Richtung Fusion der WASG mit der Linkspartei.PDS gestellt - in Richtung Zusammenschluss zu einer weiteren systemtragenden, sozialdemokratischen Apparatpartei.

Wer noch Illusionen hatte, dass es in der Mitgliedschaft der WASG genügend Widerstand geben würde, um diese Weichenstellung zu verhindern, muss jetzt klar Position beziehen: Der Aufbau der dringend notwendigen Kampfpartei gegen den Klassenkampf von oben ist nur in klarer Abgrenzung von sozial-reformischen neu-fusionierten Linkspartei möglich!

Daran ändern auch die „Linksverschiebungen,“ die am Ende des WASG-Parteitags auf dem Papier beschlossen wurden, so wenig wie die zwei Feigenblatt-Linken, die noch in den Bundesvorstand gewählt wurden.

„Mindestbedingungen“, die keine sind

Schon am ersten Tag waren die wesentlichen Entscheidungen gefallen. Es wurde deutlich, dass es eine eindeutige Mehrheit der Delegierten gab, die die Fusion mit der PDS um jeden (buchstäblich jeden) Preis wollte. Sie wollten die Bedeutung irgendwelcher „Mindestbedingungen“ nur als Verhandlungspositionen verstanden wissen, um die es - bei Nicht-Erfüllung - dann eben in der neuen Partei, nachdem alle wichtigen Entscheidungen gefallen sind, weitere Diskussionen geben könne.

So wurden die Mehrheitsverhältnisse an einem Initiativantrag des Bundesvorstandes zum Berliner Koalitionsvertrag von SDP und PDS deutlich. Dieser Antrag enthält scheinbar eine Verurteilung der Fortführung der Sozialabbaupolitik des Senats und damit auch eine Kritik an der Berliner PDS, doch gleichzeitig hält er am Ende fest:

„Zugleich weisen wir Forderungen aus den eigenen Reihen zurück, die Parteibildung vom Ausstieg der Linkspartei.PDS aus der Koalition abhängig zu machen. Zu einer Vereinigung der Linken im Juni 2007 gibt es keine politisch sinnvolle Alternative.“

Um diesen Absatz kam es zu einer Kampfabstimmung. Nur etwa 60 Delegierte, also etwa 20% lehnten ihn ab. Dieses Verhältnis sollte sich bei vielen ähnlichen Positionsbestimmungen wiederholen.

Daher sollte sich auch niemand von den Wortradikalismen, etwa von Oskar Lafontaine gegenüber der Berliner Koalition, täuschen lassen. Im nächsten Halbsatz kommt dann immer mehr oder weniger deutlich heraus, dass daraus nie irgendwelche Konsequenzen erwachsen.

Mit dieser grundlegenden Herangehensweise konnten natürlich die verschiedenen Anträge zu „Mindestanforderungen“ oder „roten Linien“, in welchen scharfen inhaltlichen Ausprägungen auch immer, angenommen werden. Der PDS wird ja gleichzeitig signalisiert: Dies ist zwar unsere Verhandlungsposition, doch scheitern lassen wir die Verhandlungen daran sicher nicht.

Nicht verwunderlich, dass dieser Parteitag durch ein sehr hohes Maß an bürokratischen Manipulationen, Manövern, langweiligen Endlos-Satzungs-Debatten und kaum einer ernsthaften politisch-inhaltlichen Debatte geprägt war. Diese Partei erweist sich als lebloser bürokratischer Leichnam, noch bevor er endgültig von der PDS verdaut wird. Die Langeweile in der Parteidiskussion, die laut Thies Gleiss (in seiner Vorstellungsrede zur Vorstandskandidatur) bei einer Ausgrenzung der Linken aus der Parteispitze drohe, ist längst (auch mit Hilfe dieser „Linken“) Realität.

Ein frappierendes Beispiel für das bürokratische Regime des Parteitags stellte die Nachbehandlung der Absetzung des Berliner Landesvorstandes durch den Bundesvorstand im Vorfeld der Abgeordnetenhauswahlen dar. Hier hatte der Bundesvorstand auf dem Parteitag seine einzige ernsthafte Niederlage erlitten - um sie dann mit geschickter Trickserei doch noch abzuwenden. Der Bundesvorstand wollte seine damalige Absetzung des Landesvorstands als „rechtmäßig“ absegnen lassen - begründet durch parteirechtliche Notwendigkeiten, da ansonsten Probleme für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Bundestagsfraktion bestünden. Die Mehrheit der Delegierten wollte dann diese Legitimationsorgie des Vorstandes doch nicht mitmachen und stimmte mehrheitlich für -  „Nichtbefassung.“

Da wurde es im Podium unruhig, und ein „Satzungsspezialist“ fand heraus, dass nicht alle den Antrag erhalten hätten, daher müsse der Antrag am nächsten Tag erneut behandelt werden. Nach heftiger Intervention seitens des Bundesvorstands wurde dieser Geschäftsordnungsantrag dann mit einer Stimme Mehrheit angenommen. Am folgenden Tag präsentierte Klaus Ernst dann den Antrag als „rein juristische“ Angelegenheit. Der Berliner Landesvorstand werde eh gleich wieder ins Amt gesetzt. Eine Aussprache über den politischen Skandal der Absetzung des Vorstandes eines souveränen Landesverbandes wurde gleich per Geschäftsordnungsantrag unterbunden. Die eingeschüchterten Delegierten stimmten zugleich der Reinwaschung des Vorstandes mit großer Mehrheit zu (auch hier stimmten nur etwa 20% der Delegierten dagegen).

Verschiebung zur Gewerkschaftsbürokratie

Möglich geworden ist dieses Verlaufsmuster des Parteitags durch eine eindeutige Verschiebung in der Zusammensetzung der Delegierten. Prägen bei der aktiven Mitgliedschaft der WASG in vielen Kreisverbänden noch ALG II-EmpfängerInnen, einfache ArbeiterInnen und linke AktivistInnen das Bild, so glichen gewisse Delegierten-Blöcke des Parteitags ganz verdächtig deutlich denjenigen von Gewerkschaftstagen. Die Dichte von hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionären in der WASG-Spitze und den sie tragenden Parteitagsblöcken hat derart zugenommen, dass ihnen die Parteitagsregie nicht mehr aus den Händen zu nehmen ist. Auch der neu gewählte Vorstand zählt nunmehr zu etwa 2/3 hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionäre, darunter mit Michael Schlecht auch einen höheren Vertreter der ver.di-Spitze.

Diese soziale Zusammensetzung wurde in makaberer Weise ziemlich am Ende des Parteitags nur allzu deutlich. Ein Antrag, der den zum Parteitag angereisten ALG II-EmpfängerInnen die Reisekosten erstatten sollte, rief die Parteispitze (Ernst, Händel) auf den Plan, die solchen „finanziellen Irrsinn“ um jeden Preis abwenden wollten. Da wurde von Leuten die „Existenzkrise der Partei“ beschworen, die selbst in teuren Dienstwagen (Lafontaine und Gysi waren gar von Berlin nach Paderborn geflogen worden) angereist waren, aber nicht für die problemlose Anreise ihrer mittellosen Aktiven sorgen wollten!

An dieser Stelle brach bei vielen Delegierten endgültig die lange zurückgehaltene Wut hervor. Die Arroganz von Ernst und Händel wurde in sehr emotionalen Reden angegriffen. Eine der wenigen Niederlagen der beiden folgte - was sie wahrscheinlich nicht daran hindern wird, diesen Beschluss irgendwie schon wieder aus der Welt zu schaffen.#

Schon am Anfang des Parteitags trat die soziale Neuzusammensetzung der Delegierten offen zu Tage. Auf den Parteitagen zuvor war eine der Ikonen der WASG als „Partei neuen Typs“ die Hervorhebung besonderer demokratischer Prinzipien, wie der Trennung von Amt und Mandat. Gleichzeitig hatte man aber schon damals „angesichts der besonderen Situation im Parteibildungsprozess“ der bestehenden Parteispitze eine „Übergangsregelung“ zugestanden, also die Möglichkeit, gleichzeitig im Bundesvorstand und im Parlament zu sitzen.

Der Vorstand bleibt

Gleich zu Beginn des Parteitags sollte geklärt werden, ob diese Übergangsregelung bis zum Juni 2007 (dem geplanten Fusionsdatum) verlängert werden solle. Ohne diese Regelung wurde der Fusionsprozess natürlich als gefährdet angesehen, wenn die bewährten Verhandlungspartner der PDS-Spitze jetzt ausgewechselt würden. Prompt wurde die Übergangsregelung mit 139 zu 129 Stimmen verlängert. Nachdem selbst bei dieser Frage die Mehrheit stand (womit nicht mal Ernst und Trost gerechneten hatten), hätte man als linker Delegierter eigentlich schon abreisen können. Die folgenden Abstimmungen machten das Mehrheitsverhältnis noch deutlicher.

Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass es dann eine Reihe „linker“ Beschlüsse gab: In Abänderungsanträgen zum Leitantrag (zu dem übrigens auch per Geschäftsordnungsantrag jede inhaltliche Gesamtdebatte verhindert wurde), wurden einige Verhandlungspositionen gegenüber der PDS verschärft. So fordert die WASG nun von der PDS, dass nur in Regierungen eingetreten wird, wenn diese nicht Sozialabbau und Privatisierungen betreiben (aber darüber kann dann im Einzelfall natürlich wieder verhandelt werden). So fordert die WASG, dass es keine Auslandseinsätze der Bundeswehr, ob mit oder ohne UN-Mandat gibt (was den PDS-Vorstand sicher angesichts vergangener Parteitagserfahrungen ärgern wird). So will die WASG nunmehr die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien ins Programm aufnehmen. Es gibt es jetzt auch als WASG-Position (anders als bei der PDS) das klare „Weg mit Hartz IV“. Schließlich wurde auch eine sehr weitgehende Form der Trennung von Amt und Mandat für die neu-fusionierte Partei gefordert.

Sozialisten gegen Sozialismus

Damit waren mehr oder weniger alle „roten Linien“ (die z.B. anti-kapitalistische Linke und das Netzwerk Linke Opposition aufgestellt haben) im Wesentlichen erfüllt - aber eben ohne jede praktische Konsequenz als tatsächliche Mindestbedingung für eine neue Linkspartei.

Schließlich kam es noch zu einem makaberen Kasperle-Theater um die Frage des Sozialismus. Einer der Anträge zu den Verhandlungspositionen sollte das Ziel des „demokratischen Sozialismus“ und einer „sozialistischen Gesellschaftsordnung“ als WASG-Positionen formulieren.

Hierzu meinte Vorstandsmitglied Axel Trost, vor den Gefahren eines nicht-ausdiskutierten Linksrucks der WASG warnen zu müssen, der einige Teile der Anhängerschaft verschrecken könnte. Danach stimmte die Abstimmungsmaschinerie diesen Antrag mit 10-Stimmenmehrheit weg. Schändlicherweise stimmten dabei auch sämtliche Delegierte des (angeblich „revolutionär sozialistischen“) „Linksruck“ gegen „den Sozialismus“.

Dabei muss bemerkt werden, dass die VertreterInnen dieser Strömung (die mit Christine Buchholz auch weiter im Vorstand vertreten sind) überhaupt zu den Bluthunden des Vorstands auf dem Parteitag zählten. So waren es vornehmlich Linksruck-RednerInnen, die Vertreter der verschiedenen linken Strömungen denunzierten.

Auch der „demokratische Sozialismus“ wird als Nebelkerze sicherlich wiederauferstehen. So kündigte Oskar Lafontaine schon in seiner Rede an, dass er sich mit Gysi und Bisky gemeinsam dafür stark machen werde, dass derselbe ins Programm der neuen Partei kommen soll. In einer der wenigen inhaltlichen Reden des Parteitags hatte eine Berliner Delegierte klar gemacht, dass die Worthülse „demokratischer Sozialismus“ ohne eine klare Position zur Frage der Eigentumsverhältnisse und des Marktes nur blendendes Beiwerk bleibt. Längst herrscht in der PDS ein Verständnis dieses Begriffs vor, der auf eine Entgegensetzung von „sozialer Marktwirtschaft“ zu „Neoliberalismus“ hinausläuft.

Auch in der einzigen diskutierten praktischen Kampagne, der Beteiligung an den Anti-G8-Mobilisierungen, betonten die dabei federführenden Linksruck-AktivistInnen vor allem die „immense Bedeutung“ der Zusammenarbeit mit der PDS. Wütend wurden daher Bedenken eines Delegierten aus Mecklenburg-Vorpommern zurück gewiesen, dass die dortige SPD/PDS-Koalition sich damals um die Austragung des Gipfels in Heiligendamm sogar beworben hatte.

Nicht erwähnt wurde natürlich die demobilisierende, legalistische Funktion der PDS in der Anti-G8-Vorbereitung. Es wird also davon auszugehen sein, dass auch die WASG Teil des braven Bürgerprotestes werden wird, der sich selbst gegen alle radikaleren Formen des Widerstandes stellen wird.

Die Rolle der Linken

Dass schließlich noch zwei VertreterInnen der Linken - Thies Gleiss (isl) und Lucy Redler (SAV) - in den erweiterten Vorstand gewählt wurden, ist sicher kein Ausdruck einer verbliebenen „Stärke“ eines linken Flügels in der WASG. Die tragenden Strömungen an der Spitze (etwa die „sozialistische Linke“) wollen so die Linken noch in die „Parteiarbeit“ – sprich das Fusionsgeschäft - integrieren. Eine vorzeitige Ausgrenzung eines linken Flügels könnte die Position und Ausstrahlungskraft der WASG im Fusionsprozess weiter schwächen. Die Wutausbrüche gegen Ende des Parteitags machten einigen Funktionären wohl klar, dass sehr wohl eine Gefahr der Implosion vieler Kreisverbände besteht.

Tatsächlich dürften dort die Mehrheitsverhältnisse anders sein als auf dem Parteitag. Vor allem unter den eher aus der ALG II-Protestbewegung stammenden WASG-Mitgliedern scheint sich immer mehr resignative Wut und Enttäuschung mit der Partei breit zu machen.

Umso fataler ist die Nachtrabpolitik der führenden „linken“ Strömungen in der WASG-Opposition. SAV und große Teile der isl (in der „anti-kapitalistischen Linken“ bzw. in der Minderheit des „Netzwerks linke Opposition“) scheinen weiterhin auf „Kampf um die WASG bis zum Letzten“ als Übergang zum Weg in die „innerparteiliche Opposition“ in der fusionierten „Linken“ zu setzen.

Damit verpassen sie immer mehr die Gelegenheit, die jetzt noch aktiven, linken oppositionellen Kräfte in den vielen Basisorganisationen der WASG, aber auch engagierte AktivistInnen aus den sozialen Bewegungen, klassenkämpferische ArbeiterInnen und radikale Jugendliche, die bisher der WASG fern geblieben sind, für ein neues Projekt einer echten Klassenkampfpartei zu sammeln. Nur vor dem Hintergrund einer solchen politischen Ausrichtung macht der Kampf in der WASG noch Sinn.

Stattdessen arbeiten sie sich an der geübten Apparatbürokratie in sinnlosen Rückzugsgefechten zu Tode, machen sich zu medial gut präsentierbaren linken Schreckgespenstern, um letztlich als zahme Kläffer im Vorstandskäfig zu enden.

Berlin

Der Berliner Landesverband, auf dem Parteitag von bestimmten Blöcken wie der Hort der Aussätzigkeit behandelt, stellt sicher einen Sonderfall dar. Angesichts der Senatspolitik und der in den nächsten Jahren zu erwartenden Verschärfung der Sparpolitik nach dem Karlsruher Urteil, ist eine Fusion von Berliner WASG und Berliner PDS so gut wie ausgeschlossen. Hier muss und wird sich in den nächsten Monaten ein Bruch mit der Bundespartei ergeben. Hier ist die Frage, wer das Heft der Initiative übernimmt und für klare Verhältnisse sorgt.

Um die Berliner Organisation und die bundesweite Vernetzung, die sich seit einigen Monaten um das „Netzwerk linke Opposition“ herausbildet, aufzubauen, muss jetzt - nachdem die Weichen eindeutig gestellt sind - so schnell wie möglich zur Tat geschritten werden.

In praktischen Kampagnen (z.B. einer konsequenten Anti-G8-Mobilisierung), in klarer inhaltlicher Positionierung (z.B. Programmdebatte) und im Aufbau dezidiert basisdemokratischer Strukturen muss jetzt für Linke inner- und außerhalb der WASG das Projekt einer kämpferischen Klassenpartei als Alternative zu den beiden sozialdemokratischen Parteien deutlich sichtbar werden!

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