Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Erfolgreiche Bremer Demo gegen NPD

Keinen Meter!

Infomail 285, 9. November 2006

„Keinen Meter!“ Unter diesem Motto standen sowohl der Aufruf wie der Name des Bündnisses der Gegendemonstration durch die beiden Bremer Stadtteile Gröpelingen und Walle. Morgens um 10 Uhr ging es am Gröpelinger Straßenbahndepot los. Zeitgleich startete ein Demozug aus Walle. Warum auch immer diese Aufsplitterung, ob es sich gar um verschiedene Veranstaltungsbündnisse handelte oder das Ergebnis eines taktischen Konflikts selbst unter den 70 verschiedenen Organisationen war, die das antifaschistische Bündnis bildeten, darüber schwiegen die VeranstalterInnen.

Breites Bündnis

Seit Wochen war der geplante Demonstrationszug der NPD das Thema in Bremen. Die Mehrheit der Bevölkerung in beiden Stadtteilen begrüßte ausdrücklich den Gegenprotest mit Plakaten und Aufklebern wie „Nazis No“ oder „Bunt statt braun“ an den Wohnungs- und Geschäftsfenstern. Erwachsene und Kinder, insbesondere ImmigrantInnen, winkten uns aus offenen Fenstern zu und ein nicht unbeträchtlicher Teil der „ganz normalen“ Leute marschierte gleich mit.

Das Bremer Stadtamt hatte in letzter Minute versucht, die NPD-Demo zu verbieten - mit der Begründung, dass zu wenig Polizeikräfte zur Verfügung stünden, um die Sicherheit in der Stadt zu garantieren. Zusätzlich zur NPD-Aktion und den beiden Gegenzügen fanden ausgerechnet auch noch eine Demo gegen Castortransporte vom Hauptbahnhof aus statt sowie das Spiel Werder gegen Energie Cottbus.

Die sich zunehmend verselbstständigende Anti-Castor-Szene konnte sich wohl keinen besseren Zeitpunkt aussuchen oder hat das Verhältnis zur politischen Dringlichkeit verloren oder erschöpft ihr Links-und-Alternativ-Sein eben ausschließlich mit Protest gegen Atommüllfrachten. Wir wissen es nicht, liebe Leserinnen und Leser. Fragt sie selber!

Jedenfalls standen dann 2.300 Bullen in Robocop-Outfit, davon 1.600 aus anderen Bundesländern, bereit. Wasserwerfer und Räumpanzer waren aufgefahren, scharfe Hunde wurden auf TeilnehmerInnen der DemonstrationsteilnehmerInnen gehetzt und Tränengas und Pfefferspray eingesetzt. Dass das Vermummungsverbot sowie Ausweispflicht (Dienstmarken) für diesen wie für andere Teile des bewaffneten staatlichen Unterdrückungsapparats nicht gelten, sei hier nur am Rande erwähnt.

Das Bremen Oberverwaltungsgericht wies in 2. Instanz die Eingabe des Bremer Stadtamtes ab - mit Hinweis auf die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit und Einschränkungen aller Demorouten einschließlich der der NPD. Diese wollte sich um 14 Uhr 30 am Bahnhof Walle sammeln und von da aus ihren geplanten Marsch bis zur Abreise um 17 Uhr durchführen. Das konnten die nach Veranstalterangaben 10.000 GegendemonstrantInnen - die Polizei sprach von 3.000, einige Druckmedien von 4.000 - zum Glück durchkreuzen.

Die Demoleitung verordnete in Höhe Grasberger Straße einen Halt mit dem Hinweis, hier sei nun Schluss, die Polizei habe die Gröpelinger Heerstraße gegen ein Weiterkommen abgeriegelt. Das nutzte als erster Senatspräsident Böhrnsen, gefolgt von einem der sattsam bekannten Friedensfreunde und einem Pastor. Die gaben zwar alle keine Antwort auf die akute, lauthals gestellte Frage „Wie weiter?“, schwadronierten aber über das wunderbare Leben in „unserem“ Bremen.

Unser Bremen?

Dafür, dass Böhrnsen ein „Gröpelinger Junge“ ist, wie er im autobiographischen Teil seiner Rede betonte, kann sich niemand was kaufen. Und „unser“ Bremen, in dem uns immer weniger gehört, wird stets als das übergreifende Ziel genannt, um das sich leider auch Veranstalter und offizielle Arbeiterbewegung scharen. Als ob nicht im Rahmen der Föderalismuspolitik die US-Besatzer schlicht nur einen Seehafen in ihrer Einflusszone als Enklave innerhalb des britischen Besatzungsgebiets gebraucht hätten; als ob das „Volk“ diesen merkwürdigen Zwergstaat gewollt hätte oder sogar überhaupt zu Grundgesetz wie Besatzungspolitik jemals gefragt worden wäre! In welchem Arbeiterinteresse soll es liegen, die Minderheitskomplexe der bremischen Kaufmanns- und (See-)Handelsbourgeoisie zu teilen und den Erhalt des kleinsten Treppenwitz-Bundeslandes zu fordern, für das keine Zumutung zu unverschämt sein kann?

Gott sei Dank gab es ja noch den Schwarzen Block und einige andere, die sich nicht vom pazifistischen Gesülze einschläfern ließen und einfach mal an der Front nachgeschaut haben, wie es denn um den Zustand der Polizeiketten bestellt ist. Und siehe da - fast 2 km freie Strecke!

So konnten wir ungehindert bis zur nächsten Absperrung in Höhe Lange Reihe marschieren. Da half es auch nichts, dass die VeranstalterInnen nachträglich die Mittagsandacht an der Grasberger Straße zur Zwischenkundgebung umtauften und dann zum Weitermarschieren aufforderten; 2/3 der TeilnehmerInnen war nach Hause gegangen. Und das war sicher der Zweck dieser pazifistischen Konfrontations-VermeiderInnen.

Die restlichen 3.000 an der Absperrung harrten dann bis 16 Uhr aus. Erstens war nämlich gegen die Staatsmacht, ihre Gitterzäune, Wasserwerfer und Räumpanzer kein Ankommen. Das erklärte Ziel, zum Waller Bahnhof durchzukommen, um die NPD gebührend zu empfangen, war somit unrealistisch.

Immerhin war es schließlich aber gelungen zu verhindern, dass die Rechten ihre komplette Route runterstiefelten. Die wurden in Bussen zum Ausgangspunkt gebracht - 70 an der Zahl, eine echte Massenkundgebung, wie angekündigt - und hielten erstmal eine Kundgebung ab, um danach bis zur anderen Seite der Polizeikette zu gelangen.

Weil der restliche Gegenprotest sich nicht einschüchtern ließ durch mehrmalige Polizeiaufrufe, dass die Versammlung aufgelöst werden sollte, durch ständige Übergriffe der Sicherheitskräfte (200 Verhaftungen) sowie das übliche Bremer Schmuddelwetter, garniert mit einem eisigen Nordwestwind, drehten die Nazis schließlich um 16 Uhr um.

Die Aktion war ein Teilsieg. Dies nicht nur deshalb, weil die Nazis ihre Aktion nicht voll durchziehen konnten, sondern weil eine ganze Reihe „NormalbürgerInnen“ die richtigen Schlussfolgerungen über „unsere“ Polizei aus eigener Erfahrung ziehen durften und zogen!

Mit gemischten Gefühlen, zwischen blanker Wut, fassungslosem Entsetzen und heulender Ohnmacht wurden die Verfolgungsattacken der Spezialgreiftrupps gegen sich zurückziehende (!) ZivilistInnen, ihre Misshandlungen der am Boden liegenden (6 gegen 1 mit Schlägen, Fußtritten, Zerren an den Haaren, Plastikfesseln) quittiert. Die Stimmung gegen die „Bullen“ machte sich dermaßen aufgereizt lautstark in Verbalradikalität Luft.

Defizite

Trotz aller Freude über diesen Teilerfolg sind wir verpflichtet, die Defizite der Politik des Bündnisses zu benennen, denn sie sind typisch für die üblichen Methoden des antifaschistischen „Kampfs“.

1.) Anstatt sich auf eine gemeinsame Aktion zu konzentrieren, dafür Absprachen zu treffen, welche Ziele damit erreicht werden sollen, einen Ordnerschutz gegen Polizeiübergriffe und (Polizei-)Provokateure in den eigenen Reihen, die sich nicht an die Absprachen halten, zu bestimmen, besteht die Breite zu oft im kleinsten gemeinsamen Nenner, wie der Faschismus einzuschätzen und zu bekämpfen sei. Statt dann eine Demoleitung zu wählen, die mit einem ebenso demokratischen Massenschutz gemeinsam rasch entscheiden bzw. für alle Teilnehmer klar ersichtliche Vorschläge machen kann, wie es angesichts der Störmanöver zumutbar für die Mehrheit der TeilnehmerInnen wohl weitergehen könne - schon der Abmarsch verzögerte sich dank der Polizei um 1 Stunde ohne irgendeine Reaktion seitens des Lautsprecherwagens - wird überall und ausschließlich humanistisches Geschwafel von guten und bösen Menschen, „unserem“ Bremen als nazifreier Zone und friedliches Zusammenleben im Kiez, Ausländerintegrationsobjekten in Vorzeigeschulen usw. verbreitet.

„Getrennt marschieren - vereint schlagen!“ Das muss das Motto zumindest der revolutionären KommunistInnen für jede Einheitsfront der Arbeiterbewegung, insbesondere gegen die faschistische Gefahr sein! Eigene Demoblöcke, eigene Propaganda, Beteiligung an der Auswahl der Aktionsleitung und der Schutzkräfte. Gemeinsame Aufrufe nur zur Mobilisierung.

Wer unbedingt Weisheiten von solchem Schlage verbreiten will, dass die Faschos Verbrecher und unmenschlich seien oder überhaupt Aliens von einem anderen Stern und probate Mittel gegen diese Reinkarnation des Bösen aus einer Mixtur Gutmenschentums unter kräftiger Beimischung einer hypnotisch wirkenden Dosis Volksfrontpolitik unter Böhrnsen, evangelischer Kirche und Polizei“schutz“ bestehe, der soll es doch unter eigener Flagge unters Volk quirlen!

Es bieten sich dafür zahlreiche Möglichkeiten an, z.B. Linkspartei PDS, Bündnis 90/Die Grünen oder ein bremischer Friedensgebets- und Mahnwachenarbeitskreis.

2.) Die NPD hat sich ihren Aktionsort nicht zufällig ausgesucht. Ihr Kalkül weist zumindest mehr Realismus auf als das verharmlosende und beschönigende Geschwätz oder gänzliches Schweigen über die sozialen Zustände und (unterschwelligen) Konflikte in zwei Stadtteilen mit überproportional hohem Anteil sozial Deklassierter und ImmigrantInnen.

Die ehemaligen Industriehochburgen Gröpelingen und Walle sind mit dem Niedergang der AG-Weser-Werft und der traditionellen stadtbremischen Massengüter- und Stückguthäfen, der Investitionsruine Space Park alles andere als ein El Dorado für ihre BewohnerInnen. Früher hieß es bei uns: „In Walle wohnen alle!“ Heute zieht hier nur noch der hin, der es sich woanders nicht mehr leisten kann. Und wer es sich irgendwie leisten kann, zieht weg. Hier regiert nicht Böhrnsens rosafarbener Multikulti-Optimismus, sondern die Tristesse der schönen Hartz IV-Landschaft!

Analog zum Vorbild der britischen BNP, die versucht, die weiße britische Bevölkerung in heruntergekommenen ehemaligen Industriegebieten und Sozialwohnungsblöcken mit ihren ausländerfeindlichen Parolen zu erreichen, operiert auch die NPD. Ihre offen rassistische Hetze stellt allerdings „nur“ das Einfallstor für den  Aufbau einer terroristischen Massenbewegung aus Kleinbürgern und Deklassierten dar, die als Rammbock gegen die organisierte Arbeiterbewegung eingesetzt werden kann, wenn sich die Verhältnisse auf einen sozialen Bürgerkrieg hin zuspitzen und die Instrumente klassischer bürgerlicher Politik (Parlamentarismus, Exekutive) versagen. Das ist das Wesen des Faschismus.

Zumindest seit dem Verbot der kleinen, aber militanten offen faschistischen Parteichensekten und Kameradschaften ist die NPD nicht nur (wieder) unter die Fuchtel eines faschistischen Flügels geraten, sondern dieser braucht nicht einmal hinter der Saubermannfassade einer faschistischen Frontpartei versteckt seine Fäden im Dunkeln zu ziehen.

Darum sagen wir auch, dass wir alle Aufmärsche von offen faschistischen Parteien, aber auch faschistischen Frontparteien sowie rassistischen Parteien mit nazistischem Minderheitsflügel verhindert müssen, ja diese Parteien sogar zerschlagen müssen. Verhindert werden müssen natürlich auch Aktionen anderer bürgerlicher Organisationen, die zu arbeiterfeindlichen, rassistischen und sexistischen Taten anstacheln wollen. Und den Faschismus verhindern kann nur die antifaschistische Arbeitereinheitsfront, nicht eine Volksfront zwischen der Jungfrau Maria und der demokratischen Liga für Menschenrechte und Völkerverständigung!

Davon nichts in den offiziellen Flugblättern des Bündnisses! Dass 70 Organisationen, darunter nicht nur Fußballvereinen und die Caritas, sondern auch die praktisch komplette Linke deren Propaganda kritiklos freie Hand lassen, muss sich ändern! Schließlich besteht deren Logik des kleinsten gemeinsamen politischen und analytischen Nenners darin, stets die rechteste, der bürgerlichen Öffentlichkeit bzw. dem öffentlichen Bürgertum am nächsten stehende Spielart von Liberalismus zu propagieren.

Logischerweise entspricht diesem Herangehen keine Aktionseinheit, sondern de facto eine Volksfront - aller „anständigen Bremerinnen und Bremer“ in diesem Fall. Bei Zuspitzung der sozialen Widersprüche wird sich das Wachstum von Faschismus und Rassismus durch solchen Antifaschismus und seine Beschwörungsformeln nicht aufhalten lassen.

Dies hier klipp und klar feststellen zu müssen, ist genauso unsere Pflicht wie Schulter an Schulter und möglichst an  vorderster Front solidarisch mit diesen Kräften zu marschieren.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::