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Berlin/Mecklenburg-Vorpommern

Landesregierungen schmieren ab

Infomail 277, 19. September 2006

Bei allen Unterschieden lassen sich drei Gemeinsamkeiten bei den Wahlergebnissen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern feststellen:

a) Beide „rot-roten“ Landesregierungen haben dramatische Stimmen- und Mandatsverluste hinnehmen müssen. In Schwerin traf das in erster Linie die SPD, in Berlin die Linkspartei.PDS die v.a. in den Ostbezirken ein Fiasko erlebte.

b) Ein deutlicher Rückgang der Wahlbeteiligung. Damit setzt sich der Trend aller Landtags- und Kommunalwahlen seit der Bundestagswahl fort, dass ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung dem parlamentarischen Spiel fernbleibt. So fiel die Wahlbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern von 70,6 auf 59,2 Prozent, in Berlin von 68,1 Prozent 2001 auf 58,5 Prozent.

c) In beiden Wahlen ist auch eine Polarisierung in der Gesellschaft sichtbar, die sich sowohl auf der extremen Rechten wie auch auf der Linken zeigt.

Die Verluste von SPD und PDS

Natürlich verloren nicht nur PDS und SPD. In Berlin fuhr die CDU ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg ein.

Dramatisch waren die Verluste der SPD in Mecklenburg-Vorpommern mit einem Minus von 10,4 Prozent. In absoluten Zahlen fiel sie weit dramatischer von 394.118 auf 247.291 Stimmen ab, ein Minus von rund 150.000 Stimmen!

Auch die CDU musste Verluste hinnehmen - von 304.125 im Jahr 2002 auf 235.335 im Jahr 2006. “Wahlsieger” PDS steigerte den Stimmenanteil zwar um 0,4 Prozent, büßte aber mehr als 20.000 Stimmen ein (von 159.065 auf 137.248).

In Berlin verlor die PDS in jeder Hinsicht dramatisch. 2001 konnte sie noch 366.292 Stimmen erringen (22,6 Prozent). Diese Zahl hat sich in fünf Jahren praktisch halbiert, auf 185.452 oder 13,4 Prozent.

Die Verluste waren in den Ostberliner Hochburgen besonders dramatisch. In Marzahn-Hellersdorf hatte sie 2001 noch eine absolute Mehrheit mit 52,9 Prozent. Jetzt liegt sie bei 32,5, was einem Verlust von 20,4 Prozent entspricht. Ähnlich groß sind die Verluste in Pankow (minus 20,8), Lichtenberg (minus 17,3) oder Treptow-Köpenick (minus 16,2 Prozent) und Kreuzberg-Friedrichshain (minus 16,4). Auch in Westberlin verlor sie durchschnittlich ein Drittel der Stimmen.

Der Grund für die Niederlagen von SPD und PDS sind leicht zu finden - in der Politik beider Parteien. Sie haben im Bund und/oder in den Landesregierungen den Generalangriff der herrschenden Klasse ausgeführt und vorangetrieben, und sie haben auch im Wahlkampf erneut deutlich gemacht, dass sie die Politik neo-liberaler Umstrukturierungen, Privatisierungen, verschärfter Angriffe auf die Erwerbslosen usw. fortsetzen wollen.

Während die SPD überlegt, mit den Grünen oder der CDU zusammenzugehen, will die PDS auf jeden Fall weiter mitregieren - trotz der für sie katastrophalen Auswirkungen bei den Wahlen. Auch das zeigt, wie verfestigt die reformistische, sich mit dem Kapitalismus arrangierende Strategie der PDS ist.

Geringe Wahlbeteiligung und Polarisierung

Auch wenn uns noch keine Umfragen zur sozialen Zusammensetzung der NichtwählerInnen vorliegen, so kann wohl davon ausgegangen werden, dass diese vor allem aus den unteren, am meisten von den neo-liberalen Angriffen betroffenen Schichten der Arbeiterklasse kommen: Erwerbslose, NiedriglöhnerInnen und Prekarisierte, MigrantInnen.

Diese Schichten werden mehr und mehr an den Rand der bürgerlichen Gesellschaft gedrückt. Das ist auch der Grund für ihre Abwendung von den Wahlen selbst.

Dahinter zeigt sich eine grundlegende Umstrukturierung nicht nur der Sozialstruktur der Gesellschaft, sondern auch der politischen Herrschaftsmechanismen.

Über Jahrzehnte waren Wahlen und Parlamentarismus eine wichtiger Integrations- und Legitimationsmodus für den Großteil aller Klassen (anders als z.B. in den USA, wo die Wahlen und das offizielle politische System traditionell auf die herrschende Klasse, die Mittelschichten, das Kleinbürgertum und die privilegierten, arbeiteraristokratischen Schichten der Lohnabhängigen fokussiert sind).

Aufgrund der verschärften sozialen Polarisierung werden immer größere Teile der Klasse auch aus dem bürgerlich-parlamentarischen Raum gedrängt bzw. nehmen ihn für sich als nicht mehr relevant war.

Für das Kapital selbst ist das keineswegs ungewollt, ja von vielen wird es sogar begrüßt, auch wenn es für viele traditionelle Parteien ein Problem darstellt. Solange diese Schichten politisch und gesellschaftlich ruhig und passiv bleiben, ist ihre Nichtteilnahme an den Wahlen durchaus funktional.

Wichtig ist, dass diese Schichten über weiter Strecken von keiner Partei erreicht wurden und von Parteien wie SPD und PDS auch immer weniger erreicht werden können, denn ihre auf Sozialpartnerschaft gerichtete Politik bringt nur die bornierten, engen Interessen der lohnabhängigen Mittelschichten und der Arbeiteraristokratie im Rahmen einer sozial etwas abgefederten neo-liberalen Umstrukturierung der Gesellschaft zum Ausdruck.

Es ist kein Zufall, dass sich in den Wahlen ein Rückgang der offen bürgerlichen Massenparteien wie CDU oder bürgerlicher Arbeiterparteien wie SPD und PDS zeigt, während FDP und Grüne gewinnen. Auch das drückt eine neo-liberale Umstrukturierung des politischen Systems aus.

In jedem Fall zeigt sich in der Wahlenthaltung eine sinkende Integrationskraft des bürgerlich-parlamentarischen Systems für die ausgebeuteten Massen. Zugleich wurde eine Polarisierung - vor allem auf der Rechten - sichtbar. Der Wahlerfolg der faschistischen NPD in Mecklenburg-Vorpommern (7,3 Prozent, 59674 Stimmen), aber auch in Ostberlin (rund 4 Prozent) zeigt das in beunruhigender Weise.

In Teilen Vorpommerns konnte sie um die 12 oder 13 Prozent erringen. Ähnlich wie in Sachsen rekrutieren sich die WählerInnen der NPD einerseits aus demoralisierten und frustrierten Erwerbslosen und unteren - meist jungen, männlichen - Arbeiterschichten, andererseits schneidet sie auch unter dem Kleinunternehmertum (den „Selbstständigen“) überdurchschnittlich gut ab.

Ihr Zuwachs ist erstens ein Ausdruck davon, dass die Linke, v.a. die PDS von immer mehr Lohnabhängigen als keine Alternative, sondern als Bestandteil des bestehenden Systems betrachtet wird und dass sich links von der PDS keine klassenkämpferische oder gar sozialistische Massenalternative gebildet hat. Zweitens ist sie auch ein Ausdruck der Unzufriedenheit des Kleinbürgertums und Kleinkapitals, das gegen die ausländische Konkurrenz (EU, Polen usw.) auf Chauvinismus und Rassismus und Abschottung des eigenen Landes hofft.

Das Ergebnis der WASG

Das Ergebnis der WASG Berlin fiel - gemessen an der Unzufriedenheit der Bevölkerung und der Schärfe der Angriffe - mit 2,9 Prozent und rund 40.000 Stimmen enttäuschend aus.

Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Zum einen solche, die nicht an der WASG Berlin, liegen:

Erstens musste sie - wohl einmalig in der BRD-Geschichte - auch gegen die eigene Bundesparteiführung antreten, die für eine andere Partei, die L.PDS und deren Senatspolitik Werbung machte.

Zweitens war der Listenplatz 14 ein großer Nachteil, was sich nicht zuletzt darin zeigte, dass die WASG bei den Erststimmen oft weit besser abschnitt als bei den Zweitstimmen.

Drittens kommt sicher hinzu, dass das Wahlsystem in der BRD (Erst- und Zweitstimme) sowie die undemokratische Fünf-Prozent-Hürde Parteien wie die WASG zusätzlich benachteiligen, die sich v.a. auf die Stimmen von Arbeitslosen und Lohnabhängigen stützen.

Viertens spielten natürlich die geringen finanziellen Mittel der Berliner WASG eine Rolle.

Zweifellos war das Ergebnis dem großen Einsatz und der Ausdauer der Mitglieder und UnterstützerInnen zu verdanken - auch jener, die aus anderen Bundesländern zur Unterstützung gekommen waren.

Eigene Fehler

Trotzdem ist es wichtig, auf die eigenen, hausgemachten Fehler der WASG im Wahlkampf zu sprechen zu kommen.

Das Auffälligste am Ergebnis ist wohl, dass auch die WASG Berlin einen großen Teil der von Verarmung und Überausbeutung Betroffenen nicht an die Wahlurnen zu bringen vermochte. Woran lag das? Eine häufig genannte, auch von Spitzenkandidatin Lucy Redler und anderen vertretene These lautet, dass die Zeit zu knapp gewesen wäre, das Vertrauen der WählerInnen zu gewinnen.

Sicherlich war die kurze Mobilisierungsphase ein Nachteil für die WASG als neue Partei. Aber diese Erklärung greift unserer Auffassung nach viel zu kurz.

Im Grunde agiert bzw. agierte bisher auch die Berliner WASG wie eine „normale“ parlamentarisch ausgerichtete Partei. Schon der Name - „Wahlalternative“ - bringt das zum Ausdruck.

Die politische Strategie und das Wahlprogramm, die Plakate usw. entsprachen dieser Ausrichtung. Die WASG Berlin ist zwar klar gegen die Politik des Senats angetreten, erhob viele Forderungen im Interesse der Lohnabhängigen (Arbeitszeitverkürzung, Stopp der Privatisierungen usw.) und brachte den Willen einer Schicht der Arbeiterklasse zum Ausdruck, mit dieser Politik zu brechen. Es war daher vollkommen richtig, diese Partei bei der Wahl unterstützen. Aber sie war bis auf wenige Ausnahme keine Partei der Mobilisierung, des Kampfes.

Entscheidend wird nun jedoch sein, dass die Berliner WASG sowie die linke Opposition in der WASG bundesweit ihre weitere politische Ausrichtung diskutieren.

Wenn die WASG zu einer Partei der Arbeitslosen, der unteren Schichten der Arbeiterklasse, kämpfender Lohnabhängiger, der MigrantInnen und der Jugend werden will, muss sie sich das Ziel setzen, eine grundlegend andere Partei als SPD, L.PDS, aber auch als die bisherige WASG aufzubauen.

Es geht darum, jetzt in der WASG dafür einzutreten, aus ihr eine Kampfpartei zu machen, mit dieser Perspektive in die Auseinandersetzungen um die „Fusion“ von PDS und WASG einzugreifen und dabei ein organisierte Strömung zu formieren, die auch in der Lage ist, gegebenenfalls eigenständig als politische Kraft gegen eine neue reformistische Partei anzutreten.

Kampfpartei heißt v.a., eine Partei der Aktion zu sein. Es heißt aber auch, eine Partei zu sein, die weiß, was sie will.

Auch die Berliner WASG trat - wie wir von Beginn an kritisiert hatten - mit einem reformistischen, also im Kern bürgerlichen Programm zur Wahl an; einem Programm, dessen strategische Zielsetzung eine Verbesserung des bestehenden kapitalistischen Systems ist und nicht dessen Überwindung.

Genau darum geht es jedoch. Die Linke Opposition in der WASG muss für ein Programm von Übergangsforderungen eintreten, das den Kampf gegen die Angriffe von Kapital und Regierung mit dem Kampf zum Sturz des Kapitalismus und für die Reorganisation der Gesellschaft auf Grundlage der Räteherrschaft der Arbeiterklasse verbindet.

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