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Italien

Volksfront will neue Regierung stellen

Infomail 255, 19. April 2006

86% der Wählerschaft Italiens ging zu den Urnen und entschied die Wahl knapp zu Gunsten von Prodis Unionsbündnis. Im Parlament erzielte diese Allianz mit 49,8% der Stimmen nur eine hauchdünne Mehrheit von 0,7% gegenüber Berlusconis Partei. Im Senat, der zweiten Kammer, verfügt das Unionsbündnis über noch weniger Stimmen, aber dank des merkwürdigen, von Berlusconi eingeführten Mehrheitswahlsystem, hat Prodi eine Mehrheit von 2 Sitzen. Das Wahlsystem war von Berlusconi erst im Dezember 2005 geändert worden, so dass ein System von proportionaler Repräsentanz, das die Existenz von Parteienkoalitionen stärker berücksichtigte, herauskam. Die 6 Millionen Auslandsitaliener sollten Stimmrecht wahrnehmen können, und eine Klausel besagte, dass die größte Partei im Parlament mit mehr Sitzen eine arbeitsfähigere Regierung bilden sollte. Berlusconi wollte damit die Rechten stärken, aber der Schuss ist nach hinten losgegangen.

Der wacklige Sieg von Prodis Koalition im Parlament mit gerade einmal 25000 Stimmen mehr, wirkt sich in der Sitzverteilung nun 340:277 und im Senat mit 158:156 aus. Der Wahlausschuss brauchte 20 Stunden, um das knappe Ergebnis amtlich festzustellen. Noch nach Prodis Siegesansprache focht Berlusconi das Wahlresultat an und forderte eine große Koalition nach deutschem Vorbild, dem widersprach Prodi jedoch zeitig und die Glückwünsche aus dem Ausland taten ihr übriges.

Im Wahlkampf hatte Berlusconi schamlos seine Kontrolle über weite Teile der italienischen Medien ausgenutzt und hatte Prodi als verrückt hinstellen lassen und dessen Koalition mit der chinesischen KP verglichen.

Seine Amtszeit war geprägt von Gesetzen, die es verhindern sollten, dass er von Antikorruptionsausschüssen verfolgt wurde. In dieser Hinsicht war Berlusconi der erzkorrupte italienische Populist. Das Wahlergebnis zeigt den Erfolg einer solchen Figur bei den reaktionären Mittelschichten, während Prodis Sieg auf den heftigen Hass der Arbeiterklasse gegen Berlusconi verweist, die in den vergangenen 5 Jahren mehr als einmal Auseinandersetzungen gegen ihn geführt hatten.

Beginnend mit der massiven Konfrontation gegen den italienischen Staatsapparat während der Proteste gegen den G8-Gipfel im Sommer 2001 sah sich Berlusconi von einer militanten und radikalen Arbeiterbewegung bedroht, die durch die zentrale Rolle politisiert worden war, die sie für die Entwicklung der antikapitalistischen und Antiglobalisierungsbewegung in Europa gespielt hatte. Bei mehreren Anlässen war sie in gewaltiger Zahl auf den Straßen präsent, wie z.B. gegen den Irakkrieg, gegen Rentenkürzung, Arbeitsmarkt-, Gesundheits- und Bildungsreformen und andere Aspekte der neoliberalen Politik.

Besonders 2002 und 2003 gab es riesige militante Mobilisierungen, vom Generalstreik, der von 13 Millionen befolgt wurde, über den Kampf gegen den Irakkrieg bis zu weiteren Generalstreiks gegen die Rentenreform. Es waren hervorragende Gelegenheiten, Berlusconi aus dem Amt zu jagen.

Aber sie wurde vertan durch die Demobilisierungspolitik der linksreformistischen Rifondazione Comunista, der Demokratischen Linke sowie der CGIL- und anderer Gewerkschaftsführungen, die vor einer Konfrontation mit der Regierung zurückscheuten, die den Staat hätte destabilisieren und eine revolutionäre Situation hätte herbeiführen können.

Diese Massenopposition gegen den Neoliberalismus, gepaart mit Berlusconis Unfähigkeit, den knallharten Neoliberalismus in seinem System der Protektion und Vetternwirtschaft zu etablieren, führte dazu, dass auch Italiens herrschende Klasse zunehmend unzufrieden mit der Regierung wurde.

Die italienische Ökonomie näherte sich mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von gerade einmal 0,7% während der letzten 5 Jahre immer mehr der Stagnation. Ihr dominanter Sektor ist die Fertigungsindustrie, die sich natürlich gegen billige Importe zur Wehr setzen muss. Die italienische Wirtschaft hat einen großen Staatssektor, der eine Überschuldung von 106% des Bruttoinlandsprodukts mit sich bringt. Es gibt zu wenig Multi-nationale Konzerne, die im Weltmaßstab konkurrenzfähig sind.

Die neoliberale Arznei der Kürzungen bei den Staatsausgaben für Soziales, der Privatisierung, Maßnahmen gegen staatliche Regulierung (Italien hat den reguliertesten Markt der OECD) und Angriffe auf die soziale Sicherheit ist das Heilmittel für die Mehrheit der italienischen herrschenden Klasse.

Berlusconi jedoch ist kein absoluter Anhänger des freien Markts, denn sein Geschäftsimperium hat er durch monopolistische Praktiken und Korruption aufgebaut und hat der herrschenden Klasse nur zwei größere Siege gegen die Arbeiterbewegung beschert. Seine Renten- und Arbeitsmarktreformen haben den Staatssektor weitgehend unbehelligt gelassen.

Italiens Bosse suchen wie ihre anderen europäischen Partner nach einer Thatcher die, die Arbeiterklasse angreift und die notwendigen Schockmaßnahmen ergreift, damit die Wirtschaft wieder reibungsloser funktioniert.

Wird die Prodi-Regierung ihnen das ermöglichen? Er wird es natürlich versuchen. Prodi ist einer der Architekten der Lissabonner Agenda, die 2000 mit der Maßgabe beschlossen wurde, Europa 2010 zur stärksten neoliberalen Ökonomie zu machen, die es mit den USA aufnehmen und eine beherrschende Rolle in der Weltpolitik spielen kann. Die europaweiten Attacken auf die Arbeiterklasse seither lassen sich auf diese wichtige Weichenstellung zurückführen.

Die Sorge der Bosse gilt daher nicht Prodis Willfährigkeit, sondern ob seine Koalitionspartner nach der neoliberalen Pfeife tanzen werden.

Prodis Koalition stützt sich auf die Rifondazione Comunista und die Demokratische Linke, die in den letzten 5 Jahren beide an der Spitze der Massenauseinandersetzungen gegen Berlusconi standen und sie demobilisieren konnten. Ein italienischer Korrespondent kommentierte dies auf den Webseiten der BBC zu den italienischen Wahlen so: „Die Koalition auf der Linken besteht aus Parteien, die nur der Wunsch eint, Berlusconi zu schlagen.“

In der italienischen Arbeiterklasse und der Antiglobalisierungsbewegung ist das Gefühl weit verbreitet, dass ein Eintritt in die Regierung die Voraussetzung sei, um den korrupten Berlusconi loszuwerden, obwohl der Rifondazione-Chef Bertinotti auf dem Europäischen Sozialforum in Florenz 2002 noch versprochen hatte, dass die Partei ‚nie wieder’ eine Regierung wie Prodis Olivenkoalition 1996-1998 unterstützen werde. In nur 4 Jahren hat sich Rifondazione von dieser Position weg bewegt und ist nun wieder dabei, in ein Volksfrontregierung einzutreten, die von eben jenem Prodi geführt wird!

Sie haben die Bewegung systematisch demobilisiert und auf wahlpolitische Entscheidungen orientiert die, die Illusionen in den bürgerlichen Staat verstärkt und sie von Klassenkonfrontation und dem Kampf um Arbeitermacht abgelenkt.

Noch schlimmer ist es um das gemeinsame Manifest der Unionskoalition bestellt, das auch neoliberale Reformen durchführen will. Unter „anti-neoliberal“ verstehen sie die Rückkehr zu einigen keynesianischen Maßnahmen und zum korporatistischen Kompromiss zwischen Gewerkschaftsführung und Kapitalisten.

Auf den Seiten 28 und 29 des Dokuments wird eine Wirtschaftspolitik auf den Prinzipien der Lissabonner Strategie 2000 vorgeschlagen, die von den Regierungen der Europäischen Union beschlossen wurde. Außerdem wird ein Reformplan mit 3 Zielen entwickelt: ein günstigeres Investitionsklima und verbesserte Konkurrenzfähigkeit, Qualitätssteigerung der Leistungen und Kostensenkung in der Staatsverwaltung. Der einzige kleine Appetithappen für die Arbeiterklasse ist die teilweise Ablehnung des Biagi-Gesetzes, das vorsieht, die Arbeiter zu verschlechterten Arbeitsverträgen zu beschäftigen.

Jede Kürzung bei den öffentlichen Ausgaben, jede Privatisierung und Marktreform bedeutet eine größere Auseinandersetzung mit der Arbeiterbewegung die, die Koalition an die Regierung gebracht hat. Das wird Rifondazione als linkeste Kraft in der Regierung und mit den stärksten Verbindung zu den Basisbewegungen vor die Wahl stellen: entweder Kampf auf den Straßen, was die Koalition in die Krise bringen wird oder linke Flankendeckung für ein aggressives Konterreformprogramm.

Rifondazione wird versuchen zwischen beiden Polen hin und her zu manövrieren. Die Partei will eher den populären Arbeiterprotest verlangsamen als die Richtung des Reformprogramms verändern, wird ständig davor warnen, mit dem Protest zu weit zu gehen, weil das eine neue rechte Regierung heraufbeschwören könnte.

Dies ist ein übles Beispiel für eine reformistische falsche Führung in einem Zeitabschnitt, der für Italien eine Lage mit vielen guten Gelegenheiten bietet, die Arbeiterklasse an der Spitze eine militanten internationalen Bewegung an die Macht zu führen, die gegen den Neoliberalismus kämpft.

Für eine solche Strategie muss eine revolutionäre Partei in Italien aufgebaut werden, die bewaffnet ist mit einem Programm von Übergangsforderungen, das eine Brücke schlägt vom Kampf gegen Krieg und Neoliberalismus zur Machteroberung der Arbeiterklasse.

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