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Frankreich

StudentInnen und ArbeiterInnen im Kampf

Infomail 251, 20. März 2006

Die Szenen erinnern an den Mai 1968 - wenn auch auf niedrigerem Niveau. Spezialeinheiten der CRS stürmten am 11. Februar die Pariser Sorbonne, um 200 StudentInnen und andere BesetzerInnen zu räumen, die seit vier Tagen das Gebäude besetzt hielten.

Die Spezialeinheiten der Polizei setzten Tränengas und Schlagstöcke ein. Mindestens zwei Menschen wurden schwer verletzt und elf festgenommen.

Schon am Freitag davor hatten die Sicherheitskräfte symbolische Barrikaden auf dem Boulevard Saint Michel in der Nähe der Uni gestürmt. Die protestierenden AktivistInnen riefen ihnen zu: „Die Sorbonne gehört den Studenten.“ Rund 40 Universitäten waren zu diesem Zeitpunkt bereits besetzt (jetzt sind es mehr als 60). In Tours versammelten sich mehrere hundert StudentInnen am Bahnhof und blockierten drei Stunden lang die Züge.

Innenminister Nicolas Sarkozy, der schon im Herbst mit seiner rassistischen Hetze die Aufstände in den Vorstädten provoziert hatte und damit hofft, den Boden für seine Präsidentschaft, hartes Durchgreifen und einen thatcheristischen Angriff auf die Lohnabhängigen vorzubereiten, sah sich gezwungen, seine Kurzvisite auf den Antillen abzubrechen.

Die Proteste richten sich gegen die Arbeitsmarktreformen des Premierministers de Villepin, das CPE (Contrat première embauche = Ersteinstellungsvertrag). Im Kern sieht dieser die Abschaffung des Kündigungsschutzes während der ersten beiden Jahre des Beschäftigungsverhältnisses vor - analog zu dem, was bereits seit dem Hochsommer vorigen Jahres durch den CNE ( Contrat nouvelle embauche , „Neueinstellungs-Vertrag“) ermöglicht worden ist. Der Unterschied dabei ist, dass dieser per Regierungsdekret vom 2. August 2005 eingeführte CPE die Beschäftigten in kleinen und mittelständischen Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitern abgeschlossen werden kann – hingegen betrifft der derzeit in der Gesetzesdebatte befindliche CPE alle unter 26jährigen Lohnabhängigen, die künftig in Unternehmen beliebiger Größe und Mitarbeiterzahl eingestellt werden.

Die Regierung verspricht, mit dieser Maßnahme die Jugendarbeitslosigkeit zu senken, die unter den 18-25jährigen im Landesdurchschnitt bei über 20 Prozent liegt (bei einer Arbeitslosenrate von 9,6 Prozent unter der erwerbsfähigen Bevölkerung). In den ärmsten Regionen liegt sie mittlerweile sogar bei 40 Prozent.

Neben den Angriffen auf die Jugend liegen auch schon Maßnahmen zur Aufhebung des Kündigungsschutzes für ältere Beschäftigte in der Schublade.

Die Salamitaktik der Bosse und der Regierung ist offensichtlich. Zuerst sollen die Kernschichten der Klasse, die am stärksten organisiert und potentiell am kampfkräftigsten sind, durch die Schaffung einer riesigen Reservearmee Arbeitsloser unter Druck gesetzt werden. Dann geht es darum, eine unorganisierte, entrechtete Masse junger und alter ArbeiterInnen zu schaffen. Schließlich sollen die „Privilegien“ – also die oft hart erkämpften Rechte - der gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen geschliffen werden.

Das ist auch der Grund, warum die Politik der Gewerkschaften in den letzten Jahren, den Angriffen auf die Jugend und die Älteren ständig Zugeständnisse zu machen, nicht nur schäbig, sondern auch gefährlich ist, weil sie natürlich auch neue Angriffe der Regierung provozierte.

So hatten die Gewerkschaftsführungen, die jetzt mit dem Generalstreik drohen, noch nach dem 9. März erklärt, dass Widerstand gegen die Aufhebung des Kündigungsschutzes zwecklos sei. Dabei ist es offensichtlich: Wenn Chirac, Villepin und Sarkozy gestoppt werden sollen, dann müssen sie jetzt durch die gemeinsame Aktion der ArbeiterInnen und Studierenden gestoppt werden!

Am 7. März demonstrierten SchülerInnen und StudentInnen sowie Teile der ArbeiterInnen trotz Regen und Kälte gegen das Gesetz. Dieser Aktionstag war von den Studentengewerkschaften ausgerufen und von den Elternvereinigungen sowie von den kleineren, kämpferischen Gewerkschaften unterstützt worden. Die Demos der SchülerInnen wurden durch Lehrerstreiks, an denen sich rund 30 Prozent der Beschäftigten beteiligten, unterstützt.

Nach Schätzung der Organisatoren haben sich mehr als eine Million Menschen an den Demos beteiligt, in Paris allein mehr als 200.000. Im ganzen Land fanden rund 160 Demos statt. Solidaritätsaktionen brachten den Flug- und Zugverkehr in 35 Städten zum Erliegen. Mehrere Radiosender waren eingestellt. Verglichen mit den Aktionstagen einen Monat zuvor hat sich Zahl der TeilnehmerInnen verdoppelt oder verdreifacht.

Am letzten Wochenende, dem 18./19. März wurde das noch einmal getoppt. Auch die Gewerkschaftsführungen von LO, CFDT und CGT mobilisierten jetzt. Mehr als 1,5 Millionen gingen auf die Straße. Falls die Regierung das Gesetz nicht zurücknimmt, drohen die Gewerkschaften mit einem eintätigen Generalstreik.

Hinzu kommt, dass sich in der letzten Woche auch viele Jugendliche aus den Banlieus in Demonstrationszügen den StudentInnen und ArbeiterInnen anschlossen.

Die Proteste finden die Unterstützung der großen Mehrheit der Bevölkerung.

Der Aktionstag am 16. März und die Demos am 18. März gingen auf Aufrufe der StudentInnen und radikaleren Gewerkschaften zurück, die auch die großen Föderationen zum Handeln zwangen.

Diese Sympathiewelle und die stärker werdende Solidarität zwischen ArbeiterInnen, Jugendlichen und RentnerInnen muss genutzt werden, um die Demos und Aktionen zu einer landesweiten Streikwelle gegen den Angriff zu bündeln und zur gesellschaftlichen und politischen Mobilisierung zu nutzen.

Dazu sind auch entsprechende Organisationsformen, Koordinierungen und Aktionskomitees notwendig, die den Kampf führen, organisieren und landesweit vernetzen.

Einerseits sind solche, von unten aufgebaute und der Basis verantwortliche, Kampforgane notwendig, um mehr und mehr ArbeiterInnen, StudentInnen, usw. aktiv in den Kampf einzubeziehen und eine längere Auseinandersetzung mit Staat und Staatsgewalt durchzustehen. Andererseits sind sie notwendig, um die Kämpfe der Kontrolle durch die Gewerkschaftsführungen und die reformistischen Parteien zu entreißen und der Gefahr entgegenzuwirken, dass die Bewegung auf einzelne eintägige Großaktionen oder einen nur eintägigen Generalstreik beschränkt bleibt.

Es besteht die Chance, nicht nur den Angriff auf den Kündigungsschutz, sondern das gesamte neoliberale Regierungsprogramm zu stoppen. Doch dies bedeutet, dass – wieder einmal – die Frage des politischen Generalstreiks aufgeworfen werden muss.

Diese Frage wird sowohl durch den Generalangriff der letzten Monate gestellt, aber auch durch den zunehmenden Popularitätsverlust der Regierung und die Konflikte zwischen Chirac und Sarkozy.

Letztgenannte Schwächen der Regierung stellen selbst eine, vorübergehende günstige Situation dar, mit größtmöglichen Kräften anzugreifen. Wird diese Chance nicht genutzt, so werden die Angriffe auf den Kündigungsschutz für die Jugend zu einer Vertiefung der Spaltung der Arbeiterklasse führen und die Gefahr erhöhen, dass Sarkozy als nächster Präsident einen neuen thatcheristischen Angriff auf die Kernschichten der Arbeiterklasse durchziehen kann.

Die Solidarität und der gemeinsame Kampf müssen gleichzeitig auch in einem internationalen Kontext gesehen werden. Der Verdi-Streik in Deutschland, die Kämpfe der ArbeiterInnen und Jugend gegen die neo-liberalen Reformen in Italien, die Streiks in Ländern wie Belgien oder Griechenland zeigen, dass die Lohnabhängigen in ganze Europa vor ähnlichen Problemen stehen.

All diese Angriffe sind Teil eines konzertierten Generalangriffs, der auf die Agenda von Lissabon aus dem Jahr 2000 zurückgeht und auf die Vernichtung von Rechten und Errungenschaften der Arbeiterklasse und eine dramatische Verschiebung des Kräfteverhältnisses zu Gunsten des Kapitals zielt. Zweifellos gibt es Unterschiede im Tempo, der Form, der politischen und gewerkschaftlichen Traditionen und Führungen in den verschiedenen europäischen Nationalstaaten. Aber diese Unterschiede dürfen keine Ausrede sein, den Kampf auf europäischer Ebene zusammenzuführen und zu koordinieren.

Das Europäische Sozialforum und die Versammlung der Sozialen Bewegungen vom 4.-7. Mai in Athen müssen diese Fragen aufgreifen und auf die Tagesordnung setzen – sie müssen sich der Frage stellen, den Abwehrkampf gegen den Generalangriff des Kapitals, der europäischen Regierungen und der EU voranzubringen und zu koordinieren!

Gleichzeitig geht es darum, die Solidarität mit den Aktionen der Jugend, der StudentInnen und der ArbeiterInnen in Frankreich zu organisieren, ihren Kampf zu unterstützen und Chirac, de Villepin und Sarkozy zu schlagen.

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