Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Streikbewegung bei den bayrischen Verlagen

Warnstreik bei Hüting Jehle Rehm

Infomail 233, 16. November 2005

Die Forderungen des bayerischen Arbeitgeberverbandes Buchhandel/-verlage bei den diesjährigen Tarifverhandlungen reiht sich in den Forderungskatalog der Unternehmerverbände aus fast allen Branchen ein: auch er wollte zunächst eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich bei den diesjährigen Tarifauseinandersetzungen durchsetzen.

Streikvorbereitungen bei Hüthig Jehle Rehm (HJR)

Hüthing Jehle Rehm (HJR) ist Teil der Unternehmensgruppe Süddeutscher Verlag Hüthig. Schon vor den ersten Verhandlungen über den gekündigten Gehaltstarifvertrag am 13. Mai organisierte die ver.di-Betriebsgruppe zusammen mit dem Betriebsrat im Verlag eine Aufklärungskampagne über die Frage, was Arbeitszeitverlängerung bedeutet:

Am Aktionstag vom 17.11.04 gegen Sozialabbau, zu dem ver.di München aufgerufen hatte, organisierte die Betriebsgruppe eine Info-Veranstaltung zu den Tarifrunden im Medienbereich, bei denen es insgesamt um die Frage der Arbeitszeitverlängerung, Kürzung oder Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld u.ä. ging.

Hier bereits machten die aktiven GewerkschafterInnen deutlich, dass Arbeitszeitverlängerung letzten Endes nichts anderes als Arbeitsplatzabbau bedeutet vor allem in Zeiten einer wirtschaftlichen Krise. Weiterhin wurde die Notwendigkeit betont, dass die Belegschaft selbst aktiv werden muss - also die Durchführung von Warnstreiks notwendig ist, um tarifliche Standards zu verteidigen.

Weiter ging es damit, dass immer wieder auf Betriebsversammlungen und in Betriebsratsinfos auf die Wichtigkeit der Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit und entsprechender Regelungen in Betriebsvereinbarungen, die diese kontrollieren, aufmerksam gemacht wurde.

Vor der ersten Tarifrunde am 13. Mai, in der es nur um Gehaltstarifverhandlungen ging, wurde von Seiten der ver.di Betriebsgruppe ein Flugblatt an die Kolleginnen und Kollegen verteilt und davor gewarnt, dass damit zu rechnen ist, dass auch dieser Arbeitgeberverband versuchen wird, eine Arbeitszeitverlängerung durchzusetzen und deswegen Arbeitskampfmaßnahmen notwendig sind, auch wenn der Manteltarifvertrag (MTV) noch nicht gekündigt ist. Tatsächlich kündigte der Arbeitgeberverband an, entsprechende Forderungen zu stellen.

Am 19. Mai wurde ein konzernweiter Streik organisiert, d.h. Angestellte aus dem Buchverlag zusammen mit den Druckern, den Angestellten aus den Zeitungsverlagen und dem Zeitschriftenverlag befanden sich im Streik. Zum ersten Mal beteiligten sich in München die Angestellten eines Zeitschriftenverlages an einem Streik und zum ersten Mal wurde eine verlagsübergreifende Streikaktion mit der Druckindustrie durchgeführt.

HJR und der Zeitschriftenverlag beteiligten sich daran mit einem einstündigen Warnstreik in der Mittagspause, der zu mehr als 90 % von den Beschäftigten beider Verlage befolgt wurde. Ein großer Erfolg, da der Organisationsgrad hier nicht sehr hoch ist und da es sich um den Angestelltenbereich handelt, der traditionell nicht sehr kampfstark ist und in früheren Zeiten auch kaum gewerkschaftlich organisiert wurde.

Neues Angebot

Anfang Juli machte der Arbeitgeberverband ein „konkretes“ Angebot wie er die Arbeitszeitverlängerung gestalten wolle: Das „Angebot“ hätte einen Lohnverlust von bis zu 5,77 % bedeutet, was von der ver.di Tarifkommission einhellig abgelehnt wurde.

Diese Provokation fiel auf eine breite Abwehrfront innerhalb der Belegschaften, mit der der Arbeitgeberverband nicht gerechnet hatte:

Von Seiten der Belegschaft des Weltbildverlags Augsburg, der zu den wenigen gut organisierten und kampffähigen Verlagen gehört, wurde diese Provokation gleich mit einem zweitägigen Warnstreik beantwortet. Auch andere Verlage und Buchhandlungen organisierten daraufhin verschiedene Aktionen bis hin zu Warnstreiks: die Buchhandlung Pustet in Augsburg z.B. organisierte zum ersten Mal einen Warnstreik, dabei sofort einen halbtägigen, und streikte später gleich ein zweites Mal wie auch der Weltbildverlag. Die 6 Filialen von Hugendubel in Berlin, deren Geschäftsführer mit Sitz in München, Verhandlungsführer des bayerischen Arbeitgeberverbandes ist, waren einen Tag vor der dritten Verhandlungsrunde im Warnstreik.

Die Konsequenz, die der Arbeitgeberverband daraus zog, war ein neues „Angebot“ in der dritten Verhandlungsrunde vom 21.9.: Diesmal will der Unternehmerverband die Verkürzung der Kündigungsfristen, eine drastischen Reduzierung der Mehrarbeitszuschläge, die Aufhebung der Tarifbindung für Beschäftigte, die mehr als 50.000 Euro im Jahr verdienen, eine Lohnerhöhung von 1,2 % bei einer Laufzeit von 2 Jahren, Azubis sollen ganz leer ausgehen!

Die Einschätzung, die die ver.di-Betriebsgruppe dazu gab, war die folgende: „Das neue Angebot ist so konzipiert, dass die Belegschaften gespalten werden sollen: Einmal durch massive Lohneinschnitte aufgrund der Kürzungen bei den Zuschlägen, die vor allem die Kollegen/innen des Buchhandels treffen [da diese für Samstagsarbeit und verlängerte Öffnungszeiten Zuschläge erhalten] und zum anderen durch den Angriff auf die Kündigungsfristen, der zwar auf alle Beschäftigten abzielt, von dem sich aber nicht alle betroffen fühlen.“

Kampfbereitschaft

Auf der ver.di Betriebsgruppe wurde besprochen, einen halbtägigen Streik durchzuführen. Auch wenn es bei einigen anwesenden Kollegen/innen Zweifel daran gab, ob dies umsetzbar ist, wurde beschlossen im Verlag den Schwerpunkt für die Mobilisierung auf die Frage der Verkürzung der Kündigungsfristen unterlegt mit konkreten Beispielen aus dem MTV und auf die Frage des Lohnes zu setzen. Die Frage der Verkürzung der Kündigungsfristen sollte in den gesamtpolitischen Kontext gestellt werden, damit die Kollegen/innen verstehen, um was es bei dieser Forderung geht: Diese Forderung sollte einerseits damit verbunden werden, dass im Falle einer Krise oder einer Fusion, die konkret bei HJR ansteht, auch ältere Arbeitnehmer/innen schneller gekündigt werden können als bisher und andererseits mit der Frage der Bildung der großen Koalition, deren Ziel - zusammen mit den Unternehmerverbänden - eine weitere Lockerung des Kündigungsschutzes ist.

Daraus wurden zwei Mobilisierungsflugblätter erstellt und eine kleine Aufklärungsbroschüre zu Fragen der Organisierung eines Streiks, der Tarifbindung u.ä.. Fragen, die immer wieder aus der Belegschaft gestellt werden.

Diese Flugblätter wurden verteilt und dabei mit den Kollegen/innen diskutiert. Die Meinung in der Belegschaft zu den Kündigungsfristen war etwas gespalten, in dem Sinne, dass die Dimension nicht immer ganz klar war. Bei den meisten aber stießen auch diese Pläne auf Empörung, da es im MTV gerade für ältere Beschäftigte bei längerer Betriebszugehörigkeit einen generellen Kündigungsschutz und bei Kündigungen im Falle von Rationalisierungsmaßnahmen eine besonders lange Kündigungsregelung gibt.

Trotz einiger Vorbehalte war die Stimmung aber insgesamt für einen Streik. Die Frage, die in einigen Abteilungen, die besonders stark von Überstunden, d.h. von zu wenig Personal, betroffen waren, übrig blieb, war, ob man sich mit einem halbtägigen Streik nicht selber schadet, da man die liegen gebliebene Arbeit nacharbeiten muss. Daraufhin ergab sich die Diskussion, dass man diesen Streik auch dazu nutzen kann, gegenüber der eigenen Geschäftsführung deutlich zu machen, dass die Arbeit so nicht mehr organisierbar ist und zum anderen der Betriebsrat die Frage der Einhaltung der Arbeitszeiten mit der Frage der Neueinstellung verbinden muss.

Die Entscheidung der Betriebsgruppe die Frage der Kündigungsfristen politisch aufzunehmen hat sich als richtig herausgestellt, da damit die Möglichkeit bestand, die gesamtpolitischen Zusammenhänge besser aufzeigen zu können: nämlich dass heute Unternehmerverbände und Regierung immer enger zusammenarbeiten, um die Konkurrenzbedingungen, die vor allem auch im Buchhandel aber auch bei den Verlagen herrschen, zu verbessern und damit die Bedingungen für höhere Gewinne zu verbessern.

Lehren

Am 26.10. kam es dann zum halbtägigen Warnstreik: ab 14 Uhr waren die KollegInnen zum Warnstreik aufgerufen und ca. ¾ der anwesenden Kollegen/innen trafen sich zu einer Streikversammlung in einem nahe gelegenen Streiklokal. Nur eine Handvoll Kollegen/innen blieben im Hause, weil sie politisch (noch) nicht zu überzeugen waren. Die anderen KollegInnen, die sich nicht am Streik beteiligten, hatten Termine, die nicht zu verschieben waren und wurden im Verlag belassen.

Ein voller Erfolg! Dies zeigt, dass es auch in Bereichen, die über sehr wenig Kampftradition verfügen, möglich ist, die Beschäftigten von Streikaktionen zu überzeugen, wenn es einen Kern von AktivistInnen gibt, die selbst politisch davon überzeugt sind, dass nur eine Mobilisierung der KollegInnen die Angriffe der Unternehmer zurückschlagen kann.

Der Streikversammlung von HJR schlossen sich mehrere Buchverlage aus München mit kleineren Delegationen an. Die Stimmung war gut und es wurde angekündigt, wenn die Verhandlungen nicht weitergehen - bisher gibt es keinen neuen Termin - einen neuen Warnstreik koordiniert mit anderen Verlagen – vor allem mit dem Weltbildverlag in Augsburg - und Buchhandlungen in Bayern zu organisieren.

Ein weiterer Erfolg dieser Streikbewegung ist, dass sich die Buchverlage, in denen noch kein Streik organisiert werden konnte, enger koordinieren und gemeinsame Aktionen wie einen Offenen Brief an die ver.di-Tarifkommission und den Arbeitgeberverband organisieren. Das weitere Ziel dieser Koordination in den Buchverlagen ist es, regelmäßige Treffen von organisierten und nicht organisierten Kollegen/innen durchzuführen.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::