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Italien:

Die diskrete Kapitulation des Herrn Bertinotti

Infomail 229, 22. Oktober 2005

Bislang sind „Primaries“ (Vorwahlen) nur aus den USA bekannt. Dort werden die Kandidaten der großen Kapitalistenparteien in einer Vorwahl gekürt, an der nicht nur Parteimitglieder, sondern im Grund das ganze Wahlvolk teilnehmen können.

Am 16. Oktober wartete auch das Mitte-Links-Bündnis „Unione“, das von den Christdemokraten des ehemaligen EU-Vorsitzenden Prodi über die „Demokratische Linke“ bis zu Bertinottis Rifondazione reicht, mit einer solchen plebiszitären Aktion auf. Anders als in den USA, wo es wenigstens einen realen Wettstreit zwischen Kandidaten geben kann, stand der Sieger hier aber schon im Voraus fest.

Prodi’s Durchmarsch

Prodi wurde als Spitzenmann inthronisiert - noch vor Abschluss eines formellen Bündnisses oder gar irgendeiner programmatischen Fixierung. Nun hat er als Vertreter der italienischen Kapitalistenklasse freie Hand. Seine Führungsrolle im Mitte-Links-Bündnis und seine politischen Ziele sind jetzt nicht durch Parteienschacher und politische Abkommen, sondern vom „Volk“, von der „Basis“ sanktioniert.

Prodi erhielt 3.103.334 Stimmen, was 74,4% entspricht. Auf dem zweiten Platz folgt mit 609.394 Stimmen Fausto Bertinotti, der auf 14,6% kommt und damit deutlich unter den angepeilten 20 Prozent blieb. Abgeschlagen bzw. weit abgeschlagen alle anderen. An dritter Stelle rangiert Clemente Mastella von der noch rechts von Prodi stehenden christdemokratisch-korrupten UDEUR mit 4,5% und 187.167 Stimmen. Unmittelbar hinter ihm folgt der ehemalige Anti-Schmiergeld-Ermittler und Staatsanwalt Antonio di Pietro (Italia dei Valori = Italien der Werte) mit 3,3% und 137.244 Stimmen. Danach, mit 2,2% Alfonso Pecoraro Scanio (Grüne), der 89.769 erhielt. Die beiden Außenseiter Ivan Scalfarotto (Personalchef des multinationalen Citigroup-Konzern, parteipolitisch unabhängig) und Simona Panzino (ex-Disobbedienti), die dem Kandidaten ohne Gesicht (Senza Volto) ihren Namen geliehen hatte, bleiben unter einem Prozent. 0,6% und 25.670 Stimmen gibt es für Scalfarotto und 0,4% und 18.818 Stimmen für Panzino.

Der Erfolg Prodis und die Niederlage Bertionottis - vom Desaster der „Senza Volto“ (ehemals Ya Basta! bzw. Disobbedienti) ganz zu schweigen - verdeutlicht gewissermaßen arithmetisch, wozu die Bündnisorientierung von Rifondazione geführt hat.

Ähnlich wie das Olivien-Baum-Bündnis in den 1990ern ist auch die Unione ein klassenübergreifender Block, der vor allem dazu dient, die neoliberale, EU-passförmige Restrukturierung des italienischen Kapitalismus durchzuführen. Er dient der politischen Integration der Arbeiterklasse, der Massenbewegungen, die in den letzten Jahren immer wieder die Regierung Berlusconi an den Rand des Ruins getrieben haben.

Von denselben politischen Führungen und Apparaten, die heute Prodi unterstützen und inthronisieren, wurden auch in den letzten Jahren eintägige Generalstreiks, Massenstreiks in Großbetrieben auf halbem Wege abgeblasen und mit mehr oder weniger faulen Kompromissen beendet.

In Italien hat sich in diesen Kämpfen mehr als in allen anderen europäischen Ländern auch eine Zuspitzung der Machtfrage gezeigt. Dieser wollte die Linke aber aus dem Weg gehen und statt dessen ein  Bündnis mit der „fortschrittlichen“ Bourgeoisie haben.

Diese Politik hat in den letzten Jahren zur Demobilisierung sozialer Kämpfe geführt (was auch ihr eigentlicher Zweck war). Sie hat aber deshalb keineswegs zu einer Stärkung der links-reformistischen Parteien wie Rifondazione geführt, sondern dazu, dass diese die Position der Herrschenden massiv gestärkt haben.

Die Disobbediente um Casarini haben dazu den nützlichen autonomen Idioten gespielt und für die „anti-autorititäre“ Begleitmusik zur Volksfront gesorgt, die eigentlich nur zur Legitimation Prodis gegenüber linker Kritik gebraucht wird.

Bertinottis Beteuerung, dass jetzt - nachdem die Rifondazione-Führung dem plebiszitären Auswahlverfahren und dem Bündnis mit Prodi längst zugestimmt hat - eine „Programmdiskussion“ anstünde, ist ebenso hilflos wie verlogen. Prodi hat schließlich nie ein Hehl aus seinem Programm gemacht und als EU-Präsident maßgeblich an der, vorerst gescheiterten, Verfassung mitgestrickt.

Unter seiner Regierung würde sich Italien selbstredend nicht dem „Kampf gegen den Neoliberalismus“ verpflichten, wohl aber einer „vernünftigeren“ und sozial integrativeren Politik des Sozialraubs und der Annäherung an den deutschen und französischen Imperialismus.

Die von Rifondazione in Italien angeschobenen „Euroforen“, die Ausformulierung links-bürgerlicher Utopien eines sozialen europäischen Kapitalismus dienen als erbauliche Begleitmusik zum Abstieg in die Niederungen einer zukünftigen Regierung Prodi.

Die Forderung „nach Programmdiskussion“ ist eine Beruhigungspille für die eigene Anhängerschaft und eine politische Waffe gegen die oppositionellen Minderheitsströmungen in Rifondazione.

Linke in Rifondazione

Die Kritik der Minderheitsströmungen, die insgesamt rund 40 Prozent der Parteiführung repräsentieren, war zwar scharf, politisch jedoch weit weniger radikal und grundlegend als notwendig. (Übersetzungen von Interviews mit Vertretern dieser drei Strömungen finden sich unter: antifa.unihannover.tripod.com)

„Essere Comunisti“ (Kommunisten sein), die größte der drei Strömungen griff das Plebiszit als Angriff auf das demokratische Mehrheitswahlrecht und als Amerikanisierung und Personalisierung der Politik an und monierte die programmatische Unklarheit.

So meint Claudio Grassi von „Essere Comunisti“ dazu: “... obwohl wir das Programm nicht mit der ganzen Mitte-Linken diskutiert und keinen eigenen Programmentwurf verfasst haben, haben wir unsere Regierungsbeteiligung (nach einem derzeit zu erwartenden Sieg der Mitte-Links-Union im April 2006) dennoch als sicher erklärt. Und ich frage mich, was werden wir in einer Mitte-Links-Regierung tun, wenn diese sich nicht einige unserer grundlegenden Forderungen zu eigen macht?” (Interview, veröffentlicht in il manifesto am 14.8.2005)

Ähnlich die “Sinistra Critica“ (Kritische Linke) um die Zeitschrift „ERRE“ (früher: „Bandiera Rossa“), die die im wesentlichen die Mitglieder des “Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale” in Italien umfasst.

“Man akzeptiert die Idee, dass der Sieger Ministerpräsident wird, ohne noch irgendetwas über das Programm zu wissen. De facto gibt es eine präventive Inthronisierung, die Rifondazione akzeptiert. So wird allerdings ein ganzer Zyklus beendet. Bislang stand der PRC immer außerhalb der Mitte-Linken. Es konnte enge Beziehungen geben. Man konnte sich auch zwecks Regierung verbünden, aber immer von außen. Mit den Vorwahlen führt Bertinotti den PRC hingegen in die Union.” (Interview mit Salvatore Cannavò, il manifesto“ vom 30.8.2005)

Beide Strömungen lassen eine grundlegende Kritik und Ablehnung der Mitte-Links-Koalition vermissen. Das Problem wird an wichtigen, im Grunde aber zweitrangigen Fragen aufgehängt (Personalisierung, keine eigenen Forderungen etc.). Ein Regierungsbündnis mit der herrschenden Klasse (respektive einer Fraktion) wird jedoch akzeptiert, sofern diese nur die richtigen Versprechungen macht oder solange die „engen Beziehungen“ nicht zu sehr formalisiert sind.

Eine solche Kritik wird die weitere Anpassung Rifondaziones unter Bertinotti nicht verhindern können, sondern höchstens einige “Korrekturen” im Programm einer zukünftigen bürgerlichen Regierung herbeiführen.

Die dritte Oppositionsströmung, die trotzkistische „Progetto Comunista”, hat als einzige größere Oppositionsgruppe in Rifondazione (sie stellt 6,5 Prozent des Parteivorstandes) eine grundlegendere Kritik.

“Die Vorwahlen sind für die Wiederherstellung der Sozialpartnerschaft funktional, d.h. faktisch für die Ausschaltung der Kämpfe und der Bewegungen der letzten Jahre. Es ist bezeichnend und auch gravierend, dass einige Führungen der Bewegungen die Rolle von zweiten Hauptdarstellern in diesem Spiel akzeptieren.“

Und weiter:

„Das Problem ist, dass sich diese Konkurrenz bis zum letzten Blutstropfen um die Hegemonie auf dem linken Flügel der Koalition in einer Auseinandersetzung um das Vorrecht zur Zusammenarbeit mit Prodi und mit der liberalen Mitte der Union auflöst. Im Gegensatz dazu müssten die Kräfte der Linken und die Bewegungen mit Prodi und mit der Mitte brechen, um einen wirklich alternativen Pol ins Leben zu rufen. Das Bestürzende ist, dass unser Bereich (d.h. die Fraktion „Progetto Comunista“ innerhalb von Rifondazione Comunista) in der gesamten Linken die Einzigen sind, die einen Bruch mit Prodi und mit der liberalen Mitte fordern. Von diesem Gesichtspunkt aus gleichen sich alle anderen Kräfte der Linken in der Union. Die Vorteile dieses Wettbewerbs um die Zusammenarbeit mit der liberalen Mitte streichen allein Berlusconi (indirekt) und Prodi (direkt) ein.” (Interview mit Marco Ferrando in il manifesto, 30.8.2005)

Die nächsten Monate werden zu einer Zuspitzung des politischen Kampfes in Rifondazione führen, denn die Parteispitze bereitet sich auf die Unterstützung einer Koalitionsregierung vor, gegenüber der die Angriffe der ersten Prodi-Regierung Peanuts sein werden.

Das heißt aber auch, dass die Linken in Rifondazione eine revolutionäre Fraktion gegen die Bertinotti-Führung formieren müssen, die sich nicht - wie so oft in der Vergangenheit - mit halbherzigen Kritiken zufrieden gibt, sondern der Klassenkollaboration der Mehrheit ein Programm der sozialistischen Revolution und des Aufbaus einer neuen, Fünften Internationale zum Sturz des kapitalistischen Systems entgegensetzt.

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