Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Erster Weltkrieg

Massenschlachten, Klassenschlachten

Infomail 221, 11. August 2005

Am 4. August 1914 begann der Erste Weltkrieg. Schon sehr bald war fast die gesamte Welt direkt oder indirekt in diesen Krieg verstrickt. Ein bisher nicht gekanntes Massenmorden nahm seinen Lauf.

Krieg in der Ära des Imperialismus ist geprägt durch die Unterordnung der gesamten Gesellschaft unter die Bedürfnisse des Krieges, den geballten Einsatz von Wissenschaft und Technik zur massenhaften Vernichtung von Menschen und Ressourcen des Gegners. Das französische Verdun wurde zu einem ersten blutigen Symbol für den zermürbenden Stellungskrieg und die monströsen Materialschlachten des Ersten Weltkriegs. Für einige Meter Geländegewinn starben vor Verdun über 700.000 Soldaten. Die Verwendung von Gas an der Westfront war der erste Einsatz von Massenvernichtungsmitteln in einem Krieg.

In den bürgerlichen Medien wird heute diskutiert, wie es im "Zeitalter der Zivilisation" zu einem solchen Ausbruch von Gewalt kommen konnte. War der 1. Weltkrieg nur Ergebnis unglücklicher politischer Konstellationen oder von "Überreaktionen" der Politiker und der Generalität? Welche Schuld am Krieg hatte das deutsche Kaiserreich?

Vorabend

Vor dem Ausbruch des Weltkriegs lagen Jahre überhitzter internationaler Beziehungen. Der Wettlauf um Kolonien und Einflussgebiete war beendet - die Welt war unter den imperialistischen Großmächten aufgeteilt. Als "Spätstarter" konnte sich Deutschland weniger Kolonien aneignen als seine Hauptkonkurrenten Britannien und Frankreich.

Das deutsche Reich hatte nach 1871 - dem Sieg gegen Frankreich und der Reichseinigung von oben - einen immensen wirtschaftlichen Aufschwung genommen. Unternehmen wie Siemens, Krupp oder Borsig waren international agierende Großkonzerne, deren Erzeugnisse, deren Kapital in vielen Ecken der Welt präsent waren. Doch mit nur wenigen eigenen Kolonien war eine weitere ökonomische Expansion des deutschen Kapitals nur noch möglich, wenn die Welt neu aufgeteilt würde. Der Gewinn neuer Anlagemöglichkeiten, neuer Ausbeutungspfründe und Absatzmärkte war nur noch auf Kosten der imperialistischen Widersacher möglich.

Anders als in der heutigen globalisierten Welt des "Freihandels" war der Weltmarkt Anfang des 20. Jahrhunderts in weitgehend oder sogar komplett separierte nationale Märkte bzw. deren koloniale "Anhängsel" unterteilt.

Das Kolonialsystem bedeutete weitgehenden oder kompletten Ausschluss der jeweiligen Konkurrenten aus diesem Teil des Weltmarkts, während heute die Kapitalströme viel ungehinderter fließen können. Freilich führt das nur zu noch schärferer globaler Konkurrenz. Der sozial-ökonomische Inhalt und das Ziel der heute weltweiten Konkurrenz - die Maximierung von Profit - jedoch sind gleich geblieben, nur der Rahmen und die Dynamik dieser Operation hat sich geändert: an die Stelle der damaligen Kolonien rückten - v.a. nach 1945 - die formal unabhängigen, ökonomisch aber umso abhängigeren Halbkolonien. An die Stelle von Kolonien als Rohstofflieferanten und Absatzmärkten traten in immer stärkerem Maße der Export von Kapital (Tochterunternehmen, Unternehmensanteile), ein immer rasanterer Wettlauf von immer größeren Mengen "vagabundierenden" Kapitals (z.B. milliardenschwere Fonds) und die Etablierung von weltweiten Produktionsketten.

Trotz der formellen Selbstständigkeit der Staaten der "Dritten Welt" hat sich im Zuge der Globalisierung deren ökonomische - und damit verbunden - deren politische Abhängigkeit immer weiter vertieft.

Diese historische Rückschau offenbart sehr drastisch, dass innerhalb des kapitalistischen Systems die grundlegenden Probleme des Großteils der Welt nicht gelöst werden, sondern sich - wie die Verschuldung oder die Umweltzerstörung zeigen - sogar noch zuspitzen. Doch zurück ins Jahr 1914.

Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Ferdinand durch serbische Nationalisten in Sarajewo wurde zum Auslöser des Krieges. Die imperialistischen Mächte hatten mit Verträgen und der Einbindung in politisch-militärische Blöcke ihre Einflussgebiete abgesteckt und sich Verbündete gesichert. Allen Beteiligten war bewusst, dass die internationale Entwicklung, dass die weltweite Konkurrenz zum Krieg führen konnte, ja musste. So war es nur folgerichtig, dass der Kriegseintritt Österreichs einen Dominoeffekt auslösen und der Krieg schnell europäische, ja globale Dimensionen annehmen musste.

Ob die Führungselite des deutschen Kaiserreiches den Krieg bewusst herbeigeführt hat oder nur in ihn "hineingezogen" wurde, ist schon insofern irrelevant, als völlig klar war, dass dem Verbündeten Österreich geholfen werden musste, wenn man nicht selbst im imperialistischen Kräftespiel an Boden verlieren wollte.

Eine Niederlage Österreichs auf dem Balkan hätte automatisch dazu geführt, dass dort der Einfluss Russlands zunimmt. Darunter hätten auch die Interessen Deutschlands in dieser Region und deren Hinterland gelitten. Dass das deutsche Kaiserreich ein starkes Interesse am "Hinterland" des Balkans hatte, wird z.B. am Bau der Bagdad-Bahn deutlich. Auf deren Gleisen rollten nicht nur gutbetuchte Fahrgäste, sondern große Mengen deutschen Kapitals ins Morgenland.

Der Konflikt zwischen Österreich und Russland/Serbien war zugleich eine willkommene Gelegenheit für das wilhelminische Deutschland, im Westen Frankreich zu schlagen, ihm Elsass/Lothringen wegzunehmen und dessen Stellung in der Welt wie auch die hegemoniale Position Britanniens zu schwächen. Im Osten lockten die russischen Weiten mit ihren Kornkammern und Bodenschätzen.

Es ist bezeichnend, dass die "Begründungen" der deutschen Eliten für den Kriegseintritt sehr ähnlich denen waren, die später ein zentraler Teil der Nazi-Ideologie waren: die Mär vom "Volk ohne Raum", die rassistische Lüge von den kulturell "minderwertigen Rassen" des Ostens usw.

Sozialdemokratie und Krieg

Die in der 2. Internationale organisierten sozialdemokratischen Parteien hatten beschlossen, bei Ausbruch eines Krieges zwischen den imperialistischen Ländern für die Beendigung des Krieges einzutreten – wenn auch ohne die einzelnen Parteien zu konkreten Aktionen zu verpflichten.

Als es dann jedoch so weit war, "vergaß" man diese hehren Vorsätze und stellte sich jeweils hinter die eigene Bourgeoisie. Auch die SPD unterwarf sich der "Burgfriedenspolitik", d.h. der Absage an jeden Klassenkampf gegen die eigene Bourgeoisie, solange diese das "Vaterland" verteidigte. Unter dem Vorwand des Kampfes gegen das zaristische Russland, den "Hort der europäischen Reaktion", stimmte man im Reichstag für die Bewilligung der Kriegskredite.

Dass dabei zunächst auch der linke SPD-Abgeordnete Karl Liebknecht aus Parteidisziplin zustimmte, zeigt, wie unsicher selbst entschiedene Internationalisten wie er angesichts der Alternative "Programm oder Parteidisziplin" waren. Doch Liebknecht änderte seine Haltung sehr schnell, stimmte beim nächsten Mal dagegen und wurde neben Rosa Luxemburg der entschiedenste und bekannteste linke Kriegsgegner in Deutschland.
Liebknechts Losung "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" bedeutete nicht etwa, wie manche Linke heute glauben, dass er die ausländischen Bourgeoisien nicht als Feind angesehen hätte; sie war aber vor allem eine klare Orientierung darauf, mit der Burgfriedens-Politik zu brechen und den Klassenkampf gegen die eigene Bourgeoisie aufzunehmen.

Doch wie kam es überhaupt dazu, dass die SPD die Interessen des Proletariats verriet und zuließ, dass sich Millionen Arbeiter an den Fronten gegenseitig umbrachten?!
Der wachsende Einfluss der Sozialdemokratie in der Klasse, die zunehmende Zahl von Mitgliedern und Wählern sowie das Anwachsen der Gewerkschaften waren von zwei wesentlichen Tendenzen begleitet.

Mit der Jahrhundertwende bildete sich eine Arbeiteraristokratie heraus, die sozial besser gestellt war als der Rest der Klasse. Diese "Bestechung" eines Teils der Klasse war möglich, weil das imperialistische Kapital einen Teil seiner Extraprofite, die es aus seiner dominanten Stellung auf dem Weltmarkt bezog, dafür "abzweigte".

Gleichzeitig damit entwickelte sich innerhalb der SPD eine immer einflussreichere ideologische Strömung, die es als möglich ansah, dass die SPD über Wahlerfolge permanente Reformen durchsetzen und so den Kapitalismus gleichsam schrittweise in den Sozialismus überführen könnte. Ihr Wortführer war Eduard Bernstein, der die revolutionäre Konzeption von Marx revidierte. Die soziale Basis dieses "Revisionismus" war v.a. die in den Gewerkschaften organisierte Arbeiteraristokratie.

Mit den Erfolgen der Sozialdemokratie war auch eine Arbeiterbürokratie entstanden, d.h. der Partei- und Gewerkschaftsapparat, die Funktionsträger und Abgeordneten der SPD. Ihre soziale Stellung erlaubte ihnen durchaus, auch innerhalb des kapitalistischen Systems und ganz ohne Revolution einigermaßen gut zu leben. Ja, sie sahen ihre Stellung und ihre Strategie stetiger Reformen durch eine Revolution sogar - und zu recht - gefährdet.

Bereits vor 1914, als die SPD mit ihrer Unterstützung der eigenen Bourgeoisie im Krieg zum ersten Mal offenen Klassenverrat beging, analysierte und kritisierte Rosa Luxemburg die Bernstein-Linie. Doch im Unterschied zu Lenin, der erst später als Rosa Luxemburg das ganze Ausmaß der politischen Degeneration der SPD sah, war Rosa Luxemburg zu inkonsequent, eine organisierte innerparteiliche Opposition zu bilden.
Sie glaubte immer noch daran, dass die SPD reformiert und die reformistische Spitze ersetzt werden könne. Diese Erwartung resultierte auch aus ihrer zu starken Betonung des Elements der Spontaneität der Klasse und der Unterschätzung der Bedeutung einer eigenständigen Organisierung von revolutionären MarxistInnen, sei es zunächst in Gestalt einer Fraktion in der SPD oder in Form einer eigenständigen Partei.

Wegen dieser Inkonsequenzen und Versäumnisse wurde die Spartacus-Gruppe, später Spartacusbund, um Luxemburg und Liebknecht erst 1918 zum Attraktionspol für RevolutionärInnen, für KriegsgegnerInnen und einen Teil der kämpferischen Vorhut der Klasse. Doch davor war der Flügel um Luxemburg innerhalb der SPD und innerhalb der Arbeiterklasse kein organisierter politischer Pol, keine Fraktion, die - offen und mit einer programmatischen Perspektive ausgerüstet - die reformistische Führung der SPD in einem innerparteilichen Kampf herausgefordert hätte.

Krieg und Revolution

Als Lenin 1915, inmitten des europäischen Blutbades, sein Buch "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" schrieb, vertrat er darin die These, dass das imperialistische Zeitalter des Kapitalismus eine Ära ist, die mit Kriegen und Revolutionen schwanger geht, was sich 1917 mit der russischen Revolution bald bewahrheiten sollte.

Doch es gab ein grundlegendes Problem, vor dem die europäische Arbeiterbewegung stand: Ihr fehlte eine revolutionäre Führung, die den Kampf gegen den Krieg - gegen das Massenmorden an den Fronten wie gegen das Massenelend im Hinterland - mit dem Kampf gegen die Bourgeoisie als Klasse verbinden und zum Sturz des Systems führen konnte.

Die revolutionären, marxistischen Linken in der Antikriegsbewegung - Lenin, Trotzki, Luxemburg, Liebknecht u.a. - versuchten, einen solchen organisierten revolutionären Flügel zu formieren.

Im September 1915 bildete sich die nach dem Schweizer Ort ihres Treffens benannte "Zimmerwalder Linke". Ihr zweites Treffen fand im April 1916 in Kiental statt.
Innerhalb der "Zimmerwalder" reichten die Positionen von Pazifismus - Ablehnung des Krieges und Kampf dagegen, für sofortigen Frieden ohne Annexionen usw. - bis zu revolutionären Positionen - Umwandlung des Krieges in einen revolutionären Bürgerkrieg zum Sturz der Bourgeoisie. Diese letztere, einzig konsequente Position - die des revolutionären Defaitismus - vertrat anfangs nur Lenin.

Der "Zimmerwalder Linken" gebührt das Verdienst, einen klaren politischen Kontrapunkt gegen den Sozialchauvinismus der Sozialdemokratie gesetzt zu haben. Dabei ist bemerkenswert, dass man zwar zum gemeinsamen Kampf mit KriegsgegnerInnen auch aus dem (links)bürgerlichen und dem reformistischen Lager bereit war, es jedoch richtigerweise ablehnte, eine gemeinsame politisch-programmatische Plattform oder gar eine Organisation mit linken Bürgerlichen, PazifistInnen, ReformistInnen usw. zu bilden.

Die erst einige Jahre später in der Kommunistischen Internationale (Komintern) systematisch formulierte Einheitsfrontpolitik scheint hier methodisch schon auf.
Zimmerwald war ein wichtiger Schritt Richtung der dann 1919 gegründeten 3., der Kommunistischen Internationale. Dass die Komintern rasch wuchs und großen Einfluss unter Millionen ArbeiterInnen erlangte, lag natürlich wesentlich daran, dass die Bolschewiki in Russland eine erfolgreiche Revolution angeführt hatten. Doch das war der Partei Lenins eben nur deshalb möglich, weil sie jederzeit eine konsequente Antikriegspolitik in Form des revolutionären Defätismus verfolgt und jede Abweichung davon zugunsten irgendwelcher Bündnispartner abgelehnt hatte.

Revolutionärer Defätismus bedeutet einerseits, dass keine imperialistische Macht im Krieg unterstützt wird. Andererseits ist darin aber auch die Position enthalten, den Klassenkampf gegen die eigene Bourgeoisie zu führen und ihn in einen Bürgerkrieg, in einen Kampf um die Macht gegen die "eigene" herrschende Klasse weiter zu entwickeln - selbst auf die Gefahr hin, dass diese deshalb den Krieg verliert.

Die Durchsetzung dieser Position in den Bolschewiki vor 1917 war phasenweise mit einem scharfen innerparteilichen Kampf gegen jene Teile der Parteiführung verbunden, die diese revolutionäre Konsequenz vermissen ließen und sich einer sozialpatriotischen Position anpassten. Die scharfe Kritik Lenins an der Redaktion der Parteizeitung "Prawda", zu der auch Stalin gehörte, zeugt davon.

Welche Antikriegspolitik?

Vergleicht man das Herangehen Lenins damals mit dem Agieren jener europäischen Linken, die sich selbst als revolutionär, marxistisch oder trotzkistisch bezeichnen, vor und nach dem letzten Irak-Krieg heute, so fällt auf, dass ein großer Teil von ihnen ohne Skrupel klassenübergreifende Antikriegsbündnisse (also Volksfronten) unkritisch unterstützte oder sogar selbst initiierte und sich dabei politisch/programmatisch an kleinbürgerliche oder reformistische Formationen und Ideologien anpassten.

Als Beispiele dafür seien etwa die SWP (in Deutschland Linksruck) und ihr Bündnis RESPECT mit kleinbürgerlichen Islamisten in Britannien genannt oder die Friedenskoordination (FRIKO), bei der z.B. die DKP mit Grünen, PazifistInnen und Kirchenleuten nach dem "kleinsten gemeinsamen Nenner" suchten und dafür jede antikapitalistische und strategisch auf die Arbeiterbewegung orientierte Ausrichtung opferten.

Diese Projekte ordnen das Proletariat und seinen Klassenkampf den Interessen des Kapitals unter und versuchen - anstatt das Proletariat und die Antikriegsbewegung zu effektiven Kampfaktionen zu mobilisieren -, den "friedlicheren, humaneren, vernünftigeren" Flügel der Bourgeoisie zu unterstützen. Das ist dann meist die Sozialdemokratie oder auch der eigene Staat, wenn der sich gegebenenfalls einmal gegen die Aggressionspolitik eines imperialistischen Konkurrenten wendet. Das war beim letzten Irak-Krieg der Fall, als Deutschland und ein großer Teil der EU-Staaten sich formell gegen die Aggression Bushs stellten - was allerdings nicht hieß, dass sie sich aktiv dagegen stellten. So gewährte Rot/Grün den britischen und den US-Truppen Überflugrechte und beschützte deren Stützpunkte in Deutschland gegen "Protestierer". Gerade in einer solchen Situation ist es von größter Wichtigkeit, eine klare Klassenpositionierung vorzunehmen und sich nicht Teilen der Bourgeoisie anzupassen und Illusionen in deren "Friedenspolitik" zu schüren.

Für Lenin war Antikriegshaltung nie gleich Antikriegshaltung. Nach dem Motto "Gemeinsam schlagen, getrennt marschieren" machte man trotz praktischer Zusammenarbeit keine Abstriche an der eigenen Programmatik und an der Kritik an anderen.

Während große Teile der Linken heute ihre Politik (nur) darauf ausrichten, den Krieg zu beenden, behielten die Bolschewiki damals zugleich im Auge, dass der Krieg auch die Massen gegen das kapitalistische System aufbringt, dass der Krieg zugleich auch eine Erschütterung des Systems ist und insofern auch den Klassenkampf antreibt und sogar revolutionäre Möglichkeiten hervorbringen kann.

Für diese Perspektive war es unbedingt notwendig, das eigene revolutionäre Programm und die eigene revolutionäre Organisation aufrecht zu erhalten und Politik und Organisation um keinen Preis zugunsten irgendwelcher Bündnisse oder nichtrevolutionärer Ideologien aufzugeben.

Doch nicht nur die russische Revolution, auch die Ereignisse in Deutschland selbst sind Belege dafür, wie richtig diese revolutionäre Hartnäckigkeit war.

Perspektiven des Klassenkampfes

Der 1. Weltkrieg zeigt sehr deutlich, dass er viel stärker als früher ein Krieg der Ökonomie war. Artillerie und Maschinengewehre waren entscheidend, Panzer und Flugzeuge wurden immer wichtiger. Da es Deutschland nicht gelungen war, wie im "Schlieffen-Plan" vorgesehen, an der Westfront zu siegen, bevor Russland seine Mobilisierung abgeschlossen hatte, geriet man in den gefürchteten Zweifrontenkrieg. Damit waren die "Mittelmächte" um Deutschland und Österreich der "Entente" um England, Frankreich und Russland klar unterlegen, was die wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen anging. Als 1917 auch noch die USA eingriffen, war der Ausgang des Krieges endgültig klar.

Doch neben der "imperialistischen Lösung" des Krieges, dem Sieg einer imperialistischen Seite, zeichnete sich schon während des Krieges immer stärker auch eine andere Lösung am Horizont ab: die Beendigung des Krieges durch den Sturz des Kapitalismus durch das Proletariat. War diese Perspektive realistisch - immerhin waren 1914 auch viele Arbeiter jubelnd an die Front gegangen? War die 1917 in Russland ausgebrochene Revolution nicht doch nur aus den besonderen Bedingungen dieses Landes erklärbar?

Ab 1916 verschlechterte sich die Lage der Massen in Deutschland rapide. Es waren nicht nur Hunderttausende an den Fronten gefallen, an der "Heimatfront" wurde gehungert und die Ausbeutung in der Rüstungswirtschaft nahm stark zu. Es gab immer mehr und größere Streiks in den Rüstungsbetrieben, die nicht nur ökonomische und Alltagsforderungen aufstellten, sondern auch immer mehr zu Manifestationen gegen den Krieg wurden. In diesen Streiks bildete sich auch jene Vorhut von ArbeiterInnen heraus, die dann während der Novemberrevolution 1918/19 in Gestalt der "Revolutionären Obleute" nicht nur den Kern der revolutionären Arbeiterbewegung darstellte sondern auch der Abtrennungsbewegung von der SPD. Sie organisierten sich zum großen Teil in der USPD bzw. später in der KPD.

Die Abspaltungen von der SPD und das Entstehen einer revolutionären Arbeiterpartei, der KPD, verweisen auf das vorhandene und sich entwickelnde revolutionäre Potential. Die mit dem Weltkrieg verbundenen ungeheuren Opfer und Entbehrungen für das Proletariat und die Massen erzeugte in mehreren Ländern eine revolutionäre Situation.
Doch nur in Russland gab es mit den Bolschewiki eine organisierte revolutionäre Klassenführung, die während der Monate der Revolution in der Lage war, sich gegen reformistische und zentristische Konkurrenten die Führung der Massen zu erkämpfen, die Macht zu ergreifen und zu behaupten und zu beginnen, eine neue Gesellschaft aufzubauen.

In Deutschland hingegen entstand diese Führung - die KPD - erst mitten im Feuer der Revolution zur Jahreswende 1918/19. Sie war weder hinsichtlich ihrer Größe und Verankerung in der Klasse noch hinsichtlich ihrer politischen Reife stark genug, um die deutsche Revolution gegen die Konkurrenz der reformistischen SPD Eberts und der zentristischen USPD Kautskys zum Sieg zu führen. So gelang es der sozialdemokratischen Führung mit ihrem Bluthund Noske, die deutsche Revolution zu stoppen - anstatt des Sturzes des Kapitalismus blieb es beim Sturz des Kaisers.

Weit über Deutschland hinaus bedeutete die verräterische Politik der SPD wie die Inkonsequenz der USPD Kautskys, dass Sowjetrussland isoliert und von den immensen ökonomischen Ressourcen Deutschlands abgeschlossen blieb. Die hauptsächlich von der SPD zu verantwortende Niederlage der deutschen Revolution war ein entscheidendes Moment für das Steckenbleiben der Weltrevolution und die spätere Degeneration der Sowjetunion nach dem Aufstieg der Bürokratie unter Stalin.

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg

Die im Gefolge der abgewürgten deutschen Revolution und nach der Niederlage im Krieg entstandene Weimarer Republik war ein Gesellschaftsgebäude, das durch Wirtschaftskrise, Inflation und die Ausplünderung Deutschlands durch die imperialistischen Siegermächte permanent unterhöhlt und von heftigsten Klassenkämpfen erschüttert wurde. Die von der Novemberrevolution nicht gelöste Systemfrage, die Frage, welche Klasse der Gesellschaft ihren Stempel aufdrückt, brach immer wieder auf: in Form der Machtergreifung der Arbeiterklasse in mehreren Räterepubliken 1919, von denen die Münchner Räterepublik die bedeutendste war, 1920 im Generalstreik gegen den Kapp-Putsch und den darauf folgenden bewaffneten Kämpfen im Ruhrgebiet und 1921 in Mitteldeutschland sowie 1923 in den "Arbeiterregierungen" in Sachsen und Thüringen.

Die Entwicklung kulminierte schließlich 1933. Als Hitler die Macht übernahm, zerschlug er die bürgerliche Demokratie und die Arbeiterbewegung und versuchte erneut, das zu erreichen, was im Ersten Weltkrieg nicht gelungen war: Deutschland zur hegemonialen Macht Europas zu machen. Der imperialistische Frieden von 1918 erwies sich nur als Vorspiel für den Zweiten Weltkrieg, der am 1. September 1939 ausbrach und die Opfer und Verbrechen des Ersten Weltkriegs noch weit übertreffen sollte.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::