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Europäisches Sozialforum

Zwiespältige Bilanz

Dave Stockton, Neue Internationale 95, November 2004

Das 3. Europäische Sozialforum (ESF) fand vom 15.-17. Oktober in London statt. 20.000 Menschen aus fast 70 Ländern nahmen an drei Tagen an den über 500 Versammlungen, Plena, Seminaren und Workshops teil.

Obwohl das diesjährige ESF deutlich kleiner als die beiden letzten in Florenz und Paris war, ist es dennoch die größte politische Versammlung zur Diskussion und Vernetzung, die jemals in Britannien stattfand.

Am besten besucht waren jene Plena, in deren Mittelpunkt der Widerstand und die Besetzung des Iraks und die Solidarität mit Palästina standen. Ein Veranstaltung zum Irak, die am Freitagabend im Alexandra Palace stattfand, musste nach massiven Protesten irakischer Besatzungsgegner abgebrochen werden.

Rederecht für Kollaborateure?

Sie hatten dagegen protestiert, dass Subhi Al Mashadanis auf dem vom Antikriegsbündnis "Stop the War" organisierten Plenum "Beendet die Besetzung des Irak" vom Podium sprechen durfte. Sie wurden dabei von anderen TeilnehmerInnen, darunter auch UnterstützerInnen unserer Liga für die Fünfte Internationale (L5I), unterstützt.

Warum? Subhi Al Mashadani ist ein Repräsentant der "Irakischen Gewerkschaftsföderation". Wenige Tage vor dem ESF hatte "Stop the War" jedoch in einer öffentlichen Stellungnahme alle Beziehungen zur Irakischen Gewerkschaftsföderation abgebrochen, weil diese die britische Labour Party aufgefordert hatte, Allawi, den Premierminister der irakischen Marionettenregierung zum Parteitag einzuladen - zu einem Zeitpunkt, als die gesamte Anti-Kriegsbewegung gegen dieses Vorhaben Blairs protestiert hatte. Mehr noch: die Irakische Gewerkschaftsförderation forderte auch die britischen Gewerkschaften dazu auf, auf dem Labour-Parteitag gegen eine Resolution zu stimmen, die einen raschen Abzug der britischen Truppen aus dem Irak forderte.

Die Versammlung wurde schließlich abgesagt, nachdem sich die Veranstalter geweigert hatten, Al Mashadani zurückzuziehen. Ein irakischer Besatzungsgegner, der auf dem Podium saß, erklärte später, dass die Einladung Al Mashadanis zur Diskussion um eine Beendigung der Okkupation gerade so wäre, als "wolle man die BNP (British National Party; eine faschistische Partei) auf einer anti-rassistischen Kundgebung sprechen lassen".

Red Ken?

Eine andere Protestaktion fand am Samstag statt, als etliche AktivistInnen von "Beyond the ESF" das Podium besetzten, auf dem der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone sprechen sollte. Sie wollten damit gegen die bürokratische und nicht-transparente Organisation des ESF protestieren, hinter der v.a. die Londoner Stadtverwaltung steckte. Schon davor gab es ähnliche Aktionen gegen die hohen Eintrittspreise, bei denen auch einige AktivistInnen von der Polizei festgenommen wurden.

Auch wenn die meisten Seminare, Plena oder Workshops nicht ganz so "heiß" abliefen, so war das Londoner ESF doch von einem politischen Kampf gegen die drohende reformistische und bürokratische Vereinnahmung des Sozialforums geprägt.

Versammlung der Sozialen Bewegungen

Am letzten Tag nahmen rund 1000 AktivistInnen an der Versammlung der Sozialen Bewegungen teil. Mehrere SprecherInnen stellten verschiedene Aspekte des Entwurfs der Abschlusserklärung dar - ein über weite Teile sehr allgemein und leer gehaltener Text, der vor allem das Fehlen politische Einigkeit unter den wichtigsten politischen Kräften und eine reformistische Ausrichtung reflektiert. Immerhin spricht sich die Erklärung für eine Reihe politischer Proteste und Aktionen im nächsten Jahr aus.

"Wir kämpfen für den Abzug der Besatzungstruppen aus dem Irak, für das sofortige Ende der Bombardierungen und für die sofortige Wiederherstellung der Souveränität des irakischen Volkes. Wir rufen zur Beendigung der israelischen Besatzung auf und zum Niederreißen der Apartheidmauer. Wir fordern politische und wirtschaftliche Sanktionen gegen die israelische Regierung, so lange sie fortfährt, das internationale Recht und die Menschenrechter des palästinensischen Volkes zu verletzen."

Einen Antrag der L5I, die Forderung nach "sofortigem" Abzug der Besatzungstruppen aus dem Irak in die Erklärung aufzunehmen, wies die Mehrheit der Vorbereitungsgruppe der Versammlung zurück.

Weiter heißt es im Aufruf: "Wir rufen zu einer Demonstration gegen Krieg, Rassismus, gegen den Neo-Liberalismus in Europa, gegen das Bolkestein-Projekt und gegen die Angriffe auf die Arbeitszeit sowie für ein Europa der Bürgerrechte und Solidarität am 19. März in Brüssel auf. Wir fordern alle sozialen Bewegungen und die europäischen Gewerkschaftsbewegungen auf, an diesem Tag zu demonstrieren."

Unter den vielen anderen Protest- und Aktionstagen, die unterstützt werden sollen, finden sich auch Mobilisierungen gegen den G8-Gipfel in Schottland im Juli 2005.

Chancen vertan

Kurz: fast jeder hat seine bevorzugte Aktion im Veranstaltungskalender. Eine koordinierte Mobilisierung mit gemeinsamen, europaweiten Strukturen und Perspektive zur Vereinheitlichung der Abwehrkämpfe kam jedoch nicht zustande. Unsere "Liga für die Fünfte Internationale" hatte vorgeschlagen, dass ausgehend vom ESF und der Versammlung der Sozialen Bewegungen permanente Mobilisierungsstrukturen zur Koordinierung der Aktionen gebildet werden sollten. Das wurde abgelehnt.

In dieser Hinsicht hat das ESF seine Aufgabe nicht erfüllt - ein Versäumnis, das nicht nur den reformistischen Kräften in der Bewegung in die Hände spielt, sondern das v.a. angesichts des laufenden Generalangriffs fatale Auswirkungen haben kann.

Immerhin konnte das ESF einen wichtigen Fortschritt verzeichnen, auch wenn es insgesamt deutlich hinter den Anforderungen zurückblieb, die vom Klassenkampf gestellt werden.

Erstmals wurde eine Jugendversammlung abgehalten, die nicht zuletzt aufgrund der Initiative von WORLD REVOLUTION zustande gekommen war und an der rund 300 Jugendliche teilnahmen. Nach einer intensiven Diskussion und Debatte wurde eine anti-kapitalistische und internationalistische Resolution angenommen, die auf der Versammlung der Sozialen Bewegungen verlesen wurde und die wir unten dokumentieren.

Wie wichtig eine solche Versammlung auch für die Zukunft ist, zeigen mehrere Faktoren:

Erstens stellen Jugendliche die Mehrzahl der TeilnehmerInnen. Unter den SprecherInnen auf Seminaren und den Plena aber sind sie kaum vertreten. So spiegelt sich die Unterdrückung der Jugend in der Gesellschaft leider auch am ESF wider.

Zweitens - und das zeigt sich auch in der Erklärung der Jugendversammlung - sind die Jugendlichen radikaler eingestellt, als die meisten Organisatoren des ESF.

Wenn das ESF eine Zukunft haben soll, müssen gerade diese Kräfte gestärkt werden!

 

Die Jugendversammlung des Europäischen Sozialforums 2004 erklärt ihre Opposition gegen eine Welt aus Krieg, Rassismus und Armut, und gegen das System, das diese verursacht - den globalen Kapitalismus.

Jugendliche standen an der Spitze dieser Bewegung. Wir haben die Gipfeltreffen der Reichen und Mächtigen belagert. Wir haben in Millionenstärke gegen den Krieg demonstriert. Heute setzen wir diesen Kampf fort. Wir rufen zum sofortigen Abzug der Besatzungstruppen aus dem Irak und zur Solidarität mit dem irakischen Widerstand auf. Wir rufen zur Solidarität mit den nationalen Befreiungskämpfen der BaskInnen und PalästinenserInnen auf. Wir rufen zu Streiks, zivilem Ungehorsam und direkten Aktionen auf, um den Angriff der Europäischen Union auf die Sozialleistungen und die Rechte der ArbeiterInnen aufzuhalten und um die Einführung der neoliberalen Europäischen Verfassung zu stoppen.

Wir bekämpfen den Rassismus der Festung Europa und fordern gleiche Rechte für ImmigrantInnen, ihre volle Bewegungsfreiheit und die Abschaffung aller Grenzkontrollen durch die rassistischen EU-Staaten. Wir fordern Aktionen gegen die Zerstörung der Umwelt. Wir fordern gleiche Rechte für Jugendliche und die Kontrolle über unsere Erziehung, Ausbildung, Arbeit, Sexualität und Freizeit - über unser Leben.

Wir rufen die Versammlung der Sozialen Bewegungen dazu auf, entschlossen zu folgenden Massenmobilisierungen aufzurufen:

Verhindert den EU-Gipfel in Brüssel im März 2005!

Verhindert den G8-Gipfel in Schottland im Juli 2005!

Baut Sozialforen in Schulen, Unis und im Betrieb auf!

Ruft zu einem internationalen Aktionstag gegen den Krieg auf!

Ruft zu einem Aktionstag gegen die neoliberale EU-Verfassung am 1. Februar auf!

Die Jugend ist auch unter den RednerInnen am ESF unterrepräsentiert. Für einen Jugendraum und eine Jugendversammlung bei allen zukünftigen Europäischen Sozialforen und am Weltsozialforum (WSF)!

Schafft eine permanente Koordinierung für die Mobilisierungen, die sich im März 2005 treffen sollte!

Die Jugend steht bei den Aktionen auf der Straße an vorderster Front, aber auf den Podien beim ESF und WSF fehlt sie fast vollständig. Wir Jugendliche werden an den Rand gedrängt, weil man unsere Militanz fürchtet. Beim diesjährigen ESF wurde uns eine Jugendversammlung mit simultaner Übersetzung verwehrt. Das darf sich nicht wiederholen!

Auf jedem ESF und WSF muss es in Zukunft eine Jugendversammlung geben. Das kann ein Schritt zur Schaffung einer revolutionären Jugend-Internationale sein, die Jugendliche aus Europa und der ganzen Welt vereinen kann im Kampf gegen den globalen Kapitalismus und für eine Welt frei von Hunger, Unterdrückung und Krieg.

Wir rufen daher als nächsten Schritt in diese Richtung alle antikapitalistischen Jugendorganisationen, die der Jugend eine Stimme in der Bewegung geben möchten, dazu auf, einen gemeinsamen Aktionsplan und Diskussionsstrukturen zur Debatte unserer politischen Differenzen auf einem internationalen Delegiertentreffen zu entwickeln.

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Nr. 95, November 2004

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*  Opel Bochum: Besetzung und Ausverkauf
*  Europäisches Sozialforum: Zwiespältige Bilanz
*  Programmentwurf der Wahlalternative: Das Wunder der Binnennachfrage
*  Herbst 1989, Ende der DDR: Halbe Revolution, ganze Konterrevolution
*  Präsidentenwahlen in den USA: Pest oder Cholera?
*  Heile Welt
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*  17. November: Gemeinsam gegen Sozialkahlschlag!