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Brasilien

Tropischer Blairismus

Keith Harvey, Neue Internationale 88, März 2004

Mitte Dezember schloss die Führung der brasilianischen Arbeiterpartei (PT) mit 55 zu 27 Stimmen vier Mitglieder ihrer Parlamentsfraktion aus, weil sie gegen die Angriffe der PT-Regierung auf die Pensionen der Staatsbediensteten gestimmt hatten.

Die "Pensionsreformen" waren Teil der Übereinkünfte mit dem IWF und Washington, die auf die Beschneidung der Staatsausgaben und Privatisierungen abzielten. Zeitgleich billigte der IWF sein neues Kreditpaket für Brasilien, und George W. Bush rief Brasiliens Präsident Lula an, um ihm zur Regierungsbilanz zu gratulieren. Kein Wunder, dass führende PT-Mitglieder das Entstehen eines "tropischen Blairismus" und eine Identitätskrise in ihrer Partei beobachten.

Für die Parteiführung war es absolut zwingend, eine harte Haltung gegenüber den DissidentInnen einzunehmen. Sie war entschlossen, die Disziplin in der Partei sicherzustellen, um eine Reihe arbeiterfeindlicher Maßnahmen durchführen zu können. Diese Politik Lulas sorgt für wachsenden Unmut unter den Lohnabhängigen und der landlosen Armut und enttäuscht ihre Hoffnungen in die PT auf einen radikalen gesellschaftlichen politischen Wandel.

Eine der bekanntesten Ausgeschlossenen ist Heloisa Helena von der Strömung Sozialistische Demokratie (DS), eine mit dem "Vereinigten Sekretariat der Vierten Internationale" (VS) assoziierte Gruppe. Zwei weitere sind Mitglieder linker Gruppen: Luciano Genro ist Mitglied der Bewegung für die Sozialistische Linke (MES), Joao Batista ‚Baba‘ eines der CTS - Sozialistische Arbeitertendenz.

Die reformistische Politik der Regierung Lula und ihre Entschlossenheit, der konservativen IWF-Politik zu folgen, hat zu wachsender Kritik seitens prominenter PT-Mitglieder geführt. Der Ausschluss linker KritikerInnen hat zur Krisenstimmung in der Partei beigetragen und viele Austritte animiert. "Dies ist nicht das erste Jahr der Regierung der Arbeiterpartei, es ist das neunte Jahr der Regierung Fernando Henrique Cardoso," sagte Francisco de Oliveira, ein Parteigründer, der sich auf den rechten Präsidenten bezog, der Lula vorausging.

Selbst die rechte Demokratische Arbeiterpartei fühlte sich veranlasst, "links" zu agieren. Sie hat sich aus der Regierung verabschiedet und beschuldigt die PT-Führung nun, ihre Prinzipien aufgegeben und an den internationalen Kapitalismus verkauft zu haben. Lula stützt sich deshalb zunehmend auf die großen Rechtsparteien im Kongress, um seine Angriffe durchzudrücken.

Das zeigte sich auch der Regierungsumbildung Anfang des Jahres, als Vertreter der PMDB, der Nachfolgepartei der brasilianischen Militärdiktatur, in das Kabinett aufgenommen wurden und wichtige Posten erhielten: Kommunikation (Fernsehen) sowie das Ministerium für die Sozialversicherungen.

Millionen ArbeiterInnen und Bauern, die für die PT-Regierung gestimmt haben, Zehntausende AktivistInnen, die 20 Jahre mit dem Aufbau der Partei verbracht haben, werden nicht leichtfertig den Kampf um die Rückgewinnung der Partei aufgeben. Gleichzeitig ist die Vorhut der ArbeiterInnen und landlosen Bauern tief desillusioniert. Mittlerweile sind jene Linken, welche die Interessen der ArbeiterInnen und nicht jene der Bosse verteidigen wollen, aus der PT ausgeschlossen.

Von den sechs ParlamentarierInnen der DS (Strömung Sozialistische Demokratie, VS-Sektion) stimmte nur Senatorin Heloisa Helena gegen die Attacke auf Pensionsansprüche; der Rest war dafür oder enthielt sich. Sie gaben die Parteidisziplin als Grund dafür an, ihre Haut zu retten. Miguel Rossetto, ein DS-Mitglied, bleibt als Minister im Kabinett als Verantwortlicher für ein Agrarreformprogramm, das noch weniger Landlose ansiedelt als sein rechter Vorgänger. Weitere DS-Mitglieder bilden das Personal in anderen Ministerien. Auf einer DS-Konferenz erhielt eine Resolution, die zum Rückzug von DS-Mitgliedern aus dem Finanzministerium, dem rechtesten aller Ministerien, aufrief, nur 10 Prozent der Stimmen. Keine/r forderte natürlich Rossetto auf, als Protest gegen die Rechtspolitik abzudanken. Die DS-Tendenz ist weit davon entfernt, wie kommunistische RevolutionärInnen zu handeln; sie führt sich als linker Nachtrab einer rechtssozialdemokratischen Regierung auf und versucht, die nach rechts schwenkende Regierung von "innen" zu mäßigen - tatsächlich gibt sie ihr Flankenschutz von links.

Die ausgeschlossenen Abgeordneten und Senatorin Heloisa Helena, die jetzt als Unabhängige neben anderen Linken sitzen, haben einen Aufruf für eine "linke demokratische sozialistische Bewegung für eine neue Partei" lanciert. Sie sagen:

"Wir akzeptieren nicht, dass eine Regierung, deren Mehrheit aus der Arbeiterpartei besteht, als große Errungenschaft jene Dinge präsentieren kann, die nur den Interessen der MarktspekulantInnen dienen … Wir ziehen deshalb in Betracht, dass Lulas Regierung entschlossen ist, sich die Aufgabe aufzubürden, die in der Vergangenheit von der institutionellen Sozialdemokratie erledigt worden ist - fürs Großkapital das zu schaffen, was der traditionelle rechte Flügel zu erreichen unfähig war … Wir haben das Recht, wenn nicht die Verpflichtung, eine parteipolitische Alternative aufzubauen, um das Terrain zu besetzen, das sie verlassen haben. Eine alternative Kampfpartei gegen das neoliberale Modell und die Regierung, die es anwendet, in Verteidigung der Forderungen und Banner der arbeitenden Klasse."

In der Tat: in Brasilien ist eine neue Arbeiterpartei notwendig, welche die Ausgeschlossenen, die Armut, die BasisgewerkschafterInnen und die ehrliche Arbeiteropposition in der PT miteinander verbindet und den Kampf gegen die Regierung Lula, die basilianischen Kapitalisten und den Imperialismus auf allen Ebenen aufnimmt

Sie wäre für Millionen eine reale Alternative darstellen - eine Alternative, die nicht Parlamentarismus und reformistisch übertünchten Neoliberalismus anbietet, sondern für die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft kämpft.

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Nr. 88, März 2004

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