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Antikriegsbewegung

Bilanz und Perspektiven

Rex Rotmann, Neue Internationale 80, Mai 2003

So lange der Kapitalismus besteht, gab es das noch nie: Schon vor Beginn eines imperialistischen Krieges demonstrierten weltweit Millionen gegen den geplanten Feldzug von Bush und Blair. Auch in Deutschland waren es Hunderttausende, obwohl die Bundesregierung an ihrer Politik der "Nichtteilnahme" festhielt. Doch dem Sieg des anglo-amerikanischen Imperialismus über den Irak und Tausenden militärischen und zivilen Opfern müssen sich alle KriegsgegnerInnen, alle AntikapitalistInnen fragen: Warum ist es dieser starken internationalen Bewegung nicht gelungen, den Krieg zu verhindern?

Neue Bewegung?

Schauen wir uns die Antikriegsbewegung in Deutschland genauer an. Am Anfang gingen die Leute auf die Straße, um den Kriegsausbruch zu verhindern und Druck auf die Regierung auszuüben, ihre Politik der "Nichtteilnahme" fortzusetzen. Insofern war es nicht verwunderlich, dass mit Kriegsbeginn und der Gewissheit, dass Rot/Grün Wort hält, eine gewisse Demobilisierung einsetzte - die Bewegung ebbte ab.

Die KriegsgegnerInnen kamen aus allen sozialen Spektren, doch ArbeiterInnen und Jugendliche waren am stärksten vertreten. Bemerkenswert war, dass sich zwar auch viele StudentInnen an den Protesten beteiligten, doch sie waren weder der mobilisierende Kern, noch gab es Unistreiks oder Besetzungen. Zweifellos, in Deutschland waren im Unterschied zu 1968 oder den 1970ern die StudentInnen nicht die Spitze der Bewegung. Hier wirkt sich auch aus, dass der Einfluss der Linken zurückgegangen ist, während die soziale Differenzierung und der Druck auf die Studierenden zugenommen hat.

Bemerkenswert war die große Aktivität von SchülerInnen, die in Schulstreiks und der Demo von über 70.000 in Berlin kulminierte. Zweifellos ist ein neues Milieu von AntikapitalistInnen entstanden, das weniger vom sozialdemokratischen Einfluss und den Niederlagen der Vergangenheit geprägt ist.

Die Führung der Bewegung lag bei reformistischen, pazifistischen und linksbürgerlichen Kräften, wie der "Achse des Friedens" oder dem "Kasseler Friedensratschlag". Diese Führung entstammte der traditionellen Friedensbewegung früherer Jahre, die sich aus (ex)Grünen, DKP und diversen pazifistischen Kräften zusammensetzt und Verbindungen zur Gewerkschaftsbürokratie und SPD hat.

Obwohl diese Führung - v.a. am Anfang - dem ideellen mainstream der Bewegung entsprach, war sie jedoch nicht zugleich Ausdruck der Bewegung. Warum? Weil der Ausgangspunkt, der Initiator der Antikriegsbewegung und auch des internationalen Antikriegstages vom 15. Februar gerade nicht dieses Milieu war, sondern das Europäische Sozialforum von Florenz. Auch die Mobilisierungen, die zahlreichen Streiks an Schulen und umso mehr die - leider eher symbolischen - Aktionen in den Betrieben waren nicht dieser Führung zu verdanken.

Ohne Frage war die Bewegung überwiegend pazifistisch geprägt und eher regierungsfreundlich. Der von manchen KritikerInnen unterstellte Antiamerikanismus oder gar die Beteiligung des rechten Spektrums waren absolut marginal.

Die typischen Aktionsformen waren Protestdemos oder Kundgebungen. Doch es gab auch einige Blockaden von Stützpunkten und logistischen Zentren der britischen und US-Truppen in Deutschland, so im Hafen Emden oder vor der Airbase in Frankfurt. Doch diese Aktionen kamen zu spät, waren zu schwach und zu wenig systematisch vorbereitet, um erfolgreich zu sein.

Nach dem Aufruf des Europäischen Gewerkschaftsbundes plädierte auch der DGB für Antikriegsstreiks in den Betrieben. Die als "Generalstreik" bezeichnete Aktion war letztlich eine symbolische Arbeitsniederlegung von 10 Minuten! Doch noch nicht einmal für diese Alibiaktion mobilisierte die Gewerkschaftsbürokratie wirklich.

Diese Aktion ist jedoch ein Beleg dafür, dass die Bürokratie gezwungen war, auf die massenhafte Ablehnung des Krieges unter den ArbeiterInnen zu reagieren. Doch wie immer unternahmen die ReformistInnen alles, um die Aktion von vornherein zu begrenzen und ihr jegliche Dynamik zu nehmen. Das war vor allem deshalb möglich, weil es in den Gewerkschaften keine Struktur gibt, die in der Lage ist, gegen bzw. über die Absichten der Bürokratie hinausgehende Mobilisierungen durchzuführen.

Arbeiterbewegung

Die entscheidende Verbindung von Antikriegsbewegung, Jugend und Arbeiterbewegung - die Verbindung von Protesten mit effektiven Blockaden und Streiks, also mit Aktionen, die einen praktischen und ökonomischen Zwang ausüben, war jedoch weder das Ziel der "offiziellen" Führung der Antikriegsbewegung noch der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie. So gab es zwar Aufrufe zu symbolischen Aktionen und Demos, doch konkrete Ziele für die Verhinderung der Mobilmachung, der Verlegung imperialistischer Truppen in Deutschland wurden nicht aufgestellt.

Selbst wenn noch einige Millionen mehr auf den Straßen gewesen wären, hätte das wenig mehr Effekt gehabt. Auch die Erfahrungen der Friedensbewegung der 1970er zeigt, dass Demos allein nicht ausreichen, um den Imperialismus an Kriegen zu hindern oder die mehr oder weniger direkte Unterstützung der deutschen Regierung für den Feldzug von Bush und Blair zu unterbinden.

Letztlich können nur ein Generalstreik oder politische Massenstreiks einen - vor allem ökonomischen - Druck erzeugen, der die Regierung zum Stopp der Überflugrechte, der Auslandseinsätze usw. zwingt. Auch Blockaden von Häfen, Flughäfen und Verkehrseinrichtungen sind letztlich nur möglich, wenn DemonstrantInnen und die dort Beschäftigten gemeinsam handeln.

Prägten am Anfang noch Pazifismus und Vertrauen in die Regierung und die Ablehnung von Krieg und Gewalt die Bewegung, so verschob sich das Bild später nach links. Da Rot/Grün nicht offen "einknickte" und der Krieg trotz der weltweiten Proteste ausbrach, kam der Bewegung die Perspektive abhanden.

Radikalisierung

Angesichts des real stattfindenden Krieges im Irak hing die Forderung nach Frieden plötzlich in der Luft, da im Krieg in der Regel eine Seite der Verlierer und die andere Seite der Gewinner ist. Zudem bringt ein Sieg des Imperialismus ja auch "Frieden". Die zentrale politische Frage während des Krieges war die Forderung nach einem Sieg des Irak und einer Niederlage des Imperialismus. Doch das ging den PazifistInnen wie einem Großteil der Linken (z.B. der SAV) zu weit. Hier zeigt sich, dass sich ihre Kriegsgegnerschaft trotz aller Aktivität politisch letztlich in einer allgemeinen Phrase verliert. Die Position dieser "MarxistInnen" hat mit der Haltung von Lenin oder Trotzki zum imperialistischen Krieg nichts zu tun und ist vor allem von Anpassung an pazifistische Illusionen der Bewegung geprägt.

Der Teil der Bewegung, der nach Kriegsbeginn weiter auf die Strasse ging, zeigte sich deutlich linker, antiimperialistischer als zuvor. Parolen wie "USA - internationale Völkermordzentrale" und die Kritik an der indirekten Kriegsunterstützung durch die Bundesregierung prägten nun viel stärker als am Anfang das Bild. Die Forderung nach Streichung der Überflugrechte wurde zur Hauptlosung. Doch all das war eher spontan entstanden oder Ausdruck des Wirkens der Linken. Die offizielle Führung der "Friedensbewegung" hatte daran wenig Anteil. Im Gegenteil: mehrmals wurden die Mobilisierungen verzögert oder sie überschnitten sich mit Blockadeaktionen. So sagte die Berliner "Achse des Friedens" die für den Samstag nach dem Tag X geplante Großdemo ab. Trotzdem kamen rund 50.000 Menschen. Die eine Woche darauf organisierte "offizielle" Demo brachte nur wenig mehr auf die Straße, war deutlich weniger kämpferisch und wurde von den friedensbewegten Organisatoren durch Parkanlagen, weitab von wichtigen Symbolen der Kriegstreiber (US-amerikanische und britische Botschaft, Außenamt, ...) gelenkt.

Eine große Schwäche der Antikriegsbewegung bestand darin, dass es keinen Versuch gab, die Bewegung bundesweit zu koordinieren, z.B. durch einen bundesweiten Antikriegskongress. Dort hätten Ziele und Methoden diskutiert und eine demokratisch legitimierte Führung gewählt werden können. Die Gruppe ARBEITERMACHT hat dazu in einem Offenen Brief (siehe NI 78) aufgerufen.

Die Resonanz darauf war äußerst bescheiden. Das ist aber angesichts der Perspektivlosigkeit, der Anpassung an reformistische Führungen und den mainstream der Bewegung, sowie die Angst der Linken, die eigene Politik einer öffentlichen Debatte auszusetzen, nicht verwunderlich.

Führungsschwäche

Dadurch, dass aus der antiimperialistischen Linken jedoch keine Dynamik in diese Richtung erfolgte, war es auch nicht möglich, eine alternative, demokratisch legitimierte, antikapitalistische Führung der Antikriegsbewegung aufzubauen, die eine reale Alternative zu den PazifistInnen gewesen wäre.

Auf seine Art thematisierte auch Sven Giegold von attac das Problem. Er bemängelte kürzlich zurecht mangelnde nationale Koordination und undemokratische Strukturen der Friedensgruppen, was deren Effizienz behindere. Doch das, so Giegold, sei seine Privatmeinung. Kein Wunder, dieselben Mängel weist auch attac auf, so wie es nichts getan hat, die Bewegung insgesamt in dieser Hinsicht weiter zu bringen. Attac zielt vielmehr auf die Basisorganisationen der Grünen, also auf die "Basis" jener Partei, die selbst aktiv die heuchlerische und absolut passive "Friedenspolitik" Schröders mitträgt.

Die Trennung zwischen der Arbeiterbewegung und der Linken kam auch in den Antikriegskomitees zum Ausdruck. Mangels wirklicher Verankerung war ihre Schlagkraft zu gering, um allgemein Aktionen wie Blockaden oder Streiks durchzuführen oder maßgeblich unterstützen zu können.

Perspektive

Doch die Hauptursache für das Nichterreichen der eigenen Ziele liegt neben dem Reformismus und Pazifismus der "traditionellen" Friedensbewegung in der Passivität und Feigheit der Gewerkschaftsführer. Dahinter stecken Angst und Ablehnung, den Staat, die Kapitalisten und letztlich das System als Ganzes anzugreifen oder gar zu stürzen. Wie auch bei jedem anderen Konflikt, wie in jedem Streik äußert sich diese "Systemnähe" als Inkonsequenz, als Zögern, als Bremse der Bewegung.

Die immer offensichtlicheren Lügen und Verbrechen Bushs und der immer klarer werdende Fakt, dass der Kapitalismus keine andere Perspektive als Krisen, Sozialabbau, Gewalt und Kriege zu bieten hat, haben Millionen auf die Straßen gebracht.

Vor allem unter SchülerInnen ist eine deutliche Politisierung und Aktivierung zu beobachten. Dieses Potential muss genutzt werden!

Die offizielle Führung der Friedensbewegung hat da nichts anzubieten. Das war bei den Ostermärschen sehr deutlich. Pazifistische Rituale sind als Motivation zu wenig! Worum es jetzt geht, was jetzt eine Chance bietet, das Potential der Antikriegbewegung zu nutzen, sind die Kampagnen, sind die Kämpfe gegen die als "Reformen" getarnten Angriffe der Regierung auf die Lohnabhängigen, die Arbeitslosen, die Jugend, die Gewerkschaften und die sozialen Errungenschaften.

Wir müssen auf den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Krise und Krieg, auf den Zusammenhang von Aufrüstung und Militarisierung und dem Sozialabbau hinweisen.

Wer den imperialistischen Krieg verhindern will, muss letztlich gegen dessen Ursachen - den Kapitalismus - kämpfen! So können wir eine stärkere, bewusstere Bewegung aufbauen, die ihre Ziele auch erreichen kann: Bush, Blair, Schröder und ihr ganzes System in die Wüste zu schicken - für immer!

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Nr. 80, Mai 2003

*  Gegen Agenda 2010: Massenstreik!
*  Rot/Grüner Generalangriff: Krieg nach Innen
*  Öffentlicher Dienst Berlin: Verhandeln bis zum Tod
*  Heile Welt
*  Antikriegsbewegung: Bilanz und Perspektiven
*  Der Krieg und die Antideutschen: Proimperialistische Linke
*  Kampf der Besetzung des Irak!
*  Mai 1968: Alles war möglich
*  Europäisches Sozialforum: Fighten oder Faseln?
*  Vorwärts zur Fünften Internationale!