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Europäischer Aktionstag gegen den EU-Gipfel

Bittstellerei statt Mobilisierung?!

Martin Suchanek, Neue Internationale 177, März 2013

Stell Dir vor, es ist europäischer Aktionstag und niemand kriegt's mit. So sieht jedenfalls die „Mobilisierung“ der deutschen Gewerkschaften zu den Protestaktionen am 13. und 14. März gegen den EU-Gipfel in Brüssel aus, so dass dieser zu einem neuerlichen Desaster zu werden droht. Maximal wird es am 13. März, für den „dezentrale Aktionen“ vorgesehen sind, in einigen Städten zu symbolischen Manifestation kommen. Nur wenige - zum größten Teil FunktionärInnen - werden zur 14. März nach Brüssel fahren. Massen werden dort wohl nur die Gewerkschaften und Lohnabhängigen aus Belgien und Frankreich stellen. Der DGB hat bis Ende Februar noch nicht einmal einen Verweis auf den Aktionstag des „Europäischen Gewerkschaftsbundes“ auf seine Website gestellt.

Es ist eine bittere Tatsache: die europäischen Staats- und Regierungschefs fürchten den Ausgang italienischer Wahlen mit Politclowns wie Berlusconi und Grillo tausendmal mehr als die „europäischen Aktionstage“ der europäischen Gewerkschaftsbürokraten.

Vom 14. November bis heute

Denken wir nur einige Monate zurück, an den 14. November 2012. Damals standen - wenigstens in Spanien und Portugal - tatsächlich alle Räder still. Millionen, je nach Schätzung zwischen 70 und 90 Prozent aller Beschäftigten, beteiligten sich dort am Generalstreik. In Griechenland, Italien und Belgien fanden ebenfalls Generalstreiks statt, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität und Länge.

Selbst in Deutschland gab es Kundgebungen und Demonstrationen in rund 40 Städten, die größte in Berlin mit über 1.000 TeilnehmerInnen - obwohl die Führungen etlicher DGB-Gewerkschaften wie IG Metall-Chef Huber offen gegen die Aktion auftraten.

Vier Monate später - und die Dynamik vom 14. November ist weitgehend ungenützt verflogen. Diejenigen, die immer schon gegen jede Aktion waren, haben ganze Arbeit geleistet. Vielleicht spricht sogar einer der rechten, sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokraten am 14. März in Brüssel und beklagt zu allem Überdruss noch, dass so wenige ArbeiterInnen da wären.

Wenn wir die letzten Monate bilanzieren, so kommt das Ergebnis, so bitter es ist, wenig überraschend. Schon der Erfolg, das Ausmaß des 14. November war keineswegs Ausdruck des politischen Willens der europäischen GewerkschaftsführerInnen. Vielmehr war es eine Reaktion auf die erbarmungslosen Angriffe in Südeuropa und den Druck der Lohnabhängigen und der Massen, die auf entschlossene Aktionen drängten.

Für die Gewerkschaftsbürokratien in Griechenland, Portugal, Spanien u.a. Staaten hatte der 14. November zwei Funktionen: Einerseits sollte er die eigenen Regierungen, die europäischen Imperialisten und die EU-Kommission zu einem gewissen Einlenken oder Entgegenkommen, zu einer „vernünftigeren“ und „ausgewogeneren“ Politik bewegen. Zum anderen diente er dazu, den eigenen Mitgliedern und den lohnabhängigen Massen  Kampfeswillen der Führungen vorzugaukeln, der in Wahrheit nie da war. So konnten die Massen bei einem symbolischen Generalstreik Dampf ablassen - und die Bürokratie macht weiter wie bisher - und das ist bekanntlich reichlich wenig.

Hatten die BürokratInnen Südeuropas, Frankreichs oder Belgiens unter Druck gehandelt, so zeigten sich die Gewerkschaftsbosse in den meisten anderen europäischen Ländern gespalten. Ein Teil machte auf Symbolpolitik. Ein anderer stellte sich direkt gegen jede Mobilisierung. Der IG Metall-Vorsitzende Huber ließ die KollegInnen in Spanien gleich wissen, dass er ihre Forderungen für „überzogen“ und den ganzen Aktionstag für grundfalsch hielt. Folglich sollten den IG-Metall-Gliederungen die Teilnahmen am Aktionstag des EGB (!) untersagt werden.

Doch nicht nur die Gewerkschaftsbürokratie ist für die aktuelle, desaströse Situation verantwortlich. Auch die radikaleren Kräfte, die aus dem europäischen Sozialforum, aus der europäischen Linkspartei, aus Blockupy und aus Teilen der radikalen Linken hervorgingen, versagten vollkommen darin, eine europäische Koordinierung des Widerstands in dieser Situation voranzubringen. Die Versammlungen von Blockupy-AktivistInnen und den Indignados in Spanien wie von „Firence 10+10“ in Florenz brachten den europäischen Widerstand im Grunde keinen Zentimeter voran.

Auch die anti-kapitalistischen Organisationen und Strömungen, z.B. Organisationen wie das „Vereinigte Sekretariat der IV. Internationale“ (in Deutschland RSB und isl), das „Komitee für eine Arbeiterinternationale“ (SAV) oder die „Internationale Sozialistische Tendenz“ (Marx21), von den stalinistischen, anarchistischen und autonomen Blöcken und Netzwerken ganz zu schweigen - haben es nicht vermocht, ja nicht einmal ernsthaft versucht, eine solche Koordinierung voranzubringen noch die politische Zusammenarbeit von revolutionär gesinnten Organisationen auf dem Kontinent.

Die Aufrufe für Brüssel

Daher ist selbst eine so schwache Initiative wie jene des EGB am 13./14. März die einzige europaweite Nachfolgemobilisierung nach dem 14. November. Wobei das Wort Mobilisierung eigentlich schon zu viel verspricht - nicht nur hinsichtlich des fehlenden Engagements des EGB. Auch der Aufruf zum 13./14. März ist eine Farce.

Es ist ein Bittbrief an die EU-Kommission und noch dazu ein schlechter. Die Überschrift „Gemeinsam für eine bessere Zukunft: Nein zur Austerität! Ja zu Arbeitsplätzen für die Jugend“ ist noch der beste Teile des kurzen Textes. Darin stellen die Aufrufer fest, dass die „Sparprogramme nicht funktionieren“ würden. Daher müsste es eine „Änderung der wirtschaftlichen und politischen Regierung“ geben, Europa brauche „eine starke soziale Dimension“ und Investitionen. Diese solle besonders die Jugend berücksichtigen, denn das „Gleichgewicht der europäischen Gesellschaft ist erschüttert“.

Diesen Bittbrief hätte der EGB auch an den Papst schicken können. Ein Wunder des lieben Gottes ist allemal wahrscheinlich, als dass die EU-Kommission diese Wundertaten vollbringt.

Doch auch wenn die Gewerkschaftsbosse das Beten noch nicht als „Aktionsform“ ausgeben, so beschwören sie die politischen Heilmittel der Vergangenheit. Für Brüssel mobilisiert der DGB bekanntlich wenig, dafür hat er aber eine Broschüre veröffentlicht, die eine Kampagne für einen neuen europäischen „Marschallplan“ unterfüttern soll.

Auf Wunder hoffen freilich auch die Reste, oder sollten wir besser sagen, politischen Konkursverwalter des Europäischen Sozialforums. In ihrem Aufruf „Für einen europäischen Frühling“ werden immerhin Forderungen erhoben wie „Abschaffung aller Kürzungsdiktate und Spar-Gesetzgebungen! Für eine ökologische Wende! Entwaffnet die Finanzmärkte! Wir schulden nichts - wir zahlen nicht! Feuert die Troika, nicht die Menschen!“ Im Aufruf kommt sogar vor, dass Aktionen wie Streiks und Demonstrationen notwendig sind, um sich zu wehren. Doch die Frage, wie diese gebündelt werden können, welche Strategie, welche Forderungen der Bittsteller-Taktik des EGB entgegengehalten werden sollen, gibt es keine, oder besser: eine falsche Antwort.

Diese ist nämlich gar nicht so weit von jener des EGB entfernt, nur weitaus schwammiger formuliert. Ein „anderes Europa“ soll her, eine „Bewegung, die wirkliche Demokratie und soziale Gerechtigkeit“ schafft. „Wir wollen eine Gesellschaft schaffen, in der ganz andere Lösungen vorgeschlagen und von allen gemeinsam diskutiert werden können“.

Der EU-Gipfel

Dumm nur, dass die Frage, welche Gesellschaft aus den Trümmern der europäischen Krise geschaffen wird, nicht vorrangig eine „Diskussionsfrage“, sondern eine Machtfrage ist. Das wenigstens könnten die selbst ernannten StrategInnen des EGB und der „sozialen Bewegungen“ von der europäischen Bourgeoisie lernen.

Der EU-Gipfel hat eine weit klarere Agenda als die Aufrufe seiner Gegner. Es geht v.a. darum, den Fortschritt der „Konsolidierungsmaßnahmen“ und der „Reformen“ der EU - im Klartext der Sparprogramme - zu bewerten. Die nächsten Schritte beim Aufbau einer Fiskalunion sollen vorangetrieben und auch die budgetären Prioritäten bis zum Jahr 2020 festgezurrt werden.

Ein Teil der europäischen herrschenden Klassen bastelt angesichts der relativen Schwäche der EU in der Konkurrenz mit den USA und China schon an einer Agenda 2020.

Sicherlich: Auch bei den Staats- und Regierungschefs läuft es nicht so rund. Die politische Krise nach den Wahlen in Italien, delikate Erwägungen, ob die EU-Regierungschefs versuchen sollten, Berlusconi „irgendwie“ zu verhindern oder einzubinden, werden die Tagung bestimmen. Doch es ist ein Armutszeugnis für die europäische Gewerkschaftsbewegung, dass zwei Polit-Clowns Hollande und Merkel mehr Kopfzerbrechen bereiten als sämtliche Lobbyaktionen des EGB.

Es reicht freilich nicht aus, die Politik des EGB, der selbsternannten Führungen der „sozialen Bewegungen“ oder der europäischen Linkspartei zu kritisieren und entschiedenere Aktionen einzufordern.

Aufgaben der klassenkämpferischen Kräfte

Alle jene Kräfte, die in den Massenstreiks, bei Besetzungen und Aktionen in den letzten Jahren sichtbar wurden, müssen nicht nur zu einer europäischen Bewegung gebündelt werden. Aber sie brauchen auch eine alternative, klassenkämpferische politische Strategie, Programmatik und Perspektive. Eine solche ist von den reformistisch geführten, bürokratisierten Gewerkschaften und ihren Apparaten nicht zu erwarten, ebenso wenig von der europäischen Linkspartei.

Aber auch die „radikale Linke“ Europas hat an dieser Stelle seit 2007 kläglich versagt. Sie braucht selbst eine radikale Kursumkehr und den Mut zur Initiative auf europäischer Ebene. Die diversen  „Internationalen“ (Vierte Internationale, Komitee für eine Arbeiterinternationale, Internationale Sozialistische Tendenz), die tausende Mitglieder in den europäischen Ländern organisieren, haben keine Initiative ergriffen, um die klassenkämpferischen internationalistischen Kräfte auf diesem Kontinent zu bündeln. Dabei wäre genau das eine zentrale Aufgabe. Sie sollten dabei zwei Hauptziele verfolgen:

a) Für ein gemeinsames Vorgehen, um europaweite, koordinierte politische Massenaktionen durchzusetzen. Eine solche Bündelung der Kräfte könnte jedenfalls in einigen Ländern unmittelbar einen wirklichen Unterschied im Kampf um einen unbefristeten Generalstreik ausmachen.

b) Für die Diskussion eines Aktionsprogramms für Europa, für eine revolutionäre Strategie zum Sturz der bürgerlichen Regierungen und zum Kampf für Vereinigte sozialistische Staaten von Europa - als politische Grundlage zur Schaffung anti-kapitalistischer, revolutionärer Parteien in ganz Europa und einer neuen Internationale.

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Nr. 177, März 2013
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