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Europa

Ein heißer Herbst

Martin Suchanek, Neue Internationale 173, Oktober 2012

In Südeuropa brennt die Luft. In der EU stehen die Zeichen auf Sturm. Sie ist das Epizentrum der kapitalistischen Krise. Seit Wochen und Monaten können wir hier auch einen Aufschwung des Klassenkampfes beobachten:

in Griechenland fand am 26. September der erste Generalstreik seit dem Antritt der neuen Regierung und die größten Aktionen seit Februar 2012 statt;

Portugal wird im September von einem Generalstreik und von Massendemonstrationen (12. und 29.9.) erschüttert - der größten Massenbewegung seit der „Nelkenrevolution“ 1974;

Spanien ist seit Monaten von einer riesigen Protestwelle geprägt, die in Streiks und der Umzingelung des Parlaments gipfelten;

in Italien streiken die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst am 27. September, in Süditalien kam es zu „Unruhen“ in mehreren Stahlwerken;

in Paris demonstrierten am 29. September 80.000 gegen den Fiskalpakt;

in Britannien erwägt selbst die Gewerkschaftszentrale TUC die Möglichkeit eines Generalstreiks, am 20. Oktober findet eine landesweite Großdemonstration statt.

Mit der Krise weitet sich offenkundig auch der Widerstand in Europa aus. Während ein Sparpaket, eine „Rettungsaktion“ die nächste jagt und immer neue unglaubliche Verarmungspläne für die Massen durchgepeitscht werden sollen, sind immer größere Massen nicht mehr bereit, das alles weiter hinzunehmen - kein Wunder, wenn die neuesten Kürzungspakete z.B. in Griechenland Einkommenseinbußen bis zu 20 Prozent vorsehen.

Die Regierung in Portugal ist seit den Massenaktionen schwer erschüttert. Sie hat sogar bei der Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge nachgegeben. Doch das nächste TROIKA-, EU- oder EZB-Diktat kommt mit Sicherheit.

Eine solche Zuspitzung der Kämpfe wirft freilich auch die Frage nach der politischen Kampfperspektive auf.

In praktisch allen Ländern Südeuropas hat der Kampf wieder einmal die Frage nach einem unbefristeten politischen Generalstreik auf die Tagesordnung gesetzt, um die Kürzungsprogramme zu Fall zu bringen.

Doch schon in den letzten Jahren haben die Führungen der Massengewerkschaften und reformistischen Parteien diese Perspektive wie auch die notwendige Einheit im Kampf sabotiert. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass diese bürgerlich-reformistischen  ArbeitervertreterInnen - bürgerlich in dem Sinn, dass sie letztlich alle auf dem Boden einer, wie auch immer „regulierten“ kapitalistischen Wirtschaft und des bürgerlichen Parlamentarismus stehen - dazugelernt hätten.

So tief kann die Krise der Systems gar nicht sein, dass sie nicht hofften, sie mit Konjunkturprogrammen, etwas Umverteilung und einem „vernünftigen“ Kompromiss mit Teilen der Unternehmerschaft zu lösen.

Die Führung in den Händen der Bürokratie

Das ändert freilich nichts daran, dass es genau diese Führungen sind, die bis heute die „schweren Bataillone“ der Arbeiterklasse und die Unterdrückten führen. In Portugal waren es der KP-dominierte Gewerkschaftsverband CGTP, der den Generalstreik anführte. In Spanien spielen die CCOO und die UGT eine zentrale Rolle. In Rom führen die Gewerkschaften der CGIL und FIOM die Aktionen. In Griechenland sind es ADEDY und GSEE, die nun stärker an SYRIZA ausgerichtet sind, bzw. PAME und die KKE, welche die Generalstreiks organisieren.

Auch dort, wo es „nur“ zu Massendemos kam, wie in Paris am 29. September, spielen Kräfte wie die Front de Gauche und die CGT eine Schlüsselrolle bei der Mobilisierung, auch der britische TUC ist bisher nicht als besonders radikale Kraft aufgefallen.

Doch die Krise und die drohende Verheerung der Lebensbedingungen zwingt auch diese Führungen zu begrenzten Aktionen und dazu, ihren AnhängerInnen Verbesserungen zu versprechen - bis hin zur einer „Machtalternative“.

Neben diesen, die Proteste und v.a. die Arbeiterklasse dominierenden Kräften haben sich auch eine Reihe radikalerer Bewegungen gebildet, tw. auch linke Flügel in den bestehende Gewerkschaften oder in linken Parteien. Aber diese allein sind nicht in der Lage, die Lohnabhängigen in ihrer Mehrheit zu politischen Massenaktionen - insbesondere zu Streiks - zu führen.

Arbeitereinheitsfront

In dieser Situation gibt es nur ein Mittel, um eine wirklich dauerhafte Massenbewegung gegen die Regierungen, gegen die Diktate der EU, der EBZ, des IWF, der europäischen imperialistischen Mächte wie Deutschland herbeizuführen - die Schaffung einer Einheitsfront der Arbeiterklasse, von allen Arbeiterorganisationen.

Das ist aus zwei Gründen notwendig. Erstens können die gegenwärtigen Angriffe nur durch einen gemeinsamen politischen Kampf der gesamten Klasse gestoppt werden. Ein politischer Generalstreik ist die höchste, ultimative Form dieses Kampfes - und angesichts der Entschlossenheit der herrschenden Klasse, für die es zum Generalangriff auch keine Alternative gibt, auch eine unverzichtbare, gerade in Südeuropa.

Um auch nicht-revolutionäre, also die überwältigende Mehrheit der ArbeiterInnen von dieser Notwendigkeit (und von der Erfolgsaussicht dieser Perspektive) zu überzeugen, ist es unbedingt notwendig, nicht nur die Basismitglieder der reformistischen Gewerkschaften und Parteien, sondern auch diese Organisationen insgesamt - also Basis und Führung - zur koordinierten Aktion aufzufordern.

Das darf keinesfalls mit einer kritiklosen Anpassung an diese Führungen oder gar als ein Zugeständnis an sie missverstanden werden. Es ist vielmehr ein Mittel, die AnhängerInnen der reformistischen Parteien und GewerkschaftsführerInnen zu aktivieren, indem wir ihnen vorschlagen, gemeinsam gegen die Angriffe des Kapitals und für unmittelbare und Übergangsmaßnahmen gegen die Krise zu kämpfen.

Zugleich gilt es, diese Forderung zum gemeinsam Kampf mit der Forderung nach dem Aufbau von demokratischen Kampforganen - von Vollversammlungen, Aktionskomitees, demokratischer lokaler, regionaler und landesweiter Koordinierungen der Aktionen zu verbinden.

Wofür kämpfen?

Auch wenn sich selbstverständlich die konkreten Bedingungen in den Ländern der EU unterscheiden, so sind es doch immer wieder auch ähnliche Probleme. Dabei schlagen wir folgende Forderungen vor, um eine Bewegung in einzelnen Ländern, aber auch auf europäische Ebene aufzubauen:

Weg mit allen Kürzungspaketen, nieder mit dem Fiskalpakt!

Streichung der Schulden der europäischen Staaten! Entschädigungslose Enteignung der Banken und Finanzinstitute und Vereinigung zu einer Bank unter Arbeiterkontrolle!

Verstaatlichung aller Unternehmen, die sich weigern, Löhne zu zahlen, mit Schließung drohen oder Massenentlassungen ankündigen, ohne Entschädigung unter Arbeiterkontrolle!

Nein zur "Deregulierung" des Arbeitsmarktes! Feste Verträge für alle Beschäftigten, abgesichert durch die Gewerkschaften!

Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 30 Stunden ohne Lohnausfall in der gesamten EU!

Nein zu den Angriffen auf Renten und soziale Sicherheit! Nein zur Erhöhung des Rentenalters! Für ein Rentenalter von 60 Jahren in der gesamten EU!

Für einen Mindestlohn, Arbeitslosenunterstützung und Renten, festgelegt durch die Arbeiterbewegungen!

Nein zur Privatisierung! Für ein breites europäisches Programm öffentlicher Arbeiten zur Verbesserung von Bildung, Infrastruktur, Umweltschutz und sozialen Leistungen und um Millionen in Arbeit zu bringen! Dies alles unter Arbeiterkontrolle und finanziert durch die massive Besteuerung von Profit und Reichtum!

Für Verteidigungsorgane der Arbeiterklasse und MigrantInnen gegen faschistische und rassistische Angriffe! Gegen alle Einwanderungskontrollen!

Legalisierung, Bewegungsfreiheit und Papiere für alle, die in der EU Leben! Gleiche Rechte für alle, die in der EU leben!

Unterstützung des Klassenkampfes in Griechenland, Spanien, Portugal u.a. Ländern!

Jeder Kampf gegen die Krise wird durch die herrschenden Klassen und ihre Staatsapparate mit allen Mittel bekämpft werden. Selbst wenn einige Reformen durch Kampf und/oder linke Regierungen unter dem Druck der Arbeiterklasse und der Armen durchgesetzt werden, werden diese nicht zu einer Periode der Stabilität führen, sondern vielmehr schärfere Auseinandersetzungen mit der Bourgeoisie erzeugen.

Dieser Kampf erfordert eine Führung, eine revolutionäre Kraft, um den Weg zu zeigen von der Einheitsfront gegen die Kürzungen von heute hin zu dem Kampf um die Macht.

Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, müssen die europäischen antikapitalistischen linken Kräfte sich drastisch ändern. Sie müssen nicht nur die Initiative ergreifen, um die Kämpfe zu koordinieren, Anti-Krisen-Komitees aufzubauen, europaweit gemeinsam zu kämpfen und Unterstützung für die griechischen Arbeiter, die an vorderster Front der heutigen Klassenschlacht stehen, zu gewährleisten. Sie müssen auch eine tragfähige, antikapitalistische revolutionäre Kraft auf europäischer Ebene aufbauen.

Seit Beginn der Krisenperiode, wurde kein ernsthafter Versuch gestartet, die revolutionären Kräfte Europas auf einem gemeinsamen Aktionsprogramm zu vereinen, keine Konferenz wurde dazu organisiert, keine Initiative wurde - abgesehen von einer jährlichen Erklärung der „Europäischen antikapitalistischen Linken“ - ergriffen. Das muss geändert werden! Wir rufen all jene Kräfte dazu auf, eine europäische Konferenz zur Bündelung aller Kräfte für eine massive Solidaritätskampagnen, Maßnahmen gegen die Krise, für einen gemeinsamen europäischen Kampf und zur Eröffnung einer Diskussion die Kräfte zu vereinen - auf einem Aktionsprogramm zur Lösung der europäischen Krise, in Form der Vereinigten sozialistischen Staaten von Europa!

Revolution

Die europäische Krise ist integraler Bestandteil der globalen Krise des Kapitalismus. Nur eine sozialistische Revolution, nur die Machtergreifung durch die Arbeiterklasse, die Zerschlagung der bürgerlichen Staatsapparate und die Ersetzung durch einen proletarischen Halbstaat auf der Grundlage von Arbeiterräten und Milizen können den Weg zu einer sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft öffnen. Während dies auf nationaler Ebene gestartet werden kann, kann es nur global abgeschlossen werden. Es gibt keine "nationale" Lösung für die Krise. Aber, um die Arbeiterklasse auf diesem Weg zu führen, bedarf es einer globalen, politischen Organisation, einer neuen Partei der sozialistischen Revolution, einer neuen revolutionären Internationale, der Fünften Internationale.

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Nr. 173, Oktober 2012
*  Europa: Ein heißer Herbst
*  Spanien: Das neue Griechenland
*  Veranstaltungsbericht: Solidarität mit Griechenland
*  Nachlese zu UmFAIRteilen: Vom Herbstlüftchen zum Winterschlaf?
*  Autoindustrie: Comeback der Krise
*  SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück: Merkel-Flüsterer
*  Gewerkschaftslinke: Holpriger Neustart
*  Soziale Lage: Perspektive Armut
*  NAO: Eine neue Chance
*  Syrien: Warum ich mich dem Aufstand anschloss
*  Wahlen in Venezuela: Chavez wählen?
*  Heile Welt
*  Rassismus: Wider Islamhetze und religiöse Doppelmoral