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Linkspartei-Doppelspitze Kipping/Riexinger

Führung und Partei auf Probe?

Tobi Hansen, Neue International 170, Juni 2012

Vor dem diesjährigen Parteitag bot die Linkspartei ein Bild der inneren Zerrüttung. Während vom bisherigen Parteivorstand nur Klaus Ernst durchhielt, Gesine Lötzsch schon im März zurücktrat, entwickelte sich um deren Nachfolge ein offener Machtkampf. Der bisherige Vorstand hatte schon seit geraumer Zeit abgewirtschaftet, in der Öffentlichkeit sprachen die eigentlichen Protagonisten der beiden „Lager“ Lafontaine und Wagenknecht bzw. Bartsch und Gysi sowie deren Adjutanten.

Vordergründig ging es um die Kandidatur und die Bedingungen dafür, unter denen Lafontaine wieder bereit wäre, den Parteivorsitz zu übernehmen. Dabei zeigte sich, dass die aktuelle Führung der Partei von Strömungs- und Cliquenkämpfen zerrieben und nicht mehr in der Lage war, eine gemeinsame Lösung oder auch nur einen gemeinsamen Vorschlag zu präsentieren.

Nachdem Lafontaine für seine Kandidatur keine Mehrheit im Vorstand finden konnte und speziell die ostdeutschen Landesvorsitzenden deutlich gegen ihn in Stellung gingen, zog dieser seine Kandidatur zurück und die öffentliche Auseinandersetzung erreichte ihren Höhepunkt direkt vor dem Parteitag.

Möglichst viele Spitzenkräfte warnten vor einer Spaltung der Partei, viele sahen die Existenz bedroht und die bürgerliche Presse und die politischen Gegner erfreuten sich am Hickhack der Linkspartei.

In dieser Phase vermehrten sich auch die Kandidaturen für den Vorsitz, darunter das Frauenduo Kipping/Schwabedissen, die sächsische Bundestagsabgeordnete und regionale DGB-Vorsitzende Zimmermann, die Fraktionsvorsitzende aus Hamburg Heyenn und die drei Herren Horn, Klein und Stange, welche keinen relevanten Posten, geschweige denn Unterstützung für ihre Kandidatur hatten.

Über weitere Kandidaturen wurde munter spekuliert, speziell Wagenknecht wurde immer wieder genannt. Eine Woche vor dem Parteitag verkündete dann der Landeschef von Baden-Württemberg, Riexinger, seine Kandidatur. Bei diesem Schaulaufen fiel auf, dass die „linken“ Kräfte in der Linkspartei, wie AKL (Antikapitalistische Linke) und SL (Sozialistische Linke) wohl keine eigenen Vorstellungen hatten, geschweige denn eigene KandidatInnen - außer Lafontaine. So verteilten diese Kräfte im Vorfeld ihre Unterstützung auf das Frauenduo und Riexinger, eigenständige und sichtbare linke Kandidaturen waren nicht vorhanden.

Volkspartei oder Interessenpartei?

Diesen Widerspruch machte Gregor Gysi in seinem Abgesang auf Partei und Bundestagsfraktion auf, hier würden die eigentlichen Probleme der Partei liegen. Gysi beschränkte sich auf soziologische Erklärungen, bestens ausgedrückt darin, dass es für ihn völlig normal sei, dass eine Partei mit 25 Prozent eine andere Politik machen müsste, als eine Partei mit 5 Prozent machen könnte.

Begründet wurde dies mit dem Begriff „Volkspartei“. Die „ostdeutsche Volkspartei“ müsste sich ja um viel mehr Interessen kümmern, als die „Interessenpartei“ im Westen, welche „Klientelpolitik“ machen könnte. Neben solchen Verklärungen sprach Gysi recht offen über den derzeitigen Zustand in der Fraktion, von Hass untereinander, „aufeinander zufahrenden Zügen“ und einer weiter andauernden Ost/West-Spaltung in der Fraktion.

Hinter dem Begriff Volkspartei steht natürlich der Wille der ostdeutschen Verbände, in die Landesregierungen zu kommen, hier soll die „linke Mehrheit“, welche Bartsch ja organisieren wollte, Realität werden. Die Regierungen in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und aktuell in Brandenburg, die Tolerierung in Sachsen Anhalt - all diese Koalitionen und Versuche führten eben nicht zu einem Politikwechsel, sondern allein zur Darstellung der Regierungsfähigkeit der Linkspartei mit Blick auf mögliche Bundesregierungen mit SPD und Grünen.

Der Begriff „Volkspartei“ ist auch eher verwirrend. Auch wenn die Linkspartei in Ostdeutschland sicherlich mehr Teile der Mittelschichten vertreten als im Westen, so resultiert die dort stärkere Rolle hauptsächlich aus der starken Verankerung in der ostdeutschen ArbeiterInnenklasse, inkl. den Arbeitslosen und RentnerInnen. In diesem Zusammenhang stand leider nicht zur Diskussion, wie denn eine Linkspartei mit 20-30% bei Wahlergebnissen den Widerstand gegen die Krisenpolitik, gegen Hartz IV und Krieg, für mehr Demokratie und was sonst so im Programm steht, organisieren könnte.

Es wäre auch interessant für die Partei gewesen, mal darüber zu diskutieren, ob eine Regierung mit SPD und Grünen tatsächlich eine linke Mehrheit darstellen oder unter welchen Bedingungen eine Bundespartei tatsächlich einer Koalition zustimmen würde. Dann hätten wir auch feststellen können, dass die inhaltlichen Unterschiede zwischen Bartsch, Riexinger, Lafontaine, Gysi keineswegs grundsätzlicher Natur sind, sondern nur unterschiedlichen kurzfristigen taktischen Einschätzungen entspringen.

Schließlich waren die Koalition mit der SPD im Saarland und Hessen vor wenigen Jahren nicht an der Linkspartei, sondern an SPD bzw. Grünen gescheitert. In Nordrhein-Westfalen hat der „linke“ Landesverband eine rot/grüne Koalition „geduldet“, also über zwei Jahre deren Politik gestützt und verteidigt, ohne dafür aber irgendwelche ministerialen Pfründe zu erhalten.

In seiner Rede am Parteitag betonte Lafontaine wieder einmal, dass es eine „Unterstellung“ und Lüge wäre, wenn ihm der rechte Parteiflügel ständig vorwerfe, dass er Regierungsbeteiligungen grundsätzlich ablehne. Was Lafontaine und sein Lager freilich von den „Regierungssozialisten“ tatsächlich unterscheidet, ist zweierlei.

Erstens ist Lafontaine traditioneller Reformist und Keynesianer. Er und seine Strömung sind davon überzeugt, dass der bürgerliche Staat durch Reformen, „soziale Gerechtigkeit“, einen „Ausgleich“ schaffen könne, dass er wirksam die Dominanz des Finanzkapitals beschneiden könnte und dass es dabei obendrein auch fast allen - den Lohnabhängigen wie den „produzierenden“ Unternehmern -  besser ginge.

Diesen Glauben an die Umverteilungspolitik teilt der rechte Parteiflügel nicht. Er akzeptiert sogar bestimmte Vorgaben der letzten sozialdemokratischen Doktrin, der „Neuen Mitte“. Privatisierungen sind ihm kein Graus, sondern werden akzeptiert - wenn auch mit allerlei Mitbestimmungsphrasen und sozialen „Mindeststandards“ verbunden. All das wird zugleich mit viel Gewäsch von „Freiheit“ und „Bürgerrechten“ aufgemotzt.

Zweitens - und damit zusammenhängend - verkaufen sich die Berliner, Brandenburger u.a. Koalitionäre für einen viel zu geringen Preis an die SPD. Das macht ihn und seine Gruppierung kritisch gegenüber der Linkspartei z.B. in Brandenburg. Ein solch voreiliges Geschacher verhagelt die Chancen auf den von Lafontaine anvisierten „Politikwechsel“ nämlich, weil er die Unterstützung für DIE LINKE selbst untergräbt und so auch die Chancen, der SPD (und den Grünen) einen links-sozialdemokratischen „Politikwechsel“ in einer Koalitionsregierung aufzuzwingen.

Dass die Linkspartei v.a. ein Wahlverein sein soll, darin hat Lafontaine keine Differenz mit der Parteirechten. Die Bewegung ist höchsten das „Spielbein“ für die „echte Politik“, die selbstverständlich in den Parlamenten zu machen ist. Die Wahlniederlagen der letzten Jahre stellen aber genau das in Frage - und daher ist auch Feuer unterm Dach.

Niedergang und Ausblick

2009 feierte die Linkspartei mit 11,9% und fast 5 Millionen Stimmen einen Wahlerfolg, den die Partei nach aktuellen Umfragen (5-6%) inzwischen verspielt hat. Zwar hat die aktuelle Krise sicherlich auch einiges beigetragen, der Niedergang setzte aber schon zuvor ein. Im Westen gelang nur in Hamburg der Wiedereinzug in ein westdeutsches Parlament, in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg war die Partei weit davon entfernt und in Schleswig-Holstein und NRW flog die Partei aus dem Landtag.

Seit 2009 konnte sich die Linkspartei eben nicht eigenständige linke Kraft gegen die Krise profilieren, im Gegenteil: die SPD erholte sich auf Kosten der Linkspartei. Gleichzeitig wurde die Linkspartei im letzten Jahr auch von den Piraten überrollt, diesen gelang fast spielerisch der Einzug in die Westparlamente. Antworten darauf haben wir nicht gehört auf dem Parteitag, stattdessen wurden Gebetsmühlenartig die Aktionen von Dresden und Blockupy wiederholt und dass die Partei da hingehört. Die Frage, was sie vor Blockupy für die Anti-Krisenbewegung in der BRD gemacht hat, wurde weder gestellt noch beantwortet. In allen Sonntagsreden wurde betont, wie wichtig jetzt die europäische Solidarität ist, wie man gemeinsam die Demokratie in der EU verteidigen will, wie die Linken in Europa stark werden und was die Linkspartei jetzt für eine Verantwortung hätte.

Warum seit Ausbruch der Krise gerade ein europäischer Aktionstag gegen die Krisenpolitik von Staat und Kapital veranstaltet wurde, was eigentlich aus den Sozialforen geworden ist, in denen die Linkspartei zusammen mit den linken Gewerkschaftsbossen die politische Führung hatte oder warum eine 12%-Bundespartei keine lokale Anti-Krisenpolitik aufbauen kann und will - diese Fragen hätten eine Antwort geben können, warum die Linkspartei jetzt am Boden ist.

Seit der Wahl 2009 hat die Linkspartei parlamentarischen Kretinismus betrieben, nach dem Motto „Mindestlöhne werden im Bundestag per Gesetz beantragt und nicht auf der Straße erkämpft“. So entwickelte sich die Linkspartei nicht zur einer aktiven, führenden Kraft in den sozialen Bewegungen oder wies diesen Programm und Ziel, die Linkspartei überließ das Feld dem politischen Gegner, wie bei der Anti-AKW- oder der S 21-Bewegung, bei denen die Linkspartei „Nachtrabpolitik“ gegenüber den Grünen betrieb.

Obwohl bestimmte gewerkschaftliche Ränge inzwischen im Westen das Korsett der dortigen Linkspartei stellen, hat dies natürlich auch nicht zu einer eigenständig wahrnehmbaren Politik in den Gewerkschaften geführt, dort wurde die SPD-Dominanz weder angegriffen noch in Frage gestellt. Selbst wenn linke Gewerkschafter wie Riexinger die Agenda 2010 und die ganze Standortpolitik des DGB immer wieder scharf kritisierten, so blieb diese Kritik auf der Ebene der Kritik eines Gewerkschaftshauptamtlichen stehen, der sich letztlich immer gegen den Aufbau einer organisierten, konsequent anti-bürokratischen und klassenkämpferischen Basisbewegung gegen den reformistischen Apparat stellte.

Als Ausweg aus dieser Krise bietet der Leitantrag viele soziale und vor allem demokratische Phrasen und Klauseln, welche zum einen eine soziale Zustandsbeschreibung liefern und zum anderen viele Angebote für einen Politikwechsel. Die Gemeinsamkeiten werden bis zum Arbeitnehmerflügel der CDU ausgebreitet, während im nächsten Satz festgestellt wird, dass die Linkspartei keine Regierung des Sozialabbaus und des Krieges unterstützen will. Die Verteidigung des Sozialstaats wird zur demokratischen Daseinsfrage emporgehoben, während gleichzeitig versucht wird, sich mit den Protesten von Occupy und des Arabischen Frühlings in eine Reihe zu stellen - nur ging es dort nicht einfach um den Sozialstaat, sondern um die Macht im Staat.

Zweifellos wird die Bundestagswahl zu einer Art „Schicksalswahl“. Ob das zu einer offensiveren Mobilisierung der Partei führt, ist jedoch fraglich, fehlen doch allerorts die überzeugten „BasiskämpferInnen“. Hinzu kommt, dass die Linkspartei von der Frage getrieben werden wird, wie sie es mit Rot-Grün zu halten gedenkt - und das wird die inneren Gegensätze verschärfen.

Gleichzeitig gelten Kipping und Riexinger mehr als alle ihre Vorgänger als ParteiführerInnen, die mit „Bewegungsmilieus“ verbunden sind. Kipping steht für die Strömung „EmaLi“ (Emanzipatorische Linke), welche sich v.a. durch teils libertäre, post-autonome Analyse und Methode auszeichnet und für ein bedingungsloses Grundeinkommen eintritt. Riexinger kommt aus dem linken Gewerkschaftsapparat.

Beide werden eine „Öffnung“ zu den außerparlamentarischen Bewegungen proklamieren - und sei es nur, weil das der einzige Weg ist, wie DIE LINKE neue Mitglieder und auch Fußvolk für den Wahlkampf rekrutieren kann.

Auch wenn die politische Substanz von Kipping/Riexinger nicht grundlegend anders ist als jene von Ernst/Lötsch oder Gysi/Lafontaine, so geht ihre Wahl eindeutig mit einer Niederlage des rechten Parteiflügels um Bartsch einher. Auch bei der Wahl der stellvertretenden Vorsitzenden und des Parteivorstandes haben in der Regel die linkeren KandidatInnen besser als die rechten abgeschnitten. Das kann auch dazu führen, dass trotz allem die Illusionen und Hoffnungen der Linken in der Linkspartei - die sich als SiegerInnen wähnen - größer werden, ja auch etliche AktivistInnen und linke ArbeiterInnen könnten von diesem Resultat angezogen werden.

Diese bedeutet, dass wir neben der notwendigen harten Kritik an der Partei und ihrer Führung, diese auch auffordern müssen, aktiv am Aufbau von Bündnissen, an der Mobilisierung zu aktiven mitzuwirken.

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Nr. 170, Juni 2012
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