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Arabische Linke

Der Preis für den Stalinismus

Marcus Halaby, Neue Internationale 170, Juni 2012

Eine der bemerkenswertesten Merkmale der arabischen Revolutionen war die Schwäche der organisierten Linken und ihr bisheriges Scheitern, sich an die Spitze der Bewegungen für demokratische Rechte zu setzen, die durch die Verelendung der Massen hervorgerufen worden sind. In einem Land nach dem anderen erwies sich die Linke als schwach und zersplittert wie in Ägypten, weitest gehend abwesend als organisierte Kraft wie in Libyen oder gelähmt durch eine Politik der Anpassung an nichtproletarische Kräfte wie in Bahrain und Tunesien.

Dies alles trotz der zentralen Rolle der städtischen Arbeiterklasse bei den arabischen Erhebungen, des natürlichen Rahmens für eine Politik v.a. des wirtschaftlichen Klassenkampfs, für Demokratie, Weltlichkeit, Frauenrechte und der Opposition gegen den Imperialismus und dessen israelischen Verbündeten.

Im großen und ganzen haben die Islamisten politisch nach dem Sturz der alten Regierungen profitiert, selbst dort, wo sie kaum eine Rolle bei den Erhebungen gespielt haben. Das hat gleichzeitig den prowestlichen Liberalen das Feld geöffnet, die tw. noch mit der alten Ordnung verbandelt waren. Sie stellen sich nun als Verteidiger von Säkularismus und von demokratischen Freiheiten dar und treten dem Risiko entgegen, dass die Demokratisierung zu weit geht und die Massen davon verantwortlich Gebrauch machen könnten.

Unterdrückung

Die Schuld für die Schwäche der Linken tragen einerseits die gestürzten oder umkämpften arabischen Diktaturen, die unabhängige Arbeiterorganisationen und demokratische Rechte unterdrückt haben, dass die Moschee oft das einzig legale Forum für einen politischen Ausdruck war. In erster Linie bezahlt die arabische Linke aber den Preis für das Scheitern zweier großer Ideologien, deren Einfluss sie unterlag: dem Stalinismus und dem arabischen Nationalismus.

Die junge arabische Generation, die in den letzten anderthalb Jahren auf die Straße gegangen ist, ist in eine Welt hineingewachsen, wo die sozialistische Linke entweder belanglos für ihre Angelegenheiten schien oder als Überbleibsel der Ordnung, gegen die sie ihr Leben riskiert haben. Dieses Problem zeigt sich besonders in Syrien.

Das Land war unter der sich selbst bereichernden Ba'ath-Partei fast 40 Jahre ein Verbündeter der Sowjetunion. Sie nennt sich selbst sozialistisch und stellt ihre Diktatur als ‚Widerstandsregime' gegen Israel und den imperialistischen Westen dar. Syriens Arbeiterbewegung wurde weithin kaltgestellt oder für die Staatsmaschinerie eingespannt - ein Jahrzehnt, bevor Präsident Baschar al Assads neoliberale Wirtschaftspolitik die alte Grundlage ihrer Herrschaft in der Bauernschaft und den unteren Mittelschichten untergrub.

Die Idee der Revolution in Etappen

Bei den letzten großen Wellen von Erhebungen im arabischen Raum, vom Putsch der unabhängigen Offiziere in Ägypten 1952 bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs im Libanon 1975 stritten v.a. Arbeiterbewegungen unter Führung von moskautreuen KPen mit nationalistischen Strömungen aus den unteren Mittelschichten um die Vorherrschaft und übten einen Einfluss auf die niederen und mittleren Offiziersränge aus.

Die KPen handelten nach einen falschen stalinistischen Programm, wonach ihre Aufgabe nicht in der Führung des Kampfes um die Macht durch die Arbeiterklasse, sondern als Unterstützer von ‚fortschrittlichen' bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräften besteht, die ausländische Einflüsse und die Reste von vorkapitalistischen Klassen beseitigen würden. Der Kampf für den Sozialismus wurde auf eine ferne Zukunft vertagt.

Praktisch bedeutete dies die Unterstützung linksnationalistischer Militärdiktaturen und die Zurückhaltung der Arbeiterbewegung vom Kampf um die Macht, wenigstens so lange, wie die Diktatoren freundschaftliche Beziehungen zur Sowjetunion pflegten.

Im Irak führte dies zur Abschlachtung von KommunistInnen und GewerkschafterInnen, als ihr der Diktator Abdel Karim Kassem 1963 durch einen von der CIA gestützten Rechtsputsch gestützt wurde. In Ägypten bedeutete dies die Bindung der Arbeiterbewegung an Präsident  Gamal Abdel Nasser. Ihre Aktivisten unterstützten das Regime selbst dann noch, als sie von ihm ins Gefängnis geworfen wurden.

Die Syrische KP

Der kürzlich verhaftete palästinensisch-syrische Intellektuelle Salameh Kaileh äußerte, dass die arabische Linke sich an die mächtigeren Kräfte des Ba'athismus und Nasserismus anhängte, selbst wenn diese Bewegungen sich an der Macht schon diskreditiert hatten.

In Syrien hat sich die KP unter Khalid Bakdasch dem Ba'ath-Militärregime unterworfen, das sich anfangs in Gesellschafts- und Wirtschaftsfragen links verhielt, und schloss sich dessen Nationaler Fortschrittsfront NPF an - gerade, als die Regierung 1970 einen Rechtsschwenk unternahm. Die KP konnte zwar noch legal arbeiten und erhielt einen belanglosen ‚Machtanteil', büßte aber dadurch ihren Einfluss auf die Massen ein und ihre Fähigkeit, eine neue Generation von Intellektuellen und Jugendlichen anzuspornen.

Bakdasch machte sich auch den Unterdrückerapparat der Ba'ath-Regierung zunutze, um Gegenströmungen in der eigenen Partei zu ersticken. Dadurch gab es mindestens zwei Spaltungen in der KP, die sich aber später in der NPF wiederfanden. Damit schwächte die syrische Linke sich selbst und half, das Ba'ath-Regime zu festigen. Viele weitere Abspaltungen stärkten das Lager der Regimegegner, hielten jedoch weiter an der falschen Theorie von einer Revolution in Etappen fest, die den Verrat der diskreditierten Führer widerspiegelt, denen sie ja gerade den Rücken gekehrt hatten.

Von den Splittern sind am bedeutendsten die Syrische Demokratische Volkspartei von Riad al Turk, die gegenwärtig mit dem oppositionellen Syrischen Nationalrat SNC verbunden ist, sowie die Syrische Kommunistische Aktionspartei, deren Militante eine Rolle in den jetzigen Aufständen gespielt haben.

Die “Syrische Revolutionäre Linke”

Im Gegensatz dazu hat die „Syrische Revolutionäre Linke“ (SRL), die dem Vereinigten Sekretariat der IV. Internationale (VS) nahesteht, jüngst ein ‚Übergangsprogramm' veröffentlicht. Darin wird korrekt die Schwäche der Linken als Folge der ‚Verquickung der traditionell stalinistischen Bewegung mit dem gegenwärtigen Regime, was die brutale Repression ermöglicht' beschrieben.

Die SRL kritisiert die breite syrische Oppositionsbewegung und vermerkt, dass der bürgerlich-liberale und islamistisch geführte SNC die Militarisierung der Aufstände aus dem Exil unterstützt, um v.a. seinen mangelnden Einfluss im Land zu kaschieren und - noch gefährlicher - nach militärischer Intervention von außen ruft.

Ähnlich brandmarkt das SRL-Programm auch das ‚gemäßigtere' Nationale Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel NCC wegen seines Aufrufs zum Dialog mit dem Assad-Regime aus Angst, dass ein drohender Umsturz eine ausländische Intervention zur Folge hätte.

Die SRL stellt hingegen fest, „die revolutionären Gruppen auf der Grundlage, die die Bewegung führt, betonen ihr Engagement für drei Prinzipien: friedliche Revolution, unbedingte Zurückweisung von ausländischer Militärintervention sowie die Entschlossenheit, das Regime zu stürzen und sich auf keinen Dialog mit ihm einzulassen.“

Die Gegnerschaft zum Imperialismus und zum Dialog mit der Mörderregierung sind elementare Grundsätze. Auch wird korrekt erkannt, dass die Verkürzung der Aufstände auf eine rein militärische Auseinandersetzung bedeutet, das Regime dort zu bekämpfen, wo es am stärksten ist, und den Massenkampf auf die Seite zu schieben und damit den Weg für die indirekte oder gar direkte Intervention durch Türkei, Katar und Saudi Arabien zu ebnen, die jetzt schon bestimmte Teile der bewaffneten Opposition unterstützen. Es ist notwendig, die Bewaffnung und Organisierung der Massen zur Selbstverteidigung zu fordern. Bedauerlicher Weise betont das Programm die Illusion der Möglichkeit einer friedvollen Revolution. Unter den Umständen können die Befürworter von einer vom Imperialismus gestützten ‚Militarisierung' als größere Realisten erscheinen.

Außerdem zählt das SRL-Programm eine Reihe von wirtschaftlichen und  gesellschaftlichen Forderungen  auf, die den Neoliberalismus der letzten 10 Jahre umdrehen sollen, aber die Idee der Revolution in Etappen wird wiederholt, indem für eine ‚allgemeine Allianz der demokratischen und gesellschaftlichen Kräfte gegen die Diktatur und den Aufbau eines demokratischen, säkularen und pluralistischen Staates' plädiert wird. Dies entwertet die Erkenntnis von der Notwendigkeit von praktischer Solidarität mit allen verfolgten politischen Kräften durch die Idee, dass das Programm der Revolution auf Forderungen beschränkt werden müsse, die diese Kräfte auch alle unterstützen würden.

Das Programm der Watan-Koalition, die von der SRL unterstützt wird, geht noch einen Schritt weiter nach rechts und fordert einen ‚zivilen, demokratischen Staat, der auf Gesetz, Gerechtigkeit und Bürgerrecht' gründet und eine Revolution ‚aller Klassen und Bestandteile des syrischen Volkes', ohne irgendwelche Klassenforderungen zu erheben.

Permanente Revolution

Die Revolution bedarf eines Programms, das den Kampf der Arbeiterklasse zum Sturz des Kapitalismus in den Mittelpunkt rückt, das die Arbeiterklasse zur anerkannt führenden Kraft  für die aufrührerische Bevölkerung im Ringen um demokratische Rechte werden lässt. Das ist keine Sache von trotzkistischem Dogmatismus. Von allen arabischen Revolutionen, in denen der Mythos entstanden ist, das ‚ganze Volk' stehe schwachen Regimes gegenüber, die keinen Rückhalt in der Bevölkerung hätten, ist Syrien das Land, in dem scharfe Klassenspaltungen am frühesten erkennbar waren. Die Neureichen und Teile der Mittelschichten haben vom Neoliberalismus profitiert, während die Arbeiterklasse, die Stadt- und Landarmut, die Jugend und die untere Mittelschicht dies nicht konnten.

Dieses Programm, das Programm der permanenten Revolution, spaltet keineswegs eine breite demokratische Bewegung, sondern stellt das einzige Mittel dar, mit dem die Bevölkerung im Kampf um die Arbeiterklasse herum vereint werden kann.

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Nr. 170, Juni 2012
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