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Kosovo/Kosova

Nein zum EU-Protektorat!

Martin Suchanek, Neue Internationale 127, März 2008

Auf allen Straßen schwenkten die AlbanerInnen die roten Fahnen mit dem albanischen Doppeladler und feierten die Unabhängigkeitserklärung. Sie hoffen, so die nationale Unterdrückung durch Serbien zu beenden und zugleich ihre katastrophale soziale Lage zu bessern.

Die Unabhängigkeitserklärung kam nicht überraschend. Auch die Sitzung des UN-Sicherheitsrats dazu endete erwartungsgemäß damit, dass Russland und China sich gegen die Unabhängigkeit aussprachen. Die USA und die führenden Mächte der EU jedoch hatten die Unterstützung dieses Schritts schon lange deutlich gemacht, auch wenn die EU noch einige diplomatische Verrenkungen machen musste, um die Befürchtungen Spaniens oder Zyperns auszuräumen, dass die Unabhängigkeit Kosovos zum Präzedenzfall für die Basken und andere werden könnte.

So kam es schließlich auch dazu, dass die EU keine gemeinsame Position beschloss - wohl aber die Entsendung der 2000 Mann starken Mission zum Aufbau von Justiz und Polizei.

Von der serbischen Provinz zur EU-Kolonie

Selten hat eine Regierung eine „Unabhängigkeitserklärung“ ausgerufen, die darin besteht, alle wichtigen Staatsfunktionen in die Hände einer anderen Macht zu legen.

Seit dem Sieg der NATO über Serbien liegt die Staatsmacht in Kosova nicht mehr in den Händen Belgrads, sondern in denen der UNO. Die Staatsgewalt wird von der NATO mit der 16.000 Mann starken KFOR ausgeübt, von der die BRD rund 3.000 stellt.

2007 wurde die Ausübung des UN-Mandats der EU übertragen, die praktisch die politische Führungsmacht, die Kolonialmacht in Kosova darstellt. Das zeigt auch der „Athisaari-Plan“, der die Grundlage der „Unabhängigkeit“ darstellt. Er sieht nicht nur die weitere Stationierung von NATO-Truppen unter EU-Führung vor. Er umfasst auch die Entsendung von 2.000 „Experten“ zum Aufbau von Polizei, Justiz und Verwaltung.

Seit der Besetzung des Landes durch NATO und UN/EU-Verwaltung wird Kosova vom Westen in Kollaboration mit einer albanischen Elite beherrscht, die politisch in der ehemaligen UCK (zu der auch Regierungschef Thaci gehört) und der LDK organisiert ist.

Deren Aufgabe ist es auch, die „Marktwirtschaft“ als Wirtschaftssystem sowie die Kontrolle der noch nicht privatisierten staatlichen Unternehmen und die Nutzung der Bodenschätze (v.a. Braunkohle) durch eine „Treuhand“-Anstalt, die von der EU kontrolliert wird, abzusichern.

Landeswährung ist schon heute der Euro und die europäische Zentralbank wurde zum wichtigsten Instrument der Kontrolle der Wirtschaftspolitik des Landes.

Besatzung in Permanenz

Die Kompradorenrolle der kosovarischen Elite wird dadurch vergoldet, dass sie an den Geschäften westlicher Konzerne, an der Privatisierung der Unternehmen und der öffentlichen Dienste sowie durch die „übliche“ Korruption usw. kräftig mitverdient.

Die „Elite“ des Landes ist in den letzten Jahren wohlhabend geworden. Das gelang ihnen einerseits durch offen kriminelle Machenschaften, zum anderen aber auch durch die üblichen kriminellen Mittel der kapitalistischen Restauration, sprich der Überführung ehemals staatlichen oder genossenschaftlichen Eigentums in kapitalistisches Privateigentum, wie es zuvor in ganz Osteuropa passierte.

Kosova steht freilich vor dem Problem, dass die Investitionen unter den Erwartungen blieben. Die führende Schicht ist ökonomisch und politisch zu schwach, um das Land „selbstständig“ im Rahmen einer imperialistischen Aufgabenverteilung zu kontrollieren. Daher treten auch alle Flügel der nationalistischen Führungen im Kosovo für die weitere Besatzung des Landes ein.

Die soziale Lage in Kosova hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Zwischen 60 und 70 Prozent sind arbeitslos. Die Löhne liegen zwischen 80 und 120 Euro pro Monat, die Renten bei rund 50 Euro. Viele können nur überleben, weil sie Geld von Verwandten im Ausland erhalten.

In zur Privatisierung freigegebenen Unternehmen ist es üblich, dass monatelang gar keine Löhne gezahlt werden, um sie für Investoren attraktiv zu machen. Oft geschieht das mit Zustimmung der Gewerkschaftsfunktionäre, die so hoffen, als „Mitbestimmer“ und Co-Manager ihren Schnitt zu machen.

Im Frühjahr 2007 kam es zu Protesten gegen Privatisierungen und zu Aktionen gegen Studiengebühren an der Uni Priztina. Die Frustration zeigt sich auch darin, dass die Wahlbeteiligung zurückging. So boykottierten nicht nur die SerbInnen die Wahlen im Dezember 2007, auch die Hälfte der AlbanerInnen blieb den Urnen fern.

Diese Misere aufrecht zu erhalten, ist Teil der EU-Strategie, die dazu dient, Kosova und den westlichen Balkan (also letztlich auch Serbien) als Halb-Kolonie in einen von Deutschland und Frankreich beherrschten imperialistischen Staatenbund zu integrieren. Das bedeutet - siehe EU-Vertrag - für die kleineren Staaten ohnedies, wichtige Teile ihrer Souveränität an „europäische“ Institutionen, also an die großen imperialistischen EU-Mächte abzugeben.

Diesem Ziel stehen allerdings Differenzen mit Russland und den USA entgegen.

Für Russland spielt Serbien die Rolle eines Faustpfands, um als globale Großmacht anerkannt zu werden und einen gewissen Einfluss am Balkan zu behalten.

Die USA unterstützen die Unabhängigkeit des Kosovo und die ersten Schritte der EU. Doch ihre Strategie kollidiert mit jener der EU.

Die Balkankriege der 1990er haben dem deutschen Imperialismus gezeigt, dass er zwar in der Lage war, dem Zerfall Jugoslawiens eine Richtung zu geben und v.a. Slowenien erfolgreich zu einer Halbkolonie zu machen. Doch er konnte die Neuordnung des Westbalkans nicht führend bestimmen, sondern musste das den USA überlassen.

In den letzten Jahren haben sich die EU und die BRD vorbereitet, die Führungsrolle am Westbalkan zu erringen. So bezeichnete die Bundesregierung zu Beginn ihrer EU-Präsidentschaft 2007 die „Lösung“ der Kosovo-Frage und die „Perspektive“ des Westbalkans als „zentrale außenpolitische Zielsetzung“. Das bedeutet: Zurückdrängung des US-amerikanischen Einflusses.

Unabhängigkeit als Farce

All das zeigt, dass die Unabhängigkeit des Kosovo eine einzige Farce ist. Sicher hoffen viele AlbanerInnen, dass ihnen dies eine reale Verbesserung ihrer tristen wirtschaftlichen und sozialen Lage bringen wird. Ihr Wunsch, sich von Serbien loszutrennen, ist durchaus verständlich, denn entgegen nationalistischer serbischer, aber auch viele stalinistischer Mythen war Kosova nie ein „gleichberechtigter“ Teil Jugoslawiens.

Ihre Unterdrückung reicht weit ins 19. Jahrhundert zurück. Das Regime Titos sah dann zwar eine weitgehende Gleichberechtigung der drei Führungsnationen Nachkriegs-Jugoslawiens - Serbien, Kroatien, Slowenien - vor, doch die KosovarInnen waren von Beginn an benachteiligt. Entgegen der Vereinbarungen zwischen den albanischen und jugoslawischen Partisanen unter Führung Hoxhas und Titos wurde den KosovarInnen nach dem Krieg der versprochene Anschluss an Albanien verweigert. Der zahlenmäßig drittstärksten Nationalität wurde auch eine eigene Provinz verweigert. Bis in die 1970er war das Albanische als Amtssprache nicht zugelassen.

Seit Beginn der 1980er verschärften sich die Gegensätze zwischen den jugoslawischen Republiken aufgrund der Wirtschaftkrise. Es gab massive Arbeiterkämpfe und die Bürokratie zerfiel entlang nationaler Linien. Als Milosevic in Serbien an die Macht kam, verstärkte sich der anti-albanische großserbische Chauvinismus erheblich. Albanisch, das in den letzten Jahren Titos als Amtssprache zugelassen wurde, wurde als solche wieder abgeschafft, ebenso wie der Albanischunterricht an den Schulen. Rund 80.000 AlbanerInnen wurde aus dem Öffentlichen Dienst entlassen, die Belegschaften großer Industriebetriebe wurden „serbianisiert“ und 10.000e AlbanerInnen wurden gefeuert.

Kurz: die AlbanerInnen waren auch in Jugoslawien national unterdrückt. In der Restauration verschärfte sie sich noch.

So ist es kein Wunder, dass die Mehrheit der AlbanerInnen ihre einzige Perspektive bis heute in der Unabhängigkeit erblickt. Das ist auch ein zentraler Grund, warum die nationalistischen Führungen nach wie vor im Sattel sitzen. Viele AlbanerInnen glauben, dass die EU-Besatzung einen Schritt zur Unabhängigkeit bedeute.

Balkanisierung und Selbstbestimmungsrecht

Die EU setzt im Kosovo wie am gesamten Balkan die imperialistische Politik der „Balkanisierung“ zur Beherrschung der Region, indem Nationalitäten gegeneinander ausgespielt werden, fort.

Die Nationalisten in Priztina setzen umgekehrt die Politik vieler Eliten unterdrückter oder schwacher Nationen fort, sich selbst an eine bestimmte Großmacht oder mehrere Großmächte anzudienen und so ihre Privilegien zu sichern.

Die nationalistische Politik der serbischen wie der kosovarischen Führungen ist eine Sackgasse - nicht nur für die Unabhängigkeit von imperialistischer Ausbeutung und Unterdrückung, also die nationale Befreiung, sondern auch für jede ernsthafte soziale Verbesserung.

Gerade deshalb führt kein Weg daran vorbei, das Selbstbestimmungsrecht der KosovarInnen anzuerkennen. Die Verweigerung dieses Rechts fesselt die Arbeiterklasse und die Unterdrückten - in Serbien wie in Kosova - umso länger an den serbischen Kapitalismus und an die diversen nationalistischen Führungen sowie die jeweils hinter ihnen stehenden imperialistischen Fraktionen, v.a die EU.

Die von Russland, den serbischen Nationalisten, aber auch von etlichen deutschen Linken ins Feld geführte „Völkerrechtswidrigkeit“ der Unabhängigkeit des Kosovo kann für MarxistInnen, kann für die Arbeiterklasse niemals Richtschnur für die eigene politische Position sein!

Ausgangspunkt muss vielmehr der Kampf gegen alle Unterdrückungsverhältnisse sein - und dazu gehört auch der Kampf gegen die nationale Unterdrückung und das Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht.

Ohne Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts, also auch des Rechts der Kosovaren, einen eigenen Staat zu gründen, ist eine Überwindung des nationalen Haders nicht möglich. So bleibt den kosovarischen Nationalisten und den „demokratischen“ Imperialisten der EU immer die Möglichkeit, die reale Unterdrückung eines Volkes für ihre Zwecke ausnutzen.

Strategie und Taktik

Auch eine größere Unabhängigkeit würde die grundlegenden sozialen Probleme noch nicht lösen, so wie eine Lösung der grundlegenden Probleme des Kosovo und anderer Balkanstaaten im nationalen Rahmen unmöglich ist.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts traten die internationalistischen Kräfte in der Arbeiterbewegung für die Bildung einer Balkanföderation als einzig realistischer Alternative zur Einmischung und zum gegenseitigen Ausspielen der Balkanvölker durch die imperialistischen Großmächte ein.

Nur so, auf Basis einer gleichberechtigten und freiwilligen Föderation, besteht die Möglichkeit, nationale Gegensätze und ökonomische Rückständigkeit zu überwinden.

In der imperialistischen Epoche kann eine solche Struktur nur als Föderation sozialistische Staaten, unter der Führung von Arbeiter- und Bauernregierungen zustande kommen.

Das ist nur möglich, wenn die Imperialisten vertrieben werden, die großen Unternehmen und Banken der imperialen wie der „neuen“ Bourgeoisie und Großgrundbesitzer entschädigungslos enteignet werden.

Eine Arbeiter- und Bauernregierung würde die Arbeit unter allen Gesellschaftsmitgliedern aufteilen und einen von Räten demokratisch kontrollierten Plan zum (Wieder)aufbau der Infrastruktur und zu Reorganisation der Wirtschaft erarbeiten. Eine solche Arbeiterregierung müsste die bürgerlichen Staatsapparate zerbrechen, paramilitärische reaktionäre Verbände zerschlagen und ihre eigene Herrschaft auf Arbeiter- und Bauernräte und die allgemeine Volksbewaffnung stützen.

Solche Regierungen würden auch das Recht auf Selbstbestimmung für nationale Minderheiten bis hin zum Recht auf Lostrennung garantieren.

Natürlich wäre eine weitere Aufspaltung in Kleinstaaten ein vorübergehender Rückschritt, da das Ziel ja die Schaffung einer größeren Föderation ist. Aber es ist das geringere Übel gegenüber einer weiteren, staatlich erzwungenen Inkorporation einer unterdrückten Nation in einen bestehenden Staat.

Eine solche Föderation ließe sich letztlich nur im Bündnis mit den ArbeiterInnen ganz Europas, durch den Kampf gegen den EU- und US-Imperialismus und verbunden mit dem Kampf für Vereinigte Sozialistische Staaten Europas durchsetzen.

Ein Programm, das dieses Ziel verwirklichen will, muss den Kampf für unmittelbare demokratische und soziale Forderungen mit dem Kampf für die Machtergreifung der Arbeiterklasse verbinden.

Heute ist Kosova ein imperialistisches Protektorat. Jeder ernsthafte Kampf für „Selbstbestimmung“ und „Unabhängigkeit“ muss daher mit dem Kampf gegen imperialistische Besatzung und Plünderung des Landes beginnen!

Nein zum Athisaari-Plan und zur EU-Verwaltung! Sofortiger Abzug der NATO- und EU-Truppen! Nein zur Justiz- und Polizeimission der EU!

Für entschädigungslose Enteignung der imperialistischen Unternehmen unter Arbeiterkontrolle!

Die Imperialisten müssen gezwungen werden, Kosova und Serbien für die Schäden aus dem NATO-Angriffskrieg zu entschädigen!

Volles Selbstbestimmungsrecht der serbischen Minderheit bis hin zum Anschluss an Serbien, sofern sie das will!

Die Bevölkerung lebt in Armut, die Arbeiterklasse droht zu verelenden. Die Privatisierung ist dabei eine zentrale Frage. In den Betrieben sind Besetzungen notwendig, um Massenentlassungen zu verhindern und den Abtransport von Produktionsmitteln zu stoppen. Dazu ist die Arbeiterkontrolle über die Produktion, über die Geschäftsunterlagen und die Verträge der Regierung nötig.

Flankiert werden muss das u.a. mit einem Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten, für einen Mindestlohn und eine Mindestunterstützung für die Arbeitslosen in einer Höhe, die von den Gewerkschaften und der Bevölkerung in Basiskomitees festgelegt wird.

Die Arbeiterklasse verfügt momentan über keine Organisationen, die ihre Klasseninteressen zum Ausdruck bringen könnte oder in der Lage wären, ihre ökonomischen Interessen zu verteidigten.

Die Gewerkschaften sind nicht nur schwach, sondern vor allem an der Spitze von nationalistischen Organisationen beeinflusst, oft korrupt und von imperialistischen Institutionen und NGOs gekauft.

Die „Vereinigung der Gewerkschaften Kosovas“ (BSPK) muss von Kollaborateuren gesäubert werden, insbesondere von jenen, die in den Privatisierungsagenturen wie der AKM mitbestimmen und mitprofitieren.

In den letzten Monaten sind Teile der BSPK mit den Privatisierungsplänen in Konflikt geraten. Eine Mehrheit dürfte inzwischen die Privatisierung insgesamt ablehnen. Sie kooperiert mit der links-nationalistischen „Bewegung für Selbstbestimmung“ (LVP unter Albin Kulti, die den Athisaari-Plan und die imperialistische Besatzung ablehnt und im letzten Februar eine Demonstration mit rund 30.000 organisiert hatte.

So positiv diese Entwicklungen in der Gewerkschaft sind und die Aktionen der LVP einen progressiven und unterstützenswerten Charakter haben, so wenig lösen sie das entscheidende Problem der Arbeiterklasse - die Notwendigkeit, eine eigene politische Strategie zu entwickeln und eine Arbeiterpartei, die für die Enteignung der Imperialisten und Kapitalisten und für eine Arbeiter- und Bauernregierung, für ein sozialistisches Kosova als Teil einer Sozialistischen Balkanföderation, kämpft, aufzubauen. Dann werden wieder rote Fahnen wehen - ohne Doppeladler.

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