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EU-Reformvertrag

Imperiale Verfassung durch die Hintertür

Theo Tiger, Neue Internationale 127, März 2008

Nachdem die EU-Verfassung in den Referenden in Frankreich und in den Niederlanden abgelehnt wurde, kommt nun der „EU-Reformvertrag“ daher. Dieser soll die zentralen Ziele der gescheiterten Verfassung quasi durch die Hintertür einführen.

Während die EU-Verfassung in einigen Mitgliedsstaaten mit Volksabstimmungen durchgesetzt werden musste , da die nationale Verfassung außer Kraft gesetzt wird, verhindert nun der Reformvertrag mögliche Referenden; außer in Irland werden nur die Parlamente darüber entscheiden. So will man das Risiko einer erneuten Ablehnung umgehen und zugleich eine breite Diskussion über die EU-Politik verhindern. Zu lebhaft ist den EU-Politikern dafür noch die breite Kampagne in Frankreich in Erinnerung, welche die Linken in Gang gebracht hatten. Wenn dieses Potential bewusst zum Aufbau einer neuen, kämpferischen Arbeiterpartei genutzt worden wäre - was leider nicht geschehen ist - hätte das ein mächtiger Impuls für den Klassenkampf sein können.

Unter der deutschen Ratspräsidentschaft 2006 wurde der EU-Reformvertrag entwickelt. Ziel war es dabei, die zentralen Bestandteile der Verfassung und der Agenda von Lissabon nun auch als Grundlage des EU-Apparates durchzusetzen - mit allen rechtlichen, sozialen und militaristischen Folgen.

Durch die Ablehnung in Frankreich und in den Niederlanden hatte die EU eine Niederlage erlitten, die Transformation Europas zu einem geschlossenen imperialistischen Block unter Führung Deutschlands und Frankreichs war ins Stocken geraten.

Speziell die Abstimmungen im künftigen Ministerrat waren bis zuletzt ein Streitpunkt innerhalb der EU, wobei gerade die „Mittelmächte“ Polen und Spanien mehr Mitbestimmung einforderten. Mit komplexen Übergangsregelungen bis 2017 ist nun das Mehrheitsprinzip durchgesetzt (55% der Bevölkerung oder die Hälfte der Mitgliedsstaaten), womit die Kernmächte Europas Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien eigene Mehrheiten durchsetzen können.

Keine Diskussion unter den Mächtigen Europas gab es über den Inhalt der Verfassung oder des fast unveränderten Vertrages, nur 10 von 250 Vorschlägen wurden geändert. Das zeigt, dass man sich in den strategischen Fragen durchaus einig ist.

In der Agenda von Lissabon sind die allgemeinen Ziele einer imperialistischen EU klar definiert. Bis 2010 will die EU die USA als stärksten Binnenmarkt abgelöst haben und eigenständige Weltmachtpolitik betreiben. Im Vertragstext, in der Erklärung 30 zu Art. 104 hört sich das dann so an:

“In Bezug auf Art. 104 bekräftigt die Konferenz, dass die Wirtschafts- und Haushaltspolitik der Union und der Mitgliedsstaaten auf die beiden fundamentalen Ziele ausgerichtet ist, das Wachstumsziel zu steigern und eine solide Haushaltslage zu gewährleisten. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist ein wichtiges Instrument zur Durchführung dieser Ziele. In diesem Zusammenhang erneuert die Konferenz ihr Bekenntnis zu den Zielen der Lissabonner Strategie: Schaffung von Arbeitsplätzen, Strukturreformen und sozialer Zusammenhalt. (…) Deshalb muss die Wirtschafts- und Haushaltspolitik in Zeiten schwachen Wachstums die entsprechenden Prioritäten in Bezug auf Wirtschaftsreformen, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Steigerung der privaten Investition und des privaten Verbrauchs setzen.”

Die Agenda von Lissabon bedeutet Sozialabbau, Angriffe auf die Rechte der Beschäftigten, der Arbeitslosen, der Jugend und der Alten - dies ist auch der Kern des Reformvertrages. Mit ihm wird die nächste Phase einer imperialistischen EU eingeläutet. Die letzten 10 Jahre der Formierung der EU waren gekennzeichnet von scharfen Angriffen des europäischen Kapitals. In Deutschland stehen dafür die Agenda 2010, Hartz IV oder die Rente mit 67. Diese Angriffe gibt es in sehr ähnlicher Weise auch in allen anderen europäischen Staaten.

Sozialabbau nach innen, Krieg nach außen

Der Reformvertrag ist ein Plan zur Erringung einer Weltmachtstellung der EU. Neben den Profitinteressen der Bourgeoisie müssen dafür auch ihre strategischen militärischen Ziele umgesetzt werden, dazu gehört der Aufbau eines militärisch-industriellen Komplexes in Europa.

Gerade in der Militärpolitik haben die USA einen großen Vorsprung gegenüber der EU, daher ist der Aufbau eigener europäischer Truppenverbände und einer gemeinsamen Militärindustrie eines der wichtigsten Ziele der EU.

Für die Mitgliedsländer wurde in den Protokollen des Vertrages Folgendes festgehalten: Jedes Land muss seine

„Verteidigungsfähigkeiten durch Ausbau seiner nationalen Beiträge und gegebenenfalls durch Beteiligung an multinationalen Streitkräften, an den wichtigsten europäischen Ausrüstungsprogrammen und an der Tätigkeit der Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung (Europäische Verteidigungsagentur) intensiver (…) entwickeln und spätestens 2010 über die Fähigkeit (…) verfügen, entweder als nationales Kontingent oder als Teil von multinationalen Truppenverbänden bewaffnete Einheiten bereitzustellen, die auf die in Aussicht genommenen Missionen ausgerichtet sind, taktisch als Gefechtsverband konzipiert sind“ (Protokoll 1 zur strategischen Zusammenarbeit nach Art. 28a des EU-Reformvertrages).

Die EU formiert sich als militärischer Block. Dazu baut sie „Battle Groups“ mit 60.000 Soldaten auf, die innerhalb von 14 Tagen global einsatzfähig sein sollen. Dazu forciert sie eine gemeinsame Aufrüstungspolitik, die an Projekten wie dem „Eurofighter“ oder dem Airbus 380M deutlich wird.

Die ersten Militäraktionen der EU wie in Mazedonien 2006 oder die Missionen in Afrika im Kongo und jetzt im Tschad zeigen, dass die EU versucht, unabhängig von der NATO Protektorate/Halbkolonien zu besetzen und somit auch ohne und gegebenenfalls auch gegen die USA ihren militärischen Einfluss auszubauen.

Natürlich sind dabei die geostrategischen Interessen des europäischen Kapitals entscheidend für die künftigen Einsatzgebiete. Zu diesen gehören der gesamte Mittelmeerraum, der sich durch angrenzende Gebiete nach EU-Jargon über Afrika, den Nahen und Mittleren Osten und Zentralasien erstreckt. Dort will die EU bis 2010 zumindest auf gleicher Augenhöhe mit den USA konkurrieren.

In Europa ist das Kosovo ein weiteres Beispiel des europäischen Imperialismus. So haben Deutschland und Frankreich ihre unilaterale Anerkennung des Kosovo durchgewunken, die beiden Führungsmächte wollen die Aufsplitterung Serbiens weiterführen und ein willfähriges Protektorat Kosovo als EU-Halbkolonie. Innerhalb der EU gab es aber eine Fraktion der Gegner einer vorzeitigen Anerkennung - angeführt von Spanien, Griechenland und Großbritannien, welche gerade mit Blick auf die unterdrückten Nationalitäten in ihren eigenen Ländern die Anerkennung des Kosovo ablehnten, weil sie einen Dominoeffekt befürchten.

Innerhalb der EU gibt es zum einen den Führungsanspruch Deutschlands und Frankreichs, zum anderen um Großbritannien einen Block mit atlantischer Anbindung, welcher die politische und militärische Ausrichtung der EU eher blockiert und somit auch den Ausbau der EU zum imperialistischen Superstaat. Aber auch zwischen Deutschland und Frankreich gibt es Unterschiede, wie die von Sarkozy angedachte Mittelmeerunion im Jahr 2007 zeigt.

Erst als Kanzlerin Merkel allen Mitgliedern der EU (speziell der BRD) die Mitgliedschaft in der Mittelmeerunion freiboxte, war dieses französische imperialistische Projekt beendet und auch klar geworden, welche Reihenfolge innerhalb der EU gilt.

Volksabstimmungen

Dieser Vertrag wird an der Bevölkerung vorbei in den Parlamenten entschieden, um die imperialistischen Zielsetzungen festzuschreiben und die Bürokratie nach den Vorstellungen der Kernmächte zu reformieren.

Wir treten für das Recht auf Volksabstimmung ein, weil hier genau wie bei der gescheiterten Verfassung nun ein multinationales „Reformpaket“ verabschiedet wird, welches die nächsten Angriffe auf die Ausgebeuteten in Europa einleitet und die nächsten militärischen Interventionen vorbereitet.

Doch im Gegensatz zu manch kleinbürgerlichen oder reformistischen „EU-Skeptikern“ sehen wir nicht das Konstrukt EU als Hauptproblem. Daher hilft auch kein Austritt aus der EU oder die Hoffnung auf ein „soziales Europa“. Das Problem des EU-Reformvertrages und der Agenda von Lissabon ist die kapitalistische Herrschaft in der EU, ist ihr imperialistischer Charakter.

Als MarxistInnen können wir nicht auf nationalstaatlichen und sozialstaatlichen Hoffnungen verharren. Der Kampf der ArbeiterInnen und der Jugend hat überall in Europa den gleichen Charakter. Deswegen wollen wir in Referenden gegen den kapitalistischen und imperialistischen Charakter der EU mobilisieren und wie in Frankreich und den Niederlanden der europäischen Bourgeoisie eine Niederlage zufügen.

Für vereinigte sozialistische Staaten von Europa!

Im Gegensatz zu den reformistischen und pazifistischen Illusionen glauben wir nicht an ein „soziales Europa“ wie die LINKE oder Attac. Daher brauchen wir auch keine „alternative Verfassung“, sondern einen entschlossenen internationalistischen Abwehrkampf gegen die europäische Bourgeoisie.

Das europäische Kapital formiert sich als imperialistischer Block nach außen und als repressiver neoliberaler Block nach innen. Dagegen müssen wir uns als AntikapitalistInnen und AntiimperialistInnen formieren, müssen beim diesjährigen Europäischen Sozialforum in Malmö den aktiven und kämpferischen Widerstand gegen die EU des Kapitals zusammen führen.

In Europa müssen wir den Aufbau von revolutionären Organisationen der Arbeiterklasse und der Jugend voran bringen, müssen der reformistischen Führung der Arbeiterklasse eine revolutionäre Alternative entgegen stellen!

Unsere Alternative zur neoliberalen, rassistischen und aggressiven imperialistischen EU ist nicht die Illusion eines sozialen Europa auf kapitalistischer Grundlage. Wir kämpfen für die Perspektive des revolutionären Sturzes des Kapitalismus und der sich auf freiwilliger Basis zusammenschließenden Arbeiterstaaten - die Losung der vereinigten sozialistischen Staaten von Europa!

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Nr. 127, März 2008
*  Vollstreik - der einzige Weg zum Sieg!
*  Streiks im Einzelhandel
*  8. März: Frauenbefreiung und Revolution
*  EU-Reformvertrag: Imperiale Verfassung durch die Hintertür
*  Die Linke: ... und ihre Wasserträger
*  Weltwirtschaft: Bankendämmerung
*  Kosovo/Kosova: Nein zum EU-Protektorat!
*  Faschismus: Ausweg in die Hölle
*  Heile Welt
*  Naher und Mittlerer Osten: Gegen imperialistischen Krieg und Besatzung!