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Anti-Kapitalistische Linke

Schönredner der Linkspartei

Martin Mittner, Neue Internationale 124, Oktober 2007

Nachdem die Euphorie der Führungsriege über die Fusion und die Gründung der Partei DIE LINKE verflogen ist, beginnen sich die Oppositionellen in der Partei zu positionieren.

Am 20. September veröffentlichte der Sprecherrat der „Antikapitalistischen Linken“ (AKL) - Wagenknecht, Pflüger, Lösing, Jelpke, Gleiss, Hirsch -  den Aufruf „Für eine antikapitalistische Politik und Praxis in und mit der neuen Partei DIE LINKE.“ Gleich vorweg: Wer eine Kritik an der Anpassung der Parteiführung an SPD und Gewerkschaftsbonzen, am bürgerlichen Programm oder auch nur einen Aufruf zur organisierten Oppositionsbildung erwartet hatte, der sah sich wieder einmal getäuscht!

Die Wirklichkeit zurechtbiegen

Verwunderlich ist das Ergebnis jedoch nicht. Schon nach dem Dortmunder „Programmparteitag“ im März und erst recht dem Gründungsparteitag hatten sich diese Oppositionellen politisch zurechtgebogen und das als Erfolg deklariert.

Von der realen Praxis der LINKEN an der Regierung, davon, dass sie Hartz IV und andere Gesetze mit umsetzen, gehen diese Oppositionellen natürlich nicht aus. Lieber konstruieren sie sich die LINKE als Partei des Aufbruchs.

Dabei werden erstens politische Selbstverständlichkeiten sogar für einigermaßen konsequente DemokratInnen oder linke ReformistInnen zu einer politischen Großtat hochstilisiert. Die Ablehnung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan - sogar (!) unter UN-Mandat - wird zum anti-militarischen Heldenepos:

“Die AKL und ihre UnterstützerInnen haben mit dafür gesorgt, dass diese konstruktive Rolle als Störenfried des Neoliberalismus durch DIE LINKE eingenommen werden konnte. Gemeinsam haben wir unter anderem erreicht, dass im Verlauf des Parteibildungsprozesses die Ablehnung der Teilnahme der Bundeswehr auch an UN-mandatierten Militäreinsätzen nach Kapitel VII der UN-Charta, die Forderung nach Vergesellschaftung von Schlüsselbereichen der Wirtschaft, der Widerstand gegen Privatisierungen sowie die Verankerung von ersten Mindestbedingungen für Regierungsbeteiligung in den Programmatischen Eckpunkten aufgenommen werden mussten.”

Schon im Juni hatte die AKL außerdem die Erfolge der Mindestlohnkampagne der LINKEN erkannt. „Die Mindestlohnkampagne hat eindrucksvoll bewiesen, wie sich auf diese Weise Druck auf die herrschenden Parteien aufbauen lässt.”

Dabei "vergessen" sie, dass Lafontaine auf Bsirskes Anraten durchgesetzt hatte, dass WASG und PDS ihre Mindestlohnforderung auf ein „realistisches“, auch für die PIN-AG und die deutsche Post akzeptables Maß von 8 Euro/Stunde reduzieren.

Die Kampagne hat offensichtlich so viel Druck aufgebaut, dass der Berliner SPD/LINKE-Senat weiter öffentliche Aufträge an Unternehmen vergibt, die unter Tarif zahlen. Überhaupt offenbart diese Einschätzung, dass der politische Kampf für die AKL v.a. im Parlament stattfindet, anstatt durch Mobilisierungen auf der Strasse, im Betrieb und in den Gewerkschaften.

Der politische Fehler der AKL und anderer Linker in der LINKEN liegt darin, dass sie die reale Funktion, den Klassencharakter der Partei nicht analysieren und schon gar nicht benennen.

Klassencharakter

So wird unterstellt, dass „die Gründung der Partei DIE LINKE“ „das politische Kräfteverhältnis schon heute verändert habe.“ In eine ähnliche Kerbe schlägt auch die SAV im Beitrag „Die Linke braucht eine sozialistische Politik“ von Sascha Stanicic. Dort heißt es: „ Die neue Partei ist, als Folge der WASG-Gründung, Produkt der Massenproteste gegen die Agenda 2010 und kann sich auf ein verändertes Massenbewusstsein stützen, welches sie wiederum in ihrem Auftreten nach links verschiebt. (...) Die Existenz der neuen Partei wandelt diese Stimmung in begrenztem Maße in Druck.“

In Wirklichkeit ist die Sache jedoch etwas komplexer. Die WASG war in der Tat im Gefolge von Absetzbewegungen von der SPD und eines Anwachsens von Bewegungen gegen die Regierungspolitik entstanden (1. November 2003, April 2004, Montagsdemos). Aber es waren auch Bewegungen, die nur ein spontanes Aufbegehren darstellten und in Niederlagen endeten.

Rasch war klar, dass trotz der Intervention verschiedener Linken (und - siehe Linksruck - z.T. auch durch ihre Unterstützung) der Charakter der WASG und danach der LINKEN als reformistischer, also bürgerlicher Arbeiterpartei entschieden war.

Es ist ja schön, dass seit Parteigründung 4.000 neue Mitglieder beigetreten sind. Erwähnt wird aber nicht, dass das an der Dominanz durch die Bürokratie in der Partei gar nichts ändert. Erwähnt wird nicht, dass mehr als die Hälfte der WASG-Mitglieder die Fusion nicht mitgemacht haben.

Die zentrale Funktion dieser Partei besteht nicht darin, das Kräfteverhältnis nach links zu verschieben, sondern real vorhandenen Unmut, Protest in parlamentarische Kanäle laufen zu lassen, sie letztlich zu befrieden und im Rahmen des Systems zu stabilisieren.

Daran ließen die führenden Kräfte - der Parteiapparat und die Linksfraktion im Bundestag - auch nie einen Zweifel. Lafontaine stand und steht zum sozialdemokratischen Wahlprogramm von 1998, er steht zur "Fremdarbeiterrede" und er steht letztlich auch zur Berliner Koalition, selbst wenn er die Berliner Parteifreunde für allzu neoliberal angehaucht, vor allem aber für politische Tölpel halten mag.

Bezeichnend - und ganz und garnicht in die Legendenbildung vom tollen Programm der LINKEN passend - ist die Tatsache, dass das Gründungsprogramm der Partei z.B. bei der Anerkennung des ökonomisch dynamisierenden Charakters der Marktwirtschaft eine Rechtsentwicklung gegenüber den Programmen von WASG und PDS darstellt.

So heißt es in den Eckpunkten des Dortmunder Parteitages vom März 2007:

“Gewinnorientiertes unternehmerisches Handeln ist wichtig für Innovation und betriebswirtschaftliche Leistungsfähigkeit, führt jedoch zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen, zunehmender sozialer Ungleichheit und Spaltung, wenn es nicht gesellschaftlichen Schranken und Regeln unterworfen wird. Deshalb strebt DIE LINKE eine neue sozial-ökologische Rahmensetzung für die Marktmechanismen an, weil ohne Mitbestimmung, gewerkschaftliche Gegenmacht und sozialstaatliche Regulierung private Unternehmerinteressen zu volkswirtschaftlich, sozial und ökologisch verlustreichen Fehlentwicklungen führen.”

Hier scheint die steinalte sozialdemokratsiche Illusion durch, die anarchische Konkurrenzwirtschaft durch den Staat sozial zügeln zu können. Doch die Globalisierung zeigt, dass unter dem Druck der Verwertungskrise und schärferer Konkurrenz der Trend gerade in die andere Richtung geht: zu Sozialabbau, Deregulierung und Privatisierung. Und der Staat entpuppt sich dabei nicht als Gegengewicht, sondern als Instrument zur Durchsetzung der Interessen der Bourgeoisie und nicht als Mittel der "Zivilgesellschaft".

Was die LINKE will, ist eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene. Auf dem Boden obiger Charakterisierung der Marktwirtschaft und des in der Partei längst kanonisierten Parlamentarismus ist das auch nur konsequent und folgerichtig. Wer kein Programm zur Überwindung des Systems entwickelt, kann letztlich auch nur illusionären Verbesserungen im Rahmen des Bestehenden hinterherjagen, der muss, nimmt er seine Politik ernst, letztlich das Mitregieren anstreben.

Es ist auch kein Wunder, dass die Momente realer Radikalisierung nach links, realer Verschiebungen des Kräfteverhältnisses, Entwicklung von Bewusstsein unter einer größeren Anzahl von AktivistInnen z.B. in Heiligendamm oder auch die zersplitterten Kämpfe oppositionellen GewerkschafterInnen wie bei Daimler nicht erwähnt werden.

Diese oppositionellen Kräfte sind in ihrer realen Praxis auch mit der LINKEN als politischem Gegner konfrontiert, denn die LINKE agiert oft genug als Befürworterin diverser „Sicherheitspartnerschaften“ mit den Bullen, als mitregierende Partei trägt sie Privatisierungen und Lohndrückerei mit, als linker Flügel des Gewerkschaftsapparates wiegelt sie Mobilisierungen ab und blockiert einen energischen Kampf gegen den sozialdemokratischen Apparat im DGB - sie agiert also in der Praxis dort nicht sehr anders als die Rechteren.

Diese Fakten müssten also zu einer ganz anderen, ungeschönten Bewertung der Partei führen. Vor allem müßten sie auch zu anderen taktischen und organisationspolitischen Schlussfolgerungen führen, als bei der AKL.

Taktik

Natürlich bedarf es weiter der „anti-kapitalistischen Linken“, so die AutorInnen. Die SAV fordert zusammen mit anderen gar eine „Koordination der sozialistischen Kräfte“ in und außerhalb der LINKEN.

Während die AKL gern zwischen unterstellter Tendenz und Rolle der LINKEN als „Störenfried des Neoliberalismus“ unterscheidet und die Regierungsbeteiligung in Berlin als „noch“ vorhandene Abweichung hinstellt, pflegt die SAV gern den Gegensatz von Ost und West. Insgesamt und im Westen wäre sie nämlich „Ausdruck der anti-neo-liberalen Massenstimmung.“ Im Osten jedoch nicht, dort müsste sie politisch bekämpft werden. Das ist natürlich die in sich widersprüchlichste aller Taktiken - so zu tun, als hätte die LINKE keinen Klassencharakter, welcher der Gesamtheit ihrer Politik den Stempel aufdrücken würde; so zu tun, als würden „im Westen“ andere Machtverhältnisse die Politik der Linken determinieren als „im Osten“ oder in der Gesamtpartei. Es ist vollends absurd - schlägt man schon den Kurs auf einen Kampf in der LINKEN ein - ausgerechnet dort nicht in der LINKEN zu arbeiten, wo sie eine Massenmitgliedschaft hat, nämlich im Osten.

Aber solche inneren Widersprüchen stören weder SAV, noch AKL, isl oder sonstige Linke in der LINKEN. Es gibt nämlich eine Übereinstimmung, die mehr sagt als alles andere.

Die AKL will zwar weiter bestehen, aber nicht als organisierte Opposition:

„Wir streben dabei allerdings keine Etablierung als Zusammenschluss auf Grundlage von §7 des Statuts (Recht auf Strömungsbildung ab gewisser Größe, d.Red.) innerhalb der neuen Partei DIE LINKE an. Anstelle des Aufbaus eines solchen formalisierten bundesweiten Zusammenschlusses oder der weiteren Anmeldung entsprechender Zusammenschlüsse auf Länderebene orientieren wir wie bisher auf eine offene Verständigung von antikapitalistisch orientierten Kräften in- und außerhalb der LINKEN. Die Unterzeichnung des Aufrufs 'Für eine antikapitalistische Linke' stellt somit keinen Beitritt in eine parteiinterne Struktur dar, sondern zeigt die Unterstützung für die genannten Forderungen an, für die wir gemeinsam mit aller Kraft kämpfen wollen. Wer mit einer Unterschrift unter den Aufruf 'Für eine antikapitalistische Linke' seinen Willen bekundet, sich dieser Herausforderung zu stellen, ist dazu aufgefordert, in diesem Sinne in die Parteidebatten zu wirken und hierfür BündnispartnerInnen in- und außerhalb der Partei zu suchen.”

Lassen wir einmal beiseite, dass selbst §7 nicht mit einem Recht auf Fraktions- oder Tendenzbildung gleichzusetzen ist und den Ausschluss einer Strömung gestattet, wenn sie das reformistische Parteiprogramm nicht anerkennt, so könnte es zumindest für „Oppositionelle“ als Formierungsplattform dienen.

Das lehnt die AKL jedoch ab. Wozu auch? Wenn die Partei ohnedies ihren „richtigen Weg“ geht, braucht es auch keinen organisierten Kampf gegen die Parteibürokratie, sondern einfach koordinierte „Beratertätigkeit“ und individuelles „Einbringen“ links-reformistischer Aufrufe.

Die Linke in der LINKEN ignoriert also nicht nur den Klassencharakter der Partei, sondern ignoriert auch, dass die Parteiführung und der Apparat bewusst und organisiert bürgerliche Politik verfolgen und durchsetzen.

Dementsprechend geht es ihr auch nicht darum, andere Forderungen, Ziele oder gar Kampfmethoden - also ein alternatives Programm - gegenüber den Vorständen einzubringen. Es geht ihr nicht darum, eine Politik, eine Programmatik, eine Praxis zu entwickeln, die „Tagesforderungen“ mit dem Kampf für den Sozialismus verbindet. Vielmehr heißt es in der Erklärung der AKL, dass sie „grundsätzliche Kapitalismuskritik“ und „eine Systemalternative“ wieder in die „öffentliche Debatte“ bringen will.

Das hört sich verglichen mit dem Mainstream in der LINKEN zwar radikal an. In Wirklichkeit ist es aber nur eine Abart der sozialdemokratischen Trennung von „Tagesfrage“, der tagtäglichen Arbeit für „konkrete Reformschritte“, politische und ökonomische Teilziele einerseits und einer abstrakten Propagierung des sozialistischen Endziels. War letzteres in der traditionellen Sozialdemokratie Sonntagsreden und Maifeiern vorbehalten, so soll es in der AKL in die „öffentliche Debatte“ Eingang finden.

Eine Opposition, die von solchen Vorstellungen ausgeht, braucht kein Vorstand der Welt zu fürchten. Sie gibt sich schon im Voraus geschlagen, ja mehr noch, sie ist selbst eine willkommene Hilfstruppe der Parteiführung, die so immerhin Pluralität und Demokratie in der Partei belegen kann, während der Apparat alle Fäden in der Hand hält.

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Nr. 124, Oktober 2007
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