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Erfolg der niederländischen SP

Rote Tomaten wachsen

Hannes Hohn, Neue Internationale 116, Dezember 2006/Januar 2007

Schon einmal hatten die HolländerInnen für Schlagzeilen gesorgt, als sie vor einigen Monaten im Referendum über die EU-Verfassung mit Nein gestimmt hatten. Am 22. November 2006 folgte nun mit dem Erfolg der Sozialistischen Partei (SP) bei den Parlamentswahlen der zweite Streich.

Die wegen diverser Wurf-Attacken gegen bürgerliche Politiker als „Partei der roten Tomaten“ bezeichnete SP holte 26 von 150 Sitzen und wurde mit knapp 17 Prozent drittstärkste Kraft. Bemerkenswert dabei: sie konnte ihre Stimmenzahl verdreifachen!

Ihren Zuwachs erreichte die SP zum großen Teil auf Kosten der sozialdemokratischen Partei (PvdA), die als Favorit gehandelt wurde, jedoch nur 32 ihrer 42 Sitze verteidigen konnte. Doch was bringt dieser Wahlerfolg der SP für die Entwicklung des Widerstands gegen Neoliberalismus und Kapitalismus?

Das Wahlergebnis kam nicht ganz überraschend. In den letzten Jahren war die Regierung aus den Christdemokraten (CDA) von Premier Balkenende und der Rechtsliberalen VVD auf offen neoliberalem Kurs. Schon vor Jahren wurde - ähnlich wie hier - der Arbeitsmarkt „reformiert“, wodurch ein großer, sozial ungeschützter Billiglohnsektor entstand. Auch die Privatisierung öffentlicher Bereiche wurde vorangetrieben und ein neoliberaler Umbau des Gesundheitswesens durchgeführt. Noch am Vortag der Wahl wurde die staatliche Post verscherbelt.

Diese angespannte soziale Atmosphäre führte zu einer Politisierung und Polarisierung in den Niederlanden. Der Aufstieg des rechtskonservativen Pim Fortuyn vor einigen Jahren, die Ermordung des Filmemachers van Gogh und eine Reihe rassistischer und antiislamischer Aktionen sowie die Proteste dagegen verweisen darauf, dass das oft beschworene „multikulturelle“ Miteinander der holländischen Gesellschaft unter dem zunehmenden sozialen Druck zu erodieren droht.

Es gibt einen Drall nach Rechtsaußen, rassistische Ideen setzen sich in den aufbrechenden Rissen der Gesellschaft fest. Der Erfolg der rechtsextremen „Gruppe Wilders“, die bei den Wahlen neun Sitze errang, belegt diesen Trend. Sie hatte vor einem „Tsunami der Islamisierung“ gewarnt und damit offen rassistisch ausgedrückt, was auch den Mainstream der bürgerlichen Politik und der Medien prägt.

Auf der anderen Seite gibt es eine - verglichen mit dem Rechtstrend auch stärkere - Polarisierung nach links. Das Nein zur EU-Verfassung und der Erfolg der SP bei den Wahlen sind dabei nur einige Wegmarken.

Die Sozialistische Partei

Die Entwicklung der SP in den letzten Jahren widerspiegelt nicht nur die Polarisierung in Holland; sie ist auch ein Beispiel dafür, dass eine Partei, die in Klassenkämpfe mobilisierend eingreift und sich nicht wie hierzulande PDS oder WASG hauptsächlich auf den Parlamentarismus orientiert, erfolgreich sein kann.

Wenn dann Wolfgang Gehrke vom PDS-Bundesvorstand den SP-Erfolg als Beweis dafür nimmt, wie erfolgreich auch die vor der Fusion stehenden WASG und PDS in Deutschland sein könnten, dann liegt er damit ziemlich daneben, weil die SP Hollands eben nicht wie die Berliner PDS mitregiert, sondern gegen die Regierung mobilisiert hat.

Dabei ist die SP eine linksreformistische und keineswegs eine revolutionäre Kraft. Das wird auch an ihrem „Minimalprogramm für eine sozialistische Niederlande“ deutlich, das den Sozialismus nur als abstraktes Fernziel proklamiert, ansonsten aber nur Reformschritte vorsieht und keine Übergangsforderungen, welche die Frage der Macht aufwerfen, enthält.

Die SP wurde 1972 als maoistische Partei gegründet. Mit der fortschreitenden Krise Chinas und dessen pro-kapitalistischer Entwicklung löste sich die SP vom Maoismus. Doch warum geriet die SP - im Unterschied zu anderen Mao-Gruppen Westeuropas - aber nicht in eine Krise, sondern behauptete sich?

Die SP engagierte sich stark in sozialen Konflikten auf kommunaler Ebene, wo sie seit Jahren auch etliche Abgeordnete stellt, und im Gesundheitswesen. Es ist kein Zufall, dass die SP in den letzten 15 Jahren von 15.000 auf über 45.000 Mitglieder gewachsen ist - darunter ca. 40 Prozent Frauen und viele Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen. Die Analysen zeigen, dass die WählerInnen der SP vor allem aus der Arbeiterklasse und der „Unterschicht“ kommen. Gerade in den sozial deklassierten Bereichen des Proletariats hat die Sozialdemokratie massiv eingebüßt.

Nicht der Abschied vom - selbst als „bolschewistisch“ bezeichneten - Parteikonzept, sondern vielmehr eine klare Hinwendung der SP zu gesamtgesellschaftlichen Themen anstelle ihres früheren „Kommunalismus“, ihre zumindest abstrakt aufrecht erhaltene Orientierung auf den Sozialismus und ihre interventionistische Ausrichtung bewirkten diesen Aufschwung. Die maßgeblich von der SP getragene Nein-Kampagne ist dafür genauso ein Beleg wie die Massendemonstration von über 300.000 gegen die Sozialabbau-Politik der Regierung 2004, in der die SP eine maßgebliche Rolle spielte.

Welches Programm?

Der Aufstieg der SP und die Verluste der Sozialdemokratie in Holland verweisen auf einen europaweiten Trend: die Massen und insbesondere die Vorhut der Arbeiterklasse wenden sich enttäuscht von „ihrer“ alten Sozialdemokratie ab und suchen nach einer linkeren, kämpferischeren Partei.

Ob in Frankreich die Erfolge „trotzkistischer“ Zentristen bei Wahlen oder bei der NON-Kampagne, ob in Britannien die Abwendung von Labour oder in Deutschland die Verluste der SPD und die Entstehung der WASG - all diese Entwicklungen deuten darauf, wie notwendig und zugleich real es ist, auf den Aufbau neuer Arbeiterparteien zu orientieren, die bereit und in der Lage sind, den Kampf gegen die allgegenwärtigen neoliberalen Angriffe zu führen und zugleich eine antikapitalistische Perspektive zu weisen.

Trotz ihres Aufstiegs: Die holländische SP ist keine solche Partei. Mit ihren Erfolgen hat sie sich nun selbst in eine Situation manövriert, in der mit Kommunalpolitik oder mit außerparlamentarischen Aktionen allein kaum ein weiterer Fortschritt möglich ist. Wie hier die PDS steht nun auch die SP vor der Frage, ob man mitregieren soll oder nicht. Diese Frage ist auch deshalb akut, weil kaum eine denkbare Regierungs-Konstellation über eine Mehrheit verfügen würde und von daher instabile Regierungen, Minderheitskabinette und Duldungsmodelle wahrscheinlich sind.

Regierungsfrage

Doch die Aussagen von SP-Chef Jan Marijnissen machen wenig Hoffnung, dass die holländischen Sozialisten einen anderen Weg einschlagen werden als die PDS. Was Marijnissen sagt, hat Gewicht; nicht nur, weil er sehr populär ist und als redegewandter Anwalt der Interessen der „kleinen Leute“ gilt. Vor allem ist die SP ganz auf ihn zugeschnitten. Als er kurz nach der Wahl gefragt wurde, ob die SP bereit wäre, sich an einer „Linkskoalition“ - die natürlich eine bürgerliche Regierung wäre - beteiligen würde, antwortete Marijnissen: „Das ist durchaus möglich.“

Diese Perspektive entspricht durchaus der politischen Strategie der SP. Trotz ihrer Abkehr von maoistischen Etiketten hat sich ihre politische Methode nicht grundsätzlich geändert. Ihr Programm beruht - wie jedes stalinistische Programm - auf einem Etappenmodell. Dabei steht das abstrakte „Maximalziel“ Sozialismus völlig unverbunden neben den „Minimalzielen“, das auf Tageskämpfe für begrenzte Teilziele im Rahmen des Kapitalismus hinausläuft. Das Fehlen einer methodischen Verbindung von Alltagskämpfen mit der Perspektive der Machtergreifung des Proletariats führt solche Parteien dann fast zwangsläufig dazu, sich als Mittel ihrer linken „Reformpolitik“ nach einer Regierungsbeteiligung umzuschauen. Wem die Vorstellung einer Arbeiterregierung fremd ist, dem bleibt als Mittel zur Durchsetzung seiner Politik eben nur die bürgerliche Regierung übrig …

Die Politik der SP enthält neben vielen richtigen Forderungen wie der nach Abzug der Oranje-Truppen aus dem Ausland und jenen gegen Sozialabbau aber auch populistische Positionen wie die nach Einführung einer Einwanderungspolitik, die zwar ein partielles Bleiberecht für AsylbewerberInnen vorsieht, aber genau wie andere bürgerliche Parteien auch restriktive Maßnahmen vorsieht. Linke KritikerInnen und ImmigrantInnen haben diese Vorschläge deshalb auch mit Recht „Rassismus light“ genannt.

Die Politik der SP enthält natürlich auch den ganzen Katalog linksreformistischer Maßnahmen zur Rettung des „Sozialstaats:“ Steuererhöhungen für die Reichen, Förderung des Binnenmarkts und der Kaufkraft, Hilfen für Kleinunternehmen usw. Da ist zwischen dem deutschen Oskar und dem holländischen Jan wenig Unterschied.

Welche Perspektive?

Auch in den Niederlanden werden der Druck der Globalisierung und die Krise des Kapitalismus die Herrschenden zu weiteren neoliberalen Angriffen animieren. Insofern sind die Arbeiterklasse und die Massen auch zum Widerstand dagegen gezwungen. Die absehbar instabilen Regierungs-Konstellationen werden dabei für die Bourgeoisie ein Problem sein, weil ihnen ein stabiles politisches Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen fehlt. Das geringer gewordene Vertrauen der Massen in das demokratisch-parlamentarische System wird dadurch eher noch weiter schwinden.

Die entscheidenden Fragen - nicht nur für die holländische Arbeiterklasse - werden deshalb folgende sein:

Gelingt es, die vorhandenen Ansätze für Protest und Widerstand zu einer allgemeinen, an der Basis, in Betrieben und Gewerkschaften, in der Jugend und unter den ImmigrantInnen verankerten Aktionsstruktur zu vereinen? Diese Bewegung muss die Kämpfe vorantreiben - mit dem Ziel des politischen Massenstreiks und der europaweiten und internationalen Koordinierung des Widerstandes.

Kann eine politische Opposition aufgebaut werden, die ein alternatives Kampfprogramm erarbeitet, welches eine Perspektive zur Machtergreifung weist und die opportunistischen Fehler der SP-Politik schonungslos offen legt? Diese Opposition muss vor allem in einer Frage ganz klar sein: in der Regierungsfrage! Nicht das Mitregieren muss ihr Ziel sein, sondern die Organisierung von Widerstand gegen die Regierenden und das Kapital!

Wenn man sich unter diesem Aspekt verschiedene Gruppen der „radikalen Linken“ anschaut, die in der SP aktiv sind, wird allerdings schnell klar, dass deren Ambitionen eher im Anpassen an die trügerischen Hoffnungen in die SP bestehen, als im Bekämpfen derselben. Ähnlich Linksruck oder SAV in Deutschland in der WASG wird die Politik Marijnissens oft unkritisch verteidigt oder ihm ein Hintertürchen zum Mitregieren offen gelassen, indem man sagt, man dürfe sich nur an Regierungen beteiligen, die keinen Sozialabbau betreiben. Für diesen netten Interpretationsspielraum seitens der Linken kann sich die SP-Führung schon jetzt bedanken.

Vor allem fehlen den „revolutionären Linken“ in der SP ein alternatives revolutionäres Programm und eine Kampfperspektive, auf denen eine überzeugende Opposition formiert werden könnte, die in der SP offen für eine revolutionäre und internationalistische Ausrichtung kämpft.

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Nr. 116, Dez. 2006/Jan. 2007

*  2007: Neue Jahr - neue Kämpfe
*  Rente mit 67: Massenstreiks gegen Renten-Demontage!
*  Stuttgart: Erfolgreiche Aktionen gegen Rentenreform
*  WASG-Parteitag: Point of no return
*  Perspektive: Netzwerk Linke Opposition aufbauen!
*  Deutsche EU-Präsidentschaft: Der Hindukusch ist nicht genug
*  Anti-G8-Mobilisierung: Klüngelei oder Kampf?
*  Landwirtschaft: Grüne Gentechnik - kapitaler Blindflug
*  Heile Welt
*  Erfolg der niederländischen SP: Rote Tomaten wachsen
*  USA nach den Wahlen: Bushs letzte Tage?