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Schweden

Nach der Wahl ist vor dem Kampf

Per  Johansson, Neue Internationale 114, Oktober 2006

Die Wahlen 2006 gerieten zu einer herben Niederlage für die organisierte Arbeiterbewegung - auf nationaler, regionaler und Gemeindeebene.

In 12 Jahren haben sie gemeinsam mit der Grünen Partei eine bürgerliche Politik mit schmerzlichen Einschnitten auf verschiedenen Ebenen durchgeführt - alles um den schwedischen und europäischen Kapitalismus zu unterstützen.

Angesichts der Untätigkeit der Reformisten, die wie Göran Persson dachten, die Wahlen seien mit einigen Miniversprechen zu gewinnen, überrascht der Erfolg der Bürgerlichen nicht mehr so sehr. Das Bündnis der offen bürgerlichen Parteien konnte sich stattdessen erfolgreich als die Kraft profilieren, die sich um Arbeitslosigkeit und junge Leute sorgt. Reinfeldt und Konsorten stahlen eines der klassischen Themen der Arbeiterbewegung und brachten genug Menschen dazu, zu glauben, sie seien diejenigen, die dieses Problem lösen können.

Die sozialdemokratische Regierung war unfähig, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Die entstandenen Arbeitsplätze waren hauptsächlich Folge eines konjunkturellen Hoch, nicht einer offensiven Arbeitsmarktpolitik.

Beispiel Rosengård

Rosengård, ein Teil von Malmö, das so etwas wie ein Mediensymbol für die Abtrennung und Isolierung vor allem von ImmigrantInnen vom Rest der Gesellschaft. In einigen Kreisen Rosengårds erreicht die Arbeitslosenziffer 90%. Über 50% der SchülerInnen verlassen die Schule ohne Abschluss. Hier leben 75% der Kinder laut einer Kinderhilfsorganisation unter der Armutsgrenze.

Anstatt gegenzusteuern, haben die sozialdemokratischen Kommunalpolitiker aber immer versucht, die Haushaltsgrenze nicht zu überschreiten. Kurz nach der letzten Wahl 2002 beschlossen die Sozialdemokraten zusammen mit der Linkspartei bei zwei Anlässen, alle Jugendaktivitäten im Tegelhuset, früher ein Jugendzentrum, einzustellen. Fast die Hälfte der Bevölkerung von Rosengård ist unter 19 Jahre alt. Als das Budget Rosengårds 2004 rote Zahlen aufwies - 23 Millionen SKr - wurden Stellen im Sozialbereich gestrichen. Projekte für Rentner wurden auch geschlossen.

Sparpolitik ist ganz unumwunden die Methode der sozialdemokratischen und der Linkspartei im Umgang mit den Problemen gewesen. Der frühere Vorstand der Gemeinde in Malmö, der Sozialdemokrat Ilmar Reepalu, hat bei verschiedenen Gelegenheiten einen „Einwanderungsstopp“ gefordert, statt gegen die Verelendung vorzugehen - eine Politik, die offensichtlich den in den Schwedendemokraten organisierten konsequenten Rassisten in die Hände spielt.

In diesem Zusammenhang ist die von der Linkspartei geäußerte Forderung nach 200.000 neuen Arbeitsstellen im öffentlichen Sektor auf völlig abstrakte und hohle Weise formuliert worden. Parteichef Lars Ohly hat sich von Anfang bis Ende geweigert, etwas dazu zu sagen, wie das verwirklicht werden oder woher das Geld kommen soll.

Gleichberechtigung?

Ein weiterer Skandal ist, dass die Administration vollständig verfehlt hat, sich für die Gleichheit der Frauen stark zu machen. Im Hinblick auf dieses Thema sind die Erwartungen immens gewesen. Die Diskussion um die Elternversicherung war eine jener Fragen. Sozialdemokratische Spitzenfunktionäre haben natürlich den Druck der Parteifrauenorganisation und der sozialdemokratischen Jugendbewegung gespürt. Aber Persson und der Vorstand des Gewerkschaftsdachverbands LO waren willens, die Grenzen des Staatshaushalts und die Unternehmerinteressen zu respektieren und nicht bereit, volle Entschädigung für Eltern zu verlangen, die bei ihren Kindern zu Hause sind. Deshalb haben sie nicht auf eine Elternpersonenversicherung gedrängt, wo der Vater genauso viel Verantwortung wie die Frau bei der Kinderbetreuung in den ersten Jahren zu übernehmen verpflichtet ist.

Auch  die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen sind in den letzten Jahren weder ausgemerzt noch verringert worden. So konnte sich Maud Olofsson, neoliberale Parteichefin des bürgerlichen Zentrums, als angriffslustigere Vorkämpferin für Frauenrechte aufführen, Antidiskriminierungsgesetze und Beihilfen für Frauen einfordern, die ihre eigene Firma eröffnen. Das sagt viel über die Wahldiskussion zu diesem Thema.

In Verbindung mit der formalen Akzeptanz von Kollektivverträgen seitens der konservativen Gemäßigten und der Rolle der Gewerkschaften bedeutete das, dass die Argumente der Sozialdemokraten und der Linkspartei in den Augen der Wähler sehr weit hergeholt und nicht vertrauenswürdig erschienen. Die offen bürgerlichen Parteien kriegten es hin, sich sowohl als Schutzherren des alten Wohlfahrtsstaats wie als die zu gerieren, die „Schweden Dampf machen.“

Das einzig positive Resultat der Wahl ist die Befreiung aus Göran Perssons Schwitzkasten für die Sozialdemokratie. Doch ist niemand in Sicht, der für radikalere Ansichten eintritt, von antikapitalistischen und sozialistischen erst gar nicht zu sprechen. Alle jetzt in den Medien diskutierten KandidatInnen stehen für die gleiche Politik wie Persson mit seiner Anpassung an die in der EU vorherrschende neoliberale Politik und die Außenpolitik des US-Imperialismus.

Die von Persson gelenkte Sozialdemokratie hat die Grundlage für die Politik gelegt, die nun vom Bürgerbündnis fortgesetzt werden wird. Ohne beim neoliberalen Projekt so weit zu gehen wie Tony Blairs New Labour, ist Persson an der Front für Schwedens Integration in den imperialistischen Block gestanden, den die EU zu formieren sich anschickt.

Die Linkspartei

Die Linkspartei ist zwischen verschiedenen strategischen Umgangsweisen mit der Sozialdemokratie hin und her gerissen. Die Rechtsopposition „Linke am Scheideweg“ befürwortete eine völlige Abschaffung des traditionellen Linksreformismus der Partei. Die Parteimehrheit wünscht, einerseits die Rolle als linke Kritikerin der Sozialdemokratie weiter zu spielen, andererseits Verantwortung für die Politik der sozialdemokratischen Regierung zu übernehmen.

Diese Strategie wird langfristig nur in interne Konflikte und die Abwesenheit einer politisch unabhängigen Linie münden. Das spiegelt sich sowohl auf Ortsebene wie auch im Parlament wider, wo die großen Themen behandelt werden. Das erklärt, warum die Linkspartei zufrieden damit ist, Perssons Rückendeckung für die US- und britisch-imperialistische Besatzung des Irak, die Hunderttausende IrakerInnen getötet und einen permanenten  Kriegszustand erzeugt hat, sanft zu „kritisieren“. Das erklärt auch, warum die Partei nur zögerliche Vorbehalte gegenüber der sozialdemokratischen Duldung und Befürwortung von Waffenlieferungen an Israel angemeldet hat.

Die Linkspartei packte nie die Chance am Schopf, zum Angriff überzugehen und ihr Gewicht zur Mobilisierung der Arbeiterbewegung gegen diesen verbrecherischen Akt wider alle internationale Solidarität mit den Unterdrückten einzusetzen. Deshalb schnitt Ohly in den Wahldebatten selten diese Punkte an.

Der Preis für den Mangel an einer unabhängigen politischen Linie gegenüber den Sozialdemokraten zusammen mit jüngsten Skandalen um Lars Ohlys frühere stalinistische Verbindungen war ein weiterer Stimmenverlust für die Linkspartei von 8,39 Prozent 2002 auf nur 5,85 Prozent. Die Sozialdemokraten fielen gleichzeitig von 39,8 auf 34,99 Prozent.

Anlass zur Besorgnis ist das Ergebnis der rassistisch-volkstümelnden „Schwedendemokraten“ mit 2,94 Prozent. Mit über 200 Gemeinderatssesseln steigert die Partei ihre Vertretungen um das Vierfache. Dieses Ergebnis vergrößert das Risiko für einen wirklichen Durchbruch einer Partei desselben Typs wie die Dänische Volkspartei, welche im Amt eine direkte Bedrohung für Einwanderer und ihre demokratischen und sozialen Rechte darstellen. Der Vormarsch der „Schwedendemokraten“ stärkt auch die Zuversicht der faschistischen Bewegung, die neuerdings eine Straßenkampftruppe aufgestellt hat, um ihre Gegner zu terrorisieren.

Was kommt?

Die nun von Reinfeldt zusammengestellte Regierung hat noch nicht ihr wahres Gesicht gezeigt. Doch Tag für Tag wird die reaktionäre Agenda durch alles Lächeln hindurch deutlich sichtbarer: Staatsbetriebe werden privatisiert, Steuererleichterungen für „Haushaltshilfen“ werden im gleichen Atemzug gewährt, wie der Steuerabzug für Gewerkschaftsbeiträge abgeschafft wird. Arbeitslosengeldzahlungen und andere Bestandteile des Sozialversicherungssystems werden sich ebenfalls für die verschlechtern, die ihrer am meisten bedürfen. Die Kapitalisten können Steuerkürzungen einstreichen.

Angesichts des härteren Regiments im Schulwesen mit Noten für Betragen, Fleiß und Beteiligung am Unterricht ab der ersten Klasse werden Kinder und Jugendliche wahrscheinlich den höchsten Preis bezahlen, wenn die Bürgerregierung zur Offensive übergeht.

Die Frage bleibt, wie lange es dauern wird, bis die Regierung besondere Maßnahmen ergreifen wird, sich der Arbeitslosenunterstützung für junge Leute unter 26 zu entledigen. Die Zentrumspartei ist ganz vorn dabei, darauf zu drängen, aber die anderen Parteien in der Allianz (die Gemäßigten, die Volkspartei und die Christdemokraten) haben bis jetzt nicht gewagt, sie offen zu unterstützen. Erst einmal in der Regierung, mag sich das ändern.

Jene WählerInnen, die von dem ganzen netten Geschwätz über all die Arbeitsplätze, die durch Förderung des Kapitals entstehen werden, verdummt sind, werden bald enttäuscht sein. Die in Schweden benötigten Arbeitsverhältnisse sind zum großen Teil im Öffentlichen Dienst zu finden, in Schulen, im staatlichen Gesundheitswesen und in pflegerischen Bereichen der Wirtschaft allgemein. Die Großkonzerne mit ihren immensen Profiten, die nicht für produktive Investitionen, sondern nur zum Wohl der Aktionäre eingesetzt werden, verfügen über die nötigen Reserven. Aber in der Tat redet selbst die Linkspartei kaum über eine Erhöhung der Steuerlast des Kapitals. Die Unternehmenssteuern gehören tatsächlich zu den niedrigsten in ganz Europa.

Die bürgerliche Politik der sozialdemokratischen Regierung und die Anpassung der Linkspartei beweisen einmal mehr, wie notwendig eine wahrhaft revolutionäre Arbeiterpartei ist. ARBETARMAKT (die schwedische Sektion der L5I) sieht es als ihre Pflicht in dieser Situation an, dies mit größerem Nachdruck zu unterstreichen. AktivistInnen innerhalb der Arbeiterbewegung, die noch für eine der beiden bürgerlichen Arbeiterparteien stimmen, müssen sich zu fragen beginnen, welche Art Partei gebraucht wird, die Kapitalisten zu schlagen - und wie man sie aufbauen kann.

Allen SozialistInnen, der radikalen Jugend, AktivistInnen in Gewerkschaften, Frauen- und Umweltschutzbewegungen stellen sich nun zwei Aufgaben:

Wir müssen über die politischen Ursachen für den Wahlsieg der Bürgerlichen diskutieren und welcher Weg nach vorn führen kann;

Wir müssen die Organisationen der Arbeiterklasse darauf vorbereiten, sich für die Schlacht zu wappnen, die die Politik der neu gewählten bürgerlichen Regierung auslösen wird. Diese Auseinandersetzung darf nicht nur defensiv verlaufen, sie muss in eine Offensive verwandelt werden, um sich sowohl die Bürgerregierung wie das kapitalistische System ein für alle Mal vom Halse zu schaffen.

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Nr. 114, Oktober 2006

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*  Nach den Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern: Rot/Rot schmiert ab
*  Kassel II: Wohin geht die WASG-Opposition?
*  CDU-Familienpolitik in Thüringen: 15 Packungen Pampers
*  NPD nach den Wahlen: Aufstieg der Ratten
*  Schweden: Nach der Wahl ist vor dem Kampf
*  Castros Krankheit: Kuba im Kreuzfeuer
*  Mexiko: Massen an die Macht!
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*  UNO, NATO, Bundeswehr: Raus aus dem Libanon!