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Politische Streiks in USA

Wir sind Arbeiter, keine Kriminellen!

Theo Tiger, Neue Internationale 111, Juni 2006

Der diesjährige 1. Mai in den USA stand im Zeichen der illegalen MigranntInnen. Die republikanische Partei hatte, mit Bush an der Spitze, ein neues Einwanderungsgesetz auf den Weg gebracht, durch das die fast 12 Millionen Illegalen direkt kriminalisiert worden wären, ebenso alle Organisationen oder Privatpersonen, die den Illegalen helfen.

Dabei ist dieses Vorhaben selbst für den rechten Rand der Republikaner ein zweischneidiges Schwert. Zwar wollen sie sich als rücksichtslose Kämpfer für „Law and Order“ präsentieren; auf der anderen Seite ist der amerikanische Kapitalismus aber auch auf die billigen Illegalen angewiesen. Große Teile der Landwirtschaft im Süden könnten ohne die Einwanderer aus Mexiko und anderen Staaten nicht überleben. Insgesamt sind 25 % der Beschäftigten Immigranten, unter ihnen viele ohne Papiere.

Die politische Rechte benutzt die bekannten Argumente, die Illegalen würden Arbeitsplätze wegnehmen und die Sozialsysteme der USA ausnutzen, so dass man sich gegen diese Wirtschaftsflüchtlinge schützen müsse. Gerade der Hinweis auf die soziale und medizinische Versorgung ist eigentlich lachhaft, denn wegen der zu guter Gesundheitsversorgung ist wahrscheinlich noch niemand in die USA eingewandert. Vielmehr geht es um die Möglichkeit, als illegaler Arbeiter einige Dollar zu verdienen, mit denen dann auch die Familie in Mittelamerika unterstützt werden kann.

Als Allzweckmittel präsentiert Bush einen militarisierten Grenzzaun, größere Mittel für die lokale Polizei und den Einsatz der Nationalgarde. Unter gewissen Vorraussetzungen, wie einem festen Arbeitsplatz, könnten Illegale auch ein legales Aufenthaltsrecht bekommen.

Auf der fast 3.200 Km langen Grenze zwischen USA und Mexiko versuchen jedes Jahr 100.000e, die Grenze zu überqueren. Für viel Geld legen sie ihr Schicksal in die Hände von Schleppern, um auf der anderen Seite ein paar Dollar zu verdienen. Inzwischen haben sich schon halbfaschistische Milizen in der weißen Bevölkerung gebildet, die ihr Land vor den Illegalen „schützen“ wollen. Diese „Minutemen“ treten als Grenzmilizen auf und stehen in der Tradition des rassistischen Ku-Klux-Klan.

Inzwischen haben mehr als 40 Städte in den USA eigene ausländerfeindliche Gesetze verabschiedet, diese sehen u.a. auch spezielle Abschiebegefängnisse für Illegale vor sowie die Streichung aller sozialen Leistungen.

Die Migration von ArbeiterInnen war schon immer prägend für den Kapitalismus. Ohne die Zuwanderung europäischer ArbeiterInnen hätte die US-Industrie sich nie zur Nummer 1 entwickeln können; ohne die Zuwanderung aus Polen hätte es kein Industriezentrum Ruhrgebiet gegeben etc.

Die verschärften Angriffe auf die Löhne der IndustriearbeiterInnen in den USA, die Massenentlassungen in der Autoindustrie und die gestiegenen Lebenshaltungskosten haben ihre Ursache in einem verschärften globalisierten Kapitalismus. Die Jagd nach möglichst höchsten Profitraten hat sich global etabliert, überall werden Illegale und Niedriglöhner als Druckmittel gegen die regulär Beschäftigten eingesetzt.

No work, no school, no consum

Unter diesem Motto entstand eine der größten politischen Bewegungen zusammen, die jemals in den USA aktiv war. Mit dem Slogan sollte die Bedeutung der MigrantInnen für die US-Wirtschaft und ihrer Fähigkeit verdeutlicht werden, einen wichtigen Teil des öffentlichen Lebens lahm zu legen. Als Antwort auf die republikanische Hetze gegen Illegale und Ausländer, gingen in allen größeren Städten des Landes schon im März 100.000e auf die Straße. Besonders in Florida und Kalifornien war die Mobilisierung enorm, genau wie in den anderen südlichen Bundesstaaten haben hier die „Hispanics“ einen großen Anteil am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben.

In den USA leben ca. 50 Millionen spanisch sprechende Einwohner, ca. 10 Millionen von ihnen sind Illegale. Zusammen steuern sie etwa ein Sechstel der amerikanischen Wirtschaftsleistung bei. In Los Angeles kamen schon im April 250.000 Menschen zusammen, sie demonstrierten für ihre Bürgerrechte und gegen die geplanten Abschiebungen, auch mehr als 10.000 SchülerInnen nahmen an diesen Protesten teil.

Demokratie in Aktion

Die berüchtigte Polizei von LA ging mehrmals aggressiv gegen die Demo vor. Mit Schlagstöcken und Tränengas zeigte der bürgerliche Staat, was unter Bürgerrechten zu verstehen ist.

Gleichzeitig gab es im ganzen Land brutale Razzien und Kontrollen gegen Illegale. Ein CNN-Moderator wurde zum medialen Apostel der Ausländerjagd. Große Firmen drohten ihren Angestellten mit Entlassung, sollten sie sich an den Kundgebungen beteiligen oder dem Streikaufruf folgen.

Trotz polizeilicher, ökonomischer und medialer Einschüchterungsversuche ließ sich diese Bewegung aber nicht stoppen, im Gegenteil: neue Partner wurden gefunden und aktiviert, der Protest weitete sich auf das gesamte Land aus. In Chicago, einer klassischen Einwandererstadt, kamen so über 100.000 zusammen - die Gemeinschaft der Afro-AmerikanerInnen, philippinische Organisationen und Einwanderer aus Osteuropa schlossen sich den Protesten an.

Während Präsident Bush gegen eine spanische Version der Nationalhymne polemisierte, breitete sich der Widerstand aus und fand immer größere Unterstützung - fast drei Millionen wurden Ende April in den ganzen USA mobilisiert.

Mehr als eine Bürgerrechtsbewegung!

Auf den Kundgebungen stand natürlich der Gesetzentwurf der Republikaner im Vordergrund, daher war ihr Erscheinungsbild oft das einer Bürgerrechtsbewegung, allerdings mit einer großen sozialen Sprengkraft.

Die Umsetzung der Forderungen nach gleichen Rechten und freier Einbürgerung der Illegalen würden die Extraausbeutung der ArbeitsmigrantInnen in den USA und die Extra-Profite der Bosse einschränken. Gerade die US-Landwirtschaft, die Lebensmittelindustrie und der Dienstleistungssektor wären davon betroffen. Die Militarisierung der Grenzpolitik muss daher mit der sozialen Frage verbunden werden.

Dann wird es Personen wie Senator E. Kennedy auch schwerer fallen, sich zum Anwalt der MigrantInnen zu machen. Besonders der „linke“ Flügel der Demokraten hat versucht, diese Bewegung zu vereinnahmen und durch Versprechen für ihren Wahlkampf zu ködern.

Die Bewegung muss weiterhin die rassisch und sozial unterdrückten und ausgegrenzten Gruppen der Gesellschaft aktivieren, nur dieser Ansatz kann verhindern, daraus ein reines „Latino“-Problem zu machen.

Wenn jetzt mehr als 600 Km Grenzzaun militarisiert werden, zeigt dies offen den reaktionären Charakter des US-Imperialismus: „Krieg nach innen“ und „Krieg nach außen“ bestimmen die bürgerliche Administration. Daher ist auch die Demokratische Partei kein Anwalt der Illegalen und Einwanderer. Schon in den Mobilisierungen haben sie ihren Einfluss geltend gemacht, um die Bewegung für die bürgerliche Öffentlichkeit akzeptabel zu machen – z.B. indem sie vorschlugen, dass die Protestierenden mit US-Fahnen ihre patriotische Gesinnung zum Ausdruck bringen sollten.

Und natürlich wäre auch eine Regierung der US-Demokraten kein Fortschritt für die MigrantInnen. Auch diese Amdinistration würde sich dem Problem gegenübersehen, angesichts langfristig sinkender Profitraten einen wirksamen Angriff auf das Lohnniveau zu führen und für die unqualifizierten Jobs auch die richtig billigen Arbeitskräfte nutzbar zu machen – die Illegalen.

Was diese Bewegung in den letzten Monaten erreicht hat, kann für eine politische Kraft, eine Formation der Einwanderer und sozial Unterdrückten in den USA genutzt werden. Die Frage ist jedoch wie?

In dieser Frage kommt den Gewerkschaften eine große Bedeutung zu. Die Bürokratie ist in den beiden großen Verbänden ist tief verstrickt in eine Politik der Klassenzusammenarbeit mit den Bossen, insbesondere mit der demokratischen Partei. Das Mitmachen beim Standortwettbewerb des Kapitals hat für die Gesamtklasse, gerade für die Unterdrücktesten fatale Folgen. Die notwendige Solidarität mit den MigrantInnen wird verweigert, ja schlimmer, der nationale chauvinistische Schulterschluss mit den eigenen Bossen in Form der Unterstützung eines reaktionären Grenzregimes mitgemacht.

Diese Politik hat aber auch für Kernschichten der US-Arbeiterklasse wie in der Autoindustrie fatale Folgen. So haben die United Autoworkers – einst eine der mächtigsten Gewerkschaftsorganisationen in den USA – einen dramatischen Niedergang erlebt, weil sei sich als ohnmächtig erweisen gegen die massiven Angriffe auf Jobs und Renten der ArbeiterInnen in den großen Autokonzernen.

Zweifellos: die US-Gewerkschaften müssen sich wieder ihre internationalistischen Tradition besinnen - nicht allein bei Sonntagsreden, sondern direkt in der Aktion.

Bei den Protesten der Illegalen und MigranntInnen standen sie oft im Abseits, jedenfalls nicht an vorderster Front. Die Dienstleistungsgewerkschaft SEIU wollte auf nationaler Ebene den Protest nicht unterstützen, dies taten dann aber lokale und regionale AktivistInnen, die sich bewusst von der Bundesführung absetzten.

Auch der traditionelle Dachverband AFL-CIO beließ es bei finanzieller und symbolischer Unterstützung. Die organisierten Kernschichten der Arbeiterklasse waren nicht an den Protesten beteiligt - der neue Dachverband „Change to win“ immerhin (Dienstleistung, Transport, Verkehr) war an den Protesten aktiv beteiligt.

Arbeiterpartei

Der Kampf gegen die rassisistischen Angriffe auf die MigrantInnen und für gleiche Rechte ist daher untrennbar mit dem Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie, mit dem Kampf für eine klassenkämpferische Opposition über die Verbände hinweg verbunden.

Die Organisierungsversuche und Ansätze der Latinos und anderer MigrantInnen wie sie z.B. in Form des social movement unionism entstanden sind, sind dabei ein politischer Ausgangspunkt.

Aber es ist auch notwendig, dass diese kämpferischeren, auf direkte Aktion und über rein gewerkschaftliche Ansätze hinausgehenden Organisierungsversuche, auch mit einer politischen Perspektive verbunden sind.

Ansonsten droht ihnen dasselbe Schicksal, dass schon andere Massenbewegungen in den USA erfahren haben: Dass die Bewegung, von bürgerlichen und klein-bürgerlichen Schichten der Unterdrückten und über diese vom linken Flügel der US-Bourgeoisie, also der demokratischen Partei erstickt wird und zur Wählerbasis verkommt.

Dieser Gefahr kann nur begegnet werden, wenn sich die Bewegung der MigrantInnen selbst klassenmäßig formiert. Es geht dabei – um Missverständnissen vorzubeugen – keineswegs um eine soziologische Frage einer „reinen“, „nur“ aus ArbeiterInnen bestehenden Bewegung.

Vielmehr geht es darum, dass die Arbeiterklasse den proletarischen wie auch den anderen, nicht-ausbeutenden, halb-proletarischen oder auch klein-bürgerlichen Schichten der MigrantInnen einen Perspektive weist und diese um eine politisches Programm der sozialen Befreiung gruppiert.

Es geht also um die Formierung einer Arbeiterpartei, einer politischen Vertretung der US-amerikanischen Lohnabhängigen, die von allen Flügeln der herrschenden Klasse unabhängig ist. Die Bewegung der MigrantInnen kann dazu einen mächtigen Anstoß liefern, bringt sie doch Millionen und Abermillionen der am meisten ausgebeuteten und unterdrückten Lohnabhängigen erstmals als Massenkraft in Bewegung.

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Nr. 111, Juni 2006

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*  Heile Welt
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*  DaimlerChrysler Untertürkheim: Arbeiterdemokratie oder Diktatur des Apparats?
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*  70 Jahre Revolution in Spanien, Teil 1II: Anarchismus und Staat
*  Freud zum 150. Geburtstag: Eine Würdigung
*  Migranten-Streiks in den USA: Wir sind Arbeiter, keine Kriminellen!
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