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70 Jahre Revolution in Spanien, Teil III

Anarchismus und Staat

Hannes Hohn, Neue Internationale 111, Juni 2006

Im Unterschied zu anderen politischen Kräften der Arbeiterklasse verfügten die AnarchistInnen in Spanien schon vor 1936 über eine Massenbasis. Angesichts dessen, dass die Stalinisten mit ihrer Volksfrontpolitik offen jeden Fortschritt der Revolution bekämpften, die zentristische POUM nur auf Teile der Massen wirklichen Einfluss hatte (was mit ihrer schwankenden und zögerlichen Politik zusammenhing) und die TrotzkistInnen nur über marginalen Einfluss verfügten, waren die AnarchistInnen, hinter der die Mehrheit der Klasse stand, letztlich entscheidend für Wohl oder Wehe der Spanischen Revolution.

In Spanien, wo der Anarchismus das einzige Mal in der Geschichte überhaupt ein bedeutender Faktor im Klassenkampf war, zeigte sich jedoch, dass dieser letztlich an seiner politischen Methode scheiterte und zudem andauernd mit seinen eigenen politischen Prinzipien in Widerspruch geriet. Der Anarchismus war in der Lage, große Teile der Massen zu erobern; er war jedoch außerstande, die Macht zu erobern.

In einer Revolution können sich letztlich nur die Kräfte durchsetzen, die eine klare gesellschaftliche Zielstellung mit einer konkreten Politik verbinden, welche geeignet ist, die Staatsmacht zu erobern.

In der Russischen Revolution von 1917 waren die Bolschewiki um Lenin und Trotzki dazu in der Lage, weil sie als einzige Partei unter dem Motto „Alle Macht den Sowjets“ konsequent auf die Machteroberung des Proletariats und auf die konsequente Umsetzung der unmittelbaren Ziele der Revolution „Land, Brot, Frieden“ drängten. Gleichzeitig führten sie einen harten Kampf gegen die Menschewiki und jene Sozialrevolutionäre, welche die Revolution auf ihre demokratische Phase begrenzen wollten und die bürgerliche Provisorische Regierung unterstützten bzw. deren Sturz boykottierten.

Zugleich erwiesen sich die Bolschewiki als fähig, taktische Bündnisse und Einheitsfronten mit diesen Kräften einzugehen und die Revolution gegen die Reaktion zu verteidigen. So gelang es den Bolschewiki, sich in den Augen der Massen als einzige konsequent-revolutionäre Kraft zu beweisen und die Mehrheit der ArbeiterInnen, Bauern und Soldaten hinter sich zu scharen.

Eine gänzlich andere Politik verfolgte der Anarchismus in Spanien, wo die Herausforderungen und Probleme der Revolution ganz ähnlich denen in Russland 1917 waren (Landfrage, Eigentumsfrage, bewaffnete Reaktion, bürgerliche „Volksfront“-Regierung).

Das Versagen des Anarchismus in Spanien erwies sich bei jeder Zuspitzung der Revolution und wurde im Verhalten der Anarchisten zur Frage des Staates, also der Regierung besonders deutlich.

Der Juli 1936

Dieses Datum markiert einen Höhepunkt in der Revolution. Zuerst in Barcelona, kurz darauf jedoch auch in anderen Zentren des Landes, übernahmen die ArbeiterInnen die Macht: sie bewaffneten sich, besetzten politische und wirtschaftliche Zentren und kämpften erfolgreich gegen die Faschisten. Die Führung der Massen hatte der anarchistische Gewerkschaftsdachverband CNT (Confederacion National de Trabajo), in dem in Barcelona und den nordspanischen proletarischen Zentren des Landes fast alle ArbeiterInnen organisiert waren.

Neben der CNT gab es die anarchistische Föderation FAI, eine parteiähnliche Struktur, welche die ideologische Linie vorgab und de facto die Führung auch der CNT stellte. Die FAI entlarvt auch die generelle Ablehnung von Parteien durch den Anarchismus als weltfremd und falsch, da Massenorganisationen überhaupt nicht effektiv ohne ein gewisses Maß an Zentralismus und Führungsstrukturen - zudem in einer Revolution - funktionieren und erfolgreich sein können. Eine, wenn auch im Vergleich zur CNT schwächere, Rolle spielten auch die POUM und die Vereinigung der katalanischen Jugendorganisationen von Sozialisten und der KP, die PSUC.

Die Volksfrontregierung und ihre regionalen Administrationen unterstützen das Vorgehen und v.a. die Bewaffnung der ArbeiterInnen natürlich nicht, konnten aber auch nichts dagegen tun. Damit gab es eine klassische Doppelmachtsituation: auf der einen Seite die Massen, die mit den CNT-Komitees, hinter denen sich auch Unorganisierte sammelten, de facto über Räte und bewaffnete Milizen verfügten und die reale Macht vor Ort hatten; auf der anderen Seite die „offizielle“ Regierung, die kaum noch über Macht verfügte und vor allem auch militärisch weder gegen die ArbeiterInnen noch gegen Franco bestehen konnte, aber weiter formal die Macht auf gesamtstaatlicher Ebene darstellte.

Was hätte die Massen hindern können, die gesamte Macht - also die Staatsmacht Spaniens wie die in den Regionen - zu übernehmen? Niemand! Dass das trotzdem nicht geschah, lag einzig und allein daran, dass die Anarchisten (und in ähnlicher Weise die POUM) diesen Schritt nicht gehen wollten.

Trotzki schrieb im Dezember 1937 zur Rolle der Anarchisten: „Diese Selbstrechtfertigung: `Wir ergriffen die Macht nicht, nicht etwa, weil wir nicht konnten, sondern weil wir nicht wollten, weil wir gegen jede Diktatur sind´ usw. enthält allein schon die unwiderrufliche Verurteilung des Anarchismus als einer durch und durch antirevolutionären Doktrin. Auf die Eroberung der Macht verzichten, heißt freiwillig die Macht dem überlassen, der sie besitzt, d.h. den Ausbeutern. Das Wesen jeder Revolution bestand und besteht darin, dass sie eine neue Klasse an die Macht bringt und ihr so die Möglichkeit gibt, ihr Programm zu verwirklichen. Man kann nicht Krieg führen, ohne den Sieg zu wollen. Man kann die Massen nicht zum Aufstand führen, ohne sich auf die Eroberung der Macht vorzubereiten.“ (aus: Die Spanische Lehre: Eine letzte Warnung, in: L. Trotzki, Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, Bd. 2, ISP-Verlag 1976, S. 303)

Hinter dieser Politik des Anarchismus steckt seine grundfalsche politische Methode, die jede Art von Staatsmacht ablehnt. Zwar wollten die Anarchisten damals den Kapitalismus überwinden und eine kommunistische Gesellschaft errichten, doch dass dafür die Staatsmacht ergriffen, der alte Staatsapparat zerschlagen und ein neuer Rätestaat als Machtorgan der revolutionären Massen errichtet werden muss, um die Verteidigung der Revolution wie ihren Übergang Richtung Kommunismus zu organisieren - diese Zusammenhänge waren den anarchistischen Führern völlig unklar.

Diese inkonsequente Politik hatte zwei verheerende Folgen: 1. konnte sich die Volksfrontregierung halten, ja sogar stabilisieren; 2. wurden die Massen demoralisiert, weil ihre Dynamik gebremst wurde. Infolgedessen wurden wesentliche Aufgaben zur Verteidigung  der Revolution gegen Franco - die letztlich nur auf gesamtstaatlicher Ebene und durch Mobilisierung aller materiellen und personellen Ressourcen Spaniens gelöst werden konnten - nicht bewältigt. Ein zentrales Problem war dabei, dass die Landreformen von der Volksfront nicht energisch umgesetzt wurden, was die Bauern von der Revolution entfremdete und sie so auch dem Kampf gegen die Faschisten entzog. Welch Gegensatz zu Russland, wo gerade die kompromisslose Umsetzung der Landreform Millionen Bauern zur Unterstützung der Bolschewiki und der Verteidigung des Sowjetstaates im Bürgerkrieg motivierte.

Linke Flankendeckung der Volksfront

Nicht genug damit, dass die anarchistischen Spitzen die intuitiv zur Macht drängenden Massen nicht zum Sturz der Volksfrontregierung führten - sie traten selbst in diese Regierung ein! Die anarchistische Grundthese, jeden Staat abzulehnen, wurde dabei geflissentlich einfach über Bord geworfen.

Die Beteiligung an der Volksfront-Regierung bedeutete, dass die Massen dadurch an sie gefesselt wurden, anstatt sie auf deren Sturz zu orientieren; dass die Illusionen in die Volksfront geschürt wurden, anstatt zu zeigen, dass diese für den Fortgang und die Verteidigung der Revolution völlig ungeeignet ist. Das wäre umso leichter gewesen, als die Regierung sich in den Augen der Massen ohnehin immer mehr kompromittierte.

Für die völlige Substanzlosigkeit, für das permanente Schwanken des Anarchismus in Spanien spricht auch, dass sie zuerst nicht in die Volksfront wollten, es dann aber doch taten - und das vor dem Hintergrund der zur Macht drängenden Massen! Die Regierungsbeteiligung entlarvt sich zudem dadurch, dass die anarchistischen Führer selbst immer wieder darauf hinwiesen, wie schwach, wie inkonsequent die Volksfrontregierung war.

Der Mai 1937

Anfang Mai 1937 entzündete sich in Barcelona erneut ein Konflikt. Diesmal zwischen den ArbeiterInnen und der Volksfront. Die CNT kontrollierte die Telefonzentrale und konnte so die Regierungstelefonate mithören und sogar verhindern. Der Versuch der Volksfront-Truppen, die Zentrale in ihre Gewalt zu bringen, traf auf den energischen und erfolgreichen Widerstand der anarchistischen ArbeiterInnen, der schließlich zur Besetzung aller zentralen Positionen Barcelonas führte. Wie reagierte Führung der CNT? Sie versuchte abzuwiegeln und zu vermitteln, anstatt sich klar auf die Seite der Aufständischen und gegen die Regierung zu stellen.

Als sich aber die Regierung auf keinen Kompromiss einließ, war das aber kein Grund für die Spitzen von CNT und FAI, ihre Politik zu ändern. Im Gegenteil: sie versuchten offen, die Massen zu demobilisieren und boykottierten deren Verteidigungsaktionen. Als die Massen daraufhin auf energische Schritte drängten und gemeinsam mit den linkeren Teilen der POUM den Aufstand für ganz Spanien „ins Auge fassten“ (einen systematischen Plan gab es nicht), stellten sich die anarchistischen Führer offen dagegen.

Die Folge der Mai-Ereignisse von Barcelona war nicht nur die blutige Niederlage der kämpfenden, aber von unbrauchbaren, feigen Führungen geleiteten Massen. Viel schwerer wog die Demoralisierung, der schwindende Glaube an den Sieg der Revolution. Das war der Boden, auf dem sich die schwache Volksfront-Regierung halten konnte - bevor sie selbst, von den Massen immer weniger unterstützt, den Faschisten unterlag.

Ihren Sieg ausnutzend, übten die Stalinisten in der Regierung Druck aus, der zum Rücktritt von Regierungschef Caballero führte und die Positionen der KP deutlich stärkte. Sehr schnell wurde die POUM (welche die Stalinisten demagogisch als Trotzkisten bezeichneten, was sie nicht waren) auf Betreiben der KP verboten, ihre Mitglieder verfolgt und inhaftiert.

Dieser Rechtsschwenk in der Regierung markiert den Anfang vom Ende der Spanischen Revolution. Nach ihrer Weigerung, die Regierung zu stürzen und die Massen zur Übernahme der gesamten Macht zu führen, hatte der anarchistische Mohr seine konterrevolutionäre Schuldigkeit getan. Auf Betreiben der Stalinisten wurden die Anarchisten aus der Katalonischen Volksfront-Regierung geworfen.

Nun gab es kein Halten mehr - das spanische Proletariat wurde im Terror des Bürgerkriegs zerrieben: an der Front von Franco, hinter der Front von den Schergen der Geheimpolizei Stalins.

Eine blutige Lehre

Nicht zufällig blieb es Leo Trotzki, neben Lenin der wichtigste Führer in der Russischen Revolution, vorbehalten, klar und konsequent die Fehler des Anarchismus in Spanien zu analysieren.

„Die Anarchisten besaßen (…) keinerlei eigene Position. Sie taten nichts weiter, als zwischen Bolschewismus und Menschewismus hin und her zu schwanken. Genauer: die anarchistischen Arbeiter waren bestrebt, den bolschewistischen Weg zu gehen, (19. Juli 1936, Maitage 1937), während die Führer umgekehrt mit aller Kraft Massen ins Lager der Volksfront, d.h. des bürgerlichen Regimes zurücktrieben. (…) Die Anarchisten zeichneten sich durch ein fatales Unverständnis für die Gesetze der Revolution und ihre Aufgaben aus (…) (Ebenda, S. 302)

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Nr. 111, Juni 2006

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